Protokoll der Sitzung vom 08.11.2007

Kurz zusammengefasst: Die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer. Opfer dieser wachsenden Spaltung der Gesellschaft sind Familien und damit vor allem Kinder.

(Zuruf des Abg. Dr. André Hahn, Linksfraktion)

Immer mehr Kinder leben von staatlichen Transferleistungen.

(Jürgen Gansel, NPD: Das war Ihre Regierungsbilanz!)

So hat sich die Sozialhilfequote bei jungen Menschen in Sachsen seit 1990 verdoppelt. Das macht deutlich: Kinderarmut hat sich zu einem gravierenden Problem für unsere Gesellschaft entwickelt.

(Alexander Delle, NPD: Die SPD ist schuld daran!)

Denn obwohl wir in einem der reichsten Länder dieser Welt leben, gibt es immer mehr Kinder, die ohne Frühstück das Haus verlassen, und wenn sie zurückkommen, ist der Kühlschrank immer noch leer.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Ja, Schröder sei Dank!)

Es gibt immer mehr Kinder, denen die Eltern am Schulanfang nicht die Schulbücher kaufen können, die sie brauchen.

Armut von Kindern hat verschiedene Seiten. Die materielle Armut hängt eng mit einer kulturellen und sozialen Verarmung zusammen. Es fehlt vielen Kindern, vor allem aus sprichwörtlich kleinen Verhältnissen, an gesellschaftlichen Werten, die Halt und Sicherheit geben können. Es fehlt auch an Vorbildern, wie man durch eigene Leistung die eigene Situation verbessern kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was ist zu tun, um diesen Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen?

(Jürgen Gansel, NPD: SPD abwählen! – Beifall bei der NPD)

Eine allumfassende Politik gegen Kinderarmut muss folgende Ziele verfolgen: Wir müssen die materielle Situation von Familien insgesamt verbessern. Wir müssen Chancengleichheit für alle Kinder sicherstellen, unabhängig vom Geldbeutel der Eltern, und – das ist der wichtigste Punkt – wir müssen die Situation der Kinder direkt verbessern. Deshalb dürfen wir die Bekämpfung von Armut und damit auch der Kinderarmut nicht allein als Frage von Sozialtransfers betrachten. Hier gebe ich Vizekanzler Müntefering recht, der gesagt hat – ich zitiere –: „Armut von Kindern macht sich nicht nur an den Zahlbeträgen von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld II fest.“

Diesen Worten werden jetzt auch Taten folgen, Herr Neubert.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Herr Kollege Dulig, können Sie mir zusichern, dass, wenn wir diesen bedürftigen Familien mehr Geld geben, dieses Geld auch den Kindern zugute kommt, damit sie mit Frühstück in die Schule gehen können und durch ihre Eltern optimal betreut werden?

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion)

Das ist ja genau meine Aussage gewesen: dass es ist nicht nur um direkte Sozialtransferleistungen geht, sondern es geht um eine umfängliche Politik, die die Kinder und Familien in den Mittelpunkt

der Betrachtung stellt. Es geht um direkten Transfer und genauso um die Unterstützung von Institutionen.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion)

Deshalb sind wir der Meinung, dass man mehr in den Rechtsanspruch, in Einrichtungen wie Kitas, als in die direkten Transfers investieren muss.

(Einzelbeifall bei der SPD)

Zurück zu Franz Müntefering. Lieber Falk Neubert, reden ist immer gut.

(Dr. Johannes Müller, NPD: Immer nur reden, nur reden, Herr Dulig!)

An den Taten soll man sie messen. Hier kommt die konkrete Antwort: Besonders den bedürftigen Kindern wird zukünftig bei der Schuleinführung ein Schulstartpaket in Höhe von 150 Euro zur Verfügung gestellt. Denn wenn man weiß, dass diesen Kindern normalerweise 5,47 Euro für Bücher und 2,72 Euro für Schreibbedarf zur Verfügung stehen, ist das genau der richtige Schritt.

(Alexander Delle, NPD: Das sind Ihre Hartz-IV-Sätze, die haben Sie eingeführt!)

Es gibt bereits zahlreiche weitere Beispiele, wie man aktiv werden kann, so bei der Versorgung mit Mahlzeiten. Rheinland-Pfalz praktiziert zurzeit ein Modell des sogenannten Ein-Euro-Essens. Bedürftige Kinder erhalten für einen Euro ein warmes Mittagessen.

Ähnliche Modelle müssen wir prüfen. Gerade für uns sächsische Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten gilt das Ziel, dass jedes Kind einmal am Tag ein gesundes warmes Essen erhalten muss.

(Freya-Maria Klinger, Linksfraktion: Und zwar kostenlos!)

Auf mittlere Sicht sollte deshalb die Mittagsversorgung sowohl in der Kindertagesstätte als auch in der Schule für die Kinder kostenfrei sein; denn wir haben das Ziel, Sachleistungen für alle Kinder bereitzustellen, unabhängig vom Geldbeutel der Eltern.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Das war nichts!)

Ich erteile das Wort der Fraktion der NPD. Herr Dr. Müller, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es macht einen manchmal fast sprachlos, mit welcher Selbstverständlichkeit Herren vom Schlage Dulig Dinge vortragen nach dem Motto „Haltet den Dieb!“, und gleichzeitig sitzen diese Leute sowohl in Sachsen als auch im Bund in der Regierungsverantwortung.

(Beifall bei der NPD)

Das ist manchmal schon unglaublich! – Aber kommen wir zu dem zurück, was ich vorbereitet habe. Im letzten Jahr fand eine öffentlichkeitswirksame Veranstaltung in einer deutschen Großstadt statt, bei der 200 000 Fähnchen gesteckt wurden. Jedes einzelne Fähnchen stand für ein Kind, das in dieser Stadt in Armut lebt. Es handelt sich dabei um keine andere Stadt als Berlin, in der DIE LINKE durch ihre Regierungsbeteiligung bekanntlich die Verantwortung für das soziale Elend mitträgt.

(Caren Lay, Linksfraktion: Ach!)

Insofern macht sich Kollege Neubert unglaubwürdig; denn ausgerechnet DIE LINKE zeichnet dort auch dafür verantwortlich, dass zum Beispiel dem Sozialprojekt Arche die finanziellen Mittel drastisch gekürzt wurden und dadurch den ohnehin schon in Armut lebenden Kindern möglicherweise auch noch eine warme Mittagsspeisung vorenthalten wird.

Meine Damen und Herren! Kinderarmut ist keine Neuerscheinung. Sie hat jedoch mittlerweile Ausmaße angenommen, die einer gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Bankrotterklärung des politischen Systems der Bundesrepublik gleichkommt und deren Ursache auch und gerade in den Hartz-IV-Gesetzen zu suchen ist. Nicht nur, dass den Menschen die Leistungen gekürzt wurden, auch die Jubelmeldungen über eine Entspannung auf dem sächsischen und dem bundesdeutschen Arbeitsmarkt tragen den Makel, dass immer mehr Familien und damit Kinder auf ergänzende Leistungen angewiesen und damit trotz der Erwerbstätigkeit der Eltern von Armut betroffen sind.

In diesem Haus brachte die NPD-Fraktion übrigens schon vor anderthalb Jahren einen entsprechenden Antrag zu einem angemessenen Mindestlohn ein. Sie, meine Damen und Herren, haben allerdings die Augen vor der Realität verschlossen und lehnten diese und alle unsere anderen sozialpolitischen Initiativen geschlossen ab.

Meine Damen und Herren! Immer mehr „Tafeln“ und Suppenküchen sprießen auch in Sachsen aus dem Boden. Die Angebote karitativer Einrichtungen werden zunehmend auch für die Kinderbetreuung und Nachhilfe ausgebaut. Damit findet ein gesellschaftlicher Wandel statt, dessen Auswirkungen erst in ein paar Jahren zu spüren sein werden, was vor allem auf nicht mehr tragbare Lasten für die Eltern im Bildungsbereich zurückzuführen ist. 76 234 sogenannte Bedarfsgemeinschaften mit Kindern unter 15 Jahren werden von der Bundesagentur für Arbeit für den Berichtsmonat Oktober 2007 in Sachsen ausgewiesen. 200 000 betroffene sächsische Kinder leben in diesen Bedarfsgemeinschaften.

Statt dem entgegenzuwirken und zumindest die schlimmsten Folgewirkungen zu beseitigen, hat sich leider nicht nur in diesem Haus ein sozialpolitischer Stillstand breitgemacht. So lehnten Sie jüngst erst ab, die Lehr- und Lernmittelfreiheit auch in der Praxis zu garantieren, indem jedem hilfebedürftigen Kind ein Zuschuss in Höhe von 200 Euro gewährt werden sollte. Auch die Bereitstel

lung eines anrechnungsfreien Mittagessens für hilfebedürftige Kinder interessierte Sie im Juli dieses Jahres leider überhaupt nicht. Die Liste der Versäumnisse ließe sich beliebig weiterführen.

Schon jetzt sind die Folgen absehbar, zum Beispiel Ernährungsmängel. Darin gebe ich Kollegen Dulig recht. Mir ist eine Lehrerin bekannt, die gefragt hatte, welche Kinder denn schon zu Hause gefrühstückt haben. Diese sollten sich setzen. Das war ein Teil der Klasse. Sie hat weiterhin gefragt, welche Kinder denn wenigstens ein Frühstück mithaben. Es setzte sich wieder ein Teil. Aber es blieben Kinder stehen, die weder gefrühstückt noch etwas zu essen mithatten. Das ist gesellschaftliche Realität, auch in Sachsen. Es fehlt an Bildungsmöglichkeiten, und der Ausschluss von kulturellen Angeboten ist bei dieser Betrachtung auch nicht zu vernachlässigen.

Es sind nicht nur die physischen Folgen, die auf die Kinder einwirken. Auch die Psyche gerät in Mitleidenschaft, wenn von Armut geprägte Kinder zum Beispiel an Klassenfahrten nicht teilnehmen können und da stigmatisiert sind, aber auch wenn selbst kleinste Wünsche nicht erfüllt werden können. Ich erinnere daran, dass Weihnachten vor der Tür steht und dass das für viele Kinder kein Fest der großen Geschenke und der Freude sein wird, sondern dass es dabei erhebliche Mängel geben wird.

Kinder braucht das Land – das haben wir erst gestern in der Debatte zum Landeserziehungsgeld vernommen. Dabei haben Sie, meine Damen und Herren, jedoch aus dem Blickwinkel verloren, dass unsere Kinder auch sozial abgesichert sein müssen. Von dieser Stelle aus möchte ich noch einmal daran erinnern, auch wenn Sie es, weil es von meiner Fraktion kam, abgelehnt haben: Das Erziehungsgehalt wäre eine wirksame Maßnahme sowohl für mehr Kinder als auch für die soziale Absicherung der Kinder,

(Beifall bei der NPD)

indem Erziehung als das anerkannt wird, was es ist: eine Leistung im Interesse des Staates.

(Beifall bei der NPD)