Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist eher ein seltener Vorgang, aber auch eine ebensolche Freude, so empfinde ich das zumindest, wenn zu einem Sachverhalt gleich mehrere Gesetzentwürfe und hier sogar vier Gesetzentwürfe diskutiert werden. Das zeigt, dass allen demokratischen Fraktionen hier in diesem Hause daran gelegen ist, dass es ihnen wichtig ist, in einen umfassenden Dialog einzutreten, um die besten Lösungen für einen modernen Jugendstrafvollzug zu finden. Das ist eine positive Entwicklung, die sich schon in den Beratungen des Rechtsausschusses gezeigt hat und heute hier fortsetzt. Ich darf daran erinnern, dass wir nahezu vier Stunden im Rechtsausschuss gebraucht haben, um die abschließende Beratung durchzuführen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der SPDFraktion war es wichtig, Jugend- und Erwachsenenstrafvollzug nicht über einen Kamm zu scheren. Das war von Anfang an unser Primat. Deshalb haben wir uns auch gegenüber unserem Koalitionspartner und nicht zuletzt gegenüber dem ursprünglichen Ansatz des Staatsministers der Justiz durchgesetzt, Jugend- und Erwachsenenstrafvollzug gesetzestechnisch strikt voneinander zu trennen. Die Tatsache, Herr Bartl, dass wir einen eigenen Gesetzentwurf der Öffentlichkeit vorgestellt und ins Internet gestellt haben, ist natürlich als eine Art Denkanstoß zu verstehen gewesen, als ein Beitrag für die Debatte. Sie wissen genau wie ich, dass wir als SPD-Fraktion nicht allein gesetzesinitiativ werden können.
Wir sind in einer Koalition, und die Koalition wird lediglich gemeinsam gesetzesinitiativ. Ich denke, dass das auch für die Linksfraktion gilt, beispielsweise in Berlin, die dort auch nicht einfach frei agieren kann. Also, wie gesagt, ein Beitrag, ein Denkanstoß, und dieser Denkanstoß hat sicher auch bei dem einen oder anderen gewirkt.
Der Gesetzentwurf der Staatsregierung und die von den Koalitionsfraktionen eingebrachten Änderungen haben – das ist heute auch schon erwähnt worden – über die Grenzen des Freistaates Sachsen hinaus Anerkennung gefunden. Wir legen mit unseren Gesetzesvorschlag die Grundlagen für einen modernen Jugendstrafvollzug,
dessen alleiniges Ziel – das will ich noch einmal deutlich machen, weil Sie das infrage gestellt haben, Frau Herrmann – die Resozialisierung straffälliger Jugendlicher ist.
Wir leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Verhinderung neuer Straftaten und natürlich zum künftigen Opferschutz.
Ich muss noch etwas zu Ihnen sagen, Frau Herrmann. Sie haben in Ihrer Rede teilweise den Eindruck erweckt, als ob wir es bei den jugendlichen Strafgefangenen mit Opfern zu tun haben. Natürlich sind diese auch Opfer verschiedenster ungünstiger Umstände in ihrem Leben geworden. Aber sie sind nicht im Jugendstrafvollzug, weil sie Opfer sind, sondern weil sie Täter sind, weil sie Straftaten begangen haben. Das sollten wir uns in Erinnerung rufen. Trotzdem haben natürlich auch diese Täter die Chance auf Resozialisierung verdient. Jeder, der diese Chance ergreift, wird sie auch bekommen. Der Staat hat die Verpflichtung, ihnen diese Chance zu geben.
Kommen wir zu den Instrumentarien. Zentrales Instrumentarium zur Erreichung des Vollzugszieles ist die Gleichrangigkeit von offenem und geschlossenem Vollzug und natürlich die Einbettung von freien Formen des Vollzugs und die nachhaltige Gewähr von Vollzugslockerungen. Wir wollen, dass die jungen Gefangenen regelmäßig in Vollzugslockerungen erprobt werden. Das ist wichtig, natürlich unter dem Aspekt, dass ausgeschlossen werden kann, dass sie diese Vollzugslockerungen dazu nutzen, sich zu entziehen oder neue Straftaten begehen zu wollen.
Vollzugslockerungen sollen im Einzelfall nur noch versagt werden, wenn der junge Gefangene seine Mitwirkungsobliegenheiten in krasser Weise verletzt. Das ist ein System des Förderns und Forderns. Damit setzt sich der Freistaat Sachsen in der Tat bundesweit an die Spitze aktiver Resozialisierungsmaßnahmen, die sich durch den gesamten Vollzugsalltag hindurchziehen.
Kein anderes Bundesland – das muss noch einmal deutlich gesagt werden – setzt in vergleichbarer Weise auf eine so umfassende pädagogische Betreuung, Erziehung, Persönlichkeitsreifung und berufliche Ausbildung. Wir wollen, dass junge Gefangene verantwortungsbewusst an neue Medien herangeführt werden, und wir vertrauen auf den Sport als Mittel der Aggressionsbekämpfung, meine Damen und Herren. Kein anderes Bundesland sieht für den Sport mindestens vier Stunden wöchentlich vor; das ist ein wichtiger Aspekt.
Auch zu den Besuchszeiten haben wir Regelungen gefunden, die deutlich über das hinausgehen, was das Bundesverfassungsgericht gefordert hat. Insgesamt werden mindestens vier Stunden Besuchszeit pro Monat gewährt, für Angehörige sogar noch zwei Stunden zusätzlich.
Denn eines ist Fakt – darin sind wir uns sicherlich alle einig –: Gefestigte positive Sozialkontakte sind für das Gelingen der Resozialisierung unverzichtbar. Deshalb wollen wir eine zielgerichtete Einbindung von Eltern, Geschwistern und Partnern in das jeweilige Vollzugskonzept. Dieses muss natürlich ständig entsprechend der persönlichen Reifung fortentwickelt werden. Dabei geht es auch um die Einbindung weiterer Träger der Gefangenenhilfe.
Bundesweit ebenfalls einmalig ist die Festlegung einer Wohngruppengröße von maximal zwölf Gefangenen. In gleicher Weise unverzichtbar ist der Grundsatz der Einzelunterbringung bei Nacht. Man kann sich nun darüber streiten – wie es die Experten trefflich getan haben –, ob nun zwölf oder zehn oder acht Gefangene eine ordentliche Wohngruppengröße darstellen. Ich darf nur daran erinnern: Andere Bundesländer haben auf die Festlegung einer Wohngruppengröße verzichtet – sicherlich auch aus finanziellen Gründen.
Wir haben das nicht getan. Wir müssen dazu wissen, dass die neu gebaute Jugendstrafanstalt in Regis-Breitingen genau auf diese Wohngruppengröße, die wir im Gesetz festgelegt haben, ausgerichtet ist. Es gibt dort neun Einzelhaftzellen pro Wohngruppe, eine Haftzelle für eine Dreierbelegung und eine behindertengerechte Haftzelle für maximale Doppelbelegung. Zwölf ist nicht nur die beste, sondern auch die praktikabelste Lösung für den Freistaat Sachsen, und wir bleiben deshalb bei dieser Wohngruppengröße.
Es gibt Kritikpunkte an unserem Gesetzentwurf, auf die Herr Dr. Martens hingewiesen hat. Dazu möchte ich sagen: Ich bin persönlich bei dem gewählten RegelAusnahme-Verhältnis zur Anstaltskleidung auch eher skeptisch. Eine Jugendhaftanstalt sollte kein Laufsteg für Markenklamotten sein, aber bestimmte Dress- und Sozialcodes lassen sich eben nicht allein durch das Tragen von Anstaltskleidung wirksam verhindern.
Ich gehe davon aus, dass die Anstaltsleitung in Ansehung der Verpflichtung aus § 3 unseres Gesetzentwurfes – das Leben in der Anstalt ist den allgemeinen Lebensverhältnissen so weit wie möglich anzugleichen; außerdem gibt es noch die Regeln der Vereinten Nationen zur Inhaftierung junger Menschen – dem Tragen privater Kleidung in der Praxis den Vorzug geben wird.
Kollege Bräunig, geben Sie mir recht, dass gerade am Beispiel der Anstaltskleidung deutlich wird, dass es eben nicht immer „richtig“ und „falsch“ gibt? Wenn in Ihrem Gesetzentwurf die Motivation der Gefangenen aufgenommen wurde, sind Sie dann der Meinung, dass es Möglichkeiten geben muss, diese Motivation zu erreichen, und dass unter Umständen die Möglichkeit, von Anstaltskleidung auf Privatkleidung zu wechseln, eine Motivationsmöglichkeit sein könnte – auch wenn es die Selbstbestimmung einschränkt?
Frau Herrmann, ich hatte ja gesagt, dass ich mit dem Regel-Ausnahme-Verhältnis so meine Probleme habe. Fakt ist, dass es die Möglichkeit geben muss, Anstaltskleidung zu tragen, weil das in bestimmten Wohngruppen sinnvoll ist.
Ich hätte mir eine offenere Formulierung gewünscht, die praxisgerechter ausgestaltet werden kann; aber ich habe auch deutlich gemacht, dass ich keine Probleme mit der jetzigen Formulierung im Gesetz habe, weil es die Möglichkeit gibt, private Kleidung zuzulassen. Ich denke, dass das in der Praxis umgesetzt werden wird.
Mir erscheint es vor dem Hintergrund des Rechtes auf Informationsfreiheit nach Artikel 20 der Sächsischen Verfassung problematisch, dass der Gesetzentwurf ein De-facto-Fernsehverbot in den eigenen Hafträumen vorsieht. Aber auch hier vertraue ich auf eine verfassungskonforme Auslegung in der Praxis.
Insgesamt handelt es sich trotz dieser zwei Kritikpunkte um ein gelungenes Gesetzeswerk. Daran haben auch die Sachverständigen in der Anhörung am 31. August keinen Zweifel gelassen.
Kollege Bräunig, wie soll denn die Justizvollzugsanstalt, wenn die Normenregelung vorsieht, dass es in der Regel Anstaltskleidung gibt, dass es in der Regel kein Fernsehen gibt und Ähnliches mehr, begründen, dass sie von der Regel abweicht? Es ist doch selbstverständlich – jeder Praktiker wird Ihnen das sagen –, dass sich die Neigung, von der durch den Gesetzgeber vorgesehenen Regel abzuweichen, in höchst engen Grenzen hält. Wie stellen Sie sich das denn vor, dass das in der Regel anders gehandhabt wird, als es im Gesetz steht? Woraus soll sich das rechtfertigen?
Ich hatte ja auf das Recht auf Informationsfreiheit hingewiesen – Artikel 20 Sächsische Verfassung. Ich gehe davon aus, dass es in der Praxis verfassungskonform ausgelegt wird, wenn ein Gefangener dieses Recht beansprucht, dass er dann auch ein Fernsehgerät bei sich aufstellen darf. Diese Hoffnung habe ich.
Hätten Sie denn keine Bedenken, dass die Norm dann unter Umständen im Verhältnis zum verfassungsmäßigen Anspruch auf Informationsfreiheit verfassungswidrig ist, weil die Norm einfach anders lautet?
Nein, da habe ich keine Bedenken. Ich denke, dass man das so, wie es im Gesetz vorgesehen ist, verfassungskonform auslegen kann.
Die Sachverständigen haben in der Anhörung keine Zweifel daran gelassen, dass es sich um ein gelungenes Gesetzeswerk handelt.
Noch ein Wort zu der Diskussion, die im Verfassungs- und Rechtsausschuss und auch heute wieder aufgekommen ist, bezüglich der Erziehungsziele nach Artikel 101 Sächsische Verfassung. Einmal ganz ehrlich: Ich kann die künstliche Aufregung, die dazu entstanden ist, nicht nachvollziehen.
Die Mitwirkung der Gefangenen knüpft lediglich an die Resozialisierung an. Sie wird nicht durch abstrakte Erziehungsgrundsätze, sondern allein durch die Zielsetzung, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen, konkretisiert. Damit schlägt eben der § 3 Abs. 1 nicht auf die Mitwirkung der Gefangenen durch, zumal sie ohnehin nur als Obliegenheit und nicht als Pflicht ausgestattet ist. Deshalb sind für mich keine Auswirkungen auf die Gewährung von Vollzugslockerungen ersichtlich.
Herr Kollege Bräunig, geben Sie mir darin recht, dass der Praktiker – sprich: der Bedienstete im allgemeinen Vollzugsdienst oder wer auch immer –, der das Gesetz zur Hand nimmt und nach den Zielen und Kriterien des Vollzuges schaut, denen er in der Erziehung des Gefangenen genügen muss, gezwungen ist, sich an diesen Kriterien zu orientieren und letzten Endes nach diesen Kriterien entsprechende Übungen vorzusehen, die auf die Entwicklung der politisch verantwortlichen Reife – auf die Heimatliebe, auf die Nächstenliebe, auf die Achtung vor allem Lebendigen und dergleichen mehr – ausgerichtet sind? Wie soll sich das im praktischen Vollzugsalltag vollziehen?
Nein, ich gebe Ihnen nicht recht, Herr Bartl. Rekapitulieren wir: Den Gefangenen obliegt die Mitwirkung an der Erreichung des Vollzugszieles. Das einzige Vollzugsziel ist die Resozialisierung, und damit ist alles gesagt. Für mich sind keine Auswirkungen auf die Gewährung von Vollzugslockerungen ersichtlich. Dies gilt umso mehr, als nach unserem Vorschlag Vollzugslo
Lassen Sie mich abschließen. Ich denke, dass es uns in der vom Bundesverfassungsgericht gesetzten Frist gelungen ist, einen modernen, konsequent an der Resozialisierung ausgerichteten Jugendstrafvollzug auf den Weg zu bringen. Ich darf noch daran erinnern, dass es eine regelmäßige Evaluation, kriminologische Forschung und einen zweijährigen Bericht an den Sächsischen Landtag geben wird. Damit haben wir alle Möglichkeiten, den Jugendstrafvollzug weiterhin im positiven Sinne fortzuentwickeln.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Gesetzentwurf der Staatsregierung macht mich vor allem ein Satz misstrauisch: Die entstehenden Mehrkosten lassen sich nicht quantifizieren.