Protokoll der Sitzung vom 12.12.2007

Zum Entwurf des Staatsministeriums und den Änderungen der Koalition. Wenn konkrete Kriterien fehlen, wie der Vollzug finanziell, personell und materiell auszustatten ist, dann entscheidet über den Erfolg des Jugendstrafvollzuges unter Umständen nicht mehr der Justizminister, sondern sein Kollege aus dem Finanzressort, und das speziell unter den Bedingungen in Sachsen, über die wir heute Vormittag diskutiert haben.

Ich befürchte deshalb, dass die Mitarbeiter im Jugendstrafvollzug an den hohen Ansprüchen des Gesetzes resignieren müssen, weil der Personalbestand in der Vergangenheit zusammengestrichen wurde und noch weiter zusammengestrichen wird.

Ich habe mir in Vorbereitung auf die Diskussion heute überlegt, ob ich überhaupt Änderungsanträge zum Gesetzentwurf der Staatsregierung noch einbringen will, weil mich der Umgang mit den Entwürfen im Sozialausschuss schon sehr geärgert hat, unter anderem weil es keine demokratische Diskussion des Anliegens im Sozialausschuss gab, weil die Jugendhilfe eben sehr stark einbezogen werden soll – das steht ja nicht nur in unserem

Gesetzentwurf, sondern auch in dem der Staatsregierung –, und also der Sozialausschuss einen besonderen Auftrag hat, seine Meinung kundzutun, und das ist ausgehebelt worden. Darüber war ich einigermaßen frustriert.

Ich habe dann doch Änderungsanträge gemacht, aber nur ein paar Punkte, und möchte an dieser Stelle zu dem in unserem Gesetzentwurf vorgeschlagenen Strafvollzugsbeauftragten etwas sagen, weil ich es nicht als Änderungsantrag einbringen werde.

Wir haben den unabhängigen Strafvollzugsbeauftragten in unserem Gesetzentwurf, weil nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes die Regelungen zum Jugendstrafvollzug internationale Standards und völkerrechtliche Vorgaben nicht unterschreiten dürfen. Zu diesen Vorgaben gehört auch das Zusatzprotokoll zur UN-Antifolterkonvention, dessen Umsetzung der Sächsische Landtag auf Antrag unserer Fraktion 2005 beschlossen hat. Die äußerst schleppende Umsetzung dieses Zusatzprotokolls zeigt, dass Deutschland den einzurichtenden nationalen Präventionsmechanismus äußerst minimalistisch, möchte ich es einmal nennen, ausgestalten will. Auch der sächsische Landtagsbeschluss ist bisher nicht viel mehr als ein Lippenbekenntnis.

Dieser Präventionsmechanismus ist aber mehr als eine symbolische Pflichtaufgabe. Er ist ein wichtiger Bestandteil zur Verbesserung des Menschenrechtschutzes, und zwar auf internationaler Ebene. Deshalb muss Deutschland vorangehen. Deshalb wollen wir, dass Deutschland diese UN-Antifolterkonvention auch umsetzt.

Der Häftlingsmord von Siegburg und die Scheinhinrichtung in der JVA Wiesbaden haben ja gezeigt, dass wir vor allem auch im Jugendstrafvollzug einen Präventionsmechanismus brauchen, der verhindert, dass sich ein Haftklima bildet, das Fälle von extremer Grausamkeit und Verrohung unter jungen Strafgefangenen möglich macht.

Ich möchte Sie deshalb bitten, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen. Wir haben diesen unabhängigen Strafvollzugsbeauftragten aufgenommen und halten das für eine ganz wichtige Einrichtung. Im Übrigen enthält unser Gesetzentwurf auch die Änderung des Landesjugendhilfegesetzes, wie ich schon ausgeführt habe.

Recht vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und des Abg. Klaus Bartl, Linksfraktion)

Die Debatte wird fortgesetzt. Herr Martens von der FDP-Fraktion, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In meinem ersten Beitrag zu den vorliegenden Gesetzentwürfen möchte ich mich auf den Gesetzentwurf der FDP zum Jugendstrafvollzug beschränken.

Die Geschichte – das ist erwähnt worden – ist bekannt. Bereits mit dem Urteil vom 31.05.2006 hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber eine Frist bis Ende

2007 gesetzt, um die vom Verfassungsgericht für zwingend notwendig erachtete gesetzliche Grundlage des Jugendstrafvollzuges zu schaffen. Mit der Föderalismusreform haben wir die Chance, dies auf Landesebene zu regeln.

Der Gesetzentwurf der FDP verfolgt verschiedene Zielsetzungen. Eine davon ist die Schaffung einer verlässlichen Grundlage für den Vollzug der Jugendstrafe im Freistaat Sachsen und inhaltlich dabei die Gefangenen zu einem Leben ohne Straftaten in sozialer Verantwortung zu befähigen. Das ist der zentrale Leitsatz, den wir in unserem Gesetz verankert wissen wollen. Generalprävention, wie sie zuweilen angeführt wird, ist demgegenüber ausdrücklich nachrangig, und – auch dies sei beim Gesetzentwurf der FDP erwähnt – wir verzichten auf das Einfügen von untauglichen, programmatischen Phrasen oder Hohlsätzen.

(Beifall der Abg. Klaus Bartl, Linksfraktion, und Johannes Lichdi, GRÜNE)

Der Weg, den der Gesetzentwurf geht, ist ein – wie wir finden – moderner Entwurf, der sich auch in anderen Gesetzentwürfen, namentlich der Oppositionsfraktionen, wiederfindet. Wir streben den differenzierten Vollzug in Wohngruppen an und legen Wert darauf, dass die jungen Gefangenen ihre sozialen Bindungen erhalten können. Wir wissen, dass dies schwierig ist. Viele junge Gefangene kommen aus einem Umfeld, in dem sie kaum oder keine sozialen Bindungen mehr erleben.

Hier ist es wichtig, vorhandene soziale Bindungen im Rest zu stärken und die Gefangenen wieder an ein soziales Umfeld heranzuführen, das diesen Namen auch tatsächlich verdient. Wir sehen deshalb eine Besuchsregelung mit einem Anspruch von monatlich acht Stunden auf Besuch für den Gefangenen vor. Wir wollen einen Vollzugsplan, der laufend fortgeschrieben wird, um den Anforderungen an eine individuelle Begleitung des Gefangenen gerecht zu werden. Das heißt, wir wollen eine Fortschreibung, die im Regelfall in jeweils vier Monaten erfolgt.

Meine Damen und Herren! Besonderes Gewicht legt der Gesetzentwurf der FDP auf den Bereich der Schulbildung, der Ausbildung und der beruflichen Fortbildung bei jungen Gefangenen, von denen ein großer Teil oft ohne Schulabschluss inhaftiert ist. Wir sehen es als zentralen Punkt an, für ein ausreichendes Angebot an schulischen Bildungs- und Fortbildungsmaßnahmen zu sorgen, um überhaupt Chancen zu eröffnen, dass die jungen Gefangenen nach ihrer Entlassung die Möglichkeit haben, sich in der Gesellschaft ohne Straftaten zu bewähren. Dementsprechend gestalten wir die Schulbildung als Rechtsanspruch, den die Gefangenen haben, und sehen vor, dass für geeignete Gefangene eine dementsprechende berufliche Ausbildung angeboten werden muss.

Selbstständigkeit – Verantwortung für sich selbst zu übernehmen – ist einer der Punkte, die wir ebenfalls im Gesetzentwurf verankert wissen wollen. Deshalb wollen

wir als gesetzlichen Regelfall das Tragen eigener Kleidung für die Gefangenen, eben nicht den Regelfall der Anstaltskleidung, sondern tatsächlich ein weitgehendes Heranführen an das „normale“ Leben ermöglichen. Die Möglichkeit, eigene Kleidung zu haben, für diese eigene Verantwortung zu übernehmen, sie zu waschen und zu bügeln – das mag banal klingen – erscheint aber im Anstaltsalltag, wie er sich bisher darstellt, wichtig.

Ferner stellen wir uns der Aufgabe der ausdrücklichen Festschreibung eines ausreichenden Personalschlüssels in den Anstalten, was wir im Entwurf der Staatsregierung vermisst haben. Das kostet zwar Geld, stellt sich aber als Investition in die Zukunft dar; denn jede kriminelle Karriere, die wir im Jugendstrafvollzug verhindern können, ist ein Gewinn nicht nur rein fiskalischer Art, sondern auch für die Gesellschaft insgesamt und für den einzelnen Jugendlichen. Das liegt auf der Hand.

Mit unserem Gesetzentwurf schlagen wir ein modernes Gesetz für den Jugendstrafvollzug vor, der Chancen für die jungen Gefangenen mit sich bringt und gleichzeitig Chancen für die Gesellschaft eröffnet.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der Linksfraktion)

Es folgt die CDUFraktion. Die erste Sprecherin ist Frau Dombois, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Mit der Verabschiedung eines neues Jugendstrafvollzugsgesetzes für Sachsen sowie der konzeptionellen Umsetzung im neu gebauten Strafvollzug Regis-Breitingen erlangt der Umgang mit jungen und heranwachsenden Straftätern eine ganz neue Bedeutung.

Zum 01.10.2007 wurde diese zentrale Jugendstrafvollzugsanstalt mit Häftlingen belegt, die in der Regel Mehrfach- und Intensivtäter sind. Ziel des Gesetzes muss es daher sein, in einem erzieherisch ausgerichteten Strafvollzug mit entsprechend ausgerichteter Wiedereingliederung eine zukünftige Straffälligkeit zu vermeiden und somit einer weiteren Verfestigung der Mehrfach- und Intensivtäterschaft entgegenzuwirken.

Wir haben in den letzten Wochen und Monaten intensiv zu den Gesetzesvorlagen diskutiert. Ich muss meinen Vorrednern recht geben: Es ist ein recht unglücklicher Umstand gewesen, dass die mitberatenden Ausschüsse keine Gelegenheit mehr hatten, abschließend zu diskutieren. Das sollte nicht gängige Praxis werden. Ich möchte daran erinnern, dass uns die Föderalismuskommission – wenn ich mich recht erinnere – erst im Frühjahr übertragen hat, dieses Jugendstrafvollzugsgesetz für die Länder umzusetzen.

Herr Bartl, um noch einmal auf Sie einzugehen: Ich muss mich etwas wundern, dass Sie bezüglich der Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen sagen, wir hätten eine Reihe von redaktionellen Änderungen vorgelegt und einen Antrag mit untergejubelt. Ich kann mich erinnern,

dass es eine ganze Reihe von Änderungsanträgen der Koalition gegeben hat und wir darüber diskutiert haben. Deshalb ist Ihre Aussage einfach falsch.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Frau Herrmann, es tut mir leid, wenn Sie das Gefühl hatten, dass Sie durch uns brüskiert worden sind. Über Ihre Aussage war ich etwas erschrocken. Ich denke, dass es trotz mancher unterschiedlicher Auffassung eine recht faire Diskussion im Ausschuss gewesen ist. Wenn Sie sich einmal die Reaktionen zu dem Gesetzentwurf der Staatsregierung vergegenwärtigen, werden Sie feststellen, dass uns die anderen Länder ein ganzes Stück beneiden und sagen: Es ist ein recht fortschrittliches Gesetz; wir hätten uns gewünscht, wir hätten auch die Kraft in der Umsetzung gehabt. Deswegen liegen wir mit unserem Entwurf ganz richtig.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Ich denke, dass wir trotz unterschiedlicher Herangehensweisen Einigkeit darüber erzielt haben, dass insbesondere durch intensivere Maßnahmen das Rückfallrisiko vermindert werden muss.

Das Bundesministerium der Justiz hat im Jahr 2003 in Kooperation mit dem Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, dem Statistischen Bundesamt und der Kriminologischen Zentralstelle erstmalig eine Dokumentation herausgegeben, die sich mit der Rückfallquote auseinandersetzt.

Das Ergebnis, meine Damen und Herren Abgeordneten, ist erschreckend. Die Rückfallhäufigkeit für Jugendliche und Heranwachsende, die aus der Haft entlassen werden, beträgt fast 80 %. Das zeigt einen erheblichen Handlungsbedarf auf. Auffällig ist in dieser Dokumentation aber auch der Unterschied zwischen den Rückfalltätern ohne Bewährung – 77,8 % – und Rückfalltätern mit Bewährung – 59,6 %; das sind fast 20 %; das zeigt, dass ein weiteres wichtiges Augenmerk auf die Sanktionsmaßstäbe zu lenken ist.

Ausgehend vom Gesetzesziel, eine Straftatwiederholung des überführten Jugendlichen bzw. Heranwachsenden zu verhindern, müssen die Sanktionsmaßstäbe im Sinne der Verhältnismäßigkeit notwendig, geeignet und angemessen sein.

Das vorliegende Jugendstrafvollzugsgesetz beinhaltet dahin gehend in seiner Umsetzung eine Reihe von Maßnahmen, die zugleich auch als Chance für die Jugendlichen und Heranwachsenden bei der Strafaufarbeitung und Resozialisierung zu sehen sind. Die Ergänzung im § 4, die Bereitschaft der Gefangenen zur Mitwirkung auch auf Belohnung und Anerkennung auszurichten, soll eine Motivation zur Mitarbeit bei der Erreichung des Vollzugszieles sein. Öffnung des Vollzuges nach innen durch Auf- und Umschluss, Wohngruppenvollzug, Sport- und Freizeitaktivitäten, Vollzugslockerung und Urlaub sind wichtige Angleichungen für eine spätere Wiedereingliede

rung in die Gesellschaft. Erziehung und Förderung sind wesentliche Grundlagen zur Erreichung des Vollzugszieles, um den Gefangenen zu einem Leben ohne Straftaten zu befähigen. Dabei soll auf die Persönlichkeit und die Fähigkeit und Fertigkeit jedes Einzelnen durch differenzierte Angebote eingegangen werden. Diese richten sich nach der Auseinandersetzung mit der eigenen Straftat auf die schulische Bildung, die berufliche Qualifikation, die soziale Integration und die verantwortliche Gestaltung des alltäglichen Zusammenlebens, der Freizeit sowie der Außenkontakte.

In einem Änderungsantrag der Koalition wurde deshalb noch einmal unter dem Punkt „Bedienstete“ der ausdrückliche Hinweis auf Fachpersonal wie Psychologen, Sozialarbeiter und Pädagogen verankert. Die Vollzugsplanung sollte regelmäßig fortgeschrieben und entsprechend der Entwicklung der Jugendlichen angepasst werden. Ein besonderer Wert wird auch auf die Beteiligung an diesem Prozess durch die Personensorgeberechtigten gelegt, die nach Möglichkeit einen positiven Einfluss zur Erreichung des Vollzugszieles nehmen sollen.

Die Pflege der Familienbeziehungen ist insbesondere für Jugendliche und Heranwachsende sehr wesentlich. Sie haben daher im Gegensatz zum Erwachsenenvollzug eine höhere Priorität im Gesetz erhalten. Kontakte zu Kindern werden unter Berücksichtigung des Erziehungsauftrages und des Kindeswohles besonders gefördert. Dies soll das Verantwortungsgefühl und die Bindung zur Familie stärken.

Ein wesentlicher Aspekt des Gesetzes ist die Zusammenarbeit und Einbeziehung Dritter während des Vollzuges bei der Entlassungsvorbereitung und Nachsorge als sogenannte durchgehende Betreuung. Jugendliche und junge Heranwachsende, die nach Jugendstrafrecht verurteilt wurden und die sich zum Zeitpunkt der Haftentlassung noch im Jugendstrafvollzug befinden und deren Haftentlassung vorbereitet wird, benötigen ein stabiles Umfeld bzw. oftmals Unterstützungsangebote, um sich wieder in die Gesellschaft eingliedern zu können.

Eine Rückfälligkeit nach der Haftentlassung soll durch eine optimale, das heißt abgestimmte, koordinierte und frühzeitige Betreuung und Nachbetreuung vermieden werden. Das kann nur bei einer effektiven Kooperation aller Beteiligten erreicht werden. Die Vernetzung aller, die sich mit der Wiedereingliederung von Strafgefangenen beschäftigen, bündelt Wissen und erleichtert Koordination und die Organisation bei den Entlassungsvorbereitungen und einen reibungslosen Übergang in die Freiheit. Auch nach Verabschiedung des Gesetzes sollte uns dieser Punkt der Zusammenarbeit in der Umsetzung weiter beschäftigen, da er unseres Erachtens einer intensiveren Form der Unterstützung der außervollzuglichen Einrichtung und der Organisationen bedarf.

Sehr verehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Abgeordnete! In den letzten Jahren fand der Strafvollzug in der Öffentlichkeit überwiegend nur dann Beachtung, wenn es wieder einen spektakulären Ausbruch oder irgendwelche

andere Probleme gab. Damit wurde natürlich sofort wieder der Ruf auf intensiveres Wegsperren, konsequentere Sanktionen und Ähnliches laut – etwas zu kurzsichtig, so meinen wir, denn nach der Absolvierung der Haftstrafe ergibt sich wieder eine neue Konfrontation für die Bevölkerung, aber auch für den Entlassenen. Deshalb ist es wichtig, bis zu diesem Zeitpunkt alles zu tun, was ein Zusammenleben wieder auf Vertrauen und gegenseitiger Achtung aufbaut.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Es spricht der Abgeordnete der SPD-Fraktion, Herr Bräunig.