Protokoll der Sitzung vom 22.01.2008

Natürlich, da gebe ich Ihnen völlig recht, Herr Dr. Hahn, das hätte auch die Akzeptanz dieses Reformvorhabens erhöht. Denn die Akzeptanz bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist nach wie vor nicht vorhanden. Es gibt ein großes Maß von Verständnislosigkeit für vorgeschlagene Teile des Reformvorhabens.

Das Leitbild wollten Sie also nicht diskutieren. Sie haben einen Reformdialog verweigert. Sie haben es auch abgelehnt – das ist von uns auch eingebracht worden –, einen zeitweiligen Ausschuss Verwaltungsreform zu schaffen, in dem wir all diese Fragen in aller Ruhe und in der nötigen sachlichen Tiefe hätten ausdiskutieren können und nicht in Sitzungen von 10 Uhr vormittags bis 22 Uhr abends.

(Zuruf des Abg. Dr. Fritz Hähle, CDU)

Leider haben Sie auch das nicht gewollt.

Was wissen wir eigentlich über das, was in diesem Gesetzesvorhaben steht? Was haben wir wirklich an Wissen? Wir haben ein Wissen – Herr Bandmann hat das zwar gerade verneint – über eine Form von Aufgabenkritik.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Er hat ja auch keines!)

Sie behaupten, es hätte eine Aufgabenkritik stattgefunden. Ich sage einmal: Nur weil es im Gesetzentwurf steht und weil gesagt wird, dass die Aufgabenkritik zum 31. März 2006 abgeschlossen gewesen sei, heißt das noch lange nicht, dass wirklich eine stattgefunden hat.

(Beifall bei der Linksfraktion sowie der Abg. Holger Zastrow, FDP, und Johannes Lichdi, GRÜNE)

Ich glaube nicht, dass irgendein Abgeordneter einen Endbericht oder einen Zwischenbericht oder überhaupt irgendeinen Stand dieser Aufgabenkritik vorgelegt bekommen hat, aus dem hervorgeht, warum welche Aufgabe vernachlässigt werden kann und warum welche Aufgabe an einer anderen Stelle besser erfüllt werden kann. All diese Fragen sind nicht beantwortet worden, weder im Ausschuss, bei der Sachverständigenanhörung noch in

Ihrem Gesetzesvorhaben, meine Damen und Herren von der Koalition. Unseres Erachtens – und wir bleiben auch dabei – gibt es keine ordentliche Kritik der Aufgaben des Freistaates.

Und was wissen wir noch? Wir wissen, dass eine Evaluation der bisherigen Reformvorhaben der Staatsregierung in den letzten Jahren nicht stattgefunden hat. Ich kann Ihnen gern ein paar Beispiele nennen. Schauen Sie nur einmal in den neuesten Landesentwicklungsbericht. Dort können Sie sehen, was alles unter „Verwaltungsmodernisierung“ steht.

Dort steht zum Beispiel, dass im Jahre 2002 der seit 1991 betriebene Umbau der Vermessungsverwaltung abgeschlossen wurde. 2002 – das ist noch nicht so lange her. Die Umweltämter sind im Jahre 2004 in die Regierungspräsidien eingegliedert worden, und zwar mit großem Brimborium: Endlich können Effizienzrenditen geschaffen werden, endlich gibt es eine Bündelung der Kompetenzen, sodass alle Leistungen des Regierungspräsidiums für die Bürgerinnen und Bürger noch besser dargestellt werden können. 2004!

Am 1. Januar 2006 wurde die einheitliche Forstverwaltung in diesem Lande geschaffen. Damals hieß es, das sei ein Beispiel für ganz Deutschland, ein Beispiel mit bundesweiter Relevanz, ein tolles New-public-Management-Projekt. Neue Steuerungsinstrumente wurden eingeführt. Aber nun sagen Sie: Diese einheitliche Forstverwaltung wollen wir nicht mehr!

Geben Sie diesen Verwaltungseinheiten doch wenigstens die Chance, unter Beweis zu stellen, ob die bisherigen Reformen vernünftig waren und ob dadurch Effizienzen gehoben werden konnten, bevor Sie wieder zu reformieren anfangen!

(Beifall bei der Linksfraktion und den GRÜNEN sowie des Abg. Holger Zastrow, FDP)

Meine Damen und Herren von der Koalition: Das, was Sie hier vorbringen, ist Reformwahn. Das kann nicht Sinn der Sache sein. Eine Evaluation ist also nicht erfolgt.

Was wissen wir noch? Wir wissen, dass Sie vorhaben, für diese Reform 260 Millionen Euro in die Hand zu nehmen und den Kreisen zu geben. Das ist zunächst nicht einmal schlecht. Wer möchte nicht, dass die kommunale Ebene mehr Geld hat? Aber ich nenne das „gekaufte Kreise“. Die Zustimmung zu dieser Kreisgebietsreform ist durch dieses Geld von Ihnen gekauft worden. 28 Millionen Euro werden noch einmal nachgeschoben, um sie an die ehemaligen Kreissitze zu geben, damit auch die nicht ganz so böse sind. Anscheinend gibt es trotzdem die eine oder andere Differenz.

Das ist alles, was wir bisher über diese Reform wissen. Kommen wir jetzt zu der Frage, was wir nicht wissen. Wir wissen nicht, welche Synergien wirklich erreicht werden sollen. Wir wissen nicht, ob die Effizienzrenditen, die Sie in Ihrem Gesetzentwurf versprechen, die Sie den Kommunen versprechen, überhaupt die Aussicht haben erreicht zu werden. Angeblich sollen 29 % erreicht werden.

Das muss man sich einmal vorstellen. Und die Kommunen sind auf Gedeih und Verderb gefordert, Personalabbau zu betreiben und vielleicht sogar freiwillige Aufgaben abzugeben, sie liegen zu lassen, weil sie die Effizienzrendite, die vom Gesetzgeber, von uns, vorgegeben wurde, erreichen müssen. Wir haben konkret keinerlei Ahnung, wo eine Synergie entstanden ist und wie hoch die Effizienzsteigerung aus dieser Synergie zu bewerten ist. Vor allem haben wir es nicht aufgabenspezifisch. Wir haben nur Globalzahlen.

Eine solche Form von Verwaltungsreform, die Sie hier anstreben, ist ein Blindflug auf Kosten der Kommunen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der Linksfraktion sowie der Abg. Holger Zastrow, FDP, und Johannes Lichdi, GRÜNE)

Die Frage ist doch: Ist das überhaupt eine Verwaltungsreform?

(Dr. Dietmar Pellmann, Linksfraktion: Nein!)

Unseres Erachtens ist das keine Verwaltungsreform, sondern nur eine Kreisgebietsreform Teil I. Sie haben kein Interesse daran gehabt, mit uns darüber zu diskutieren, und zwar aus einem einfachen Grund: Sie brauchten den Landtag gar nicht. Es ging Ihnen gar nicht darum, die vernünftigsten Lösungen zu finden. Es ging Ihnen nur um eines: Sie wollten eine Kreisgebietsreform, von der Sie hoffen, dass sie Ihnen Einsparungen bringt.

(Beifall bei der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Diese Kreisgebietsreform haben Sie in Hinterzimmern ausbaldowert, haben sie über Monate mehr oder weniger geheim gehalten, haben sie mit Landräten ausgekungelt – Entschuldigung, auch wenn Landräte anwesend sind, muss ich ihnen das so mitgeben –, Sie haben eine Einbeziehung des Landtages nicht gewollt, Sie haben eine Einbeziehung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in dieses Reformvorhaben nicht gewollt.

Sie können jetzt nicht von uns erwarten, dass wir dieses Reformvorhaben so mittragen. Denn die Leidtragenden, meine Damen und Herren, sind mit Sicherheit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie sind hinsichtlich der Aussichten, die sie haben, stark verunsichert. In der Anhörung wurde davon gesprochen, dass angeblich überhaupt keine betriebsbedingten Kündigungen notwendig würden. Ich verstehe gar nicht, warum Sie dann nicht bereit sind, einen zehnjährigen Kündigungsschutz hineinzuschreiben.

(Klaus Tischendorf, Linksfraktion: Genau!)

Sogar der Landkreistag hat gesagt, dass er sich anschauen wolle, wie die Alterspyramide aussieht, damit alles sozialverträglich vor sich gehen kann. Man könne das zwar nicht zu 100 % garantieren, aber im Großen und Ganzen schon. Warum geben Sie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht die Sicherheit, dass sie ihren Arbeitsplatz behalten können und dass der Personalabbau,

den Sie wollen, sozialverträglich erreicht werden kann? Warum nicht? Weil Sie wahrscheinlich selbst nicht dieser Auffassung sind.

(Beifall der Abg. Dr. Cornelia Ernst und Klaus Tischendorf, Linksfraktion)

Neben der Unsicherheit gibt es natürlich ein Unverständnis. Das habe ich vorhin schon gesagt. Ich sage es gern noch einmal: Wenn die Verwaltungsorganisationen laufend reformiert werden, ist das irgendwann nur noch Selbstzweck! Es gibt kein Verständnis dafür, dass Sie nach zwei Jahren, nach vier Jahren, nach sechs Jahren schon wieder anfangen, alles über den Haufen zu werfen. Dieses Verständnis gibt es bei den Mitarbeitern nicht. Ein Chef, der es nicht schafft, seine Mitarbeiter bei einem so großen Reformvorhaben mit auf den Weg zu nehmen, hat es eigentlich nicht verdient, weiter Chef zu sein, Herr Buttolo.

(Beifall bei der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Die Frage der Motivationslosigkeit, die hinterlassen wird, lasse ich einmal im Raum stehen. Ich glaube, davon kann sich jeder selbst ein Bild machen.

Es bleiben zwei große Sorgenkinder, die wir sehen, die mit diesem Verwaltungsreformvorhaben verbunden sind. Erstens ist das die Frage des Personalübergangs. Bis heute weiß kein Kreis, wen oder was er bekommt. Es gibt höchstens Befürchtungen, dass er die falschen Mitarbeiter bekommt. Und auch kein Mitarbeiter weiß, wo er hingehen wird. Es ist noch nicht einmal klar, ob die Eingruppierung derjenigen, die übergehen, schon geklärt ist. Dass das alles in einen Sonderausschuss verschoben wird, kann ich nicht verstehen. Dafür habe ich wirklich keinerlei Verständnis.

Das zweite Sorgenkind, das wir sehen, sind die vielen Problemlagen, die auch im Ausschuss aufgetaucht sind, in Bezug auf die Finanzierung der Aufgaben, die auf die kommunale Ebene übergehen, was in die Debatte zum Finanzausgleich vertagt wird. Wir werden also eine Verwaltungsreformdebatte Teil II in der Debatte über den kommunalen Finanzausgleich haben. Das, meine Damen und Herren, ist, glaube ich, keine Grundlage, auf der man hier ein solches Reformvorhaben beschließen kann. Wir werden ablehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der Linksfraktion und den GRÜNEN sowie des Abg. Holger Zastrow, FDP)

Ich erteile der Fraktion der SPD das Wort. Herr Bräunig.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ihre Rede, Herr Scheel, hat eines deutlich gemacht: Sie haben es bis heute nicht verstanden.

(Lachen bei der Linksfraktion und des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Sie haben nicht verstanden, dass es mit der Entscheidung über die Neuordnung der sächsischen Verwaltung nicht um eine bloße Änderung der Verwaltungslandschaft geht. Vielmehr geht es hier um eine wichtige Weichenstellung für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes, und für diese Weichenstellung tragen wir in der Koalition die Verantwortung.

(Beifall bei der SPD, der CDU und der Staatsregierung – Zuruf des Abg. Klaus Tischendorf, Linksfraktion)

Die sächsischen Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch darauf, dass Verwaltung, und zwar sowohl staatliche als auch kommunale Verwaltung, so effizient und effektiv wie möglich ihre Aufgaben zum Wohl der Allgemeinheit erfüllt. Das bedeutet, dass einerseits Verwaltung so organisiert sein muss, dass sie den Bürgerinnen und Bürgern optimal dient. Andererseits sind wir verpflichtet, mit Steuergeldern in der Verwaltung so umzugehen, dass durch wachsende Verwaltungsausgaben und sinkende Staatseinnahmen nicht die Gestaltungsfähigkeit für unsere Zukunft geraubt wird.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Dann macht es doch!)

Jeder Euro, der in der Verwaltung eingespart werden kann, steht uns für andere Aufgaben zur Verfügung,

(Zuruf des Abg. Klaus Tischendorf, Linksfraktion)

wie Bildung, wie Arbeit und ein gerechtes Sachsen.

Ich habe aus Anlass des Tages ein Zitat von Willy Brandt mitgebracht und er hat in der Regel gewusst, wovon er spricht. Er hat gesagt: „Wenn wir morgen sicher leben wollen, müssen wir heute für Reformen sorgen.“ Ich weiß, dass der Begriff „Reform“ in letzter Zeit etwas gelitten hat, weil die Menschen häufig zu Recht Reformen auch mit Einschnitten gleichsetzen. Uns allen ist aber bewusst, dass eine Verwaltungsreform eben gerade dann keinen Einschnitt bedeutet, wenn das Ziel darin besteht, durch den Verwaltungsumbau finanzielle Gestaltungsspielräume für die Zukunft zu gewinnen, ohne die Qualität der Aufgabenerfüllung zu gefährden. Genau diesem Ziel, meine Damen und Herren, wird die Verwaltungsreform im Freistaat Sachsen gerecht.

(Andrea Roth, Linksfraktion: Das glauben Sie doch selbst nicht!)

Ein Blick über unsere Grenzen hilft hier vielleicht, ein Stück weit Klarheit zu schaffen.