Protokoll der Sitzung vom 11.03.2010

Dass diese Angebote, dass diese vielen neuen Kindertagesstätten, vor allem die flexibel geöffneten Kitas, nicht zuletzt mit ausreichend qualifiziertem Personal besetzt sein müssen, ignoriert der Koalitionsvertrag völlig. Das ist noch einmal an Sie gerichtet, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP.

Aber ich stelle fest, das passt in die politische Linie von schwarz-gelb, viel Augenmerk auf staatliche Repräsentation in Form von Bauwerken zu Wasser und zu Lande zu legen und beim Personal permanent das Mantra des Abbaus zu predigen, wie wir das nicht zuletzt gestern in der Debatte zu Lehrerinnen und zu Sozialarbeiterinnen erleben durften.

Nachdem gestern 4 000 Bürgerinnen und Bürger des Freistaates stundenlang vor dem Landtag demonstriert und damit ihr Recht auf politische Mitwirkung wahrgenommen haben, hat sich die Staatsregierung immerhin heute bemüht, das Transparent „Hier bestimmen Sie“ aufzuhängen. Dass das Transparent gestern noch nicht hing, könnte eventuell der Grund gewesen sein, die Petition mit 20 000 Unterschriften für die Rücknahme der Einsparungen nicht ernst zu nehmen und den Dingen im Sinne des Finanzministers ihren Lauf zu lassen.

(Staatsminister Prof. Dr. Roland Wöller: Genau!)

Gut, Herr Wöller, Sie haben ja bestimmt noch das Wort dazu.

Was hat das mit dem vorliegenden Antrag zu tun? Ich erkläre es Ihnen gern. Im Jahre 2009, also vor einigen Monaten, hatte die Liga der Freien Wohlfahrtsverbände eine Kampagne für einen besseren Personalschlüssel in Sachsens Kitas gestartet. Im Rahmen dieser Kampagne haben viele von den hier anwesenden Abgeordneten, nicht nur aus der Opposition, sondern auch Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, den Goldenen Schlüssel entgegengenommen. Die Erzieherinnen und die Träger, die Ihnen diesen Goldenen Schlüssel überreicht haben, wollen ernst genommen werden von der Politik, die gern und oft betont, wie wichtig Kinder sind.

Parallel dazu wurden Unterschriften gesammelt, und es kamen mehrere Tausend zusammen. Kultusminister Wöller erhielt in Freital den Goldenen Schlüssel.

Herr Wöller, falls Sie sich nicht mehr daran erinnern können: Ich habe ihn noch einmal mitgebracht.

(Annekatrin Klepsch, Linksfraktion, zeigt einen Goldenen Schlüssel.)

Frau Klepsch, ich möchte Sie darauf hinweisen, dass Sie hier keine Schlüssel mit Aufschriften etc. und Schlüsselbänder zu zeigen haben. Wenn Sie das noch einmal machen sollten, würde ich Sie ernsthaft ermahnen. Ich bitte Sie, das zukünftig zu unterlassen.

(Lachen bei der CDU)

Herr Präsident, ich danke für den Hinweis. Ich nehme ihn ernst. Ich habe den Schlüssel wieder eingesteckt und komme damit auch zum Schluss.

DIE LINKE unterstützt die Initiative und den Antrag der GRÜNEN. Deshalb werden wir ihm auch zustimmen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und des Abg. Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE)

Als nächste Rednerin spricht Frau Dr. Stange für die SPDFraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Klepsch, Sie hätten das geschickter machen sollen. Man kann ihn auch schön als Schmuck tragen, den Goldenen Schlüssel, dann fällt das nicht so auf.

Ich habe vorhin sehr aufmerksam Frau Giegengack zugehört, dass wir kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem haben. Ich glaube, wir haben doch immer noch ein Erkenntnisproblem. Ich will vielleicht noch auf zwei Fakten hinweisen, die bis jetzt nicht genannt worden sind:

Die wichtigsten Jahre im Leben eines Menschen sind die ersten 12 Jahre; denn dort entwickeln sich im Prinzip die emotionalen, die kognitiven Fähigkeiten, die Sprachfähigkeiten. Das, was danach passiert, ist schon mehr Reparatur als Lernen. Das heißt, in diesen Jahren müssen die Familie und die Gesellschaft besonders darauf Acht geben, wie und in welcher Umgebung Kinder groß werden. Deswegen gibt es seit einigen Jahren Gott sei Dank Bildungspläne – auch in Sachsen –, die genau diese Entwicklungsperiode als Ganzes in den Blick nehmen.

Ich will es etwas zuspitzen: Es ist wichtiger, in die ersten zwölf Jahre zu investieren als in die nächsten zwölf Jahre. In Deutschland, auch in Sachsen, steht aber die Finanzierungspyramide im Bildungswesen auf dem Kopf. Das meiste Geld fließt in die Sekundarstufe II, nicht nur an den Gymnasien, sondern auch in der beruflichen Bildung; insbesondere, wenn ich an die zahlreichen Maßnahmen der Berufsvorbereitung oder der Vorbereitung auf eine

berufliche Ausbildung denke, die enorme Kosten verursachen. Dort hinein fließt deutlich mehr Geld als in die ersten zwölf Jahre, insbesondere in dem Bereich der Kindertagesstätten. Auch im internationalen Vergleich, das haben OECD-Studien immer wieder nachgewiesen.

Ein zweiter Punkt, den ich erwähnen möchte: Im Schulgesetz ist irgendwann einmal festgelegt worden, dass nicht nur der Schulbesuch kostenlos sein soll, sondern dass es auch eine Obergrenze für die Klassenstärke gibt. Im Kindertagesstättengesetz steht aber: „In der Regel“ soll es einen bestimmten Schlüssel geben. „In der Regel“ heißt, dass es Abweichungen von der Regel gibt. Auch darauf hat Frau Giegengack vorhin zu Recht hingewiesen.

Ich nenne gern noch einmal mein Beispiel, das ich, wie ich glaube, in der letzten Landtagsdebatte schon erwähnt habe: Es ist ein riesengroßer Unterschied, ob Sie sechs Kinder im Alter von drei Jahren zum Kindergeburtstag einladen oder ob es zwölf Kinder sind, wie wir es teilweise heute in den Krippen erleben. – So viel vielleicht zu den ergänzenden Fakten. Deswegen denke ich, dass wir immer noch ein Erkenntnisproblem haben.

Ich will auch auf eine Studie hinweisen. Die UNICEF gibt regelmäßig einen Bericht zur Lage der Kinder in Deutschland heraus. Dieser liegt auch für 2010 vor. In dieser UNICEF-Studie, in der Deutschland wieder einmal mittelmäßig abgeschnitten hat – Sachsen wahrscheinlich in diesem Mittelmaß weiter oben – wird erneut der Vorwurf gemacht oder, freundlich ausgedrückt, der Hinweis gegeben: Deutschland muss kindergerechter werden.

Es geht eben nicht darum, Kinder zu kleinen Leistungseliten erziehen – Sie erinnern sich an unsere Diskussion über mathematisch-naturwissenschaftliche Fähigkeiten im Kindergartenbereich –, sondern es geht darum, in dieser Zeit die Rechte von Kindern tatsächlich umzusetzen, und das ist mehr, als mathematisch-naturwissenschaftliche Fähigkeiten umzusetzen. Dazu gehören sprachliche Fähigkeiten, emotionale und auch kognitive Fähigkeiten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Über den Betreuungsschlüssel ist viel gesprochen worden, das muss ich nicht wiederholen. Die SPD wird in den nächsten Wochen einen Gesetzentwurf einbringen, der sich gegenwärtig in der Diskussion mit Familienverbänden, mit Kommunen und den Trägern befindet und der sich genau auf den Ansatz bezieht, den der Antrag der GRÜNEN verfolgt: nämlich eine schrittweise Senkung des Betreuungsschlüssels in den nächsten Jahren umzusetzen. Das ist längst überfällig.

Wir werden in unserem Gesetzentwurf auch darauf achten – das ist vorhin zu Recht angesprochen worden –, dass die Kommunen in der derzeitigen Situation und auch künftig die Kindertagesstätten nicht entsprechend ihrer Finanzlage ausstatten können. So muss man das sagen. Frau Nicolaus, es ist schön, wenn es bei Ihnen anders ist. Aber es gibt Kommunen, die sich das nicht mehr leisten können, selbst wenn sie es wollten. Kinder können sich leider die Kommune nicht auswählen – das ist kein freier Markt

, sondern sie müssen in den Kindergarten gehen, der von ihren Eltern ausgewählt wurde. Deswegen werden wir das Land auch stärker in die Pflicht nehmen.

Wir wollen auch nicht, dass die Eltern über Gebühr strapaziert werden. Ich habe es vorhin erwähnt. Wir haben nicht ohne Grund in der letzten Legislaturperiode das kostenfreie Vorschuljahr eingeführt. Wir müssen Schritt für Schritt dazu kommen, dass es im Bildungssystem selbstverständlich ist, dass die ersten Jahre – genau wie die Schulbildung – für die Eltern kostenfrei sind.

(Beifall bei der SPD und der Linksfraktion)

Das werden wir uns nicht in einem Schritt leisten können, aber wir werden es – wie andere Länder in Deutschland auch – Schritt für Schritt umsetzen müssen, wenn wir unseren Kindern tatsächlich eine Perspektive geben wollen.

Lassen Sie mich abschließend noch ein Wort zur Qualifikation der Fachkräfte sagen. Es reicht nicht aus, den Schlüssel zu senken, ohne die Fachkräfte in der Ausbildung und in der Fortbildung entsprechend zu qualifizieren. Es ist vollkommen unzureichend – das hat die Anfrage der GRÜNEN gezeigt –, dass wir heute in einigen Kommunen bzw. bei einigen Trägern überhaupt keine Fachberater mehr haben. Zum Beispiel hat der Eigenbetrieb in Dresden, ein großer Träger von Kindertagesstätten, keinen eigenen Fachberater, keine eigene Fachberaterin. Das ist eine Situation, die man im Schulbereich nie zulassen würde. Im Kita-Bereich tut man es.

Wir brauchen also dringend besser qualifizierte Fachkräfte in den Kindertagesstätten. Die heutigen leisten eine sehr gute Arbeit, aber wir fordern von ihnen aufgrund der Bildungspläne und der veränderten gesellschaftlichen Situation mehr. Wir brauchen vor allen Dingen Zeit für diese Fachkräfte. Jedem Lehrer sagt man: 27/28 Stunden Unterrichtszeit. Bei den Kindertagesstätten heißt das „Arbeit am Kind“ – ein „wunderbarer“ Begriff. Es bleibt aber keinerlei Verfügungszeit mehr für die Fachkräfte, um sich auf die „Arbeit am Kind“ vorzubereiten, und schon gar nicht auf die Nachbereitung. Genau das muss dringend in den gesetzlichen Regelungen verankert werden und es wird seit vielen Jahren von den entsprechenden Fachkräften gefordert.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich auf die weitere Diskussion, und ich freue mich auch darauf, wie sich das Parlament und die Landesregierung, wenn wir den Gesetzentwurf einbringen, damit auseinandersetzen werden.

Frau Stange, ich bitte, langsam zum Schluss zu kommen.

Denn es geht schließlich um die Zukunft unseres Landes, und das sind die Kinder im Alter von einem bis sechs Jahren.

(Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Als nächste Rednerin ist Frau Kristin Schütz, FDP-Fraktion, gemeldet. Frau Schütz, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist ein Vorgeschmack auf die zukünftigen Haushaltsdiskussionen, denn diese Forderung ist nicht neu. Wir haben sie bei den Beratungen zum letzten Doppelhaushalt diskutiert, und ich gehe davon aus, dass wir diesen Antrag genauso noch einmal in einem halben Jahr vorliegen haben werden.

Vorab, Frau Stange, möchte ich auf Ihre Ausführungen reagieren. Die Regierungskoalition hat kein Erkenntnisproblem. Das möchte ich so deutlich sagen. Wir sind uns der Verantwortung und dessen, was in unseren Kindertageseinrichtungen wünschenswert ist, sehr bewusst.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Ich streite nicht ab, dass es notwendig und sehr wünschenswert wäre, den Betreuungsschlüssel gerade im Kindergarten von 1 : 13 auf zukünftig 1 : 12 abzusenken. Aber – das muss man auch so deutlich sagen – es war die Entscheidung der SPD in der letzten Regierungskoalition, sich bei der Wahl zwischen einem kostenlosen Vorschuljahr und einem verbesserten Personalschlüssel im Kindergarten für das kostenlose Vorschuljahr zu entscheiden und nicht für die Qualität im Kindergarten.

(Zuruf des Abg. Thomas Jurk, SPD)

Das haben Sie zu verantworten, ansonsten müssten wir hier nicht stehen.

Wenn es darum geht, die Verbesserung des Personalschlüssels zu betrachten, dann ist es nicht nur notwendig, die Anzahl oder die 3 Stunden mehr, die am Kind geleistet würden, zu nennen, sondern wir müssen dabei vor allem die Finanzen sehen. Die Kleine Anfrage der FDP – aus der Begründung, die die GRÜNEN hier gebracht haben – hat den Kostenansatz einmal benannt. Wenn wir also den Forderungen nach einem verbesserten Betreuungsschlüssel für Krippe, Kindergarten und Hort nachkommen würden, würde das 2 353 vollbeschäftigter pädagogischer Fachkräfte bedürfen und die Gesamtkosten würden sich auf 89,4 Millionen Euro belaufen. Ich denke, diese Zahl gehört einfach zur Ehrlichkeit dazu, wenn wir über das sprechen, was wünschenswert ist und was wir finanzieren können.

Sie haben unter Punkt 2 die Umsetzungsstrategie „Aufbau unterstützendes Netz, Netzwerkstruktur für die Kindertagespflege“ genannt. In der Begründung werden Sie dann konkreter und beziehen sich auf den Landesjugendhilfeausschuss, der es für notwendig hält, eine eigene Fachberatungsstruktur für die Tagespflege aufzubauen. Dem möchte ich deutlich widersprechen. Wir sollten, was die qualitativen Anforderungen der Beratung betrifft, nicht

anfangen, die Kindertageseinrichtungen von der Tagespflege zu trennen, sondern das, was in vielen Landkreisen schon gehandhabt wird: dass Fachberaterinnen für die Kindertageseinrichtungen genauso die Verpflichtung zur Fachberatung der Tagespflege haben und diese das sehr gut tun, Fortbildungsveranstaltungen vor Ort anbieten, die auch von den Tagespflegepersonen dankbar angenommen werden. Ich halte hier den Weg der Verknüpfung mit den Kindertageseinrichtungen für den besseren Weg, anstatt etwas separat aufbauen zu wollen.

(Dr. Eva-Maria Stange, SPD, steht am Mikrofon.)

Frau Schütz, gestatten Sie eine Zwischenfrage?