Protokoll der Sitzung vom 30.03.2010

Aus diesem Grund, meine Damen und Herren, werden wir dieses Thema auch in der nächsten Zeit weiter verfolgen. Deshalb bitten wir um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Vielen Dank, Herr Kosel. – Meine Damen und Herren! Ich stelle nun die Drucksache 5/51 zur Abstimmung. Wer seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Bei Stimmenthaltungen und zahlreichen Stimmen dafür hat der Antrag dennoch nicht die erforderliche Mehrheit gefunden und ist daher nicht beschlossen worden.

Der Tagesordnungspunkt 5 ist beendet.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 6

Nachhaltige Sicherung des Bildungsstandortes Sachsen – Konsequenzen aus den Sondierungsgesprächen der Tarifpartner

Drucksache 5/1866, Antrag der Fraktionen DIE LINKE, der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Hierzu können die Fraktionen wie folgt Stellung nehmen. Die Reihenfolge: DIE LINKE, SPD, GRÜNE, CDU, FDP, NPD; die Staatsregierung, wenn gewünscht.

Meine Damen und Herren! Wir eröffnen die Aussprache. Es beginnt die SPD. Frau Abg. Dr. Stange, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag hat eine Überschrift, die sicherlich etwas verwundert. Zunächst geht es um die nachhaltige Sicherung des Bildungsstandortes Sachsen – Konsequenzen aus den Sondierungsgesprächen der Tarifpartner. Nun hat es gestern bekanntermaßen keine Sondierungsgespräche gegeben, sondern nur Einzelgespräche. Ich gehe davon aus, dass einer der beiden Minister heute Aussagen darüber treffen kann, was in diesen Gesprächen eine Rolle gespielt hat. Was ist unser eigentliches Anliegen?

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jeder Schüler, der im Jahr 2005 eingeschult wurde, muss zukünftig einen qualifizierten Beruf erlernen und sich auf dem Arbeits

markt in Sachsen einbringen, um das Arbeitskräftepotenzial auch nur annähernd auf dem heutigen Niveau zu halten. Das ist das Ergebnis der demografischen Entwicklung in unserem Land. Wenn man sich vor Augen führt, dass sich heute circa 60 % der aktuell erwerbstätigen Bevölkerung tatsächlich im Arbeitsprozess befinden, kann man ungefähr ermessen, welche Aufgabe auf den Bildungseinrichtungen lastet. Das heißt unterm Strich: keine Schulabbrecher mehr und keine Schüler mit schlechten Schulabschlüssen; denn wir wissen aus den PISAErgebnissen, dass etwa ein Viertel der Schüler, die die Schule heute verlassen oder das 15. Lebensjahr erreicht haben, schlechte Chancen auf dem Arbeits- und dem Ausbildungsmarkt haben. Das heißt unterm Strich, keine Schüler mehr zurückzulassen. Das ist die Aufgabe, die die Schule heute hat.

Vor wenigen Jahren hat sich Herr Flath in der Kultusministerkonferenz damit gebrüstet, dass Sachsen bewusst die sogenannte Demografierendite im Schulsystem belassen hat. Das Schulnetz wurde nicht halbiert und die Zahl der Lehrkräfte, bezogen auf die Schülerzahl, also ein günsti

geres Schüler-Lehrer-Verhältnis ergab als zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen. Deshalb – so die Aussage von Herrn Flath – war Sachsen so erfolgreich im PISA-Test im Deutschlandvergleich.

Dieser scheinbare Erfolg war jedoch nicht ein Ergebnis der Politik der CDU-Regierung, sondern es war von den Lehrerinnen und Lehrern und von den Eltern hart erkämpft – gegen den Widerstand der wechselnden CDURegierungen – mit Massenprotesten gegen Schulschließungen insbesondere auf dem flachen Land und seit 1990 gegen massenhaften Stellenabbau. Die CDU konnte dabei nur ausgebremst, aber nicht alles konnte an dieser Stelle verhindert werden.

(Steffen Flath, CDU: Oi, oi, oi!)

Es waren letztlich die Gewerkschaften und ihre Mitglieder, die Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen, die das Schulsystem in Sachsen vor der Katastrophe des blinden Wütens der Finanzpolitiker gerettet haben. Sie haben dafür gesorgt, dass der Bildungsstandort Sachsen stabil arbeiten konnte, denn das ist gerade für Schulen eine zwingende Voraussetzung, und dass viele Schüler – bei Weitem noch nicht alle – zum Erfolg geführt wurden.

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren – und das war bereits Gegenstand unserer letzten Debatte –, 18 Jahre Teilzeit für eine Berufsgruppe sind genug;

(Beifall bei der SPD und der Linksfraktion)

18 Jahre Solidarität miteinander, aber auch für einen stabilen Einstellungskorridor für junge Lehrkräfte, die es nämlich seit 1992 gegeben hat. Teilzeit auf Ostniveau ist allerdings wenig attraktiv. Bei den Grund- und Mittelschulen gibt es nicht einmal mehr genügend Bewerber für den Einstellungskorridor. Es geht nämlich gar nicht darum, dass tatsächlich so viele junge ausgebildete Lehrkräfte an die Tür klopfen im Bereich der Grund- und Mittelschulen, die in die Schulen hineinwollen und nicht hineinkommen; wir können derzeit in diesen beiden Schularten noch nicht einmal den Einstellungskorridor mit unseren ausgebildeten Lehrkräften besetzen. Von Förder- und Berufsschulen rede ich gar nicht, weil diese schon lange unterbesetzt sind.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unsere Gymnasialabsolventen wandern bereits vor dem Referendariat ab, da es nämlich dort schon nicht genügend Plätze gibt, und das hat nichts mit der Teilzeit oder Nicht-Teilzeit von Lehrerinnen und Lehrern zu tun. Gerade an dieser Stelle besteht aber dringender Handlungsbedarf, sonst fehlen nämlich im kommenden Schuljahr 50 % der heutigen Ausbildungsplätze. Die SPD konnte das schon einmal bei den letzten Haushaltsverhandlungen verhindern. Jetzt ist dringender Handlungsbedarf angesagt, denn sonst fehlen sie bereits im neuen Schuljahr. Auch hier gibt es, wie bei der Schulentwicklungsplanung insgesamt, keine langfristige Planung, hangelt man sich von Haushaltsplan zu Haushaltsplan – vermutlich auf ein Wunder wartend.

Sehr geehrter Herr Wöller, Sie haben in der letzten Landtagsdebatte auf meine Frage hinsichtlich der Stellen geantwortet: „Entscheidend sind nicht die Stellen, sondern das Arbeitsvermögen. Insofern ist die Diskussion über Stellen nur bedingt hilfreich, wenn es darum geht, wie sich die Situation in den Schulen darstellt.“ – Ja, kann ich dazu nur sagen: Es geht um 26 000 Stunden bezahlten Arbeitsvermögens von qualifizierten Lehrkräften an den Schulen. Das sind nämlich genau die 1 000 Stellen, über die gestritten wird, wenn der Bezirkstarifvertrag ausläuft und wir davon ausgehen, dass etwa 1 000 Stellen durch freiwillige Teilzeit wieder frei werden.

Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg wären froh, wenn sie dieses bezahlte Arbeitsvermögen hätten; denn sie senken aktuell die Schüler-Lehrer-Relation, weil sie verstanden haben, dass es besser ist, eine geringe Schüler-Lehrer-Relation zu haben, wie teilweise in den vergangenen Jahren in den östlichen Bundesländern. Deswegen stellen sie derzeit massiv Lehrerinnen und Lehrer ein.

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren – und vielleicht ein Rat an die Landesregierung –: Statt Drohgebärden wie bei einem trotzigen Kind, das abwechselnd mal mit dem Fuß aufstampft und Kündigungen androht und im nächsten Moment mit dem Feuer Ausstieg aus dem Tarifvertrag der Länder spielt, sollte man lieber auf die Gewerkschaften und auf die Lehrerinnen und Lehrer zugehen. Wer am Samstag in der Presse verkündet, dass er nicht verhandlungsbereit ist, muss sich nicht wundern, wenn am Samstag gleichzeitig von der Gegenseite, den Lehrerinnen und Lehrern, den Gewerkschaften, beschlossen wird, nicht zu diesen Gesprächen zu gehen. Das ist keine gute Lösung und das ist auch kein Verhandlungsangebot.

(Beifall bei der SPD und der Linksfraktion)

Ich bin gern bereit, zunächst erst einmal zu hören, wie die Gespräche gelaufen sind zwischen den Lehrerverbänden, der dbb tarifunion – dies als Korrektur zu dem Antrag – und den Staatsministerien für Finanzen und Kultus, um dann vielleicht einige Vorschläge einzubringen, wie man mit dem Arbeitsvermögen umgehen könnte, und zwar klug und kreativ, um das Ziel zu erreichen, dass der Bildungsstandort Sachsen wirklich nachhaltig gesichert wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Ich danke Ihnen, Frau Dr. Stange, und wende mich an die einreichenden Fraktionen: Was haben die Absprachen ergeben – es wäre die Fraktion DIE LINKE an der Reihe? – Frau Abg. Falken, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich dem anschließen, was Frau Dr. Stange gerade vorgetragen

hat. Ich möchte aber, bevor ich meinen Redebeitrag halte bzw. die Möglichkeit habe, intensiv auf das, was die Minister heute verkünden werden, einzugehen, als Erstes die Minister auffordern – sowohl Herrn Staatsminister Wöller als auch Herrn Staatsminister Unland –, hier vor dem Hohen Hause zu sagen, wie sie sich das weitere Vorgehen bezüglich dieser Vereinbarung bzw. der Maßnahmen, die die Staatsregierung vorhat, vorstellen; denn Herr Wöller hat in der Presse erklärt, dass sie sich gestern verständigt haben, wie sie weiter vorgehen werden. Das möchte ich erst einmal hören, bevor ich meinen Redebeitrag halte.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Vielen Dank, Frau Falken. Sie werden aber verstehen, wir haben uns vorhin auf die Reihenfolge verständigt, und zunächst fahre ich so fort.

(Cornelia Falken, Linksfraktion: Die Minister können immer sprechen, wenn sie wollen! – Weitere Zurufe)

Wenn sie wollen. – Ich schaue mal nach links und nach rechts: Will jemand von den Ministern jetzt schon sprechen? – Das kann ich nicht feststellen. Frau Abg. Giegengack, ich bitte Sie daher, für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Antrag einzubringen.

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bedaure außerordentlich, dass sich die Fronten in diesem Lehrerstreit so verhärtet haben. Ich gebe zu, ich war noch nie in einer entsprechenden Position im öffentlichen Dienst oder in der Gewerkschaft, als dass ich beurteilen könnte, ob das, was hier abgeht, normale Tarifverhandlungen und Sondierungsgespräche sind. Als Mutter einer schulpflichtigen Tochter kann ich nur sagen: Ich bin enttäuscht. Ich maße mir nicht an, vom grünen Tisch aus gute Vorschläge oder Ratschläge zu geben – ich war bei den Gesprächen nicht dabei –, doch ich kann mir nicht vorstellen, dass es keinen Kompromiss zwischen „alles oder nichts“ gibt.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

49 % der Lehrer haben ihre Bereitschaft zur Teilzeit signalisiert – es sei einmal dahingestellt, aus welchen Gründen.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Das ist der Kompromiss!)

Ist das nicht genau die Mitte, auf der man sich treffen könnte? – Das frage nicht nur ich, sondern auch die Eltern der Schulfreunde meiner Tochter.

Sie, Herr Ministerpräsident, haben auf der Festveranstaltung „600 Jahre Universität Leipzig“ klare Ansagen gemacht: Es wird mehr Geld in die Bereiche Bildung, Wissenschaft und Forschung fließen, und nicht weniger –

waren Ihre Worte. Angesichts der knapp 10 % Schulabgänger, die keinen Abschluss schaffen, angesichts des zwar nicht offiziell vorhandenen, aber in der Realität durchaus stattfindenden Unterrichtsausfalls wäre doch die Investition in die Lehrerschaft durchaus im Sinne unserer Kinder.

Es ist nicht so, dass die Lehrer einfach nur mehr Geld fordern – nein, sie wollen wieder mehr arbeiten, das heißt, mehr unterrichten. Bereits jetzt fehlen in den einzelnen Schularten und für einzelne Fächer – zum Beispiel Ethik und Religion – Lehrer. Wir haben ausführlich im Schulausschuss darüber gesprochen. Im Schuljahr 2008/2009 wurden lediglich an 71 % der Mittelschulen und an 46 % der Sekundarstufe 1 der Gymnasien Ethik und Religion vollständig unterrichtet. Eine Pflichtteilzeit für Lehrer an Gymnasien und Mittelschulen würde die Probleme in bestimmten Bereichen zusätzlich verschärfen.

Auch angesichts des zukünftigen Lehrerbedarfs – 2014/2015 werden es 1 300 zusätzliche Lehrer über alle Schularten hinweg sein – ist eine Pflichtteilzeit nicht der richtige Weg. Wir brauchen attraktive Altersteilzeitregelungen und interessante Teilzeitkonditionen mit individuellen Lösungen. In diesem Sinne erwarte ich – auch als Mutter einer schulpflichtigen Tochter – eine nachhaltige Lösung in diesem Tarifkonflikt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Giegengack. – Für die Fraktion der CDU spricht Herr Abg. Colditz. Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Auslaufen des Bezirkstarifvertrages zum 31.07.2010 und die damit im Zusammenhang stehenden Überlegungen zur weiteren Personalplanung nehmen zurzeit schon breiten Raum in der öffentlichen Diskussion ein. Auch die heutigen Proteste vor dem Gebäude des Sächsischen Landtages sind ein Beleg dafür. Bei aller Kontroverse im Detail ist es auch aus meiner Sicht gut so, steht doch diese Tatsache – das Auslaufen eines Tarifvertrages für die Lehrerinnen und Lehrer an sächsischen Mittelschulen und Gymnasien und die damit einhergehende Rückkehr der betroffenen Lehrerinnen und Lehrer in eine mögliche Teilzeitbeschäftigung – im unmittelbaren Zusammenhang mit der weiteren Entwicklung unseres Bildungsstandortes Sachsen, seiner Qualität und des vorhandenen pädagogischen Potenzials. Das hat auch eine weitreichende gesellschaftliche Konsequenz, nicht nur für die weitere Beschäftigungsgarantie für Lehrerinnen und Lehrer, sondern auch für Fragen der Personalentwicklung und der Qualität von Bildung in Sachsen.

Meine Damen und Herren! Letztlich müssen wir diese Diskussion aber auch im Blick auf die absehbaren finanziellen Rahmenbedingungen führen. Anliegen der weiteren Personalentwicklung in unserem Schulsystem muss es sein, die vorhandenen, die aktuell benannten verschiedenen Interessenlagen miteinander in Einklang zu bringen. Ich will drei solche Interessenlagen benennen:

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Sparen! Sparen! Sparen!)