Werter Herr Staatsminister Unland, das Mehrwertsteuersystem ist vom Grundgedanken her entsprechend dem steuerfreien Existenzminimum sozial gestaltet. So werden lebenswichtige Güter und Leistungen entweder von der
Mehrwertsteuer befreit, wie ärztliche Leistungen, oder mit einem ermäßigten Satz besteuert, zum Beispiel Lebensmittel, Tierarzneimittel oder Druckereierzeugnisse. Die Menschen haben jedoch kein Verständnis dafür, dass die Mehrwertsteuer auf Hotelübernachtungen gesenkt wurde,
die längst überfällige Steuersenkung bei lebensnotwendigen Arzneimitteln jedoch nicht in Angriff genommen wird.
Ich denke, jetzt ist genau der richtige Zeitpunkt für die Absenkung der Mehrwertsteuer, die wir seit über zehn Jahren hier in diesem Haus fordern. Allein im Bereich der verschreibungspflichtigen Arzneimittel könnten den Kassen in Deutschland 2,6 Milliarden Euro zur Entlastung zur Verfügung gestellt werden. 2,6 Milliarden Euro – ein solches Konjunkturpaket wäre sozialpolitisch zumindest vernünftig.
Diese 2,6 Milliarden Euro kämen allen zugute. Die Krankenkassen sparen viel Geld. Für die Arbeitnehmer und Rentner wäre das ein Signal, dass Gesundheit auch in Zukunft für alle bezahlbar bleiben soll. Nehmen wir noch den Bereich der nichtverschreibungspflichtigen Medikamente hinzu, könnte den Patienten noch einmal 1 Milliarde Euro zum anderweitigen Konsum zur Verfügung stehen.
Werte Abgeordnete, der Bundesgesundheitsminister hat nun erkannt, dass in Deutschland viele Medikamente zu teuer sind. Er möchte die Pharmaindustrie in Vertragsverhandlungen mit den Krankenkassen zwingen. Ja, Pharmaunternehmen in Deutschland können immer noch ihre Verkaufspreise für Arzneimittel frei bestimmen. Wenn es stimmt, dass die Pharmakonzerne zurzeit eine Monopolstellung haben und die Preise diktieren können, dann sind die angekündigten Vorschläge einfach nur halbherzig, denn sie bedeuten: Es bleibt bei den hohen Kosten, und erst in Zukunft sollen Kassen und Konzerne über den Preis verhandeln können.
Aber die Preisentwicklung hat den Minister sehr schnell eingeholt. Viele Menschen sind schon sehr verwirrt und wütend, wenn sie vom Bundesminister in der einen Woche hören, sie könnten das Medikament ihrer Wahl erhalten – das war letzte Woche –, und heute aus der Zeitung erfahren, dass Kassen bereits neue Rabattverträge ausgehandelt haben, die ab morgen wirksam werden. So werden Patient und Arzt entmündigt und Apotheken schlichtweg überfordert.
Man könnte natürlich auch die Mehrwertsteuer von 19 auf 7 % senken. Das würde die Kassen mit mehr als 4 Milliarden Euro entlasten, und zwar sofort. Deshalb bitte ich, unserem Antrag zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, das war Frau Abg. Lauterbach für die Fraktion DIE LINKE. – Ich rufe die CDU-Fraktion auf. Herr Abg. Patt, Sie haben das Wort.
Danke schön, Herr Präsident! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich spreche als Finanzpolitiker zu einem Thema, das sicherlich in der Gesundheitspolitik besser verankert wäre. Aber es geht hier um Mehrwertsteuer und nicht in erster Linie um etwas, was Sie populistisch als Zufriedenstellung der Patienten formuliert haben. Mir kommt das vor wie ein Hütchenspiel mit Taschenspielertricks. Wir drehen das hin und her und am Ende hat keiner gewonnen, sondern die Schulden steigen.
Ich möchte Ihnen erläutern, weshalb wir dieses Begehren ablehnen. Eine berechtigte und gute Absicht ist sicherlich, die Belastung bei lebensnotwendigen Medikamenten zu reduzieren. Damit würde sich der Staat noch stärker an der Finanzierung der Gesundheitskosten beteiligen, als er das bisher schon tut. Aber Mehrwertsteuerermäßigungen sind nicht beliebig umzusetzen, und jeder Ausnahmefall muss verfassungsrechtlich tragfähig begründet werden. Dazu muss man zunächst fragen: Wem nützt eine Mehrwertsteuerabsenkung?
Hierfür gibt es verschiedene Szenarien. Herr Dr. Pellmann, ich will Ihnen darstellen, dass es sehr wohl Unterschiede gibt, wie sich so etwas auswirken kann. Der erste Fall: Hersteller und Abgabestellen können den Umsatzsteuervorteil an die Patienten weitergeben. Dann nutzt das vorrangig den Krankenkassen, die diese Medikamente erstatten, und ein Teil davon nutzt den Patienten hinsichtlich der Höhe ihrer Zuzahlung. Sie ist auf 10 %, maximal 10 Euro, begrenzt, und das gilt auch nicht für alle Medikamente. Die Generika werden nahezu vollständig von den Krankenkassen erstattet.
Dann nützt das letztlich den Pharmafirmen, dem Handel, den Apotheken. Das kann man durch Preisdiktat verhindern. Die Situation, dass alles staatlich überwacht wird, hatten wir vor vielen Jahren schon. Letztlich kann man dann überlegen, ob das die Forschung behindert oder ob Unternehmen auf dieser Ebene noch mitmachen wollen.
Aber wie auch immer, ob der Umsatzsteuervorteil weitergegeben wird oder nicht, der Staat verliert immer – das ist wie beim Hütchenspiel –, denn er verzichtet auf 12 Um
satzsteuerpunkte. Das macht 3,5 bis 4 Milliarden Euro aus. So können Sie es auch der Bundestagsdrucksache entnehmen. Die Frage, die wir uns stellen müssen und die Sie nicht beantwortet haben, ist, wo dieses Geld herkommen soll.
Es wird so getan, als ob es beliebig viel Geld im Staatssäckel gäbe. Solange die Ausgaben nicht reduziert werden, kann ich das Geld nur durch Umschichtung im System oder durch eine weitere Verschuldung verdienen.
Schönen Dank, Herr Patt. – Ist Ihnen bekannt, dass der Steuerzahler, also der Bund, in diesem Jahr die gesetzlichen Krankenversicherungen mit 4 Milliarden Euro bezuschusst, um Defizite zu decken, und meinen Sie nicht auch wie ich, dass das, was Sie hier dargestellt haben, eigentlich nichts anderes als das berühmte Spiel von der linken und der rechten Tasche ist? Wenn Sie unserem Antrag zustimmen würden, bedürfte es nicht dieses Zuschusses.
Vielen Dank, Herr Dr. Pellmann. – Es ist genau dieses Linke-Tasche-rechteTasche-Spiel, das Sie betreiben, das aber nicht zu einer Verbesserung des Systems führt.
Die Gelder, Herr Dr. Pellmann, die an einer Stelle eingespart werden und die dem Staat dann fehlen, muss er an anderer Stelle ausgeben, muss er also umschichten. Was wird der Finanzminister im Zweifel machen? – Er wird den Gesamtzuschuss des Staates an das Gesundheitssystem reduzieren. Wenn er auf der einen Seite das Geld schon vorher durch eine Umsatzsteuerreduzierung ausgegeben hat, dann wird er es sich auf der anderen Seite zurückholen, indem er den staatlichen Zuschuss an das Gesundheitssystem, der immerhin 19 Milliarden Euro von 240 Milliarden ausmacht, reduziert. Das Geld muss ja irgendwo herkommen, um diese Lücke zu decken, und es fehlt an anderen Stellen im System. Es fehlt aufgrund der Umsatzsteueraufgliederung letztlich auch den Ländern und den Kommunen, für die Sie auch streiten und reklamieren, dass hierfür zu wenig Geld im System sei. Denen schaden Sie damit ebenfalls.
Ich halte den Antrag für recht populistisch formuliert. Deswegen ist er auch derart knapp und nicht zu Ende gedacht. Wir sollten ihn ablehnen. Er bedient möglicherweise eine Lobby oder wir würden durch staatliche Regulierung dafür sorgen müssen, dass das Geld tatsächlich beim Patienten ankommt. Der Patient selbst hat ein durchschnittliches Ausgabeverhalten bei Arzneimitteln von 350 Euro im Jahr. Das heißt, die einzusparende Mehrwertsteuer macht für ihn ungefähr 38 Euro aus.
Ich möchte Ihnen aber eine Alternative aufzeigen. Was können wir tun, um die ausufernden Kosten im Gesundheitssystem in den Griff zu bekommen? Zuvorderst muss man dazu die Gesundheitspolitiker hören. Aus finanzpolitischer Sicht sollten wir an einer Vereinfachung des Steuersystems arbeiten. Eine Vereinfachung des Steuersystems hilft den Steuerzahlern und dem Staat zugleich, er entlastet beide. Eine Vereinheitlichung des Umsatzsteuersatzes statt dieser Spreizung könnte uns helfen. Wir sollten die verschiedenen Ausnahmen zurücknehmen, egal in welchen Bereichen sie angesetzt sind.
und das reduziert neben den Ausnahmen die komplizierte internationale Verrechnung, die wir insbesondere bei den Pharmaherstellern haben, und die international nicht harmonierenden Umsatzsteuerregeln. Mit weiteren Ausnahmen, die Sie fordern, steigern wir nur die Abgrenzungsprobleme sowie die Missbräuchlichkeit, und das wollen wir definitiv nicht.
Finanzpolitisch viel klarer und einfacher wären direkte Transfers an diejenigen, die sozial bedürftig sind und vielleicht übermäßig oder unerträglich belastet werden. Wenn das die Krankenkassen sind, dann finanziert über die Solidargemeinschaft der Versicherten der Staat – wie Sie es eben gesagt haben – schon große Teile. Da haben Sie Ihre Querfinanzierung. Dass wir diese jetzt anders nennen sollen, das halte ich für Schaumschlägerei.
(Dr. Dietmar Pellmann, Linksfraktion: Nein, Schaumschlägerei ist etwas anderes! Sie verwechseln – –)
Der Staat mildert auch übergebührliche steuerliche Mehrwertabschöpfung bei lohnintensiven Leistungen im Gesundheitsbereich, indem er Ärzte und Kliniken nicht mit Umsatzsteuer belegt und indem er orthopädische Hilfsmittel oder Rollstühle heute schon mit einer reduzierten Umsatzsteuer versieht.
Zum Fazit. Bevor wir uns zum Fürsprecher bestimmter Gruppen machen: Da reicht mir heute schon, was an Tierfutter- und an Hotelvergünstigungen bei den Kunden ankommt oder nicht ankommt, wenn ich dagegenhalte, was Familien für den Unterhalt von Kindern ausgeben müssen, was mit Umsatzsteuer in voller Höhe belegt ist.
Wenn wir von diesen Ausnahmen endlich absehen wollen, dann sollten wir diesen Antrag bitte ablehnen. Wir sollten zu einer Reduzierung der Ausnahmen und zu einem klaren Umsatzsteuersystem kommen, welches die verschiedenen Ausnahmetatbestände wieder zurückführt und das Gesamtbild vereinheitlicht. Denn dann können wir unseren Aufwand im Staatswesen so reduzieren, dass letztlich mehr Geld im System für uns alle übrig bleibt.
Das war Herr Patt für die CDU-Fraktion. – Die SPD-Fraktion ist an der Reihe. Frau Abg. Neukirch, bitte, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! 32 Milliarden Euro haben die Kassen der gesetzlichen Krankenversicherung im vergangenen Jahr für Arzneimittel ausgegeben. Damit stellen die Arzneimittelausgaben den zweitgrößten Ausgabeposten in der Krankenversicherung dar. Es ist schon bemerkenswert, dass mittlerweile für Arzneimittel mehr ausgegeben wird als für ambulante ärztliche Leistungen.
Das Grundproblem, das dahinter steht, ist, dass Arzneimittel in Deutschland bis zu 40 % teurer sind als in unseren europäischen Nachbarländern. Selbst wenn wir den Mehrwertsteuersatz an den der anderen Länder angleichen würden, wo er für verschreibungspflichtige Medikamente zwischen 0 und 10 % liegt, hätten wir das Grundproblem der Arzneimittelpreise in Deutschland noch nicht behoben.
Daran haben sich in der Vergangenheit verschiedenste Gesundheitsministerinnen und -minister versucht. Gescheitert sind sie nicht nur an der starken Lobby der Pharmaindustrie, sondern auch, wie es das Beispiel Positivliste zeigt, vor allem am Widerstand der Bundesländer im Bundesrat.
Die aktuelle Handlungsnotwendigkeit musste auch der neuen Bundesregierung auffallen. Ich will nicht verhehlen, dass die Vorschläge von Herrn Rösler einen ersten Schritt in die richtige Richtung darstellen. Die Hersteller werden verpflichtet, künftig bei der Einführung einer neuen Arznei deren Wirksamkeit belegen zu müssen und die Therapiekosten zu beziffern. Nur noch im ersten Jahr nach der Markteinführung können sie die Medikamentenpreise selbst festlegen. Danach müssen sie sich mit den Krankenkassen über einen Preis einigen. Da sind wir auch schon bei der Krux dieser Lösung, weil da die Gefahr besteht, dass die Medikamente im Einstiegspreis überbewertet sind, damit etwaige Defizite, die sich bei Verhandlungen ergeben können, in den Folgejahren ausgeglichen werden. Das ist genau der wunde Punkt am Vorschlag von Herrn Rösler. Doch selbst bei diesem vorsichtig zu nennenden Ansatz gibt es schon die ersten Einwände von den Bundesländern. Ich bin gespannt, wie das ausgeht.
Was wir also wirklich brauchen, ist eine wirksame, nachhaltige Regulierung bei den Arzneimitteln. Das heißt, das Preismonopol der Industrie und der Großhändler muss gebrochen werden.