Protokoll der Sitzung vom 19.05.2010

Nach Vorstellung des Gesetzgebers sollen geeignete Beschäftigte nur für eine bestimmte Zeit in der Werkstatt tätig sein. Jetzt müssen wir uns fragen, was die Hemmnisse sind, die dazu führen, dass Menschen mit Behinderung in vielen Fällen ein Leben lang in einer Werkstatt arbeiten, ohne die Arbeit der Werkstätten – das haben die Vorredner auch schon gesagt – in irgendeiner Weise nicht hoch genug zu schätzen.

Wo liegen nun die Hürden? Sie liegen zuerst einmal bei der Akquirierung geeigneter Außenarbeitsplätze. Wenn wir uns den Arbeitsmarkt ansehen, dann ist uns allen sicher klar, dass Arbeitsplätze, die infrage kommen, dünn gesät sind. Dabei spielen nicht nur bauliche Barrieren eine Rolle, sondern die schon immer wieder zitierten Vorurteile in den Köpfen. Da wir durch unser Schulsystem unter anderem eine frühzeitige Separierung von Menschen mit und ohne Behinderung vornehmen, gibt es dann auch nur wenig Berührung im Umgang miteinander. Man weiß gar nicht, was Menschen mit Behinderung für Interessen und für ein Leistungsvermögen haben. Potenzielle Arbeitgeber sind dann natürlich eher skeptisch, den Menschen mit Behinderung in ihrem Betrieb eine Arbeit anzubieten.

Wir haben das Problem, dass wir trotz sinkender Geburtenraten einen ständig steigenden Bedarf an Werkstattplätzen und eine strukturell angespannte Arbeitsmarktlage haben, die natürlich auch von den Werkstätten erheblichen Einsatz fordert, um Außenarbeitsplätze zu akquirieren. In den Werkstätten gibt es kaum Ressourcen, diese Arbeit ausreichend und zusätzlich zu bewältigen.

Dazu kommt, dass die Vermittlung eines Menschen auf einen Außenarbeitsplatz oder auf den ersten Arbeitsmarkt auch mit einer längeren Begleitung verbunden ist und nicht in gleicher Weise bei dem einen oder anderen Arbeitnehmer erfolgen kann. Der Unterstützungsbedarf der Personen differiert ganz erheblich.

Wir müssen bei aller Euphorie sehen – die Kollegin der FDP hat uns ja hier vorgestellt, dass behinderte Menschen mit Begeisterung auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig

werden wollen –, dass das ein rosarotes Bild ist. Das ist deshalb ein rosarotes Bild, weil sich nicht nur Menschen mit Behinderung und die Werkstätten engagieren müssen, sondern auch wir als Gesellschaft, die wir uns zum Teil abschotten.

Was passiert denn, wenn ein Mensch mit Behinderung tatsächlich einen Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt erlangt? Damit ist noch nicht gesagt, dass seine Arbeit wertgeschätzt wird. Genauso gut kann es ihm nämlich passieren, dass seine Kollegen zum Beispiel Schwierigkeiten in der Kommunikation mit dem neuen Mitarbeiter haben, Berührungsängste vorhanden sind, der Behinderte eher an den Rand gedrängt wird und er mit dieser Arbeit nicht glücklich ist. Was passiert, wenn er seine Arbeit wegen Kündigung oder Pleite der Firma verliert? Dann ist eine Rückkehr in die Werkstatt nur sehr schwer möglich, weil sich die Person schon auf dem ersten Arbeitsmarkt bewährt hat.

Natürlich kann man sagen, dass Inklusion bedeutet, dass Risiken, die für uns alle gelten, auch für Menschen mit Behinderung gelten. Das Problem ist nur, dass Menschen ohne Einschränkungen geeignete Instrumente zur Verfügung stehen, um für den ersten Arbeitsmarkt wieder fit zu werden. Diese Instrumente stehen Menschen mit Behinderung in der Regel nicht zur Verfügung. Oder kennen Sie Umschulungsangebote, die sich auch an Menschen mit Behinderung wenden und die auf die Einschränkungen eingehen, die diese Menschen haben? Kennen Sie vielleicht Angebote von Volkshochschulen für Menschen mit Behinderung?

Es gibt eine ganze Reihe von Problemen, die weder in den Werkstätten noch bei den Menschen mit Behinderung liegen, sondern bei uns als Gesellschaft.

Insgesamt habe ich ein Problem mit Ihrem Antrag, dem wir trotzdem zustimmen, denn er schadet nicht. Herr Pellmann hat es schon gesagt. Ich denke aber, dass Sie damit eine Kostenersparnis erwirken wollen, weil Plätze in der Werkstatt teurer sind, als wenn wir Menschen mit Behinderungen auf den ersten Arbeitsmarkt bringen und diese dann – leider ist das in vielen Fällen so – ihrem Schicksal überlassen.

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Die erste Runde in der allgemeinen Aussprache würde die NPD beschließen; es ist kein Abgeordneter der NPD im Plenum. – Insofern frage ich die Staatsregierung, ob sie sprechen möchte. – Das ist nicht der Fall. Somit kommen wir zur zweiten Runde. Die CDU? – FDP? – Auch nicht gewünscht. Die Fraktion DIE LINKE? – Herr Wehner, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte Ihre Zeit nicht lange stehlen, aber dennoch auf

einige Dinge aufmerksam machen, die meines Erachtens bisher überhaupt noch keine Rolle gespielt haben.

Sie wissen und wir müssen uns doch wundern: Seit Jahren gibt es in der Bundesrepublik Deutschland schon genügend Instrumentarien, die darauf hinwirken, dass Menschen mit Behinderungen – egal, ob körperlich, geistig, seelisch oder Sinnesbeeinträchtigungen – auf dem ersten Arbeitsmarkt integriert werden. Es gibt das IX. Sozialgesetzbuch mit den weiteren Rehabilitationsregelungen im SGB VI, also im Rentenversicherungsrecht oder in anderen Bestimmungen; damals war es auch noch das Schwerbehindertengesetz.

Irgendwie klappt das nicht. Wir bewegen uns hier immer in einem geschlossenen Kreis. Nun sagt der vorliegende Antrag, dass die Werkstätten für Menschen mit Behinderungen darauf hinwirken sollen, Außenarbeitsplätze zu schaffen. Das ist für mich ein wenig daneben. Es muss gelingen, das weiter aufzubrechen. Das kann nicht nur beim Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz angesiedelt sein, sondern wir brauchen auch das Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit, weil wir eigentlich viel mehr in die kleinen und mittelständischen Unternehmen und überhaupt in die Unternehmen hinein müssen, denn diese müssen diese Arbeitsplätze mehr vorhalten.

Wenn ich das Stichwort „Allianz zu Beschäftigung und Support“ höre: Ich war dort bei dieser Veranstaltung. Es ist eine ganz tolle Sache, dass spezielle Informationsdienste helfen sollen, Menschen eine Beschäftigung anzubieten, dass man also in die Unternehmen gehen und den Unternehmen helfen will. Aber ich bekomme einen riesigen Schreck, wenn der Kommunale Sozialverband in derselben Veranstaltung sagt, es bleibt bei den bisherigen Regelungen, die wir aus dem IX. Sozialgesetzbuch kennen. Da verändert sich nichts, da wird überhaupt nichts. Wir machen uns hier irgendetwas vor, und das gibt mir arg zu denken.

Morgen in der Aktuellen Debatte – deshalb ist sie aktuell und wichtig – müssen wir darüber reden. Wir brauchen den Aktionsplan, wir brauchen querschnittsübergreifende Aufgaben, wie wir wirklich die volle und die sichere Teilhabe und Gleichstellung für Menschen mit Behinderungen schaffen wollen. So sagen wir immer nur, wir machen ein bisschen was. Meine Damen und Herren, das reicht einfach nicht, und das ist auch nicht wirkungsvoll!

Vielen Dank.

(Beifall bei der Linksfraktion und der SPD)

Ich frage die Fraktionen: Gibt es noch weiteren Aussprachebedarf in der zweiten Runde? – Das kann ich nicht erkennen. Jetzt spricht die Staatsregierung; Frau Staatsministerin Clauß, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordneten! Ja, die Be

schäftigung von Menschen mit Behinderungen ist ein sehr wichtiges Anliegen der Staatsregierung; denn arbeiten zu können ist Selbstbestimmung und eine wichtige Voraussetzung für ein menschenwürdiges Dasein.

Dieser Grundsatz findet sich auch in unserer Sächsischen Verfassung und in der UN-Konvention. Menschen mit Behinderungen haben das gleiche Recht auf Arbeit, und deshalb gibt es im Koalitionsvertrag eine Vereinbarung, dass wir uns für eine Verbesserung der selbstbestimmten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsleben einsetzen.

Aus diesem Grund gab es bereits am 03.12. vergangenen Jahres den Startschuss für die Gründung dieser Allianz zur Beschäftigung, gemeinsam mit dem SMWA und dem SMK. Das große Ziel dieser Allianz steht fest: Wir wollen die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen vor allem auf dem ersten Arbeitsmarkt befördern. Dieses Ziel kann aber Politik nicht allein erreichen; hierfür brauchen wir die Unterstützung aller am Arbeitsmarkt beteiligten Akteure.

Mit dem Kommunalen Sozialverband Sachsen, dem Unternehmerverband Sachsen e. V. und der Arbeitsagentur haben wir bereits mehrere Partner für die künftige Allianz gefunden. Dass der KSV bei einem solchen Vorhaben mitzieht, könnte als Selbstverständlichkeit erscheinen; dass wir aber den Unternehmerverband Sachsen als Koalitionspartner gewinnen konnten, ist ein echter Erfolg. Der Unternehmerverband ist auch Mitinitiator des Modellprojektes „Support“. Dieses erste Projekt der Allianz bietet kleineren und mittleren Unternehmen alle Informationen und Dienstleistungen für die Integration von Menschen mit Behinderungen in ihren Betrieben aus einer Hand an. Wir begleiten und unterstützen dieses Projekt schon seit seiner Entstehungsphase.

Außerdem werbe ich gemeinsam mit meinen Kollegen, den Staatsministern Morlok und Wöller, bei anderen Unternehmerverbänden, bei den Kammern, den Gewerkschaften und den Selbsthilfeverbänden für die Allianz.

Damit verbunden ist die Aufgabe, mehr Außenarbeitsplätze für Behinderte zu schaffen. Wir wissen aber auch, dass nicht alle Menschen mit Behinderungen auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig sein können – einfach aufgrund der Schwere ihrer Behinderung. Für ebendiese Menschen bieten die Werkstätten Teilhabe am Arbeitsleben in einem passgenauen und geschützten Umfeld.

Werkstätten und allgemeiner Arbeitsmarkt schließen sich nicht aus; jedoch darf eine Behinderung kein Hindernis sein, um auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Dies ist nach dem SGB IX eigentlich eine wichtige Aufgabe der Werkstätten selbst, die dafür mehrere Instrumente geschaffen haben. Neben der Einrichtung von Übergangsgruppen mit besonderen Förderangeboten und Betriebspraktika in Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes sind vor allem Arbeitsplätze gut geeignet, diesen Übergang zu gestalten.

Werkstätten in Sachsen gehen diesen Weg bereits und werden dabei vom KSV als zuständigem Leistungsträger unterstützt. Dieser schließt Zielvereinbarungen mit den Trägern von Werkstätten und bei erfolgreicher Vermittlung auf dem ersten Arbeitsmarkt erhalten sie eine Sonderzahlung vom KSV. Der KSV unterstützt aber auch künftige Arbeitgeber. Neben den Leistungen der zuständigen Rehabilitationsträger und des Integrationsamtes erhalten diese einen pauschalen Zuschuss, wenn sie einen behinderten Beschäftigten aus einer Werkstatt in ihren Betrieb übernehmen.

Ein erster Schritt auf dem Weg zur erfolgreichen Integration in den ersten Arbeitsmarkt sind die bereits erwähnten Außenarbeitsplätze. Diese können dauerhaft als ausgelagerte Arbeitsplätze einer Werkstatt geführt werden. Vorteilhaft für die dort Beschäftigten ist ohne Frage, dass sie mit nicht behinderten Kollegen zusammenarbeiten können; und für nicht behinderte Menschen gilt dies im Umkehrschluss genauso. Sie können damit auch außerhalb der Werkstatt am Arbeitsleben teilhaben.

Außenarbeitsplätze sind aber auch deshalb von Bedeutung, da es immer noch mehr Zugänge in Werkstätten als Abgänge aus Werkstätten gibt. Mit Außenarbeitsplätzen bekommen Werkstätten die Chance, ohne bauliche Investitionen zusätzlich Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen zu schaffen. Diese Außenarbeitsplätze bergen aber zumindest theoretisch ein Risiko; denn sie können dazu führen, dass Menschen mit Behinderungen nicht mehr in dem Betrieb eingestellt werden, in dem sie sich bewährt haben. Es käme dann nicht zur gewünschten Umstellung des Außenarbeitsplatzes zu einer festen Anstellung im Unternehmen. Ob diese potenzielle Gefahr auch wirklich eintritt, das werden wir selbstverständlich beobachten.

Grundvoraussetzung für die Beschäftigung auf dem ersten allgemeinen Arbeitsmarkt ist in erster Linie, dass Arbeitgeber bereit sind, Menschen mit Behinderungen einzustellen, und wir werden als Gesellschaft lernen müssen, dass Unterschiede nicht zwingend Gegensätze sind und Gemeinsamkeiten nicht ausschließen.

Aufgabe von Politik ist nicht, Arbeitsplätze zu schaffen; aber wir können gemeinsam mit allen Beteiligten – Unternehmerinnen und Unternehmern, Menschen mit Behinderungen und Sozialleistungsträgern – neue Wege diskutieren, diese ausprobieren und schließlich auch diese neuen Wege beschreiten – zum Vorteil aller Beteiligten.

Hier hoffe ich und zähle ich auf Ihre Unterstützung und danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung)

Meine Damen und Herren! Gibt es weitere Wortmeldungen? – Wenn das nicht der Fall ist, kommen wir zum Schlusswort. Für die Einreicherinnen spricht der Abg. Krasselt, CDU-Fraktion. Sie haben das Wort, Herr Krasselt.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dass die Fraktionen sehr unterschiedliche Auffassungen zu den Themen haben, die hier behandelt werden, habe ich in den vergangenen acht Monaten festgestellt. Aus meiner Stadt kannte ich das so nicht; dort gab es viel mehr Verbindendes.

Der Antrag der CDU/FDP-Koalition hat genau das Ziel, die Menschen in den Werkstätten für behinderte Menschen besserzustellen und ihnen leichter den Zugang zum Arbeitsmarkt zu eröffnen. Dass insoweit unterschiedliche Wege gegangen werden, ist wiederum verständlich. Ich bin ein großer Anhänger der Kommunalisierung – nicht nur, weil ich das schon als Bürgermeister so gesehen habe – und nicht der Zentralisierung. Gestatten Sie den Menschen vor Ort, dass sie in diesem Land mitdenken und mithandeln! Sie können das und brauchen nicht immer die Staatsregierung dazu.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich denke, der Spruch: „Mehr Köpfe können zur gleichen Zeit mehr denken“ ist allen bekannt.

Ich habe schon von den Schwierigkeiten gesprochen, die es gibt, die Menschen in den Arbeitsmarkt oder in Außenarbeitsplätze zu bringen. Diese Schwierigkeiten gilt es zu überwinden. Das wird mit dem Antrag allein nicht gelingen, aber wir müssen das Thema ansprechen und die Notwendigkeit deutlich machen, in diese Richtung zu arbeiten.

Zum Ersten ist festzustellen – ich will das wiederholen –, dass es die Menschen selbst wollen. Zum Zweiten begeistert sich die Wirtschaft dafür, wenn sie feststellt: Behinderte Menschen können viel mehr, als wir ihnen häufig zutrauen. Drittens müssen wir das Eigeninteresse der Werkstätten aufbrechen, weil es um ihre Leistungsträger geht.

Es ist natürlich eine erhebliche Aufgabe, die wir da vor uns haben. Ich kann aber aus der Sicht des Kommunalen Sozialverbandes feststellen – ich bin seit vielen Jahren in dessen Verwaltungsrat tätig, zunächst für den damaligen Kreis Freiberg, jetzt für den Kreis Mittelsachsen –, dass dort ein hervorragendes Konzept entwickelt wurde, um genau dieses Ziel zu erreichen. Ich denke, der KSV wird sich über diesen Antrag und die Zustimmung freuen, weil das seine Arbeit unterstützt.

Insofern bitte ich Sie noch einmal, diesen Antrag zu unterstützen, damit es zukünftig gelingt, die Ziele, die ich formuliert habe, zu erreichen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Das war das Schlusswort, gehalten von Herrn Krasselt.

(Dr. Dietmar Pellmann, Linksfraktion, meldet am Saalmikrofon Redebedarf an.)

Herr Dr. Pellmann, was wünschen Sie?