Wenn man zum Beispiel vor dem Verwaltungsgericht die gleichen Leistungen auf Versorgung oder Rente einklagen möchte, wie man sie gegen die Deutsche Rentenversicherung oder ein berufsständisches Versorgungswerk einklagen kann, dann ist das ein normales Verwaltungsverfahren, das gebührenpflichtig ist.
Wenn man beim Verwaltungsgericht eine Genehmigung beantragen möchte, weil man sein Eigenheim umbauen möchte und die Verwaltung einem das nicht genehmigt, dann ist das gebührenpflichtig, obwohl es um das Grundrecht auf Wohnen geht.
Wenn es bei Arbeitsgerichtsverfahren um den Erhalt des Arbeitsplatzes oder um die Durchsetzung von Mitbestimmungsrechten geht, dann ist es gebührenpflichtig. Oder wenn man in Zivilgerichtsverfahren eine Forderung durchsetzen möchte, die für einen existenzbedrohend ist, wenn man sie nicht einholt, dann ist es gebührenpflichtig.
Deshalb kann ich die Besonderheit, die es derzeit im Sozialgerichtsverfahren gibt, nicht ganz verstehen.
Die Justizministerkonferenz hat sich meines Erachtens nicht ohne Grund damit beschäftigt, diese Fragen des Sozialprozessrechts entsprechend aufzugreifen. Seitdem sind die Fallzahlen dieser neuen Rechtsgebiete für die Sozialgerichtsbarkeit, wie die Grundsicherung für Arbeitssuchende, die Sozialhilfe oder auch die Asylbewerberleistungen, die auf sie übergegangen sind, erheblich gestiegen. Allein in den Jahren von 2005 bis 2008 ist im Freistaat Sachsen die Zahl um 49 % gestiegen, und sie wird noch weiter steigen.
Diese hohe Eingangsbelastung der Gerichte führt dazu, dass die Richter überlastet sind. Es führt dazu, dass es sehr viele unerledigte Klageanträge gibt und die Verfahrensdauer entsprechend lang ist.
Das kann nicht im Interesse der Beteiligten sein, die eine schnelle Entscheidung haben möchten. Das Gebot des effektiven Rechtsschutzes aus Artikel 19 des Grundgesetzes – das ist auch in der Sächsischen Verfassung explizit – kann so nicht gewährleistet werden. Deshalb müssen wir uns Gedanken machen, wie wir das sozialgerichtliche Verfahren entsprechend beschleunigen und vor allen Dingen vereinfachen können.
Ein wichtiger Punkt, den auch Kollege Wehner angesprochen hat, ist die Vereinfachung der Gesetze. Wir haben viele Gesetze – besonders in der Sozialgerichtsbarkeit –, die sehr kompliziert sind und deren Regelungsinhalt sich nicht ohne Weiteres erschließt.
Wer sich als normaler Jurist einmal die einzelnen Paragrafen des Sozialgesetzbuches angeschaut hat, stellt fest, dass diese sehr komplex sind. Ich habe es mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen, dass auch Sie der Meinung sind, dass man eine Vereinbarung herbeiführen und insbesondere von vielen Härtefallregelungen absehen soll. Besonders die Härtefallregelungen bieten immer wieder Anlass, Rechtsstreitigkeiten zu führen, damit geprüft wird, ob diese Härtefallregelung vorliegt.
Die Frage ist, wie wir auf diese steigenden Fallzahlen bei der Sozialgerichtsbarkeit reagieren. Die Sächsische Staatsregierung hat schon reagiert. Im Vergleich von 2004 zu 2008 ist die Anzahl der Richter in der Sozialgerichtsbarkeit erheblich gestiegen. Waren es bislang 85 Vollzeitrichter, haben wir jetzt 123 Vollzeitrichter, das heißt, man hat vonseiten des Freistaates schon einiges getan. Es wird aber nicht mehr funktionieren, die immer weiter steigende Anzahl der Verfahren durch neue Richter und eine Personalaufstockung auszugleichen. Die Zahlen werden – wenn wir nicht zu einer durchgreifenden Änderung und Vereinfachung des Sozialgesetzbuches kommen – auch in Zukunft hoch sein. Hier müssen wir uns überlegen, wie wir das prozessual bewältigen. Ich halte es für falsch, hiefür Denkverbote auszusprechen.
Im Antrag der Linken sollen bestimmte Punkte herausgenommen werden, bei denen man gar nicht darüber nachdenken soll, wie eine Vereinfachung – – Ich möchte nicht nur auf die Gebühren oder die 109er-Gutachten eingehen. Herr Kollege Wehner hat dafür plädiert, die zweite Instanz als eine reine Tatsacheninstanz zu belassen. Wir haben vor zehn bis zwölf Jahren in der Verwaltungsgerichtsbarkeit und später in der Zivilgerichtsbarkeit gute Erfahrungen damit gemacht, dass wir Zulassungsberufungen eingeführt haben und dass es kein Automatismus ist. Ein Automatismus ist es immer dann, wenn man ein Rechtsmittel zur nächsten Instanz einlegt und man die volle Instanz durchziehen kann. Es ist so, dass die höhere Instanz erst noch einmal prüft, ob überhaupt eine hinreichende Erfolgsaussicht gegeben ist, die zweite Instanz durchzuführen. Das erfolgt meines Erachtens sehr gut.
Der Antrag sieht ferner vor, dass dem Sächsischen Landtag über die Arbeitsergebnisse dieser Länderarbeitsgruppe berichtet werden soll. Hierzu kann ich nur sagen: Diese Berichte sind öffentlich und frei abrufbar. Man kann sie auf der Homepage der Senatsverwaltung Berlin herunterladen. Damit hat sich die Berichterstattung meines Erachtens erledigt.
Im Bericht steht eine Vielzahl von Maßnahmen. Sie beschränken sich nicht nur auf diejenigen, die im Antrag der Linken genannt sind, sondern es sind sehr viele andere Sachen. Darüber muss man jetzt in Ruhe beraten und dies
Im Koalitionsvertrag haben sich CDU und FDP in Sachsen darauf verständigt, sich auf Bundesebene für eine Zusammenfassung der Finanz-, Sozial- und Verwaltungsgerichtsbarkeit einzusetzen. Dann wäre man viel flexibler bei der Zuweisung von Richtern zu den einzelnen Fachgerichtsbarkeiten, bei denen ein erhöhter Arbeitsanfall ist. Wir sehen, dass die Fallzahlen in der Sozialgerichtsbarkeit steigen, in der Verwaltungsgerichtsbarkeit sinken und in der Finanzgerichtsbarkeit stabil sind. Somit könnte man besser darauf reagieren. Sachsen hat sehr gut ausgebildete Richter. Sie sind hinreichend flexibel, um sich in ein neues Rechtsgebiet einzuarbeiten. Damit könnte man eine deutliche Effizienzsteigerung herbeiführen.
Vielen Dank, Herr Biesok. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist an der Reihe. Frau Abg. Jähnigen, bitte.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Biesok, ich will Sie gern über die Besonderheit des Sozialgerichtsprozesses aufklären. Einerseits geht es um ein Verhältnis zwischen Staat und Bürgern. Das ist der Unterschied zum Zivilgerichts- und Arbeitsgerichtsprozess. Andererseits haben Sie im Sozialgerichtsprozess eine erhöhte Anzahl von betroffenen Klägern, die entweder einkommensschwach sind oder gesundheitlich bzw. auf andere Weise in ihrer Lebensführung besonders beeinträchtigt sind. Das ist der Grund, warum es diese Gebührenfreiheit bisher gab.
Die Hürde zum Gericht sollte genommen werden; denn das Gericht hat die Aufgabe, den Leuten bei der Verfolgung ihrer Rechte zu helfen. Wir haben bei der Einführung der Gerichtsgebühren in der Verwaltungsgerichtsbarkeit – ich spreche als Praktikerin, als Anwältin in diesen Bereichen, die ich bis zur Wahl in dieses Parlament war – durchaus die Erfahrung gemacht, dass die Einführung des Gebührenvorschusses gerade solche Menschen in der Wahrnehmung ihrer Rechte hemmt.
Deshalb greift der Antrag der Linken ein wichtiges Thema auf, geht es doch hier um den einfachen Zugang zu einem unabhängigen Gericht.
Seit Jahren wird versucht, den gesetzgeberischen Schlendrian auf dem Rücken der Betroffenen auszutragen. Das hat sich noch verschärft durch die Einschränkung und teilweise Abschaffung der Prozesskostenhilfe
und vor allem der Beratungshilfe. Nun scheint mit den Berichten der Arbeitsgruppe der Justizministerkonferenz vom 19.10.2009, dem Bericht der norddeutschen Sozialrichter, dem sogenannten Praxisbericht, und der Bundesratsinitiative der Länder Niedersachsen und SachsenAnhalt wieder Bewegung in die Debatte zu kommen.
Allerdings greift die Linksfraktion in ihrem Antrag nur wenige Aspekte der Berichte heraus, die dort noch nicht einmal im Mittelpunkt stehen. Der Praxisbericht der Sozialrichter betont sogar ausdrücklich, dass ihre Vorschläge im Wesentlichen das materielle Recht betreffen und gerade nicht das Prozessrecht. Diese Berichte beweisen aber insgesamt, dass die hohen Belastungen der Sozialgerichte und die Verfahrensdauer keineswegs auf die ungezügelte Streitlust der potenziellen Leistungsempfänger zurückgehen,
sondern – jetzt kommen wir zum Problem des hohen Amtsermittlungsaufwandes, lieber Kollege von der CDU – es sind die Mängel der Verwaltungsarbeit bei den Leistungsträgern.
Es lässt sehr tief blicken, wenn die Arbeitsgruppe der Justizministerkonferenz solche Selbstverständlichkeiten wie eine zeitlich geordnete und vollständige Aktenführung sowie die zeitnahe Übersendung der Akten der Leistungsträger an die Gerichte fordert. Diese Arbeitsgruppe mahnt, dass die Leistungsträger für Gerichte und Leistungsempfänger telefonisch erreichbar sein und nicht in der Warteschleife eines Callcenters hängen bleiben sollen.
Schließlich fordert der Bericht, dass die Gerichtsgebührenfreiheit für die Leistungsträger – diese stehen natürlich nicht in diesem Zwang wie Bürger und Staat – abgeschafft werden soll. Oft führen die ARGEn nur Prozesse, um ihre Zahlungen zu verzögern. Ich habe das in eigener Praxis und aus eigener Erfahrung erleben müssen.
Überhaupt liegen in der Tat die Belastungen für die Sozialgerichte in erster Linie in der komplizierten, wenig durchdachten und abgestimmten Gesetzgebung des Bundes, die sich zudem ständig ändert. Zum Beispiel wird empfohlen, dass das Bundessozialministerium endlich von seiner Verordnungsermächtigung zur Festlegung der Angemessenheit der Unterkunfts- und Heizkosten Gebrauch machen soll. Die Praxisgruppe empfiehlt – wen wird es überraschen, der die Debatte kennt – eine Anlehnung an das Wohngeldgesetz.
Ich glaube allerdings auch, dass der Freistaat in der konkreten Kenntnis der Situation in Sachsen – schade, jetzt geht die Sozialministerin gerade hinaus – dort gute Vorschläge und kompetente Mitwirkung haben sollte. Deshalb ist es richtig, dass die Landesregierung hierzu Stellung nimmt und dass wir uns nicht auf den allgemeinen Austausch von Ideologien beschränken.
Prozessualrechtlich stehen in den angesprochenen Berichten nicht die Themen der Linken im Vordergrund. Wir denken allerdings, dass wir eine Gerichtsgebührenfreiheit
für Leistungsempfänger und Einkommensschwache brauchen. Wir meinen nicht, dass es in dieser Situation eine Alternative sein kann, die vorgeschlagene geringe Gerichtskostenpauschale zu erheben. Denn diese schafft ja wiederum für die Gerichte einen ziemlich hohen Verwaltungsaufwand. Wir denken, das wird wenig bringen.
Das macht man ja im Zivilgerichtsprozess auch. Man versucht den Streitwert zu beschränken. Entscheidend ist die Sache, um die es geht. Entscheidend ist die Qualität der Amtsermittlung in der Behörde. Entscheidend ist auch die gute Koordination der Gutachten.
In diesem Parlament habe ich das Privileg, sowohl aus medizinischer als auch aus juristischer Kenntnis reden zu können. Ich habe oft die Erfahrung gemacht, dass eine gewisse medizinische Vorkenntnis oder die Einführung des Hausarztes über ein 109er-Gutachten – wer kann das schon privat bezahlen, lieber Herr Kollege Schneider? – hilft, das Verfahren auch aus Sicht des Richters zu ordnen.
In der Grundlinie ist der Antrag der Linken, wenn auch nicht gerade sehr tief recherchiert, vernünftig. Wir werden ihn deshalb unterstützen und meinen, die Staatsregierung muss sich hier dringend positionieren.
Vielen Dank, Frau Jähnigen. – Für die Fraktion der NPD gibt es eine Wortmeldung. Am Saalmikrofon 7 spricht Herr Dr. Müller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte für die NPD-Fraktion nur kurz erklären, warum wir dem Antrag zustimmen werden.
Punkt 1 ist, denke ich, unstrittig. Es ist ein Auskunftsbegehren und dem sollte man sich nie verschließen. Punkt 2 hat Kollege Biesok begründet. Für ihn ist das Thema Gebühren kein Tabuthema. Ich denke, für uns und die antragstellende Fraktion sollte die Sozialgerichtsbarkeit eine gebührenfreie Angelegenheit bleiben. Kollege Biesok hat den Punkt 2 begründet, dass er notwendig ist. Vielleicht sollte man nicht darüber nachdenken, dass sich die Fälle bei den Sozialgerichten dadurch häufen, dass keine Gebühren erhoben werden, sondern vielleicht ist die soziale Lage im Land daran schuld, dass es für immer mehr Leute notwendig wird, sich mithilfe von Rechtsmitteln die sozialen Leistungen, die ihnen möglicherweise zustehen, zu erkämpfen.