Protokoll der Sitzung vom 16.06.2010

Doch irgendwann – und das hoffentlich bald – wacht der deutsche Michel auf und schickt diese unsäglichen HartzReformen samt ihren politischen Verursachern in die politische Wüste. Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, haben wir Ihnen den vorliegenden Entschließungsantrag unterbreitet. Ich denke, vor allem dem Punkt I und unter Punkt II den Punkten 1 und 3 kann DIE LINKE auch zustimmen, es sei denn, es ist ihr nicht ernst

mit der Abschaffung von Hartz IV und der Einführung von Mindestlöhnen.

Um Ihnen diese Zustimmung zu erleichtern, bitte ich schon jetzt um punktweise Abstimmung über unseren Entschließungsantrag.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der NPD)

Meine Damen und Herren Abgeordneten! Damit ist die erste Runde der allgemeinen Aussprache beendet. Ich frage die Staatsregierung, ob sie das Wort ergreifen möchte. – Das kann ich nicht erkennen. Dann zur zweiten Runde. Möchte jemand in der zweiten Runde sprechen? – Frau Dr. Franke, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte jetzt den Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE einbringen. Er entspricht der gegenwärtigen Situation. Erlauben Sie mir deshalb, trotzdem zu Punkt 4 unseres Entschließungsantrages noch einige vertiefende Bemerkungen zu machen.

Frau Dr. Franke, ich möchte Sie darauf hinweisen, dass wir in der zweiten Runde der allgemeinen Aussprache sind. Ich hatte den Entschließungsantrag noch nicht aufgerufen. Ich werde das noch einmal durchgehen lassen. Wenn Sie aufgrund der heutigen Tagesordnung dazu beitragen wollen, dass wir schneller durchkommen, dürfen Sie gern den Entschließungsantrag mit einbringen, es sei denn, es erhebt sich Widerspruch aus dem Plenum. – Das erkenne ich nicht. Frau Dr. Franke, fahren Sie bitte fort.

Irgendwann lerne ich das noch. Ich bitte um Entschuldigung.

Zu Punkt 4: Seit 15 Jahren – das möchte ich gern vorwegschicken – leite ich die Dresdner Tafel, arbeite bei der Dresdner Tafel mit ehrenamtlichen Langzeitarbeitslosen, seit fünf Jahren mit Hunderten von Hartz-IV-Empfängern, die freiwillig ehrenamtlich bei der Tafel arbeiten, damit sie in ihrem Leben einen Sinn haben, damit sie anderen helfen können. Denn es geht bei Langzeitarbeitslosigkeit nicht bloß ums Geld, es geht um die Würde des Menschen.

Die Entwicklung mit Hartz IV hat sich dramatisch gestaltet. Vor fünf Jahren hat die Dresdner Tafel 8 500 Bedürftige pro Woche versorgt. Heute sind es immerhin 12 500. 30 % der Hartz-IV-Empfänger, die zu uns kommen, sind Kinder. Sie befinden sich ja als Mitglieder der Bedarfsgemeinschaften sozusagen in der Haft durch die Eltern, haben also keine Möglichkeit, aus dieser sozialen Lage herauszukommen. Die Kinderarmut, mit der wir es zu tun haben, hat, glaube ich, eine Form angenommen, die eigentlich in unserem Land nicht geduldet werden darf.

Die Kinder leiden Mangel an ausgewogener Ernährung. Sie leiden Mangel an ausreichenden Bildungschancen. Sie leiden Mangel an Freizeit- und Sportmöglichkeiten. Sie haben keine Möglichkeit, Zugang zur Kultur zu erlangen, und viele andere Dinge mehr.

Was ich als besonders bedenklich betrachte – das ist ein gesellschaftliches und politisches Problem –, ist die Tatsache, dass Hartz-IV-Empfänger zunehmend gesellschaftlicher und politischer Ächtung unterliegen. Sie sind nicht schuld an ihrer Lage. Sie sind aus unterschiedlichen Gründen in diese Lage gekommen. Tatsache ist, dass die wenigsten Hartz-IV-Empfänger heute auf dem ersten Arbeitsmarkt eingestellt werden. Ihnen bleiben die Zeitarbeit oder irgendwelche Hilfsjobs oder Ein-Euro-Jobs, in denen sie immer wieder in der Armutsfalle gefangen sind.

Hartz-IV-Empfänger empfinden eine tiefe Diskriminierung. Draußen sind welche. Draußen stehen mindestens 4 000 von ihnen. Man könnte sie hereinholen. Sie würden jeden Satz, den ich hier sage, bekräftigen. Sie werden diskriminiert, sie werden ausgegrenzt. Sie sind hoffnungslos und voller Angst, wenn sie an die Zukunft denken und das verinnerlichen, was in der Politik inzwischen beschlossen worden ist. Ich halte diesen Weg für abenteuerlich für unsere Gesellschaft. Er höhlt die Demokratie aus und bringt den sozialen Frieden in Gefahr.

(Beifall des Abg. Horst Wehner, Linksfraktion)

Frau Dr. Franke, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja, bitte.

Sehr geehrte Frau Dr. Franke, vielen Dank. Sie sagten eben, draußen vor dem Landtag würden 4 000 Hartz-IV-Empfänger stehen. Geben Sie mir recht, dass die Demonstration, die draußen stattfindet, primär von Menschen besucht ist, die in Arbeit sind, die in Lohn und Brot sind, und eben nicht, wie Sie hier behaupten, Hartz IV beziehen?

Ich wollte schon hinausgehen. Aufgrund der Tagesordnung war mir das nicht möglich. Aber ich weiß, dass drei Demonstrationszüge vorbereitet worden sind. Einer davon war auch von den Arbeitsloseninitiativen getragen. Natürlich kann ich die Zahl nicht nennen. Vielleicht sind es auch nur 3 000. Aber wir würden genügend finden.

(Zuruf von der CDU: Das ist geschätzt!)

Natürlich ist es geschätzt. Ich habe doch nicht behauptet, dass ich sie gezählt habe.

Frau Dr. Franke, es gibt jetzt noch zwei Nachfragen. Würden Sie die gestatten?

Geht das von meiner Redezeit ab?

Nein, das geht nicht ab. – Dann zuerst Herr Schreiber.

Eine Nachfrage dazu, Frau Dr. Franke. Man schätzt, es sind ungefähr 6 000 Menschen vor dem Landtag.

(Zuruf von der Linksfraktion: 10 000!)

Ich habe die Zahl 6 000. Natürlich zählen Demonstranten da immer etwas hinzu. Das ist ganz logisch. Aber vielleicht sagen Sie mir einfach, wenn Sie es denn wissen, unter welchem Slogan die Demonstration draußen steht, und vor allen Dingen, wer unter den Demonstranten angesprochen worden ist, für seine Interessen zu kämpfen.

Also eine der Losungen war: Wir zahlen nicht für Ihre Krise.

Jetzt gibt es noch eine Nachfrage. Herr Dr. Pellmann, bitte.

Frau Kollegin Dr. Franke, würden Sie es auch – wie ich – befremdlich finden, – – Sie haben davon gesprochen, dass Sie nicht hinausgehen konnten, weil Sie der Tagesordnung hier folgen wollten zu einem wichtigen Punkt.

Zu diesem.

Würden Sie es auch wie ich befremdlich finden, wenn einer der Debattenredner zu diesem Tagesordnungspunkt, nämlich der Herr Krauß, ganz anders entschieden hat als Sie, aber wahrscheinlich deshalb, weil der Herr Ministerpräsident nicht bereit war, sich draußen den Demonstranten zu stellen und meinte, Herrn Krauß vorzuschicken?

Würden Sie zum Zweiten

(Christian Piwarz, CDU: Wie viele Fragen denn noch?!)

den Polizeimeldungen, die ich vorhin gehört habe, aber da war dieser Tagesordnungspunkt noch nicht aufgerufen, dass man etwa von 10 000 ausgeht,

(Staatsminister Frank Kupfer: 20 000! – Zurufe von der CDU – Unruhe)

widersprechen?

Meine Damen und Herren!

(Weitere Zurufe von der CDU)

Ich würde doch bitten, dass Sie jetzt Frau Dr. Franke Ihre Aufmerksamkeit widmen. Sie beantwortet die Frage von Herrn Dr. Pellmann.

Die Zahlen habe ich nicht gehört. Ich kann sie persönlich nicht ablehnen, ich kann sie persönlich nicht bestätigen. Aber ich denke, dass

die Zahlen, die die Polizei angegeben hat, die exakten Zahlen sind, denen man Glauben schenken darf.

Das andere: Ich beneide Herrn Krauß, dass er schon draußen ist. Es tut mir leid, dass ich noch nicht draußen bin, weil dort eigentlich der Platz ist, an den ich schon lange gehöre, und weil es mir in den Fingern kribbelt, endlich hinausgehen zu können.

(Zuruf des Abg. Christian Piwarz, CDU)

So viel dazu.

Ich möchte abschließend hier an Ihrer aller Solidarität appellieren. Solidarität ist nicht nur ein Gebot der Linken. Solidarität wird schon in der Bibel beschrieben mit den Worten: Brich Dein Brot. Brich Dein Brot mit den Ärmsten, brich es mit Deinem Nachbarn, wenn er in Not ist. Das sollte Motiv unseres Handelns sein.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Ich bitte, dass Sie unserem Antrag zustimmen, damit wir eine gemeinsame Basis finden, wie wir im Interesse des gesellschaftlichen und politischen Friedens in diesem Land und der Würde der Bedürftigen und der Hartz-IVEmpfänger, die dazugehören, handeln können.

Danke schön.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Frau Herrmann, bitte.