Protokoll der Sitzung vom 16.06.2010

Bei den Studierendenzahlen im Fach Medizin war in den letzten Jahren in Sachsen ein leichter Anstieg zu verzeichnen. Im Jahr 2003 studierten 5 014 Studenten in Sachsen Medizin, zwei Jahre später waren es bereits 5 249 Studenten und im Jahr 2008 stieg diese Zahl noch einmal um rund 50 Studenten.

Derzeit haben die Hochschulen die Möglichkeit, 60 % ihrer Studenten selbst auszuwählen. Der Rest wird über die ZVS anhand der sogenannten Leistungsquote und aufgrund von Wartesemestern vergeben – jeweils zur Hälfte, sprich 20 %.

Mit unserem Antrag wollen wir, dass die Hochschulen künftig alle ihre Studenten selbst auswählen können, und das aus zwei Gründen:

Erstens. Die Vergabe von Studienplätzen über die ZVS erfolgt ausschließlich nach der Abiturnote. Ich will klar sagen: Ich halte die Abiturnote für wichtig, denn nicht

selten – das wird immer wieder bestätigt – korreliert diese mit der Studienabschlussnote. Aber sie garantiert eben nicht den besseren Arzt vor Ort. Nichtsdestotrotz brauchen wir natürlich den guten und qualifizierten Arzt vor Ort. Aber wir wollen nicht die alleinige Auswahl über die Abiturnote, wie es durch die ZVS geschieht.

Den Universitäten steht laut dem Sächsischen Hochschulzulassungsgesetz eine breite Palette von Auswahlinstrumenten zur Verfügung, die genutzt und bereits seit 2005 immer wieder neu eingesetzt werden. Dazu zählen unter anderem die Hinzuziehung von außerschulischen Leistungen und Qualifikationen, das Absolvieren von Testverfahren, das Führen von Auswahlgesprächen usw. usf. Diese Maßstäbe sollen auch für die Bewerber angewandt werden, die derzeit noch über die ZVS laufen.

Zweitens. Mit der Auswahl der Studenten kann die Hochschule zudem ihr eigenes Profil betonen und die Anforderungen an ihre Studenten individuell definieren. Alle Studenten sollen sich künftig darüber Gedanken machen, welche Kriterien für sie die Wahl der richtigen Uni bestimmen.

Neben dem Hochschulzugang ist es unbedingt notwendig, die Allgemeinmedizin stärker in den Fokus der Ausbildung zu rücken. Gestern Abend hatten wir die Möglichkeit, Frau Dr. Bergmann, die Professorin der Allgemeinmedizin an der Carus-Universität, und eine Studentin zu befragen und zu hören, welche Schwierigkeiten derzeit während des Studiums vor ihnen stehen, wenn wir den Schwerpunkt Allgemeinmedizin in die Ausbildung bringen.

Es sind noch einige Bretter zu bohren, um klarzustellen: Der Hausarzt ist der anspruchvollste Beruf eines Arztes überhaupt. Er ist nicht nur Arzt, Berater und gegebenenfalls Psychologe, sondern auch der erste Anlaufpunkt für einen Patienten, der weiß, dass ihm etwas fehlt, dem etwas wehtut, der Schmerzen hat. Der Hausarzt muss dann entscheiden, aus welcher Richtung es kommen könnte. Von daher haben wir noch einen weiten Weg, auch innerhalb der Medizinerschaft, vor uns.

Gerade in den ländlichen Gebieten ist der Hausarzt derjenige, der das soziale, häusliche Umfeld seiner Patienten kennt, was häufig für die Diagnose und die Therapie sehr wichtig ist. Er koordiniert die Facharzttermine und führt Diagnosen zusammen, während die fachärztlichen Disziplinen von definierten Krankheiten ausgehen. Der Ansatzpunkt des Allgemeinmediziners zum Patienten ist doch ein ganz anderer.

Um es etwas greifbarer zu machen: Der überwiegende Teil von Medikamenten wird in der hausärztlichen Versorgung verschrieben. 70 % der Bevölkerung suchen einmal im Jahr eine allgemeinärztliche Praxis auf. 20 Millionen Menschen in Deutschland befinden sich in ständiger Betreuung durch Hausärzte. Hinzu kommt, dass sich diese Patientenzahl in Zukunft voraussichtlich noch erhöhen wird, da die Zahl der chronisch Kranken, der multimorbiden Patienten und der psychosozial Belasteten zunimmt.

Welchen Facharzt die Studenten im Anschluss an das Studium absolvieren wollen, steht für sie entweder bereits vor dem Studium fest – weil sie beispielsweise Praxisnachfolger sind – oder die Entscheidung bildet sich während des Studiums, insbesondere im klinischen Abschnitt, heraus. Deshalb müssen die Studenten bereits während ihrer Ausbildung einen Zugang zum Beruf des Hausarztes bekommen und einen Eindruck gewinnen, wie das Leben und das Arbeiten als Hausarzt wirklich ist. Er ist nicht nur ärztlicher und medizinischer Ansprechpartner, sondern steht auch für alle Fragen des täglichen Lebens zur Verfügung. Er ist Stütze und Ratgeber. Lebensbegleitende Betreuung, Hausbesuche, Notfallbehandlungen – all das steht in seinem Aufgabenkontingent.

Je eher Studenten damit Kontakt bekommen und ihnen bewusst wird, dass der allgemeinmedizinische Beruf keine bloße Addition von Spezialwissen ist, sondern eine Tätigkeit, die großen Charme hat und Spaß macht, desto eher können sie für die hausärztliche Tätigkeit gewonnen werden.

Die Möglichkeiten der Akademisierung werden von unseren sächsischen Universitäten schon sehr gut genutzt. Die Universität Leipzig hat eine selbstständige Abteilung der Allgemeinmedizin eingerichtet und die TU Dresden hat, wie gesagt, einen eigenen Lehrstuhl, wenn auch erst seit Kurzem.

Das alles geht in die richtige Richtung. Das sind die richtigen Signale. Wir wollen auf diesem Weg weitergehen und bitten daher um Unterstützung für unseren Antrag.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Staatsregierung)

Für die Fraktion der FDP sprach Frau Kollegin Schütz. – Als Nächster spricht für die Fraktion DIE LINKE Herr Prof. Dr. Besier.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion ist geneigt, fast allem zuzustimmen, was zur besseren medizinischen Versorgung der Bevölkerung beiträgt und die medizinische Forschung voranbringt.

Wie verzweifelt die Lage an den medizinischen Fakultäten derzeit ist, hat die Medizinische Fakultät der Leipziger Universität dokumentiert (Schreiben Prof. Thiery an Prof. von Schorlemer vom 05.02.2010). Die Kürzung des Landeszuschusses um 5,7 Millionen Euro für das Jahr 2010, die Tariferhöhungen von 4,3 Millionen Euro und die gestiegenen Eigenfinanzierungsanteile bei Drittmittelprojekten haben die Fakultät gezwungen, circa 130 landesfinanzierte Stellen zur Disposition zu stellen, um die Finanzierungslücke zu schließen.

Werden die Stellenstreichungen nicht abgewendet, lassen sich die gesetzlich und gerichtlich vorgegebenen Studierendenzahlen nicht halten, weil die zugrunde liegende

Berechnung für das Zahlenverhältnis – Vollstelle einerseits und Studierende andererseits – nicht mehr stimmt.

Die Zielvereinbarung, nach der die Medizinische Fakultät Leipzig 300 Studienanfänger in der Humanmedizin und 50 in der Zahnmedizin sicherstellen soll, wird bereits jetzt übererfüllt, berücksichtigt man die Relation von Vollzeitstellen und Studierenden. Der Verlust von medizinischen Vollzeitstellen wird sich negativ auf die Weiterqualifikation der Ärzteschaft auswirken. Die jungen Ärzte haben dort Gelegenheit, sich weiter zu qualifizieren; aus diesem Reservoir kommen gewöhnlich die Ärzte für die Landeskrankenhäuser. Auch die Betreuung von wissenschaftlichen Arbeiten und Promotionen scheint durch die Streichungen in diesem Bereich gefährdet.

Außerdem wird die Medizinische Fakultät mittelfristig bei der Forschung ins Hintertreffen geraten, was wiederum Konsequenzen für die Drittmitteleinwerbung nach sich ziehen wird. Über die bisher eingeworbenen Drittmittel konnten immerhin circa 400 Stellen neu geschaffen werden, die wiederum auch der Ärzteausbildung zugute kommen.

So lässt sich die medizinische Versorgung kaum sichern. Es macht auch keinen Sinn, die Ärzte am Universitätsklinikum Leipzig um 20 bis 30 % schlechter zu bezahlen als ihre Fakultätskollegen (vgl. Papier der Tarifkommission 2009/2010). Das ist der beste Weg, Ärzte aus Sachsen zu vertreiben. Man wird im Gegenteil dafür Sorge tragen müssen, dass der Standort Sachsen für die Ärzte in allen Bereichen so attraktiv bleibt, damit sie nicht abwandern.

Wie immer ist bei diesen Themen zu betonen, dass die Schwächung von Strukturen durch Unterfinanzierung erst mittelfristig sichtbar wird. Dann aber kostet es ein Mehrfaches, diese komplexen Systeme wieder aufzubauen.

Heute muss ich lesen, dass die medizinischen Fakultäten in Leipzig und Dresden im Rahmen des Sparpaketes jeweils circa 12 Millionen Euro weniger erhalten (vgl. „SZ“ vom 16.06.2010). Wie passt das nun mit Ihrem Antrag „Medizinstudium weiterentwickeln – Vorsorge für den künftigen Bedarf von Ärzten treffen“ zusammen?

Sie wollen die zentrale Vergabe der Studienplätze für das Fach Medizin, also der noch verbleibenden 40 %, beenden und den Hochschulen selbst die Auswahl der Studierenden überlassen. Dabei soll die Abiturnote nur ein Kriterium sein. Welche anderen Kriterien eine Rolle spielen sollen und wie dies valide festgestellt werden soll, sagen Sie nicht. Sie bleiben bei Andeutungen. Das Leipziger Projekt etwa, einen Teil der Studienplätze an Bewerber mit Berufserfahrung zu vergeben, wäre vielleicht zu bedenken.

Es ist völlig unmöglich, angehende Medizinstudierende darauf festlegen zu wollen, später als Hausärzte tätig zu werden. Vielmehr wird man dem Beruf des Allgemeinmediziners als niedergelassener Arzt, vor allem im ländlichen Raum, wo sie ja fehlen, attraktiver gestalten müssen. Mit Versprechungen oder gar dem Versuch von Verpflichtungen lässt sich da kaum etwas machen.

Nicht nur auf diesem Feld, aber auch hier müssen Vereinbarungen mit den anderen Bundesländern getroffen werden, um den freien Ärztemarkt zumindest ein wenig zu regulieren und die Arbeitsbedingungen zwischen den Bundesländern auszugleichen. Man wird auch an Ausgleichsleistungen zwischen den Bundesländern denken müssen, etwa eine Abgeltung für jene Absolventen im Fach Medizin, die in Sachsen studiert haben, dann aber das Bundesland wechseln. Das wäre ja, wenn Ihre Aktionen „Studieren in Fernost“ und Ähnliches Erfolg haben werden, eine logische Konsequenz: dass sehr viele hier in Sachsen studieren, dann aber wieder in das Bundesland zurückgehen, aus dem sie ursprünglich stammen.

Im Übrigen verstehe ich nicht, warum Sie den sehr viel differenzierteren Antrag der GRÜNEN „Ärztenachwuchs langfristig sichern“, Drucksache 5/1388, zurückgewiesen haben. Sie haben es schon erwähnt, Herr Kollege Schneider: um Ihre bloße Absichtserklärung, die im Widerspruch zu Ihrer bisherigen Politik steht, jetzt nachzuschieben. Man kann sich des Eindrucks kaum erwehren, dass Sie improvisieren, dass Sie kein Konzept haben.

Die Facharztausbildung für Allgemeinmedizin ist möglich. Ihre kritische Anmerkung im Blick auf naturwissenschaftlich-technische Orientierung ist erklärungsbedürftig. Wollen Sie aus Ärzten Naturheilkundler machen? Natürlich ist es wichtig, dass die aktuelle Forschung unmittelbar in das Medizinstudium und in den Kenntnisschatz von Ärzten eingeht, auch von solchen, die dann später auf dem Lande arbeiten. Wir haben ein bundesweites Problem, das ist wohl wahr. Aber es ist eben im Osten signifikant problematischer als im Westen. Darum werden wir auch in diesem Bereich – das trifft ja auch auf andere zu – mit der Kleinstaaterei aufhören und ein Konzept entwickeln müssen, das für das ganze Bundesgebiet Gültigkeit hat.

So weit fürs Erste.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Für die Fraktion DIE LINKE – –

(Kerstin Schütz, FDP, steht am Mikrofon.)

Oh, eine Kurzintervention an Mikrofon 3 durch Frau Kollegin Schütz.

Sehr geehrter Herr Präsident! Ich möchte meinem Vorredner in einem Punkt ganz deutlich widersprechen. Er hat hier den Eindruck erweckt, als würde der Freistaat die alleinige Verantwortung für die prekäre Situation der Medizinischen Fakultät in Leipzig tragen. Ich denke, hier haben Sie doch einfach einige Tatsachen unterschlagen. Die 5 Millionen Euro an Einsparung, die die Fakultät erbringen wird, sind aufgrund der Hochschulvereinbarung getroffen worden. Das wusste die Fakultät.

Der Freistaat ist auch nicht für abgeschlossene Tarifverträge innerhalb der Universität verantwortlich. Das ist

noch einmal deutlich klarzustellen bei 2 Millionen Euro, die hier genannt wurden. Anfügen möchte ich, dass der Freistaat die größten Anstrengungen unternehmen wird, damit die Studierendenzahlen entsprechend dem Hochschulpakt auch zu Beginn des nächsten Studienjahres eingehalten werden. Das sind große Herausforderungen. Doch so, wie Sie es hier dargestellt haben, möchte ich es nicht stehen lassen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Es besteht durch Herrn Prof. Besier die Möglichkeit, auf diese Kurzintervention zu reagieren.

Ich habe ganz klar die drei Faktoren genannt, die die Medizinische Fakultät Leipzig in diese Bredouille gebracht haben. Das ist erst seit 2010 so deutlich geworden. Es ist einmal die Kürzung der Zuweisung.

(Kristin Schütz, FDP: Das ist keine Kürzung, das ist eine Vereinbarung!)

Die Medizinische Fakultät hat dies auch der Staatsministerin so deutlich mitgeteilt. Ich habe das selbstverständlich nicht überprüfen können, aber es ist eine schriftliche Mitteilung, auf die man sich berufen können muss (vgl. Schreiben Prof. Thiery an Prof. von Schorlemer vom 05.02.2010).

Der zweite Punkt betrifft tatsächlich die Tariferhöhungen. Es ist keine Schuldzuschreibung, aber es erklärt, warum die medizinische Fakultät in finanzielle Schwierigkeiten gerät.

Der dritte Punkt – ich habe das aber deutlich gesagt, und es ist vollkommen durchsichtig – ist, dass der Eigenanteil bei Drittmitteleinwerbungen höher geworden ist. Wohin sonst soll sich denn die medizinische Fakultät mit ihren Problemen wenden? Natürlich tut sie das an das zuständige Wissenschaftsministerium und fragt: Wie nun weiter? Ich weiß nicht, was Sie mit Ihrer Intervention klären wollen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Das war die Reaktion auf eine Kurzintervention. Als Nächste in der Rednerfolge hat die SPD-Fraktion mit Frau Kollegin Neukirch das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem wir uns vor zwei Wochen in den betroffenen Fachausschüssen intensiv mit diesem Thema auf der Grundlage eines guten Antrages der GRÜNEN beschäftigt haben, diskutieren wir nun einen relativ nichtssagenden Antrag der Koalition, der nach dem Prinzip geschrieben wurde „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!“ Im Antrag wird die Staatsregierung ersucht, darauf hinzuwirken. Es wird gesagt, sie soll prüfen, sie soll stärker in den Fokus rücken, noch einmal prüfen und evaluieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Antrag stehen neben diesen Worthülsen leider keine tatsächlichen oder konkreten Lösungsansätze oder gar Erklärungen für die jetzige Situation. Gerade vor dem Hintergrund auch der bundesweiten Debatte und der Diskussion im Ausschuss, die relativ sachlich und tiefgreifend gelaufen ist, ist es schon ein kleines Armutszeugnis, diesen Antrag heute hier vorzulegen.