Protokoll der Sitzung vom 29.09.2010

Unabhängig davon begrüßt natürlich auch die NPDFraktion grundsätzlich die Einführung des Pflege-TÜVs. Ich möchte allerdings darauf verweisen, dass der PflegeTÜV durch den MDK nicht die unabhängigen Heimaufsichtskontrollen ersetzen kann. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion erklärt die Regierung, dass die jährlichen Kontrollen mit Hinweis auf PflegeTÜV-Kontrollen durch den MDK abgelehnt werden. Deshalb befürchten wir mittelfristig ein weiteres Ausdünnen aus Einsparungsgründen. Im Jahr 2009 wurden unabhängig von der Heimaufsicht bisher nur 29,71 % der Einrichtungen in Sachsen kontrolliert. Wenn das noch weiter absinkt, sind diese Kontrollen weitgehend nutzlos.

Eine wissenschaftliche Analyse vom Juli 2010 hat ergeben, dass nur zwei der 64 Einzelnoten des MDK-PflegeTÜVs den vom Gesetzgeber geforderten Maßstab der Ergebnisqualität betreffen. Es sind also nur zwei Noten für das Patientenwohl notwendig. Beim überwiegenden Teil wird die Qualität durch Dokumentation gewertet.

Das Sozialgericht Münster hat entschieden, dass dort keine Bewertung durch Noten erfolgen darf. Das kann man beim WDR nachlesen: „Gericht verbietet Pflegenoten“. Wenn sich ein Gericht zu einem solchen Schritt hinreißen lässt, gibt es dafür gewichtige Gründe.

Ich denke, dass die menschliche Zuwendung zu den Betreuten viel wichtiger ist, als sich mit Papier herumzuschlagen. Die entsprechende Zeit muss den Pflegekräften in den Heimen bleiben.

Ich möchte ein praktisches Beispiel nennen. Als Arzt bin ich wiederholt von Pflegekräften angefragt worden, um für ein rezeptfreies, aber apothekenpflichtiges Hustenmittel zu bestätigen, dass es verabreicht werden kann. Das ist ein Mittel, das jeder von uns aus der Apotheke holen und sich ohne Rückfrage an einen Arzt selbst verabreichen würde. Das haben die Patienten bisher auch so gemacht. Bevor das in der Pflege den Patienten gegeben wird, braucht man allerdings eine schriftliche ärztliche Anord

nung. Ich denke, dass da die Dokumentation etwas zu weit geht.

Relativ einig waren wir uns darin, dass die Bewertungssystematik des Pflege-TÜVs ohnehin neu geregelt werden sollte. Eine Gewichtung der Noten ist auf alle Fälle notwendig. Durchschnittsnoten geben nicht wirklich die tatsächlichen Verhältnisse wieder. Eine Durchschnittsnote 1 oder 5 ist klar. Aber was liegt dazwischen? Ist die Dokumentation super, aber der Pflegebereich mittelmäßig, kommt man immer noch auf eine gute Note. Ich denke, das ist für die Betroffenen nicht das, was man seinen eigenen Angehörigen wünschen würde.

Wir sind der Meinung, den Pflegekräften muss viel mehr Zeit bleiben, sich um die Patienten zu kümmern. Die Dokumentation ist in vielen Fällen überbordend. Das betrifft wieder das Thema des Bürokratieabbaus, das wir schon oft angesprochen haben. Ich denke, damit stehe ich nicht allein. Wenn ich Herrn Ralf Zaizek, Geschäftsführer der Avendis Senioren Dessau GmbH, zitieren darf: „Wenn man sich die bisher vorliegenden Ergebnisse bundesweit ansieht, wird das offenkundig. Das Durchschnittsergebnis für Pflegeeinrichtungen in Baden-Württemberg liegt bei 1,2, in Schleswig-Holstein bei 2,7. Dabei glaubt aber niemand, dass die Menschen in Schleswig-Holstein deshalb tatsächlich wesentlich schlechter versorgt sind. Es zeigt nur, dass das Prüfinstrument (noch) nicht ausreichend ist. Vor Kurzem wurde sogar eine Einrichtung wegen erheblicher Mängel durch die Heimaufsicht geschlossen, die noch im Juni des gleichen Jahres die Note 1,4 erhalten hat.“ Das kann man im „Wochenspiegel“ nachlesen.

Ich denke, es gibt noch viel Arbeit, um das Konzept so zu verbessern, dass die Benotung wirklich für diejenigen, die für ihre Angehörigen oder für sich selbst einen Platz in einem Heim suchen oder eine ambulante Betreuungseinrichtung in Anspruch nehmen wollen, eine verlässliche Grundlage für diese Wahl bildet.

Vielen Dank.

(Beifall bei der NPD)

Das war der Abg. Dr. Müller für die NPD-Fraktion.

Die Staatsregierung will in dieser Rederunde nicht das Wort nehmen. Wir kommen zur nächsten Runde. Wiederum hat die einbringende Fraktion, die CDU, das Wort. Bitte, Frau Kollegin Dietzschold.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Pflege bedeutet Zuwendung und Nähe zu hilfsbedürftigen Menschen. Pflege ist Dienst am Menschen. Dieses Bewusstsein müssen wir stärker in die Gesellschaft hineintragen. Das möchte ich meinem Redebeitrag voranstellen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Ich bin zuversichtlich, dass uns das auch in Zukunft noch stärker gelingen wird. Die Bilanz nach gut einem Jahr der

Einführung der Pflegenoten stimmt mich dabei zuversichtlich; denn circa 10 800 Pflegeeinrichtungen hat der Medizinische Dienst der Krankenkassen seither geprüft. Darüber sind bis Mitte August 8 700 Transparenzberichte nach Auskunft der DatenClearingStelle beim Verband der Ersatzkassen veröffentlicht worden, davon 5 100 für die Pflegeheime und 3 600 für die ambulanten Pflegedienste. Man sieht auch hier: Alle wurden überprüft.

Grundsätzlich haben sich die Pflegenoten bewährt, und das haben Sie alle durchweg für gut befunden, wie ich feststellen konnte. Trotzdem gibt es noch Probleme, und diesen sollten wir uns auch widmen. Aber es ist auch wichtig, dass sich jeder, der einmal in diese Sachlage kommen könnte – jeder von uns kann einmal von Pflege betroffen sein –, vor Ort das Heim anschaut. Wie Frau Herrmann bereits sagte, muss man vor Ort schauen, und man kann heute deutlich sehen: Gute Heime sind überbelegt, dort gibt es keinen Platz. Wo jedoch der Leumund schlecht ist, dort gibt es keine Nachfragen. Das hat auch etwas mit der Pflege vor Ort zu tun.

Kritisch beäugt wurden vor allem das Benotungssystem und die Benotung von 1 bis 5 – wie in der Schule. Aber man muss ja irgendwo beginnen, und dafür ist das Benotungssystem meiner Meinung nach nicht das Schlechteste. Schlecht bewertete Einrichtungen hatten damit natürlich so ihre Probleme und haben auch dagegen geklagt. Aber 98 % der Einrichtungen haben ihre Ergebnisse und Prüfungen für gut befunden und nicht den Klageweg angestrebt. Dabei kann man doch von einem Aspekt der Akzeptanz der Einrichtungen sprechen; denn sonst wäre es anders gewesen. Ich bin optimistisch, dass am Ende die Interessen der Verbraucher über den wirtschaftlichen Interessen der Einrichtungen stehen werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei Gaststätten sprechen wir davon, einen guten oder bösen Smiley gut sichtbar draußen vor der Tür anzubringen. Das könnten wir für die Pflegeheime und -dienste übernehmen. Ich bin überzeugt, dass wir einen Smiley auch für Pflegeheime und -dienste vergeben können; denn nichts anderes ist es, wenn die Pflegenoten für jede Einrichtung gut einsehbar im Internet veröffentlicht werden.

Die Pflegenoten haben Bewegung in die Qualitätsdiskussion gebracht und Transparenz hergestellt – dort, wo es vorher keine gab.

Wir sollten dieses Instrument aber weiterentwickeln. Dass die Kinderkrankheiten behoben werden, darin sind wir uns einig. So sollten Risikokriterien stärker gewichtet werden, sodass Einrichtungen und Dienste, die diese wesentlichen Risikokriterien nicht erfüllen, eine schlechte Benotung nicht durch andere, weniger relevante Kriterien kompensieren können, oder andersherum gesagt, gutes Essen nicht mit einer schlechten Note für die Pflege ausgleichen können.

Weiterhin muss überlegt werden, wie die Anzahl und der Umfang der Prüfung optimiert werden können. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Pflegeeinrichtungen sagen mir immer wieder, dass der Aufwand für die

Vor- und Nachbereitung sehr hoch sei, und stöhnen darüber. Hierbei sehe ich einen Änderungsbedarf. Damit wird es dann möglich, nicht nur den Mitarbeitern in den Pflegeeinrichtungen entgegenzukommen, sondern es werden auch Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die angestrebte Transparenz weiter erhöht wird. Dies – so denke ich – sollte unser Ziel sein.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsministerin Christine Clauß)

Das war die Abg. Dietzschold für die einbringende Fraktion der CDU. – Gibt es bei der miteinbringenden Fraktion der FDP Redebedarf? – Das kann ich nicht erkennen. In der weiteren Rednerfolge ist nun die Fraktion DIE LINKE mit Herrn Kollegen Pellmann an der Reihe.

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Ich will es deutlich sagen: Erfolgsmeldungen darüber, was dieses neue Kontrollinstrument bewirkt, sind verfrüht, und ich meine: Nach so kurzer Zeit lässt sich eine derartig positive Generalbewertung, wie sie soeben noch einmal vorgenommen worden ist, überhaupt nicht aufrechterhalten.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Vielmehr bestätigt sich eben in der Pädagogik, aber auch hier: Gesamtnoten, noch dazu, wenn sie sich aus nicht vergleichbaren Kriterien zusammensetzen, sind problematisch. Ich bin, wie Sie wissen, überhaupt nicht gegen eine Kontrolle im Pflegebereich. Aber wir müssen sehr wohl prüfen, ob das jetzt angewandte System wirklich der Weisheit letzter Schluss ist, und ich sage Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Koalition: Ich habe ein wenig den Eindruck, mit dieser Debatte, an deren Aktualität man gewisse Zweifel haben kann, lenken Sie von den eigentlichen Aufgaben, die das Parlament und die Staatsregierung auf diesem Gebiet haben, ab. Ich möchte Sie daher nochmals deutlich daran erinnern, worum es eigentlich – insbesondere auch, wenn wir hier darüber debattieren – gehen müsste:

Erstens. Meine Fraktion fordert nach wie vor ein Landespflegegesetz – nach wie vor! –, und dieses kann durch ein in Aussicht gestelltes Heimgesetz überhaupt nicht ersetzt werden. Ein Heimgesetz, das – zum wievielten Mal schon? – auf die lange Bank geschoben wurde, wird dem Anspruch einer umfassenden gesetzlichen Darstellung der Daseinsvorsorge auf diesem Gebiet nicht gerecht.

Zweitens. Wir brauchen eine Landesbedarfsplanung in der Pflege, und diese kann nicht einfach nur zersplittert auf die Kommunen übertragen werden. Das funktioniert nicht. Ich fordere dies seit Langem, aber: Fehlanzeige!

Drittens. Wir brauchen ein Konzept – Frau Herrmann und Frau Neukirch haben es gesagt – für die notwendige Personalausstattung. Es muss auch um die Frage gehen: Wie hoch muss der Fachkräfteanteil wirklich sein, und wo

kann eventuell in welcher Weise mit Hilfskräften gearbeitet werden?

Viertens. Wir brauchen selbstverständlich die unabhängige Kontrolle, die ich beim Kostenträger Kranken- oder Pflegekasse nicht ausreichend gewährleistet sehe.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Deshalb muss es eine Stärkung der staatlichen Heimaufsicht geben, anstatt sie schrittweise abzuschaffen, wie es die Staatsregierung ganz offensichtlich vorhat. Herr Krauß, diese vier Kriterien wären Themen für aktuelle Debatten gewesen. Vielleicht greifen Sie die Vorschläge künftig auf.

Eines kann ich mir nicht ersparen: Unsere Sprache treibt leider oft schlimme Kapriolen. Wenn die Antragsteller hier von „Pflege-TÜV“ sprechen – wir haben es mit Menschen zu tun, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will Ihnen in Erinnerung rufen: „TÜV“ heißt nichts anderes als „Technischer Überwachungsverein“, und ich sage: Wir können nicht einfach ökonomisierend das, was man bei Autos oder Motorrädern macht, auf Menschen übertragen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Wir sollten uns gelegentlich auch einmal ernst nehmen und über das, was wir sagen, vorher nachdenken. Hier schleifen sich Dinge ein, die mit humanistischer Sprachpflege nichts zu tun haben, und ich meine, darüber sollten wir auch nachdenken.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Für die Fraktion DIE LINKE war das der Abg. Dr. Pellmann. – Als Nächstes folgt die SPD-Fraktion; Frau Kollegin Neukirch nimmt erneut das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Ihnen natürlich mein vollständiges Fazit nicht vorenthalten, und da ich vorhin unterbrochen wurde, möchte ich noch einmal auf die aus meiner Sicht wichtigen Ergebnispunkte eingehen.

Wenn wir die Qualitätsdiskussion, die wir mit dem sogenannten – sprachlich vielleicht nicht ganz feinsinnigen – Begriff „Pflege-TÜV“ heute auf der Tagesordnung stehen haben, ernst meinen, dann müssen wir das in Sachsen auch mit den Instrumenten weiter vorantreiben, die wir als Land selbst in der Hand haben. Das heißt, wir brauchen eine Stärkung der Verbraucherschutzinteressen im Heimgesetz; darauf bin ich vorhin bereits eingegangen. Wir müssen die Pflegesätze neu diskutieren und die Personalbemessungsinstrumente vorantreiben, die derzeit ja eher nicht existent sind. Wir haben auch großen Nachholbedarf bei der Pflegeberatung. Die kürzlich durchgeführte Anhörung im Sozialausschuss hat ergeben, dass dabei auf ganzer Linie Nachholbedarf besteht.

Wenn wir dennoch heute als Fazit feststellen, dass die sächsischen Pflegeeinrichtungen gute bis sehr gute Noten erhalten haben, dann liegt das nicht daran, dass das Benotungssystem vielleicht falsch ist, sondern dass die Pflegekräfte in Sachsen zum Teil zulasten ihrer eigenen Gesundheit sehr aufopferungsvoll in den Einrichtungen arbeiten.

(Beifall bei der SPD)

Diesen Zustand können wir uns angesichts des Fachkräftemangels und der Fluktuation in diesem Bereich nicht mehr lange leisten.

Ich muss Ihnen sagen, dass der Begriff „Sächsischer Sonderweg im Bereich der Pflege“ bei vielen in Fachzusammenhängen eher ein Zusammenzucken als ein stolzes Gesicht auslöst. „Sächsischer Sonderweg im Bereich der Pflege“ ist kein Gütesiegel, sondern steht eher für Nachholbedarf. Dort haben wir noch viel zu tun, und darauf sollten wir uns bei den nächsten Debatten mehr konzentrieren.

(Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und der Abg. Elke Herrmann, GRÜNE)

Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion sprach die Abg. Neukirch. Gibt es Redebedarf bei der Fraktion GRÜNE? – Nein. Die Fraktion NPD? – Kein Redebedarf. Gibt es Redebedarf aus den einbringenden Fraktionen, der CDU-Fraktion und der FDP-Fraktion? – Das sehe ich ebenfalls nicht. Damit hat die Staatsregierung das Wort; Frau Staatsministerin Clauß, bitte.