Protokoll der Sitzung vom 29.09.2010

Die Anträge sind rechtzeitig eingegangen. Gemäß § 55 Abs. 3 Satz 3 der Geschäftsordnung dauert diese Aktuelle Stunde zwei Zeitstunden. Die Verteilung der Gesamtredezeit der Fraktionen hat das Präsidium wie folgt vorgenommen: CDU 33 Minuten, DIE LINKE 25 Minuten, SPD 12 Minuten, FDP 14 Minuten, GRÜNE 10 Minuten,

NPD 10 Minuten und die Staatsregierung 20 Minuten, wenn gewünscht.

Die Redezeit eines Redners – Sie wissen das – beträgt maximal fünf Minuten pro Beitrag; wir werden das auch streng kontrollieren.

Wir kommen zu

1. Aktuelle Debatte

Ein Jahr „Pflege-TÜV“ – Wie gut ist die Pflege in Sachsen?

Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP

Als Antragsteller haben zunächst die Fraktionen CDU und FDP das Wort. Wir beginnen mit Herrn Kollegen Krauß von der CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor drei Wochen hatte der Verband der Ersatzkassen eingeladen, um über ein Jahr Pflege-TÜV zu sprechen, die Ergebnisse vorzustellen. Wir haben das zum Anlass genommen, dieses erste Jahr Revue passieren zu lassen und heute und hier über den Pflege-TÜV zu sprechen.

Das Thema Pflege wird für unsere Gesellschaft immer wichtiger, insbesondere auch bei uns im Freistaat Sachsen, weil die Zahl der älteren Menschen steigt, weil die Zahl der Pflegebedürftigen zunimmt. Unsere Gesellschaft wird immer älter. Zum Glück gibt es immer mehr Menschen, die länger leben.

Vor 15 Jahren, bei Einführung der Pflegeversicherung, hatten wir ungefähr eine Million pflegebedürftige Menschen in Deutschland. Wir sind jetzt, im Jahr 2010, bei 2,3 Millionen pflegebedürftigen Menschen. Wenn wir zehn Jahre vorausschauen, werden wir eine halbe Million Menschen mehr haben, die pflegebedürftig sind. Also werden insgesamt 2,8 Millionen Menschen 2020 pflegebedürftig sein.

Dieser Zuwachs macht deutlich, dass eine gute, qualifizierte Pflege immer wichtiger wird. Uns allen geht es darum, dass jemand auch im Alter menschenwürdig gepflegt wird. Deswegen haben wir gesagt, wir wollen heute gern über dieses Thema sprechen.

2008 hat man den sogenannten Pflege-TÜV auf den Weg gebracht. Bis Jahresende sollen alle Einrichtungen, auch bei uns im Freistaat Sachsen, geprüft worden sein. Das heißt, sowohl alle Pflegeeinrichtungen als auch alle ambulanten Dienste, alle Sozialstationen und Pflegedienste sollen dann diese Prüfung hinter sich haben. Danach soll eine solche Prüfung jedes Jahr erfolgen.

Wie muss man sich eine Prüfung vorstellen? – Eigentlich wie in der Schule, nur darf man es nicht mit einer Leistungskontrolle verwechseln, sondern es ist eher eine Abschlussprüfung, wie man sie am Ende der 10. Klasse macht. Es geht also dann wirklich in die Tiefe. Es gibt vier Bereiche, die geprüft werden: die Pflegequalität, der Umgang mit demenzkranken, also altersverwirrten Menschen, die Alltagsgestaltung und – nicht zuletzt – die Verpflegung und das Wohnen, zusammengefasst in einem Themenbereich. Ergänzt wird das Ganze um die Befragung der Bewohner, dass man zum Beispiel wissen will: Wie zufrieden sind Sie mit dieser Pflegeeinrichtung, mit diesem Altersheim, in dem Sie leben?

Das macht der Medizinische Dienst der Krankenkassen und vergibt dann Noten für die Einzelbereiche, aber eben auch eine Gesamtnote, sodass man auf einen Blick sehen kann, wo diese Pflegeeinrichtung steht.

Sie können sich vorstellen, dass Sie sich, wenn Sie die Note 1 haben, freuen, und wenn Sie die Note 5 bekommen, dann wissen Sie, Sie müssen noch kräftig arbeiten und haben zunächst ein großes Imageproblem.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Das gilt auch für die Staatsregierung!)

Auch das weiß dann die Einrichtung.

Diese Note wird nicht in irgendeinem Ordner abgeheftet und verschwindet damit, sondern sie ist öffentlich. Man kann sie einerseits im Internet nachlesen, zum Beispiel unter „pflegelotse.de“; dort können Sie die Einrichtungen, die in Ihrem Kreis liegen, anklicken und sofort sehen, wo sie stehen. Auf einen Blick sieht man, wer Klassenbester ist und wer derjenige ist, der noch großen Nachholbedarf hat. Gleichzeitig muss die Einrichtung das auch bei sich gut sichtbar aushängen. Wenn ich also in ein Altenpflegeheim hineinkomme, werde ich diese Note finden.

Das führt dazu, dass sich die Einrichtungen natürlich immens anstrengen, eine gute Note zu bekommen, und das ist ja auch von uns beabsichtigt.

Wir können uns anschauen, wie die Noten sind. Wir liegen im Durchschnitt ungefähr bei einer Note 2. Die 2 ist eine gute Note. Man kann froh darüber sein, dass man das im Durchschnitt erreicht. Aber es ist auch so, dass man – je nachdem wo man steht – noch besser werden kann. Es ist auch bezweckt, dass man sagt: Wir wollen uns von der 2 in Richtung 1 bewegen. Das versuchen die Einrichtungen auch zu machen. Einrichtungen, die eine 4 haben, sind sehr stark bemüht, eine Nachprüfung zu bekommen. Sie sagen: Wir wollen gerne noch einmal geprüft werden. Wir wissen jetzt, wo die Schwachstellen sind. Wir wollen auch nicht ein Jahr warten, bis die nächste Prüfung kommt, sondern diese Prüfung relativ schnell haben. Das zeigt, dass der Anreiz da ist, sich Mühe zu geben und sich weiterzuentwickeln.

Wenn wir über den Pflege-TÜV insgesamt reden, heißt das natürlich auch, dass man sagt, an welchen Stellen wir das System vielleicht etwas nachbessern müssen. Das sind die Erfahrungen, die wir haben. Ich glaube, ein Punkt ist, dass wir die Pflege höher gewichten müssen. Wenn ein Patient wund gelegen ist, darf das nicht dadurch aufgewogen werden, dass man eine Speisekarte hat, bei der die Schriftgröße 18 verwendet worden ist, sodass die Speisekarte gut lesbar ist.

Die Redezeit, Herr Kollege Krauß!

Danke. – Ich glaube, dass man die Pflege höher gewichten muss. Dazu sind die Pflegekassen und die Verbände im Gespräch. Daran sollten wir weiter arbeiten und uns als Freistaat Sachsen einbringen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Das war der Abg. Krauß für die CDU-Fraktion. Als miteinbringende Fraktion hat nun die FDP-Fraktion das Wort. Bitte, Frau Kollegin Schütz.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Menschen, die im Alter aufgrund von Pflegebedürftigkeit Unterstützung benötigen – sei es durch den ambulanten Pflegedienst oder durch die stationären Einrichtungen –, können mittlerweile zwischen verschiedenen Leistungsanbietern wählen. Mit der Reform der Pflegeversicherung 2008 wurde auch die Prüfung der Pflegeanbieter mit ins Auge gefasst. Ziel war es dabei, Qualität in der Altenpflege mit den Aspekten des Verbraucherschutzes zu vereinen. Hintergrund sollte aber auch sein, Entscheidungshilfe geben zu können; denn die Empfehlungen vom Hörensagen sind kein solider Wegweiser, zumal dann, wenn die Angehörigen selbst nicht mehr hier bei uns in Sachsen leben.

Der Mensch, seine Gesundheit und sein Wohlbefinden müssen wie überall im Mittelpunkt stehen, so auch in unseren Pflegeeinrichtungen. Pflegebedürftige und Angehörige können und dürfen wir hier nicht alleinlassen. Die ersten Ergebnisse der Pflegekontrollen liegen vor. Im Vergleich der Bundesländer ist es nun Zeit für eine erste Bilanz. Der medizinische Dienst hat in Sachsen seit Inkrafttreten der Reform bis dato über 800 ambulante Pflegedienste und über 600 Pflegeheime überprüft. Das entspricht drei Viertel aller Einrichtungen im Freistaat Sachsen insgesamt. Bis Jahresende 2010 soll jedes Heim oder jede Einrichtung mindestens einmal kontrolliert sein.

Zu welchem Ergebnis sind wir gekommen? Herr Krauß hat es gerade schon in Zahlen ausgedrückt: bei den stationären Einrichtungen mit 1,9, im ambulanten Dienst mit einer guten 2,2. Ich denke, hier sind wir sehr gut. Im Bundesdurchschnitt können wir uns sehr gut mit den anderen Bundesländern messen. Offensichtlich ist, dass insbesondere der Umgang mit den Bewohnern und die soziale Betreuung und Alltagsgestaltung gut funktionieren, sowohl in ambulanten als auch in stationären Einrichtungen. Hier können sowohl Pflegebedürftige als auch ihre Angehörigen von einer guten bis sehr guten Qualität ausgehen.

Dass Ratsuchende sogar im Internet schon über 17 Millionen Mal die Pflegelotsen, die Bewertung, die auch öffentlich gemacht wird, genutzt haben, zeigt, welche Bedeutung diese Benotung im Verbraucherschutzsinne gewonnen hat. Zudem ist auch die Mehrheit aller Einrichtungen mit der Veröffentlichung einverstanden. Ich würde mir hier wünschen, dass es alle sind, denn nur so können sich auch alle Nutzer ein objektives Bild von ihrer zukünftigen Einrichtung machen. Dennoch ist es mir auch wichtig zu sagen, dass wir nicht mit blindem Vertrauen in eine staatliche Stelle schauen, sondern selbst immer wieder hinschauen und das auch in der Gesetzgebungskompetenz immer wieder anmahnen.

Es ist auch nötig, selbst Verantwortung zu übernehmen, sich zu kümmern, sich zu informieren, das Gespräch mit den Einrichtungen, mit den Mitarbeitern zu suchen – und das möglichst, bevor die eigene Bedürftigkeit eintritt.

Denn sonst obliegt es eher den Angehörigen, hier eine Entscheidung treffen zu müssen.

Die immer wieder aufkommende Diskussion über die Abschaffung der Pflegenoten halte ich gegenüber den Betroffenen und ihren Angehörigen für unverantwortlich. Ich will eben nicht, dass wieder der Deckmantel über den Einrichtungen liegt, und will gleichzeitig nicht, dass die Angehörigen eine wichtige Entscheidungshilfe verlieren. Eine bessere Qualität in den Pflegeheimen erreicht man nicht, indem man das Instrument wieder abschafft. Man erreicht eine bessere Qualität, indem man das System optimiert. Vor diesem Hintergrund schaue ich mit einem kritischen Blick auf die Systematik, insbesondere, was die Bewertungskriterien und auch die Gewichtung als solche betrifft. Deshalb finde ich es richtig, dass unser Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler auf der Grundlage von Studienergebnissen und kritischen Meinungen entsprechende Korrekturen an dieser Stelle anmahnt.

(Beifall bei der FDP)

Diese Korrekturen betreffen vor allem das Bewertungssystem selbst, die Noten, aber zum Beispiel auch die Gewichtung zwischen der Zeit für die Patienten und der Zeit des Dokumentierens. Vorhin kam gerade das Beispiel Pflege und Essen, ich sehe es dann noch zwischen Trinkmengen und der Maßgabe der Ausschilderung im Heim. Eine praktikable Lösung für diese Herausforderung, für diese neue Korrektur –

Frau Kollegin, die Redezeit!

– kann es natürlich nur in Zusammenarbeit mit den gesetzlichen Krankenkassen und den Heimträgern geben. Hier, denke ich, sind wir in Sachsen auf einem guten Weg.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Das war Frau Kollegin Schütz für die miteinbringende FDP-Fraktion. Die weitere Reihenfolge in der ersten Runde ist: DIE LINKE, SPD, GRÜNE, NPD; Staatsregierung, wenn gewünscht. Für DIE LINKE spricht Herr Kollege Wehner.

Vielen Dank. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Ein Jahr Pflege-TÜV – Wie gut ist die Pflege in Sachsen?“ lautet das Thema. Es gibt eigentlich zwei interessante Komponenten: einmal über den TÜV zu reden und dann darüber, wie gut die Pflege ist. Zunächst einmal möchte ich sagen, dass all diejenigen, die Pflege im Freistaat Sachsen leisten, die Helferinnen und Helfer, die Fachkräfte, die Ärzte, alle, die daran arbeiten, eine hervorragende Arbeit leisten. Das muss man einfach einmal sagen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Frau Schütz und Herr Krauß, wenn Sie hier sagen, wir haben einen guten Durchschnitt – eine gute 2, sagt Herr Krauß, 2,2 im ambulanten Bereich oder 1,9 im stationären Bereich –, dann ist das vielleicht gar nicht schlecht. Nur lassen sie uns näher hineinschauen – darüber haben Sie nicht gesprochen, was ich sehr schade finde. Ich halte das Benotungssystem im Grunde für keine schlechte Sache. Ich finde nur nicht gut, dass man im Benotungssystem in den einzelnen Bewertungen keine unterschiedliche Gewichtung vornimmt. Sie sprachen über die vier Bereiche. Sie haben darüber gesprochen, dass es im Internet zahlreiche Zugriffe auf den „Pflegelotsen“ gibt.

Nur, wie kommt man zurecht? Sie sehen einmal die Gesamtdurchschnittswerte für die einzelnen Einrichtungen und für die vier genannten Bereiche. Dann kommen noch die Befragungen an die jeweiligen – ich sage jetzt einmal – Besucher. Natürlich sind im Internet die Noten ausgewiesen, was alles darunter fällt. Ich habe mir das nicht gemerkt. Insgesamt sind es wohl 82 Kriterien. Allein in dem ersten, dem medizinischen Bereich, gibt es wohl 38 Unterfragen. Irgendwo darin bei den vielen 1,0 sieht man plötzlich einmal eine 4,5 oder eine 5,0, und das sind genau die einschlägigen Probleme.

Darüber muss man reden. Wer nichts ausreichend dafür tut, dass Druckgeschwüre eben nicht kommen können – das ist mit Prophylaxe ja gemeint –, und eine 5,0 erhält, der darf keine 1,3 oder 1,4 im Gesamtergebnis haben. Da müssen Sie in dem System unbedingt nachbessern. Dann kann man die Pflegeeinrichtung auch keinem empfehlen.

Oder nehmen Sie den Bereich der Kontrakturen, wo eben nicht ausreichend Bewegungsübungen stattfinden oder keine ausreichende Flüssigkeitszufuhr geleistet wird. Die Arbeit, die in diesen Einrichtungen geleistet wird, ist dann sehr kritikwürdig. Das gehört natürlich in der Gesamtschau dazugesagt.

In der Schule haben Sie doch Folgendes: Wer in Mathe eine Fünf hat, die für die Versetzung wichtig ist, kann das mit einer Sport-Eins nicht ausgleichen, und das ist gut so.

Genau hier muss die Kontrolle dafür sorgen, dass die Noten 1,2 oder 1,4 kritischer betrachtet werden.

Ich bin der Meinung, dass wir in Sachsen sehr wohl unabhängige Pflegestützpunkte haben müssten. Wir haben hier einen „goldenen“ eigenen Weg gefunden. Das ist vielleicht gar nicht schlecht, was die Vernetzung zwischen den Leistungsträgern und den Leistungserbringern betrifft. Aber eine tatsächlich unabhängige Beratung für die Pflegebedürftigen und deren Angehörigen findet insoweit eben nicht statt.

Daher meine ich, dass wir die Chance haben, das nachzubessern, denn es geht genau um diesen Bereich.