Protokoll der Sitzung vom 30.09.2010

Frau Schüßler für die NPD-Fraktion als letzte Rednerin in der ersten Runde der allgemeinen Aussprache.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was zunächst als Eskapade im Sommerloch erschien, hat in den letzten Wochen leider seine traurige Bestätigung erhalten: Die freien Träger sind in das Visier der Staatsregierung geraten. Bereits im Juni hat Herr Kultusminister Wöller die grundlegenden Änderungen genannt, die ab 2011 für die Gründung von Schulen in freier Trägerschaft gelten sollen. Wir werden diesen Plänen als NPD-Fraktion natürlich nicht zustimmen.

Uns geht es in erster Linie um wohnortnahe Schulen für alle sächsischen Kinder, egal, ob in staatlicher oder freier Trägerschaft – also die Ersatzschulen, diese „dritte Welle“, wie es Herr Konrad Schneider, der Sprecher der freien Schulen, so formuliert hat. Das ist der Umstand, den die Staatsregierung durch ihre exzessiven Schulschließungen schon lange nicht mehr garantieren kann.

Der Antrag der SPD beschäftigt sich nun vor allem mit dem Schulgeld, also den Kosten für den Besuch einer freien Schule.

Die ersten zwei Punkte sind lediglich Berichtsbegehren, denen wir natürlich zustimmen können, sofern sie nicht

durch die Antworten der Staatsregierung für erledigt erklärt werden.

Punkt 3 des Antrags ist so allgemein gehalten, dass ich dazu noch eine Bemerkung machen möchte. Dort bezieht man sich auf Artikel 101 Abs. 2 der Sächsischen Verfassung, in dem es wörtlich heißt: „Das natürliche Recht der Eltern, Erziehung und Bildung ihrer Kinder zu bestimmen, bildet die Grundlage des Erziehungs- und Schulwesens. Es ist insbesondere bei dem Zugang zu den verschiedenen Schularten zu achten.“

Dieses natürliche Recht der Eltern wird in der Stellungnahme der Staatsregierung auch nicht bestritten, aber durch die Formel „sozial verträglich bei circa 100 Euro Schulgeld im Monat oder nicht wesentlich mehr“ doch eingeschränkt. Ansonsten wird die Verantwortung den freien Trägern zugeschoben. Von „Sorge tragen“, wie es im Antragstext heißt, kann also keine Rede sein.

Meine Damen und Herren! Wie ich schon eingangs sagte, ist unser Interesse in erster Linie, dass alle Kinder wohnortnah beschult werden können, ungeachtet der Schulträgerschaft und natürlich ungeachtet des sozialen Status der Eltern. Wir werden also zustimmen.

(Beifall bei der NPD)

Ich frage die Staatsregierung, ob sie nach der ersten Runde sprechen möchte. – Das kann ich nicht erkennen.

Ich rufe damit die zweite Runde in der allgemeinen Aussprache auf. Die Fraktionen können noch einmal das Wort ergreifen. – Einen Redewunsch kann ich nicht erkennen. Damit ist die zweite Runde beendet. Möchte die Staatsregierung jetzt sprechen?

(Kurze interne Beratung von Mitgliedern der Staatsregierung)

Ich frage die Staatsregierung, ob sie sprechen möchte. Dazu gibt es nur die Entscheidung ja oder nein. – Nein.

Dann rufe ich die dritte Runde auf. Möchte jemand von den Fraktionen das Wort ergreifen?. – Das kann ich nicht erkennen. Dann frage ich noch einmal die Staatsregierung. – Jetzt möchte sie sprechen. Herr Staatsminister Prof. Wöller, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Lassen Sie mich eine kurze Vorbemerkung zum Thema „freie Schulen“ machen. Schulen in freier Trägerschaft genießen im Freistaat Sachsen seit 20 Jahren Gründungsfreiheit. Die Institution Schule in freier Trägerschaft ist nicht nur gesichert; sie entwickelt sich auch nachhaltig weiter.

Das zweifellos positive Fazit für Privatschulen in Sachsen lautet: Die verfassungsrechtlich verankerte Gründungsfreiheit ist eine klare Absage an ein staatliches Schulmonopol. Der Freistaat Sachsen bietet Raum für vielfältige

Bildungs- und Erziehungsziele. Freie Schulen sind gleichermaßen Grundbaustein wie Spiegel einer pluralistischen Gesellschaft.

Zum Antrag selbst.

Zu 1., der Frage nach der Einhaltung des Sonderungsverbots. Das Sonderungsverbot wird dann verletzt, wenn die Wahl für oder gegen den Besuch einer privaten Ersatzschule von den finanziellen Verhältnissen der Eltern abhängig gemacht wird und damit eine allgemeine Zugänglichkeit nicht mehr gewährleistet ist. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang deutlich gemacht, dass der Begriff „allgemeine Zugänglichkeit“ nicht an die für öffentliche Schulen geltenden Aufnahmeverpflichtungen von schulpflichtigen Schülern zu messen ist oder dieser Verpflichtung sogar gleichgesetzt werden könne. Die Voraussetzungen der allgemeinen Zugänglichkeit zu privaten Ersatzschulen sind vielmehr schon dann erfüllt, wenn die Schule ohne besondere Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der Eltern besucht werden kann.

Zu 2., der Frage nach der Vereinbarkeit der Erhebung eines Schulgeldes mit der Sächsischen Verfassung.

Erstens. Artikel 102 Abs. 4 der Sächsischen Verfassung statuiert die von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts aus Artikel 7 Abs. 4 Grundgesetz abgeleitete finanzielle Förderung von Ersatzschulen für den Freistaat Sachsen.

Zweitens. Artikel 104 Abs. 2 Satz 2 der Sächsischen Verfassung knüpft mit dem Begriff „gleichartige Befreiung“ an die in Artikel 102 Abs. 4 Satz 1 der Sächsischen Verfassung für öffentliche Schulen geltende Vorschrift an und stellt mit dem in Satz 1 genannten „unentgeltlichen Angebot an Unterricht und Lernmitteln“ auf die Gesamtheit der für den Schulbetrieb von Ersatzschulen aufzuwendenden Kosten, das heißt insbesondere Personal- und Sachkosten, Anschaffungs- und Unterrichtskosten, ab.

Drittens. Artikel 102 Abs. 4 Satz 2 der Sächsischen Verfassung regelt die Förderung nur dem Grunde, nicht der Höhe nach. Im Ergebnis der verfassungsimmanenten Auslegung schuldet der Freistaat Sachsen daher keine vollständige Kostenerstattung, sondern einen Beitrag zur Bewältigung der finanziellen Belastung von Ersatzschulen. Dieser Beitrag muss allerdings so bemessen sein, dass der institutionelle Bestand von privaten Ersatzschulen gesichert ist.

Viertens. Die Verpflichtung zum Finanzausgleich steht in keinem streng proportionalen Verhältnis zu den an privaten Ersatzschulen entstandenen Kosten. Deshalb kann die in Artikel 102 Abs. 4 Satz 2 der Sächsischen Verfassung gewählte Formulierung über die Unentgeltlichkeit von Unterricht und Lernmitteln nicht isoliert betrachtet werden. Sie ist insbesondere kein Synonym für die Befreiung von einem sozial verträglichen Schulgeld.

Fünftens. Die Erhebung von Schulgeld ist im Ergebnis mit der Sächsischen Verfassung vereinbar.

Jetzt zum dritten Punkt des Antrags, der Aufforderung, dafür Sorge zu tragen, dass allen Eltern die Wahl einer freien Schule nicht aus wirtschaftlichen Gründen unmöglich ist. Es gehört zum Wesen der Privatschulfreiheit, dass Eltern ein freies Wahlrecht zwischen öffentlicher und privater Schule haben. Es gehört aber auch zum Wesen der Privatschulfreiheit, dass sich private Schulträger finanziell engagieren und für ihren Schulbetrieb wirtschaftliche Grundlagen schaffen, indem sie beispielsweise Schulgeld erheben. Ich möchte noch einmal betonen, dass für die Einhaltung des Sonderungsverbots die Schulträger die Verantwortung tragen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Möchte noch ein Abgeordneter in der allgemeinen Aussprache das Wort ergreifen? – Das kann ich nicht erkennen. Damit kommen wir zum Schlusswort. Frau Dr. Stange.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Wöller hat sich soeben offenbar für das Plädoyer vor dem Verfassungsgericht qualifiziert; so hat es sich zumindest angehört. Wir konnten wortwörtlich nachlesen, was uns in der Stellungnahme zu diesem – ich denke, hochsensiblen – Thema an juristischen Spitzfindigkeiten vorgelegt worden ist.

Ich habe vorhin deutlich artikuliert, was in unserer Verfassung steht. Ich will es nicht noch einmal zitieren, aber doch betonen, dass die freien Träger in der Frage der Schulgelderstattung nicht alleingelassen werden dürfen. Die Diskussion vor dem Verfassungsgericht wird sicherlich interessant.

Ich möchte an dieser Stelle noch einen Fakt erwähnen, der vorhin und auch im Kontext des Antrags wenig Berücksichtigung gefunden hat. Wenn Sie einmal in die Statistik schauen, welche Schüler vor allen Dingen von der Frage des Schulgeldersatzes betroffen sind, dann sind das vor allen Dingen Schüler im berufsbildenden Bereich, dort wiederum im BVJ und im BGJ.

Vor mir saßen Eltern – vielleicht ist es den Kolleginnen und Kollegen von der CDU- und der FDP-Fraktion auch so gegangen –, die händeringend darum gebeten haben, dass wir in diesem Punkt etwas tun. Der einzige Strohhalm, den sie noch hatten, wenn es um die Frage ging, ob ihr Kind eine Berufsausbildung bekommt, war eine freie Schule, das heißt der Zugang über das BVJ. Dafür haben sie bisher einen Schulgeldersatz erhalten, mussten also kein Schulgeld bezahlen. Ab dem kommenden Jahr müssen diese Eltern Schulgeld bezahlen. Ich will auch auf die persönliche Dramatik, nicht nur auf die juristische Sichtweise aufmerksam machen.

Ich möchte noch kurz auf einige Punkte eingehen.

Herr Colditz, ich stimme Ihnen hundertprozentig zu, dass es sich um eine komplexe inhaltliche Diskussion handelt. Genau deshalb haben wir den Antrag heute gestellt und

nicht einfach in der Haushaltsdiskussion „verwurschtelt“. Ich wünsche uns, dass wir auch im Ausschuss die Gelegenheit finden, uns über die Zukunft der Schulen in freier Trägerschaft und über die Autonomie der allgemeinbildenden staatlichen Schulen zu verständigen.

Sehr geehrter Herr Bläsner, auch uns ist daran gelegen – der Antrag war nicht dazu geeignet, darüber zu diskutieren –, dass die Schulen in freier Trägerschaft sich durch inhaltliche pädagogische Konzepte besonders auszeichnen. Diese sind sehr streng verbunden mit der Autonomie dieser Schulen. Das ist ein Punkt, den wir auch den staatlichen Schulen gern zugestehen möchten.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der Linksfraktion)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe aus der heutigen Diskussion mitgenommen – ich hoffe, Sie auch –, dass es im Parlament, insbesondere bei den Koalitionsfraktionen, viel Nachdenken gibt über das, was die Landesregierung uns vorgelegt hat, und über die Frage, wie es in den nächsten Monaten korrigiert werden kann.

Ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen.

Ich hoffe, dass es uns gemeinsam gelingt und damit die Existenz und die Zukunft der Schulen in freier Trägerschaft gesichert werden kann.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Es war namentliche Abstimmung namens der SPD-Fraktion durch Frau Dr. Stange beantragt worden. Wir werden so verfahren und ich übergebe an den Schriftführer zum namentlichen Aufruf der Abgeordneten des Sächsischen Landtages.

Wir beginnen heute mit dem Buchstaben „J“.

(Namentliche Abstimmung – Ergebnis siehe Anlage)

Meine Damen und Herren! Mir liegt die Auszählung der namentlichen Abstimmung vor. Für den Antrag der SPD-Fraktion „Sicherung des freien Zugangs zu freien Schulen“ haben in der namentlichen Abstimmung 48 Abgeordnete gestimmt. Gegen den Antrag haben 66 Abgeordnete gestimmt. Damit ist die Drucksache 5/3485 nicht beschlossen.

Es gibt noch eine Wortmeldung; Herr Flath, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte von dem Recht Gebrauch machen, das Abstimmungsverhalten der Mitglieder der CDUFraktion zu erklären. Die Mitglieder der CDU-Fraktion haben geschlossen mit Nein gestimmt, weil wir als größte