Protokoll der Sitzung vom 03.11.2010

Zur Sache ist zu sagen, dass die gemeinsame Entscheidung von Kultus- und Wissenschaftsministerium den Meldungen zufolge – auch von Ihnen, Herr Kollege Schneider, habe ich nicht mehr gehört als das, was in der Zeitung stand – bei der Bekanntgabe als die Korrektur eines Fehlers inszeniert wurde.

Die Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg – so heißt es in diesen Meldungen – hätten am Staatsexamen festgehalten. Warum ausgerechnet Sachsen, das ansonsten doch nahezu alles aus Bayern und Baden-Württemberg kopiert hat – wir sind ja förmlich ein kleiner Klon –, hier einen anderen Weg gegangen ist, wurde den Journalisten anscheinend nicht gesagt.

Welche Expertisen, welche empirischen Untersuchungen liegen denn dieser Entscheidung zugrunde? Was haben Sie an Material gesammelt? Das würde ich gern hören.

Im Zusammenhang mit Bachelor- und Masterabschlüssen haben wir doch bisher immer nur diskutiert, es seien Strukturen ohne Inhalt. Wir hatten doch x-mal Bachelor- und Masterstudiengänge hier zur Debatte. Plötzlich erweist sich das als ungeeignet für die Lehrerausbildung. Der in der Presse zitierte Satz beider Staatsminister – ich zitiere – „Durch eine staatliche Prüfung kann die Qualität der Ausbildung besser gesteuert werden“, meine Damen und Herren, ist doch nichtssagend, um nicht zu sagen, er ist inhaltsleer und eignet sich bestenfalls für die Einleitung. Der Haupttext fehlt. Er fehlt mir, Herr Kollege Schneider.

(Beifall bei den LINKEN und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Gibt es andere als sachimmanente Qualitätsgründe für die schnelle Umorganisation des Studiums schon für das Wintersemester 2011/2012? Lag es wirklich nur an der hohen Abbrecherquote? Das haben Sie eben noch einmal erwähnt. Wir lesen, dass die Reform der Reform nötig geworden sei, weil das Studium für angehende Lehrer zu lang gewesen sei, und es habe daher abschreckend gewirkt. Darum werde man nun die Ausbildung für Grund- und Mittelschullehrer kürzen und die Studiengänge wieder stärker auf den jeweiligen Schultyp zuschneiden. Das Referendariat soll um die Hälfte auf ein Jahr verkürzt werden. Wie sich das mit einer höheren pädagogischen Qualifizierung verträgt, haben Sie nicht gesagt.

Will man mit der Ausbildungsverkürzung nur dem drohenden Lehrermangel vor allem an den Grundschulen begegnen? Gibt es noch andere Gründe? Trifft am Ende die Vermutung der Lehrergewerkschaft GEW zu, wonach man vom Bachelor- und Masterstudium Abstand nimmt,

weil dieses die Lehrer an Grundschulen, Mittelschulen und Gymnasien egalisiert? Grundschullehrer hätten danach das gleiche Gehalt wie Gymnasiallehrer verlangen können. Wenn die Studiendauer verkürzt wird, ist der Lohnunterschied zu rechtfertigen. Für diese Interpretation spricht doch auch, dass der standesbewusste Philologenverband die geplante Wiedereinführung des Staatsexamens lobt.

Allerdings beanstandet selbst der Philologenverband eine Verkürzung der pädagogischen Ausbildung und kritisiert, dass der Freistaat dem sich abzeichnenden Lehrernotstand auf Kosten der Ausbildungsqualität begegnen wolle. Der Philologenverband argumentiert also genau umgekehrt, wenn er sagt: Die Qualifizierung nimmt durch diese Verkürzung ab.

Im Blick auf die Verkürzung der Ausbildung könnten auch finanzpolitische Überlegungen eine Rolle gespielt haben, denn so ließen sich Einsparungen auf dem Ausbildungssektor ebenfalls begründen.

Die Redezeit, Herr Kollege!

Ich bin gleich zu Ende. – „Brauchen Lehrer von kleinen Kindern wirklich nur eine kleine Ausbildung?“ fragt Justus Bender in der „Zeit“. Man kann nur sagen: Das Ganze ist ein Trauerspiel; es offenbart die kurzatmige, weil auch derart konzeptionslose Herumexperimentiererei auf diesem Feld, und für die Zukunft der nächsten Generation ist Schlimmes zu befürchten. Wir müssen befürchten, dass die verunsicherten jungen Lehrer, die angehenden Lehrer abwandern werden.

Ihre Redezeit ist zu Ende.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Das war der Abg. Prof. Besier für die Fraktion DIE LINKE. – Als Nächstes die SPD-Fraktion mit Frau Kollegin Stange. Bitte, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Besier, es ging nicht nur Ihnen im Wissenschaftsausschuss so, sondern auch im Schulausschuss wurden wir erst nach der Ausschusssitzung in einer Randbemerkung des Kultusministers darüber informiert, dass am nächsten Tag verkündet wird, dass die Lehramtsausbildung grundsätzlich reformiert werden soll. Ein beachtlicher Vorgang!

Die Landesregierung hat sozusagen eine Re-Reform der Lehramtsausbildung vorgelegt, die ich einfach nur als Murks bezeichnen kann. Das, was Sie hier vorgetragen haben, Herr Schneider und Herr Bläsner, zeugt von

absoluter Unkenntnis dessen, was bei der Lehramtsausbildung an den Universitäten tatsächlich abläuft.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN – Zuruf des Abg. Prof. Dr. Günther Schneider, CDU)

Was hier an den Tag gelegt wird, zeugt von hilflosem Aktionismus. Gestern wurde noch ein Standort geschlossen, heute sollen sogar drei Standorte geöffnet werden. In Chemnitz gibt es überhaupt keine Voraussetzungen mehr für eine Lehramtsausbildung.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Günther Schneider, CDU)

Aber man ist ja zu neuen Erkenntnissen gekommen. Man ignoriert die langjährige Kritik und die wissenschaftlichen Empfehlungen, die für die Weiterentwicklung der Lehramtsausbildung selbst von der Kultusministerkonferenz mit Stimmen Sachsens im Jahr 2004 beschlossen worden sind. Man kehrt zurück in eine Zeit der Vor-PISA-Ära.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Günther Schneider, CDU)

Prima für den PISA-Sieger Sachsen! Nicht die Qualität der Lehramtsausbildung, Herr Schneider, steht im Zentrum der Veränderung

(Prof. Dr. Günther Schneider, CDU: Natürlich!)

Sie haben nicht ein einziges Wort zur Qualität der Lehramtsausbildung gesagt, sondern es sind ausschließlich die Ressourcen, die die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen in die Lehrerausbildung zu investieren bereit sind: nämlich weniger. Es liegt keine Evaluierung vor, Herr Bläsner – nicht eine einzige –; denn die veränderte Lehramtsausbildung hat erst im Jahr 2005/2006 an der Universität Leipzig begonnen, und noch kein einziger Student hat auf dieser Grundlage sein Studium abgeschlossen.

Hinter verschlossenen Türen, ohne Einbindung der Kompetenz der Zentren für Lehrerbildung, unter Ignorieren aller wissenschaftlichen und KMK-Empfehlungen und ohne gesetzliche Grundlage wird entgegen dem Verfahren, das in anderen Ländern üblicherweise der Fall ist, allein vom grünen Tisch der Ministerien aus in einen der komplexesten und wichtigsten – das haben alle betont – Ausbildungsbereiche hineinregiert. Anders kann ich es nicht bezeichnen.

Akkreditierte Studiengänge an beiden Universitäten und an den Musikhochschulen, die mehr als 30 Fächer an diesen Universitäten umfassen und fast alle Fakultäten betreffen, werden handstreichartig innerhalb kürzester Frist infrage gestellt. Sind Sie sich der Dimension dessen, was Sie da gerade tun, eigentlich bewusst?

(Prof. Dr. Günther Schneider, CDU: Wir sind uns der Notwendigkeit bewusst!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es geht nicht darum, mehr junge Lehrer an Sachsens Schulen zu bekommen, denn dann hätte man in diesem Jahr die Zahl

der Neuzulassungen bei den Referendaren deutlich aufgestockt.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

89 – 89! – Neuzulassungen bei den Grundschulreferendaren – Herr Schneider, hören Sie genau zu! –, 109 Neuimmatrikulationen im Masterstudiengang an der Universität Leipzig im Grundschullehramt bei einem Bedarf ab dem Schuljahr 2012/2013 von 300 Grundschullehrern, den das Kultusministerium selbst festgestellt hat. Woher diese kommen sollen, hat uns bisher noch niemand erklärt. Beim Mittelschullehramt sieht es, weil sehr viele Studierende nicht von Dresden nach Leipzig gegangen sind, derzeit so aus, dass es lediglich acht Immatrikulationen im Masterstudiengang für das Mittelschullehramt in Leipzig gegeben hat. Sage und schreibe acht! Ab dem Jahr 2014 werden 300 neue Mittelschullehrerinnen und Mittelschullehrer benötigt, um den Bedarf zu decken. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das zeugt nicht davon, dass man junge Lehrer in Sachsen behalten will.

Lassen Sie mich an dieser Stelle noch einen Punkt nennen. Das Pädagogikstudium – Herr Schneider, wir sprechen eben nicht von einem Pädagogikstudium, sondern wir sprechen in diesem Fall von einem Dreifachstudium; das macht gerade die Komplexität aus –

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Günther Schneider, CDU)

kann man nicht einfach um ein Jahr verkürzen und eine gleichzeitige Verkürzung des Referendariats der Praxisphase vornehmen. Haben Sie schon einmal in die Studienordnung geschaut? –

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Günther Schneider, CDU)

Dann wäre Ihnen aufgefallen, dass mit der Reform 2005 die von Ihnen genannten Praxisphasen während des Studiums mehr als verdoppelt worden sind und an der Universität Dresden und gleichermaßen an der Universität Leipzig bereits im ersten Semester beginnen.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Günther Schneider, CDU)

Mit einer Verkürzung des Studiums können Sie die Praxisphasen nicht ausdehnen, wie Sie es planen. Wo bleibt die Attraktivität? Es wird noch mehr Studierende in die Ausbildung zum Gymnasiallehramt treiben, wenn die Grundschullehrer und die Mittelschullehrer als Lehrer zweiter Klasse abgestuft werden. Das wird die jungen Abiturienten in andere Bundesländer treiben, was den Effekt hat, dass wir in den nächsten Jahren Lehrer aus anderen Ländern teuer einwerben werden, vielleicht sogar wieder mit dem Beamtenstatus.

Die Redezeit geht zu Ende.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was Sie hier vorgelegt haben – ich

sage es noch einmal –, ist nicht nur Murks, sondern zeugt von einer tiefen Unkenntnis dessen, was an den Universitäten im Rahmen der Lehramtsausbildung bereits geleistet worden ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Das war die Abg. Stange von der SPD-Fraktion. – Als Nächstes spricht für die Fraktion der GRÜNEN Frau Kollegin Giegengack.

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Was sagt denn Herr Colditz dazu?)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte es gleich vorwegschicken – denn wir werden manchmal als „Partei des Dagegen“ tituliert –: Auch wir sehen Entwicklungsbedarf bei der Lehramtsausbildung; keine Frage. Gerade aufgrund der Umstellung auf den Bachelor- und Masterstudiengang und vor dem Hintergrund des sich abzeichnenden Lehrkräftemangels müssen wir da sicherlich nachsteuern. Wir haben deswegen am 13. Oktober einen eigenen Antrag, lange mit dem Fachbereich Hochschule und Schule in unserer Fraktion diskutiert, dazu eingebracht. Am 18. Oktober wurde unser Antrag im Hochschulausschuss zur Anhörung im Januar verwiesen und am Nachmittag haben wir erfahren, dass die Staatsregierung einen kompletten Umbau der Lehramtsausbildung vorsieht.

Unser Antrag enthält eine Reihe von Vorschlägen zur Weiterentwicklung des Lehramts. Wir wollen die bildungswissenschaftlichen Anteile erreichen, wir wollen einen nahtlosen Übergang vom Bachelor- auf das Masterstudium stärken, wollen also gern grundlegende Probleme lösen. Sie können das unserem Antrag entnehmen. Was uns wichtig ist: dass wir vor allem die Professoren, die Studenten und die Praktiker, also die Lehrer, in diese Debatte einbeziehen. Was die Staatsregierung macht, ist eine radikale Umstellung der Lehramtsausbildung ohne eine breite Diskussion, und das halte ich für eine sehr schwierige Angelegenheit.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Abg. Dr. Eva-Maria Stange, SPD)