Protokoll der Sitzung vom 04.11.2010

Zu den Ritualen. Zweimal im Jahr, im Mai und November, finden Steuerschätzungen statt. Finanzminister nutzen das in aller Regel, um ihre Politik zu erklären. Opposition und Gewerkschaften hingegen verteufeln dann genau diese Begründung, diese Politik, diese Entscheidung. Das sehen wir auch heute. Wir werden es in den nächsten Tagen und Wochen live mehrfach erleben müssen. Zweimal im Jahr schmieden Sie hier ein Bündnis gegen die Regierung und deren Vorschläge. Aus den gleichen Zahlen ziehen Opposition und Gewerkschaften ganz andere Schlussfolgerungen als die Regierung, völlig ohne Moral und Anstand. Wir erleben es hier: Es geht schlichtweg nur um Konsumieren und Verfressen.

(Beifall bei der FDP – Dr. André Hahn, DIE LINKE: Bei der Regierung!)

Meine Damen und Herren! Über den Antragsteller, die SPD, verrät uns der Titel auch einiges. Sie gibt sich ein kuscheliges Selbstbild als diejenige, der die Kommunen am Herzen liegen, und als diejenige, die sich hier als Heilsbringer vor die Kommunen stellt.

(Beifall bei der SPD)

Außer Ihnen scheint das im Land niemand wahrzunehmen; denn sonst hätten Sie auch ein paar Bürgermeister mehr, die das gleiche Parteibuch haben wie Sie, Frau Dr. Stange. Die SPD hat deutlich weniger Bürgermeister. Die FDP hat mehr als die Linkspartei, SPD und GRÜNE zusammen. Das sollten Sie zur Kenntnis nehmen.

Das hat mit Sicherheit auch Gründe, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

Was verrät uns die Debatte über die Wirklichkeit? Ich sagte: nichts. Sie sprechen hier über Steuermehreinnahmen so, als läge das Geld schon in irgendeinem Safe im Finanzministerium, und als müsste Prof. Georg Unland nur noch den Safe öffnen, losgehen und das Geld unter den Kommunen und den Bürgermeistern verteilen. Genau das ist aber nicht der Fall, meine Damen und Herren.

Wenn wir uns die Steuerschätzungen der letzten Jahre einmal ansehen und analysieren, sehen wir, dass sie grundsätzlich zu hoch sind. Sie müssen in der Realität immer wieder nach unten korrigiert werden. Es handelt sich nicht um tatsächliche Einnahmen, wie Sie uns hier weismachen wollen, sondern lediglich um hochgeschraubte Erwartungen.

In Anbetracht der vorausrechenbaren stetigen Einnahmenrückgänge infolge des demografischen Wandels sowie der Degression und der wenig berechenbaren Ausfälle infolge der Finanzkrise sind diese Steuermehreinnahmen, die man vielleicht erwarten kann, nicht mehr als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein, meine Damen und Herren.

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Dreistellige Millionenhöhe!)

Damit dieser Tropfen auf den heißen Stein nicht einfach nutzlos verdampft, muss man eines machen: nicht das, was Sie vorschlagen, nämlich sinnlos prassen, sondern man muss Kurs halten. Man muss nachhaltig investieren, damit genau dieser Tropfen nicht einfach nur verdampft. Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, ist Ihre Debatte einfach nur das Schüren unrealistischer Erwartungen und zeugt von hochgradiger Verantwortungslosigkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Was Sie machen, ist populistisches Säbelrasseln, doch seriöse Finanzpolitik, meine Damen und Herren, sieht anders aus. Wir werden dann, wenn die Steuermehreinnahmen tatsächlich in den Kassen sind, diese nutzen, wenn sie verfügbar sind. Wir werden klug investieren, und natürlich werden wir das zum Wohle der Kommunen und im Interesse des Gemeinwohls tun. Aber, meine Damen und Herren – das unterscheidet uns, die schwarzgelbe Regierungskoalition, von Ihnen –: Wir verteilen das Fell des Bären erst dann, wenn der Bär erlegt ist, und nicht, so wie Sie, andersherum.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Für die FDP-Fraktion sprach der Abg. Karabinski. – Nun folgt die Fraktion GRÜNE; Frau Kollegin Hermenau.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Kommen wir noch einmal zurück auf die Steuerschätzung, die heute stattfindet. Heute Nachmittag sind wir alle klüger. Inzwischen sind die Schätzungen schon bei fast 400 Millionen Euro für Sachsen. Mal sehen, was uns heute Nachmittag ins Haus steht; wir werden es sehen.

Aber was wird denn nun mit diesem Steuerplus? Bekommen die Kommunen vielleicht einen Schlag extra? Das ist die Frage, die die SPD hier aufgeworfen hat. Die Kommunen werden sowieso beteiligt werden – das ist ganz normal –, durch den Mechanismus im kommunalen Finanzausgleich auf der einen Seite, und wahrscheinlich wird hier und da auch eine Gewerbesteuereinnahme steigen. Das ist zunächst einmal klar.

Aber unabhängig davon kann man natürlich darüber sprechen, wie im Freistaat Sachsen mit den Kommunen umgegangen wird. Grundlagen sind das Haushaltsgesetz und das Siebente Gesetz zur Änderung des Kommunalen Finanzausgleichs, und dort § 23, der Kommunale Vorsorgefonds. Dort sollen fast 200 Millionen Euro für 2011 und 2012 herausgenommen werden – das ist bis jetzt die Vereinbarung – und in die Gesamtschlüsselmasse fließen, um die Zuweisungen zu stabilisieren.

Das kann man so machen. Aber in § 11 des Haushaltsgesetzentwurfs, den wir jetzt im Parlament behandeln, steht, dass die Rücklage nicht aufgelöst werden muss. Sie kann auch für Investitionen im Staatshaushalt eingesetzt werden. Das ist das, was die Kommunen immer befürchtet haben. Wir werden uns die Details genau anschauen müssen, um festzustellen, was das bedeutet. Es kann doch nicht sein, dass Geld, das für die Kommunen zurückgelegt wird, vom Staatshaushalt aufgefressen wird. Also ist die Frage, ob daraus zum Beispiel der Schulhausbau außerhalb des KFAG finanziert werden soll. Dann schauen wir uns das einmal genau an. Wir werden im Ausschuss klären müssen, was damit gemeint ist, und das Haushaltsverfahren liegt in den Händen des Parlaments.

Aber wir haben ja – für die, die es nicht wissen – ungefähr 2,5 Milliarden Euro, die über den kommunalen Finanzausgleich an die Kommunen gehen werden, und ungefähr 2,5 Milliarden Euro, die eigentlich über die Ministerien in verschiedenen Programmen an die Kommunen gehen. Es ist schon interessant zu erfahren, wie es da weitergehen soll; denn ein Großteil der Einsparungen, die im Entwurf enthalten sind, betrifft genau diese Ausgaben der Ministerien an die Kommunen in den einzelnen Programmen. Wir haben gestern hier eine Demonstration erlebt. Dabei ging es auch um so eine Auswirkung, nämlich um die Frage, was auf kommunaler Ebene im Bereich Jugend- und Sozialarbeit gefördert wird. Die Schlüsselmasse muss ja neu angepasst und festgelegt werden.

Ich rechne also mit einer Ergänzungsvorlage des SMF für unsere Beratungen. Wir werden im KFAG die Summen anpassen müssen. Aber, wie gesagt, der Haushalt ist in den Händen des Parlaments, und die Entscheidungen werden hier getroffen und nicht später, im nächsten oder übernächsten Jahr in den Ministerien und am Kabinettstisch. Man muss sich genau überlegen, was man da machen will.

Wir hatten im Haushalts- und Finanzausschuss eine Anhörung zu diesem Thema. Wenn man da schaut, was den Kommunen wirklich auf den Nägeln brennt – die

waren ja sehr präzise –, kann man das Punkt für Punkt abhandeln.

Zum Ersten haben die Kommunen gesagt, dass die Kosten der Unterkunft arg drücken und dass sie sich wünschen würden, dass sich der Bund stärker beteiligt. Das ist ein Handlungsauftrag an Sie, Herr Ministerpräsident: dass sich Sachsen in Berlin engagiert und dafür sorgt, dass das bessergestellt wird.

Das Nächste ist die Frage der Wohngeldentlastung. Hier hat Landrat Scheurer für den Landkreistag vorgetragen, dass man sich wieder an den Berechnungen aus dem Jahr 2005 orientieren sollte. Auch das würde einen Gang nach Berlin bedeuten, wo Sie als Land, als Treuhänder der Kommunen und deren Arbeits- und Politikfähigkeit aufgefordert sind, sich beim Bund dafür einzusetzen, die Mehrbelastungen der Kommunen, die durch die Wohngeldnovelle ausgelöst wurden, der Sie als Freistaat Sachsen zugestimmt haben, wieder zurückzunehmen und den Kommunen das Leben zu erleichtern.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der Abg. Annekatrin Klepsch, DIE LINKE)

Die Kommunen brauchen Zeit, um den Kürzungsprozess vorzubereiten, den man natürlich im Laufe der Jahre anpeilen muss, wenn man weiß, dass man weniger Einnahmen haben wird, und zwar berechenbar weniger aufgrund der geringeren Mittel aus Berlin und aus Brüssel. Das haben Sie sich bei diesem Entwurf nicht gegönnt, sondern Sie machen „Aus die Maus“.

Man könnte das natürlich auch anders gestalten. Jetzt gibt es von der CDU aus Leipzig den Antrag, das kostenfreie Vorschuljahr ein bisschen länger zu erhalten. Sie können sich ja mit Ihren Parteigenossen noch einmal darüber unterhalten.

Dann gibt es den Vorschlag, den öffentlichen Personennahverkehr zu stabilisieren, indem man die Bundesmittel eins zu eins weiterreicht. Dafür brauchen wir nicht eine einzige Puseratze aus den Steuermehreinnahmen. Das geht ganz allein dadurch, dass Sie das Geld ordentlich weiterreichen und nicht als Schwamm auf Landesebene das Geld aufsaugen, das den Kommunen gehört.

(Beifall bei den GRÜNEN und des Abg. Martin Dulig, SPD)

Das Nächste ist die Frage Kulturraumgesetz. Dort gibt es jetzt schon leichte Veränderungen, aber es wäre doch ganz einfach, ein paar Steuermehreinnahmen dafür zu verwenden, dass die Kommunen zwei Jahre Zeit haben, im Rahmen des Kulturraumgesetzes die Zukunft der Landesbühnen ordentlich und vernünftig zu klären. Es besteht überhaupt keine Not, diesen Stress bei so vielen Menschen auszulösen, die sich darum bemühen, dass Sachsen ein Kulturland bleibt.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Dasselbe gilt für die Jugend- und Sozialarbeit. Die gestrige Demonstration draußen würde ich an Ihrer Stelle nicht

unterschätzen. Das waren über 10 000 Leute; da bahnt sich etwas an. Sie können das natürlich ignorieren, wenn Sie der Meinung sind, dass Sie da fest im Sattel sitzen. Das ist Ihre Sache. Das hatten wir alles schon einmal, das kennen wir alles noch, aber egal. Ich finde, man muss darüber nachdenken, wie man damit verfährt.

Eines ist klar: Augenmaß werden wir brauchen. Denn ob es mit den guten Steuereinnahmen so weitergeht, ist mehr als offen. Das hat etwas mit Situationen und Bedingungen zu tun, die weit jenseits der Handlungs- und Entscheidungskompetenzen unseres Freistaates liegen.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Das war Frau Kollegin Hermenau, Fraktion GRÜNE. – Als Nächster spricht der Abg. Müller für die NPD-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst auf die Ausgangslage zurückblicken. Der Freistaat war ja bisher immer der Musterschüler, was Finanzen betrifft, aber – und das ist das große Aber, das aus den Kommunen auch aus dem etablierten Bereich zu hören ist – eben zulasten der Kommunen. Das Musterknabenimage hat natürlich jetzt auch gelitten. Ich nenne nur Sachsen LB und solche Dinge wie den City-Tunnel, wo man plötzlich Finanzforderungen in Größenordnungen gegenübersteht. Aber summa summarum steht der Freistaat selbst immer noch deutlich besser da als seine Kommunen.

Deshalb wird es ein Dauerziel der NPD-Fraktion sein, den Verteilungsschlüssel im FAG zugunsten der Kommunen zu verändern. Das ist, was die Haushaltsdinge betrifft, für uns ein ganz wichtiger Punkt.

Nun stehen wir an dem Tag, an dem die NovemberSteuerschätzung kommen soll, mit einer Aktuellen Debatte da. Bis jetzt liegen leider Gottes keine verlässlichen Zahlen vor. Ich habe um neun noch einmal bei dpa nachgeschaut. Dort rechnet man mit etwa 60 Milliarden Euro Mehreinnahmen für Bund, Länder und Kommunen bis 2012. Was dann im Freistaat ankommen wird – möglicherweise 400 Millionen Euro –, sollte aus Sicht der NPD-Fraktion zumindest zum Erhalt zukunftswichtiger Strukturen eingesetzt werden.

Nachhaltig ist aus Sicht der NPD-Fraktion zum einen die Förderung von Kindern, Familien, Bildung und zum anderen der Erhalt von Infrastruktur. Ich meine damit nicht nur die bedrohten Eisenbahnstrecken, die uns natürlich sehr am Herzen liegen, sondern auch den Erhalt der Kulturlandschaft, also Stichworte Orchester, Theater.

Um es konkret zu machen: Wir möchten, dass, wenn Geld im Freistaat ankommt, die Kürzungen bei der Jugendpauschale und beim Landeserziehungsgeld zurückgenommen werden. Im Moment sollen beim Landeserziehungsgeld 2011 4,9 Millionen Euro weniger und 2012 noch einmal 2,8 Millionen Euro weniger gegenüber 2010 ausgezahlt werden.

Herr Bandmann hat die demografische Problematik schon angesprochen. Ich frage Sie: Was tun wir denn sonst überhaupt noch für den Nachwuchs? Wir sollten die Familien zu einem zweiten oder dritten Kind motivieren. Das Landeserziehungsgeld ist doch eine der wesentlichsten Säulen, die wir in diesem Bereich haben. Wenn wir die demografische Entwicklung nicht wenigstens abmildern und mittelfristig umkehren können, brauchen wir uns über die Zahlen, die wir jetzt haben, perspektivisch überhaupt nicht mehr zu unterhalten.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch einmal das kostenfreie Vorschuljahr ansprechen. Irgendwo muss man sich natürlich als Elternteil oder als Alleinerziehender verklapst vorkommen. Diese Menschen haben damit gerechnet, dass sie ihr Kind im letzten Kindergartenjahr, im Vorschuljahr, irgendwo kostenfrei unterbringen können. Jetzt sind Dinge, die vor wenigen Jahren noch funktioniert haben, plötzlich weg. Es gibt keine Planungssicherheit.

Der zweite Punkt – ich hatte ihn schon angesprochen – ist das Thema ÖPNV, Auswirkungen auf den ländlichen Raum. Reiner Zieschank vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen meinte, wenn die verminderte Ausschüttung des Freistaates wirklich auf die Kosten umgelegt würde, käme es zum Beispiel im regionalen Busverkehr zu Kostensteigerungen bis zu 50 %. Ich denke, so schlimm wird es nicht kommen. Aber wenn man sich zum Beispiel das Gebiet des ZVON, also den Landkreis Görlitz und Teile des Landkreises Bautzen ansieht, droht im Moment schon eine Tariferhöhung von 7 %, und das bei einem Mix von Einsparungen aus Investitionsmaßnahmen, die man streicht, und von Verwaltungskosten, die man zum Teil zurückfährt. Ich denke, eine Erhöhung der Tarife um 7 % wird keine Motivation sein, auf den öffentlichen Personennahverkehr umzusteigen.

In meinem Heimatverkehrsverbund, also im VVO, ist jetzt ein Mix von Investitionsstopp, Fahrplanreduzierung und auch Streckenstilllegungen schon angedacht. Ich denke, Streckenstilllegungen wären das Allerschlechteste, was wir uns jetzt leisten können. Wir haben in Sachsen ohnehin schon ein erheblich ausgedünntes Eisenbahnnetz. Die jetzt noch erhaltenen Strecken waren eigentlich schon so weit vorgeprüft, dass sie mittelfristig erhaltungswürdig sind.