Protokoll der Sitzung vom 14.12.2010

(Beifall bei den LINKEN)

Vielen Dank, Frau Bonk. – Für die Fraktion der SPD spricht nun Herr Abg. Panter. Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Verfassung, das Grundgesetz, regelt einen für unsere Demokratie ganz wichtigen Grundsatz. In Artikel 5 steht die Informations- und Meinungsfreiheit. Gleichzeitig mit dieser Regelung werden aber auch die Grenzen und Schranken dieser Meinungsfreiheit deutlich definiert. Eine dieser Schranken ist der Schutz unserer Kinder und Jugendlichen.

Daher war es nicht verwunderlich, dass wir in der öffentlichen Anhörung zum Jugendmedienschutzstaatsvertrag von allen Experten und Expertinnen gehört haben, dass der Jugendmedienschutz gestärkt werden soll. Diesem Ziel sieht sich auch meine Fraktion verpflichtet. Das ist ganz klar. Allerdings hat die Expertenanhörung zum Vierzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag auch ergeben, dass dieser Staatsvertrag seinem hohen Anspruch

leider Gottes nicht gerecht werden kann. Der Vertrag ist reines Stückwerk. Es wird nur so getan, als könnte man die anerkannten Ziele, die wir haben, erreichen. Das ist aber leider nicht der Fall.

(Robert Clemen, CDU: Das wissen wir doch noch gar nicht!)

Wir haben an verschiedenen Stellen bereits gehört, dass es eigentlich nur eine Novelle ist, die das Jugendmedienschutzgesetz von 2002 und die dort gefundene „regulierte Selbstregulierung“ nur weiterentwickeln soll. Das ist auch nicht der eigentliche Kritikpunkt. Man muss auch anerkennen, dass sich seit 2002 die Netzrealität natürlich verändert hat. Während damals der Jugendmedienschutz auf relativ genau adressierte Akteure getroffen ist, hat man es mittlerweile in diesem Mitmach-Internet mit einer Vielzahl von Contentproduzenten zu tun. Mittlerweile wird es Web 2.0 genannt, um diese Weiterentwicklung auch zu dokumentieren.

An dieser Stelle laufen reine technische Schutzmechanismen ins Leere, da sie schlicht und ergreifend die im Netz vorhandenen Probleme, gerade was den Jugendmedienschutz betrifft, nicht wirksam bekämpfen können. Es gibt zusätzlich auch die Möglichkeit der Zertifizierung. Damit gibt es ein weiteres Umsetzungsproblem, denn eine Zertifizierung oder freiwillige Kennzeichnung mutet so ein bisschen wie eine moderne Form von Hase und Igel an.

Wenn man sich allein die Vielzahl von Webseiten vor Augen führt, dann ist es schon eine praktische Barriere. Ich hatte schon einmal gesagt, wir haben allein im öffentlich-rechtlichen Bereich ungefähr 5 Millionen Webseiten, die gekennzeichnet werden müssen. Wenn man nun 220 Arbeitstage im Jahr mit einer täglich achtstündigen Arbeitszeit annimmt, müsste eine einzelne Person acht Arbeitsjahre aufwenden, um alle Seiten kennzeichnen zu können. Viel Spaß dabei! Von dem Problem für die Millionen privaten Web-2.0-Akteure wollen wir noch gar nicht sprechen.

Ich denke, man spürt an dieser Stelle förmlich, dass die Autoren dieses Jugendmedienschutzstaatsvertrages in ihrer Netzkompetenz beim Öffnen von E-Mails leider Gottes steckengeblieben sind. Ich bin, genauso wie meine Fraktion, für einen starken Jugendmedienschutz, bin aber auch der Meinung, dass die hier gefundenen Instrumente nicht geeignet sind. Deshalb werden wir als Fraktion diesen Staatsvertrag auch ablehnen.

Lassen Sie mich aber noch einige zusätzliche Sätze ausführen. Wir sind der Meinung, dass diese rein technischen Maßnahmen nicht ausreichen, man muss vielmehr auf den Bereich der Medienkompetenz noch viel stärker fokussieren. Wir müssen die Mündigkeit von Kindern und Jugendlichen fördern. Wir müssen auch dort einen kritischen und selbstbestimmten Umgang mit Netzinhalten fördern.

(Kristin Schütz und Torsten Herbst, FDP, führen ein Gespräch und lachen laut.)

Da scheint irgendetwas sehr lustig zu sein.

Kompetenzerwerb und Kritikfähigkeit sind ganz wichtige Instrumente, um auch Kinder und Jugendliche zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern und damit selbstbewussten Medienkonsumentinnen und -konsumenten zu erziehen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Mir ist klar, dass die Regierungskoalition dies anders sieht. Wir hatten schon einmal darüber debattiert, dass auch unser Ministerpräsident mündige Bürger für nicht sonderlich erstrebenswert hält. Wenn wir uns anschauen, was wir diese Woche noch alles vor uns haben, dann sehen wir, dass die Koalition bei der Bildung kürzt, bei der Kultur streicht und in vielen anderen Bereichen ebenfalls den Rotstift ansetzt. Auf der Strecke bleibt leider Gottes auch der gesunde Menschenverstand.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Panter. – Für die Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN – – Entschuldigung, die FDP ist erst an der Reihe. Herr Herbst, bitte.

Herr Präsident! Vielen Dank. Ich bin aber trotzdem gern noch Mitglied meiner Fraktion und nicht von Bündnis 90/DIE GRÜNEN.

(Beifall der Abg. Kristin Schütz, FDP)

Dieser Vierzehnte Rundfunkänderungsstaatsvertrag wurde lange diskutiert und ist bis heute umstritten. Das leuchtet ein, da es zum einen daran liegt, dass man zum ersten Mal versucht, das Thema Jugendmedienschutz im Internet zu definieren. Zum anderen liegt es in der Natur der Sache von Staatsverträgen, denn es sind 16 Bundesländer beteiligt. Am Ende steht ein Kompromiss. Ich vermute, jeder Staatsvertrag würde anders aussehen, wenn er in Sachsen und nur mit Sachsen verhandelt werden würde. Aber das ist nicht der Fall.

Dennoch ist dieser Rundfunkänderungsstaatsvertrag notwendig und bei genauem Hinschauen auf den Sachverhalt eigentlich auch überfällig. Der Schutz von Kindern und Jugendlichen ist gesetzlich geregelt und erstreckt sich auf sehr viele Lebensbereiche, außer das Internet. Dabei spielt das Internet bei der Mediennutzung eine immer größere Rolle. Die Medienkonvergenz, die Nutzung verschiedenster Geräte zum Empfang von Rundfunk, nimmt zu. Dass der Jugendschutz nun gerade um das Internet einen großen Bogen machen soll, kann eigentlich keinem einleuchten, meine Damen und Herren. Das Internet stellt völlig neue Anforderungen an den Jugendmedienschutz. Wir haben es mit großen Datenmengen zu tun, die immer weiter wachsen und kaum überschaubar sind. Wir haben es mit Nutzern zu tun, die selbst Produzenten von Inhalten werden. Deshalb ist auch klar, dass es nicht darum geht, die Regeln des Fernsehens oder des Kinos eins zu eins zu übertragen.

Der vorliegende Staatsvertrag versucht deshalb, neue Lösungen zu finden. Sicher ist es nicht ganz einfach, den Jugendschutz in weltweit zugänglichen Medien zu verankern. Aber dass es immer Möglichkeiten gibt, Schranken zu umgehen, bedeutet doch nicht, dass man von vornherein darauf verzichtet, meine Damen und Herren. Man kann auch Geschwindigkeitsbegrenzungen umgehen, nur käme der Staat bestimmt nicht auf die Idee, alle Schilder mit Geschwindigkeitsbeschränkungen zu beseitigen,

(Beifall bei der CDU)

obwohl ich das manchmal gut fände. Insofern war der Beifall richtig.

Es geht beim Jugendmedienschutz im Internet nicht um staatliche Zensur, sondern es geht darum, eine sinnvolle Filtermöglichkeit zum Schutz von Kindern und Jugendlichen zu schaffen. Für uns als FDP ist aber entscheidend, dass der Bürger die Freiheit hat, eigenverantwortlich zu entscheiden, ob er eine entsprechende Filter-Software installiert oder nicht.

Ich will aber hinzufügen, dass die Technik immer nur einen Aspekt abbildet. Die wichtigste Rolle spielen nach wie vor die Eltern, und mindestens genauso wichtig ist die Medienkompetenz der Kinder und Jugendlichen. Um es ganz klar zu sagen: Persönliche Verantwortung lässt sich nicht auf den Gesetzgeber abwälzen. Ich bin auch froh, dass sich die Staatsregierung in einer Protokollnotiz sehr klar gegen weiterführende Schutzmaßnahmen sowie gegen Kontrollpflichten von Betreibern für externe Inhalte ausspricht. Denn die Haftung von Seitenbetreibern mit nutzergenerierten Inhalten, Blogs, sozialen Netzwerken – diese Haftung, die Inanspruchnahme der Betreiber wäre aus unserer Sicht nicht vertretbar gewesen.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Mit dem Rundfunkänderungsstaatsvertrag verändern wir aber nicht nur den Jugendmedienschutz, sondern wir novellieren auch das Sächsische Privatrundfunkgesetz. Die Koalition schlägt eine Änderung vor, die eine jahrelange Ungleichbehandlung bei der Wahlwerbung beendet. Denn zukünftig bekommen Einzelbewerber die gleichen Rechte wie Parteien, bei Wahlen im Privatrundfunk zu werben. Das ist ein kleiner, aber aus unserer Sicht wichtiger Schritt für mehr Demokratie in Sachsen.

(Beifall bei der FDP, der CDU und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Herbst, natürlich für die FDP-Fraktion. – Nun ist aber die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN an der Reihe. Herr Abg. Jennerjahn, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns – das klang schon an – bereits im Mai in diesem Hohen Hause über den Jugendmedienschutzstaatsvertrag unterhalten, darüber ausgiebig diskutiert und auch über die kritischen Aspekte verhandelt. Aber leider haben die zahlreichen Bedenken, die damals geäußert wurden,

keinen Eingang gefunden in die Neufassung des Jugendmedienschutzstaatsvertrages. Noch immer sollen die bereits 2003 eingeführten Sendezeiten im Internet erhalten bleiben. Noch immer geht es um die neu hinzukommenden Alterskennzeichnungen, die de facto eine Kennzeichnungspflicht für alle Inhalteanbieter nach sich ziehen, da Filtersoftware zum Einsatz kommen soll, welche die Alterskennzeichnung automatisch auslesen kann.

Die Ausschussanhörung im September war äußerst spannend; denn neben den dezidierten Befürwortern und den dezidierten Gegnern des Jugendmedienschutzstaatsvertrages hatten wir mit Prof. Federrath einen Informatiker zu Gast, der sich politischer Stellungnahmen weitgehend enthalten und sich vor allem auf die technischen Aspekte konzentriert hat. Prof. Federrath ist auch zu eindeutigen Aussagen gekommen. Ich möchte kurz zitieren: „Alterskennzeichnung ist eine Information und selbst kein Schutzsystem. Die Filterung kann als Zensurinfrastruktur verstanden werden. Technisch gesehen ist sie das auf jeden Fall. Es käme auf eine vernünftige Anwendung an. Allerdings sind die Filtermechanismen nach Auffassung eines Informatikers im Wesentlichen unwirksam, weil sie durch Proxys, automatisierte Downloads und die Replikation von Inhalten in sogenannten Black Networks leicht umgangen werden können.“ Weiter führte Herr Federrath aus: „Wir werden sicherlich unser Gefühl verbessern, inhaltlich wird sich durch die Jugendschutzprogramme nichts verbessern.“

Auch das Sendezeitmodell, also der Versuch, entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte nur zu bestimmten Tageszeiten ins Internet zu stellen, wurde dort aus technischer Sicht als vollkommen wirkungslos bezeichnet.

Wenn ich das jetzt anders und etwas polemisch ausdrücken will, würde ich zu folgendem Schluss kommen: Wer im Internet mit Alterskennzeichnungen und Sendezeiten Inhalte von Kindern und Jugendlichen fernhalten will, der hält sich auch die Augen zu, um nicht gesehen zu werden.

Das sind die technischen Unzulänglichkeiten des Vertragswerkes. Es gibt aber auch Probleme in der praktischen Umsetzung. Zwar generiert der Jugendmedienschutzstaatsvertrag ab dem 01. Januar 2011 für Inhalteanbieter eine faktische Pflicht zur Alterskennzeichnung, die für zugelassene Jugendschutzprogramme auslesbar sein müssen, die entsprechenden Jugendschutzprogramme existieren jedoch noch gar nicht. Es ist aus meiner Sicht schon absurd, etwas gesetzlich einzufordern, was technisch überhaupt nicht umsetzbar ist.

(Robert Clemen, CDU: Ist es doch!)

Das war eindeutig die Aussage in der Ausschussanhörung. Selbstverständlich wurde dort gesagt, dass es derzeit keine Jugendschutzprogramme gibt, die die Vorgaben des Jugendmedienschutzstaatsvertrages erfüllen.

Herr Jennerjahn, Sie gestatten eine Zwischenfrage?

Bitte schön.

Herr Clemen, bitte.

Herr Jennerjahn, ich hatte empfohlen, sich einmal bei der BaFin zu erkundigen, wie die Zertifizierungs- und Indizierungsmodelle der BaFin aussehen. Augenscheinlich ist es bei der nämlich möglich, genau in dieser Form Seiten zu sperren bzw. auf bestimmte Verstöße zu reagieren. Ich weiß nicht, ob Sie das getan haben. Nach wie vor steht Ihnen aber offen, das zu tun.

Die Frage ist: Was kostet es? Darüber müssen wir debattieren. Aber technisch möglich ist es.

Haben Sie jetzt gefragt, ob er es getan hat oder wie viel es kostet?

(Zuruf des Abg. Robert Clemen, CDU)

Nein, ich habe mich bei der BaFin nicht umgesehen. Es geht auch nicht darum, ob es technisch möglich ist, sondern darum, dass zum jetzigen Zeitpunkt kein Programm existiert, das nach den Vorgaben des Jugendmedienschutzstaatsvertrages zertifiziert ist. Das ist das Problem. Es geht hier nicht um die technische Möglichkeit, sondern darum, dass es derzeit nicht die zertifizierten Programme gibt. Das ist der Knackpunkt.

(Julia Bonk, DIE LINKE: So ist es!)

Es gibt ein weiteres Problem. Der Charakter des Internets hat sich seit dem letzten Jugendmedienschutzstaatsvertrag erheblich verändert. Darauf ist Kollege Panter schon eingegangen. Der neue Jugendmedienschutzstaatsvertrag hat diese Veränderungen im Internet schlichtweg nicht mit vollzogen.

Jeder kann heute Inhalte im Internet anbieten. Die Zeiten, als kommerzielle Anbieter mit entsprechender wirtschaftlicher Potenz das Internet dominierten, sind vorbei. Für die vielen privaten Blogger und nicht kommerziellen Inhalteanbieter stellen die Vorgaben des Jugendmedienschutzstaatsvertrages schlichtweg eine Überforderung dar. Ohne die notwendige Fachkompetenz ist es kaum möglich einzuschätzen, für welche Altersgruppe die zur Verfügung gestellten Inhalte geeignet sind. Da gibt es ein sehr interessantes Experiment des AK Zensur. In diesem Experiment sollten Nutzer Webinhalte einschätzen. Laut AK Zensur lagen rund 80 % der 12 000 abgegebenen Stimmen falsch.

Das negative Potenzial des Jugendmedienschutzstaatsvertrages zeigt sich bereits heute, obwohl der Vertrag noch gar nicht in Kraft getreten ist. Die ersten Blogs haben bereits angekündigt, zum 31. Dezember 2010 den Betrieb einzustellen, weil sie nicht wissen, wie sie den Anforderungen des Jugendmedienschutzstaatsvertrages gerecht werden sollen, und die damit verbundenen juristischen Auseinandersetzungen fürchten. Insofern hat der Jugendmedienschutzstaatsvertrag bereits vor Inkrafttreten für eine Einschränkung der Meinungsvielfalt im Internet geführt.

Die Jugendschutzprogramme bergen noch ein weiteres Problem. Eltern werden sich bei nicht gekennzeichneten Inhalten zunächst einmal pauschal entscheiden müssen, ob sie die Inhalte durchlassen oder nicht. Das betrifft den überwiegenden Teil der Angebote im World Wide Web, da die ausländischen Seiten schlichtweg nicht gekennzeichnet sind. Wird gefiltert, werden reihenweise unproblematische Inhalte, darunter auch pädagogische, blockiert. Das ist eine deutliche Einschränkung der Informationsfreiheit. Die andere Möglichkeit ist, alle Inhalte durchzulassen, sodass auch problematische Inhalte nicht gefiltert werden. Mit den Filterprogrammen wird den Eltern also eine Sicherheit vorgegaukelt, die in der Realität schlichtweg nicht existiert.