Protokoll der Sitzung vom 17.12.2010

Herr Michael Beleites und seine nur drei Mitarbeiter als kleinste Behörde im Freistaat haben für ihre engagierte Tätigkeit Dank und Anerkennung dieses Hohen Hauses verdient.

(Beifall bei allen Fraktionen)

In seiner Sitzung am 24.11. hat der Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss den Bericht des Landesbeauftragten mit 15 Stimmen bei 3 Enthaltungen zustimmend zur Kenntnis genommen. Ich schlage Ihnen vor, sich diesem Votum anzuschließen.

Nach zehnjährigem erfolgreichem Wirken als Landesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes will Herr Michael Beleites diese Arbeit nicht weiter ausüben. Das ist bedauerlich, aber zu respektieren. Denn Herr Beleites hat in den vergangenen zehn Jahren eine ausgezeichnete Arbeit geleistet.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Abg. Martin Dulig, SPD, und Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE)

Obwohl er selbst ein Verfolgter des SED-Regimes war, hat er sich nie als rachsüchtiger Stasi-Jäger betätigt, sondern vielmehr Vergangenheitsbewältigung im Sinne der Perspektive der Opfer betrieben. Denn die Opfer sind heute häufig materiell schlechter gestellt als ihre Verfolger, ganz zu schweigen von den unverheilten seelischen Blessuren.

Es wäre zu wünschen, dass der oder die künftige Landesbeauftragte die Kriterien erfüllen würde, wie sie sich Michael Beleites mit seinen Erfahrungen vorstellt. Ich zitiere: „Ich würde mich freuen, wenn jemand Nachfolger wird, der überparteilich regiert und die Stasi-Akten nicht nur als Archivgut, sondern auch als Dokumente der eigenen Widerstands- und Verfolgungsgeschichte kennengelernt hat.“

Danke, Herr Beleites! Sie werden uns sehr fehlen.

(Beifall bei der CDU, der FDP, der SPD und den GRÜNEN)

Das war Herr Abg. Schowtka für die Fraktion der CDU. Meine Damen und Herren, für die Fraktion DIE LINKE spricht Herr Abg. Prof. Besier. Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Debatte über die Tätigkeit des Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR bietet sich dafür an, Ihnen eine Trennung von Personen und Sache einzuüben; jedenfalls für mich.

Ich halte Herrn Beleites für eine integre Persönlichkeit, die als Sächsischer Landesbeauftragter mit erheblichem Einsatz und beachtlicher Unabhängigkeit sein Amt erfüllt hat. Bei seiner Tätigkeit hat er sich stets sachlich verhalten, abgewogen und ruhig. Er hat sich politisch in keiner Weise instrumentalisieren lassen. Das Gespräch mit diesem klugen Mann habe ich immer als Gewinn empfunden. Aus dem Gesagten mögen Sie entnehmen, dass ich ihn sehr schätze. Auch wenn wir nicht immer einer Meinung waren und manchmal auf Podien kontrovers diskutiert haben, ist es uns gelungen, ein konstruktives, von gegenseitigem Respekt und Sympathie getragenes Verhalten aufzubauen und zu bewahren.

Michael Beleites hat wichtige Erkenntnisse, wie ich meine, immer wieder neu eingeführt, wichtige Punkte, die noch einmal daran zu erinnern, dass die Staatssicherheit nur ausführendes Organ war, dass die Verantwortlichen dahinter das eigentliche Problem darstellen. Was ich noch bemerkenswerter finde, ist, dass er – ich sage es jetzt in meinen Worten – sozusagen den inoffiziellen Mitarbeiter in uns reflektiert hat. Was sind die Situationen, die Menschen dazu bringen – nicht alle, aber doch einen erheblichen Teil –, sich opportunistisch zu verhalten?

(Zuruf von der CDU: Heute auch! – Stefan Brangs, SPD: Können Sie mal die Klappe halten!)

Unabhängig von dem guten persönlichen Verhältnis wird es mich nicht daran hindern, die Institution, die er zehn Jahre lang vertreten hat, infrage zu stellen – bei all der guten Arbeit, die zweifellos geleistet worden ist.

Im Bericht des Verfassungs-, Rechts- und Europaausschusses des Sächsischen Landtages ist zu lesen, dass sich das Aufgabenspektrum des Landesbeauftragten gewandelt habe – ich zitiere –: „... weg von der unmittelbaren Bearbeitung und Bewertung von den Vorgängen im Zusammenhang mit dem MfS und den Unterlagen hin zu einer Dokumentations-, einer Bildungsaufgabe zum Verbreiten der Auseinandersetzungskultur mit dem SED-Unrechtsstaat im weitesten Sinne“.

Das entspricht genau den Tendenzen, die Michael Beleites herausgearbeitet hat. Es ist gewiss kein Zufall, dass unmittelbar danach die Leistungen des Landesbeauftragten in diesem Bericht vor dem Hintergrund der Feier zur

20-jährigen Wiederkehr der friedlichen Revolution gewürdigt werden.

Beleites selbst plädiert für eine andere Behördenbezeichnung, weil er Verwechslungen mit der Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen befürchtet. In seinem Abschiedsrundbrief heißt es noch deutlicher, ergänzend, aber auch schärfer akzentuierend: Die Behörde braucht einen neuen Namen und ein neues Profil.

An anderer Stelle in dem Rundbrief resümiert er über das Aufarbeitungsgeschäft – ich zitiere, denn auch das scheint mir bemerkenswert zu sein –: „Es war erschreckend, in welchem Umfang sich alte und neue Karrieristen bar jeder inhaltlichen Motivation der Aufarbeitungsinstitutionen bemächtigten, um dort nicht für, sondern in erster Linie von der Aufarbeitung zu leben.“

Auch das müssen wir berücksichtigen. Wir wollen doch kein Aufarbeitungsgeschäft auf unabsehbare Zeit etablieren.

Wohl auch vor diesem Hintergrund meint Beleites, ein Landesbeauftragter, der in erster Linie als Ansprechpartner für ehemals politisch Verfolgte in Anspruch genommen werde, müsse eigene Erfahrungen mit Stasikonflikten mitbringen.

Ich sage ganz deutlich: Hier sind wir unterschiedlicher Meinung; wohlgemerkt, von mir aus jenseits aller Personaldebatten, die geführt werden.

20 Jahre nach dem Untergang der DDR ist es hohe Zeit, die Geschichte der DDR aus historischer, soziologischer und pädagogischer Perspektive zu betrachten, aufzuarbeiten und die Ergebnisse dieser Analysen etwa für den Schulunterricht in Curricula zu gießen. Bei dieser Arbeit geht es in erster Linie um Kompetenz, meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht um eigenes Erleben.

Man muss nicht gestorben sein, um über den Tod reden zu können. Man muss selbst auch kein Stasiopfer gewesen sein, um empathisch mit Stasiopfern zu kommunizieren. Hier ist das Spektrum möglicher Alternativen sehr viel weiter.

Aber diese Gespräche sind nach eigener Erkenntnis der Behörde ja längst nicht mehr der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit, sondern im weitesten Sinne sind es pädagogische Aufgaben. Darum ist zu fragen – und Beleites’ Ausscheiden legt eine Zäsur auch nahe –, warum man 20 Jahre nach der Wiedervereinigung die wichtige Bildungsaufgabe der Behörde nicht an jene Institution angliedert, die dafür traditionell zuständig ist, nämlich die Landeszentrale für politische Bildung, vielleicht als eigene Abteilung in der Landeszentrale mit einem Schwerpunkt auf Jugendliche? In dieser Behörde wären die Aufgaben, meine ich, gut platziert.

Dies ist unsere Anregung. Wir können nicht verstehen, warum Sie sich einer solchen vernünftigen Lösung verschließen. Wollen Sie – und hier, meine ich, sitzt ein pädagogisches Problem – eine Jubelbehörde für die friedliche Revolution, die sich der Historisierung verwei

gert? Wollen Sie tatsächlich eine Konservierung der Jahre 1989/90?

Wer sich ein wenig mit Geschichte und vor allem der Vermittlung von Geschichte beschäftigt hat, kann davor nur warnen.

Denn eine Ritualisierung, eine Überführung historisch bedeutsamer Ereignisse in eine Art politische Religion, die dann Sozialität wird, macht das intendierte Anliegen völlig unwirksam. Sie werden die nachwachsenden Generationen damit eher zu Gegenreaktionen provozieren, zu einer Ablehnung der Ihnen so zentral wichtigen Erinnerung.

Wir haben das in unterschiedlicher Weise in Westdeutschland, aber auch im östlichen Deutschland immer wieder erlebt. Diese Art von Ritualisierung, des Erinnerns an das Dritte Reich hat Jugendliche eher gelangweilt, hat sie abgestoßen, hat sie stumpf gemacht. Hier werden wir nach anderen Formen suchen müssen.

Es besteht also Klärungsbedarf – Klärungsbedarf, was den institutionellen Bereich anlangt, aber auch Klärungsbedarf darüber, wie wir das, was uns gemeinsam wichtig ist, vermitteln.

Aus diesem Grund wird sich meine Fraktion enthalten.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den LINKEN)

Meine Damen und Herren! Die Fraktion SPD ist an der Reihe. Frau Abg. Friedel, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte auch im Namen der SPDFraktion unseren herzlichen Dank für die im letzten Jahr geleistete Arbeit und insbesondere Herrn Beleites für die in den letzten zehn Jahren geleistete Arbeit aussprechen.

(Beifall bei der SPD, der CDU, der FDP, den GRÜNEN und der Abg. Annekatrin Klepsch, DIE LINKE)

Das gilt natürlich in besonderer Weise vor dem Hintergrund, den Sie in Ihrem Rundbrief beschreiben. Sie schreiben da: „Dem gesetzlichen Auftrag der Unterrichtung der Öffentlichkeit konnten wir angesichts unserer geringen personellen Ausstattung nicht in dem Umfang nachkommen, wie es eigentlich nötig wäre.“

Wenn wir uns überlegen, was wir gestern zum Haushalt beschlossen haben, sind die Aussichten auch nicht wirklich besser. Insofern ist es umso beachtenswerter, welche Arbeit Sie mit Ihren Möglichkeiten geleistet haben und dass Ihre Behörde einen Schwerpunkt insbesondere auf die schulische Bildung gelegt hat. Das ist etwas, was uns sehr wichtig ist.

Sie haben in vielen Projekten deutlich gemacht, dass es nicht nur darum geht, abstrakt zu erzählen, was in der DDR passierte, sondern dass es Ihnen auch mit mitunter ganz erstaunlichen Methoden darum geht, Anpassung im

Alltag deutlich zu machen und deutlich zu machen, wie jeder von uns seine kleinen Einrichtungen, seine kleinen Opportunismen finden und pflegen muss, wenn die Rahmenbedingungen so sind, wie sie sind.

In dem Rundbrief, den auch Herr Prof. Besier schon angesprochen hat, gibt es zwei, drei sehr interessante Punkte, auf die ich aufmerksam machen möchte, weil mich zum einen sehr gefreut hat, dass es überhaupt so eine persönliche Rückschau gibt – das war sehr interessant zu lesen –, und weil zum anderen wirklich interessante Anregungen dabei sind.

Zum einen – das haben Sie auch schon immer vertreten – ist es wichtig, die MfS-Akten im Zusammenhang mit allen anderen Bestandteilen der DDR-Machtarchitektur zu sehen. Sie weisen darauf hin, dass uns das oft noch nicht gut genug gelingt, dass es auch in der Öffentlichkeit nicht gut genug gelingt, neben die MfS-Akten die Akten der SED-Bezirksleitungen, die Akten des Rates des Bezirkes und des Rates des Kreises zu legen und sich so ein Gesamtbild über die Machtausübung in der DDR zu verschaffen.

(Beifall bei der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Unsere Fraktion und insbesondere ein Mitglied unserer Fraktion hat vor einem reichlichen Jahr selbst die Erfahrung gemacht, wie allergisch darauf reagiert wird, wenn diese Machtarchitektur, die eben nicht nur aus der SED, sondern auch aus den Blockparteien bestand, angesprochen wird.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Die Fokussierung auf die Stasi und die IM blendet wesentliche Säulen der Machtausübung in der DDR aus. Das sagen Sie immer wieder, und das ist ein Punkt, den wir nicht vergessen dürfen und bei dem wir auch in diesem Haus und in unseren Reihen daran erinnern müssen, dass die DDR-Diktatur weit mehr war als nur die Diktatur der führenden Partei.

Sie schreiben: „Die Behörde braucht einen neuen Namen und ein neues Profil.“ Herr Prof. Besier hat schon angesprochen, worüber wir zumindest nachdenken sollten. Ich bin nicht sicher, ob es wirklich der richtige Weg ist, den Sie da vorschlagen, aber ich halte es für sehr vernünftig, dass wir uns in diesem Kreis verständigen: Was wollen wir mit dem neuen Auftrag der Behörde anfangen? Wie wollen wir die Erinnerung und die Auseinandersetzung mit der DDR-Diktatur aufrechterhalten und in einer Qualität fortsetzen, die den Menschen und gerade den jungen Menschen vor Augen führt, dass es nicht um etwas Gewesenes geht, sondern dass die kleine Möglichkeit der Diktatur immer besteht und dass wir uns immer als wache und verständige Menschen selbstverantwortlich dagegen wehren müssen.

Einen letzten Punkt will ich ansprechen. Sie schreiben zum Schluss des Papiers in einem Kontext von ökologischen Problemen und Problemen der Globalisierung: