Protokoll der Sitzung vom 10.02.2011

Dies entspricht natürlich der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen. Dass die Koalition dem Antrag dennoch nicht folgen kann, möchte ich jetzt im Einzelnen begründen. Im Punkt 1 Ihres Antrags wird zwar dezidiert ausgeführt, was die Gesetzesinitiative an rechtlichen Regelungen umfassen soll, aber es fehlt der Bezug zur praktischen Umsetzung. Man stelle sich vor, es gäbe ein solches Gesetz, wäre aber mit seiner Einhaltung gegenwärtig überfordert, weil die Voraussetzungen noch nicht oder nicht vorhanden sind. Der Klageweg wäre möglich, ohne dass wir heute wüssten, was auf den Freistaat zukäme. Ihr Antrag zielt bei seinem – und da wiederhole ich mich gern – grundsätzlich vernünftigen Ansatz nur auf eine einzelne Gruppe von Menschen mit Behinderung mit begrenztem Wirkungsfeld.

Gesetzliche Regelungen sollten, wenn schon notwendig, wesentlich umfassender sein. Ich habe einfach die Befürchtung, dass der Antrag zwar ein sehr gut gemeinter, aber dennoch ein Schnellschuss ist. Allen voran muss es doch um eine grundlegende Analyse der gegenwärtigen Situation gehen

(Martin Dulig, SPD: Das haben wir gemacht!)

mit anschließender Diskussion auf der Ebene der Betroffenen und der politischen Entscheidungsträger. – Mit uns ist das nicht gemacht worden, dann hätten Sie uns einbeziehen sollen. Aber vielleicht können wir das ja nachholen.

Erst dann kann doch entschieden werden, ob und in welchem Umfang eine Gesetzesinitiative tatsächlich geboten ist, um den bestehenden Rechtsrahmen zu erweitern. Wir sollen den Stolz auf unsere Arbeit nicht dadurch dokumentieren, dass wir immer mehr und schneller Gesetze erlassen, sondern manchmal kann auch der umgekehrte Weg richtig sein.

Dem Punkt 2 Ihres Antrags kann man ebenfalls nicht folgen. Wie von mir schon ausgeführt, ist eine grundlegende Analyse dafür einfach Voraussetzung. Ausdrücklich möchte ich auf die Notwendigkeit abzielen, gesetzlich initiativ zu werden. Denn – und um dieses Argument, denke ich, kann man sich nicht drücken – es werden bei Leistungsgesetzen Kosten fällig. Einmal mehr muss ich feststellen, meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPD-Fraktion, dass Sie, wenn Sie Verbesserungen bringen, sehr schnell bei der Hand sind, aber die Kostenfrage doch deutlich ausklammern.

Wie die Staatsregierung festgestellt hat, sind gegenwärtig nur wenige Einzelfälle bekannt, in denen gehörlose bzw. hörgeschädigte Eltern bei ihrer Kommunikation in Kitas und Schulen Hilfe durch Gebärdendolmetscher nötig gehabt hätten.

(Zurufe von der SPD)

Hören Sie doch einfach zu! Es sind im Moment wenige Fälle bekannt. Ich sage nicht, dass keine bekannt sind. Ob Fragestellungen dadurch unbeantwortet geblieben sind, ist ebenfalls nicht bekannt. Nochmals: Dass es in möglicherweise unbekannt gebliebenen Fällen durch das Hinzuziehen von Gebärdendolmetschern zu besseren und zu wünschenswerten Ergebnissen gekommen wäre, bestreiten wir überhaupt nicht. Die Frage ist nur: Wenn solche Fälle, die uns möglicherweise heute nicht bekannt sind, auftauchen, ist eine Gesetzesinitiative erforderlich oder gibt es andere Regelungen?

Ich komme zum Punkt 3) Ihres Antrages. Sie zählen mit erstaunlicher Leichtigkeit auf, wer die Kosten nicht zu tragen hat und sagen folgend nicht, wer sie übernehmen soll. Entschuldigen Sie, wenn ich es so deutlich sage: Aber dann scheint doch ein Stück Populismus dahinterzustehen.

(Oh-Rufe bei der SPD)

Sonst hätten Sie sich einfach mit dieser Thematik auseinandersetzen müssen.

Natürlich habe ich die Vermutung, dass Kostenträger der Freistaat Sachsen sein soll, ohne dass wir heute überhaupt den Umfang kennen. Da muss ich Ihnen ganz deutlich sagen: Das können Sie mit der Koalition nicht machen. Wir brauchen schon klarere Angaben und klarere Aussagen, bevor wir uns auf so etwas einlassen können.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP – Martin Dulig, SPD: Wer soll denn das genau wissen? Das muss doch aus Ihrem Ministerium kommen.)

Stellen Sie bitte eine offizielle Anfrage, sonst geht das von meiner Redezeit ab.

Zusammenfassend noch einmal in aller Kürze: Das Anliegen, gehörlosen und hörgeschädigten Menschen bessere Kommunikationsmöglichkeiten zu verschaffen, ist richtig und wichtig und wird von uns mitgetragen. Ihrem Antrag, in diesem dezidierten Fall eine Gesetzesini

tiative zu veranlassen, bei der wir den Wirkungsrahmen in seiner Vollständigkeit heute gar nicht kennen, die Kosten nicht kennen, stimmen wir nicht zu.

Dann will ich noch dazu sagen – ich wiederhole mich –: Das scheint mir auch vom Umfang her für ein Gesetz viel zu gering, als dass man sich nicht die Zeit nehmen sollte, grundsätzlich darüber zu debattieren. Das möchte ich Ihnen allerdings unbedingt anbieten. Ich habe schon einmal gesagt: Dieses Problem ist wichtig und richtig. Wir sollten uns diesem Thema annehmen. Nur wie Sie es in Ihrem Antrag vorgetragen haben, finden wir nicht richtig. Deswegen werden wir dem Antrag nicht zustimmen können.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Die LINKEN; Herr Abg. Wehner, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, was uns vonseiten der CDU hier weisgemacht werden soll.

(Beifall bei den LINKEN und der SPD)

Dass Sie sich auch trauen, sich hier hinzustellen, als hätten Sie keine Kenntnis. Das ist einfach nicht nachvollziehbar und nicht zu begreifen, weil Sie diese sehr wohl haben. Mal sehen, ob es mit meinem Beitrag gelingt, das etwas aufzuhellen.

Frau Kliese, vielen Dank für den Antrag, auch vielen Dank für die Situationsbeschreibung. Die Fraktion DIE LINKE wird dem Antrag selbstverständlich zustimmen, weil wir alle Maßnahmen unterstützen, die auf die Sicherung der chancengleichen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und auf die selbstbestimmte Lebensführung gerichtet sind, auch wenn sie noch so klein erscheinen mögen.

Der Antrag macht auch Sinn, meine Damen und Herren, da er natürlich zur Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte der Menschen mit Behinderungen beiträgt. Das hat ja auch Herr Krasselt zugestanden.

Ich darf an dieser Stelle vielleicht noch einmal an den Zweck der Behindertenrechtskonvention erinnern, wie er sich aus Artikel 1 ergibt. Dort heißt es: Zweck des Übereinkommens ist es, den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und dabei die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern. Dazu trägt der Antrag bei.

Nach Artikel 4 der Behindertenrechtskonvention verpflichten sich die Vertragsstaaten, die volle Verwirklichung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behinderungen ohne jede Diskriminierung aufgrund von Behinderungen zu gewährleisten und zu fördern. Wenn wir also wollen, dass Menschen mit

Hörbehinderung ihr Recht auf Teilhabe gerade auch an einer sachgerechten Erziehung – und insoweit Teilhabe an Elternabenden in Schulen und Kindertagesstätten – wahrnehmen wollen, dann trägt genau dieser Antrag dazu bei.

Im Übrigen verpflichten sich die Vertragsstaaten, alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen zur Umsetzung der in der Behindertenrechtskonvention anerkannten Rechte zu treffen und insoweit gegebenenfalls Änderungen dort vorzunehmen, wo eben noch Diskriminierungen bestehen, meine Damen und Herren. Fangen wir doch damit an und bleiben wir nicht bei bloßen Lippenbekenntnissen!

Schließlich geht es in Artikel 24 der Konvention darum, Menschen mit Behinderungen zur wirksamen Teilhabe an einer freien Gesellschaft zu befähigen.

Das sind alles Dinge, auf die der Antrag der SPD-Fraktion abzielt. Deswegen verdient er zu Recht auch unsere Unterstützung. Meine Damen und Herren, er sollte auch Ihre Unterstützung finden. Herr Krasselt, Sie sollten Ihre Fraktionsmitglieder überzeugen, diesem Antrag ebenfalls zuzustimmen.

(Beifall bei den LINKEN und der SPD)

Noch etwas, meine Damen und Herren: Im Artikel 24 Abs. 4 der Behindertenrechtskonvention wird angeregt, gerade im Bereich Schulen geeignete Maßnahmen zur Einstellung von Lehrkräften zu ergreifen, die in Gebärdensprache und Brailleschrift ausgebildet sind. Hier haben wir eine Vorgabe, die noch über den Antrag hinausgeht und eigentlich auch eine Chance bietet, kostengünstig barrierefrei Unterricht in den Schulen in Zukunft zu leisten.

Meine Damen und Herren! Wir dürfen natürlich nicht übersehen, dass mit diesem Antrag nur ein bestimmter Sachverhalt abgedeckt wird, nämlich die Begleitung von hörbehinderten Eltern zu Elternabenden in Kindertagesstätten und Schulen. Andere bleiben außen vor. Leider ist der Antrag, ich sagte es schon, etwas klein in dem Regelungsgehalt. Ich würde mir schon einen weiteren wünschen, zum Beispiel wenn es um die Teilhabe am politischen und gesellschaftlichen Leben geht.

Allein die Teilhabe an solchen Parlamentsdebatten ist dem Personenkreis der hochgradig hörbehinderten oder gehörlosen Menschen nicht möglich. In Ungarn oder in Australien werden die Übertragungen von Plenartagungen der Parlamente von Gebärdensprachdolmetschern begleitet, meine Damen und Herren. Das wäre auch eine Anregung für den Sächsischen Landtag. Fangen wir doch einfach einmal damit an!

(Beifall bei den LINKEN, der SPD, den GRÜNEN und der Abg. Kristin Schütz, FDP)

Herr Krasselt, ich möchte nicht in Abrede stellen, dass nach § 17 Abs. 2 des Ersten Sozialgesetzbuches hörbehinderte Menschen das Recht haben, bei der Ausführung von Sozialleistungen, insbesondere auch bei ärztlichen

Untersuchungen und Behandlungen, Gebärdensprache zu verwenden und dass insoweit die Kosten für die Gebärdensprachdolmetscher übernommen werden können. Wir haben also schon Regelungssachverhalte.

Ich möchte auch nicht in Abrede stellen, das nach § 57 des Neunten Sozialgesetzbuches, der unter dem Titel „Förderung der Verständigung“ steht, Leistungen zur Erhaltung der Kommunikationsfähigkeit als persönliche Hilfe gewährt werden können. Das heißt also, außer der Hilfe eines Gebärdensprachdolmetschers kann auch die Hilfe eines Angehörigen, Nachbarn, Steuerberaters, Rechtsanwalts oder Notars in Betracht kommen. Insoweit könnten die hierfür erforderlichen Kosten übernommen werden und nicht nur allein im Verkehr mit den Behörden, sondern auch wenn es um das Führen von Vertragsverhandlungen, den Besuch bei einem Arzt, einen Rechtsstreit oder die Teilnahme an Elternversammlungen geht.

Wir haben also schon Regelungen. Die Frage ist nur: Wie werden sie in Anspruch genommen und wie gestalten die Behörden das selbst?

Nach dem bisherigen Recht kann die Hilfe eben nur aus besonderem Anlass erfolgen. Sie kann noch nicht fortlaufend zur Verfügung gestellt werden. Offenbar bereitet die Anwendung der Regelung den Behörden Schwierigkeiten, sonst gäbe es nicht die Situation, wie sie Frau Kollegin Kliese beschrieben hat.

Insoweit ein Wort an die Staatsregierung. Frau Staatsministerin, Sie haben heute Geburtstag. Noch einmal herzlichen Glückwunsch, alles Gute für Sie. Leider haben Sie an Ihrem Geburtstag eben heute die Debatte mitzuerleben, und da kann es nicht ohne Kritik gehen. Denn wie Sie die Stellungnahme auf den Antrag hier abgegeben haben, das finde ich nicht ausreichend und ist schon kritikwürdig und natürlich insoweit eine Steilvorlage für Herrn Krasselt, der dann meint, Sie verfügten über keine genauen Kenntnisse.

Nun, wenn Sie in der Stellungnahme kritisieren, dass die ausgewiesene Zahl von 17 000 hörgeschädigten oder gehörlosen Menschen, wie das in der Begründung des Antrags der SPD-Fraktion ausgewiesen ist, zu hoch gegriffen ist, dann sehe ich das genauso wie Sie. Denn wir haben genaue Kenntnisse über die Anzahl der gehörlosen Menschen im Freistaat Sachsen, insbesondere wenn es um solche Menschen geht, die das gesundheitliche Merkmal der Gehörlosigkeit ausgewiesen haben, also GL; da liegen wir in etwa bei 4 000 Betroffenen.

Dass Sie aber nicht wissen wollen oder möglicherweise nicht informieren wollen, wie hoch die in Anspruch genommene Leistung im Jahr 2010 war, stimmt mich doch nachdenklich. Denn über die Otto-Perl-Stiftung haben Sie genaue Kenntnis. Die Abrechnung ist bestens bekannt, und auch Ihnen ist sie bekannt; denn Sie sind schließlich in dem Stiftungsrat vertreten. Da erinnern Sie sich daran, dass im Jahr 2010 allein 360 Einsätze geleistet wurden mit mehr als 900 Stunden an Dolmetscherleistungen. Das hätte sich also leicht in Erfahrung bringen lassen, Herr Krasselt. Es hätte sich insoweit auch in

Erfahrung bringen lassen, dass hinter diesen erbrachten Leistungen ein Wert an Dolmetscherleistung in Höhe von 43 000 Euro steht. Sie wissen sehr wohl, dass diese Leistungen finanziert werden aus der nicht gewährten Weiterreichung der Dynamisierung nach dem Sächsischen Landesblindengesetz und Nachteilsausgleichsgesetz.

Das Gesetz ist schon in Ordnung, weil es auch diesen Menschen aus ihrer besonderen Not heraushilft. Das Problem ist nur, dass der Bedarf eben höher ist und dass die Landesdolmetscherzentrale, die das Geld zur Verfügung erhält, für die Dolmetscherleistungen nur ein Volumen von 35 000 Euro zur Verfügung hat und regelmäßig überzieht.

Hier möchte ich Ihnen Folgendes vorschlagen: Sie haben im Haushalt Kapitel 08 05 Titel 68 65 5 7 (Zuschüsse an Sonstige für Maßnahmen zur Förderung der selbstbe- stimmten Teilhabe) für 2011 in Höhe von 3 Millionen Euro und für 2012 von 5 Millionen Euro eingestellt. Dass wir etwas mehr haben wollten, will ich jetzt hier gar nicht weiter diskutieren. Es wäre aber sehr wohl möglich und völlig unkompliziert, einen höheren Betrag für die Landesdolmetscherzentrale zur Verfügung zu stellen, um die Bedarfe abzudecken.

Nicht in Ordnung ist allerdings, dass die Landesdolmetscherzentrale die Dolmetscherleistungen nur an solche Menschen ausreicht, die Mitglied im Gehörlosenverband werden. Da habe ich eine andere Vorstellung von gemeinnütziger Arbeit. Darüber müsste man auf jeden Fall noch einmal reden.

Im Freistaat Sachsen ist es also sehr leicht möglich, eine Rechtsgrundlage zu schaffen, damit dem Antrag entsprochen werden kann.

Meine Damen und Herren! Bitte überlegen Sie sich das noch einmal. Ich möchte aber nicht verschweigen, Frau Kliese – ich hatte das schon angedeutet –, dass es mir lieber wäre, wenn wir die UN-Menschenrechtskonvention komplex und umfangreich umsetzen und auf den Weg bringen. Vielleicht schaffen wir es in nächster Zeit, hier gemeinsam initiativ zu werden.