Protokoll der Sitzung vom 24.03.2011

Und ich werde es Ihnen auch gern noch einmal ökonomisch erklären, damit jeder von Ihnen eine Chance hat, das zu verstehen. Aber eines ist offensichtlich klar: Das Abendland ist christlich geprägt. Man muss dafür nicht in einer Kirche sein, aber die Werte muss man verstehen. Die Werte sind nicht immer ein Angriff auf individuelle Freiheiten von irgendwelchen Ichlingen der FDP,

(Zuruf des Abg. Andreas Storr, NPD – Vereinzelt Beifall bei den GRÜNEN)

sondern der Glaube der Menschen an die Stabilität unserer Welt ist erschüttert. Das geht die ganzen letzten drei Jahre so – eine apokalyptische Ökonomie. Hunderte von Banken sind in den letzten drei Jahren gecrasht, ganze Staaten gehen Pleite, Portugal steht ante portas und jetzt haben wir am Beispiel dieses AKW-Unglückes gesehen: Die Technikgläubigkeit ist auch erschüttert. Auch wenn es vielleicht fragwürdige Motive waren, das Moratorium ist richtig. Wir Grünen sollten da nicht zimperlich sein und das annehmen. Aber eines ist klar: Die wahren Kosten der Kernkraft – wie das heute im „Handelsblatt“ getitelt wurde – kann sich Deutschland nicht leisten.

17,4 Milliarden Euro braucht diese Betreibergesellschaft als einen ersten Reparaturkredit, einen ersten. Da kommt also noch mehr. Das ist fast haarscharf die Summe, die Sachsen beim Verkauf der SachsenLB als Schadenssumme hinterlassen hat, die andere jetzt für uns mittragen. Um das einmal auf den Punkt zu bringen: Der Staat ist völlig überfordert. Er kann sich diese Atomenergie nicht leisten, jedenfalls nicht, wenn eine Kernschmelze eintritt und schon gar nicht in dicht besiedelten Gebieten. Der Steuerzahler bürgt. Die Rücklagen und Versicherungssummen, die bei den Unternehmen eingestellt worden sind, betragen 0,1 % und die Versicherungsprämien müssten eigentlich 80 bis 120 Milliarden Euro pro Jahr betragen, wenn sie eine Haftpflicht für dieses Risiko abschlössen. Das heißt also, das Grundprinzip der Marktwirtschaft der vollen Haftung tritt in dieser Industrie überhaupt nicht in Kraft. Die wird durch den Steuerzahler geschützt, der mehrheitlich diese Industrie nicht will. Das müssen Sie sich einmal auf der Zunge zergehen lassen! Sie haben die Sicherheitsbeschränkungen herabgesetzt und die Laufzeiten verlängert. Es ist eine Unverschämtheit, wie Sie mit den Bürgern umgehen,

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

die alles bezahlen, was Sie machen. Das Nettovermögen der vier Betreiber würde nicht einmal ausreichen, um die Kosten einer einzigen Kernschmelze in Deutschland

abzudecken. Das ganze Vermögen würde nicht ausreichen. Von den Versicherungen habe ich gerade gesprochen. Der Steuerzahler und der deutsche Staat sind bereits am Anschlag absorbiert mit den Problemen der Haushalts- und Finanzkrise, die wir in Europa gemeinsam buckeln müssen. Wir können uns das nicht leisten, menschlich nicht, moralisch nicht, aber finanzpolitisch und ökonomisch auch nicht.

(Zuruf des Abg. Robert Clemen, CDU – Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Für die Fraktion der GRÜNEN war das die Kollegin Hermenau. Jetzt spricht für die NPD der Abg. Schimmer.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Noch vor einem guten Monat redete man von einer Zäsur, als ein Bundesminister zurücktreten musste. Inzwischen – seit der japanischen Erdbebentragödie und dem Atom-GAU – wissen wir, was eine wirkliche Zäsur ist, die unsere Sicht auf die Atomkraft verändert hat, die nun definitiv nicht mehr als beherrschbar gelten kann.

Ließen sich nach der Tschernobyl-Katastrophe die alten sowjetischen Kernreaktoren noch als veraltete und technisch suboptimale tickende Zeitbomben abtun, galten doch die japanischen Reaktoren als nach menschlichem Ermessen sicher und waren auch mit mehreren voneinander unabhängig arbeitenden Kühlsystemen ausgestattet. Dennoch stehen derzeit gerade vier Meiler des ostjapanischen Reaktorparks Fukushima Daiichi kurz vor dem Super-GAU, der nur durch Freiwillige verhindert werden kann, die entweder als Techniker oder als Feuerwehrleute ihre Gesundheit oder sogar ihr Leben opfern, um ihr Volk vor einer schrecklichen Katastrophe zu bewahren.

Nach diesen wirklich tragischen und hoch dramatischen Ereignissen, die sich derzeit in Japan abspielen, muss die Atomkraft endgültig als gescheiterte Technologie angesehen werden. Ihre Kosten sind schlicht untragbar, denn die potenziellen Kosten der Atomkraft bestehen in der Verstrahlung und damit in der Verwüstung ganzer Landesteile.

In der öffentlichen Wahrnehmung stehen nun die SPD und die GRÜNEN sicherlich als diejenigen da, die es schon immer besser gewusst haben. Dazu sage ich: Besser gewusst vielleicht, aber besser gemacht nicht.

(Beifall bei der NPD)

Denn wir müssen einfach einmal festhalten: Es war halt die rot-grüne Bundesregierung, die den völlig verpfuschten Atomkompromiss des Jahres 2000 ausgehandelt hat, der statt eines gesetzlich vorgeschriebenen Abschalttermins nur irgendwelche Reststrommengen festgeschrieben hat, die dann auch noch zwischen den verschiedenen Atommeilern hin- und hergeschoben werden konnten.

(Zuruf des Abg. Martin Dulig, SPD)

Ein weiteres Tabuthema für Rot-Grün ist die Bedrohung Deutschlands durch zahlreiche Schrottmeiler an den

deutschen Grenzen. Das wird ebenfalls niemals thematisiert. Diese Schrottreaktoren berühren ganz eindeutig die elementaren Lebensinteressen Sachsens, denn bei einem GAU in den tschechischen Atomkraftwerken Temelin oder Dukovany könnte auch Sachsen verstrahlt werden.

Genauso besorgniserregend ist das, was man derzeit aus Polen hört. Denn während man in Fukushima immer noch gegen den Super-GAU ankämpfte, hatte der polnische Premierminister Donald Tusk nichts Besseres zu tun, als ein unbeirrtes Festhalten am Bau eines ersten polnischen Atomkraftwerks zu erklären. Im negativsten Fall wird dieses Atomkraftwerk im pommerschen Greifenberg im Unteren Odertal, 85 Kilometer östlich von Berlin gebaut werden.

Für die NPD ist also glasklar, dass Deutschland und Sachsen nur vor den Folgen eines möglichen GAU geschützt werden können, wenn europaweit der Atomausstieg konsequent betrieben wird. Dazu ist es nach Auffassung der NPD unbedingt notwendig, dass Deutschland sofort und einseitig aus dem Euratom-Vertrag des Jahres 1957 aussteigt und diesen Vertrag kündigt, der alle EU-Staaten dazu verpflichtet, die Atomindustrie zu fördern. Wir sagen daher: Ökostrom statt Euratom!

Klar ist, der konsequente Kampf gegen die Hochrisikotechnologie Atomkraft kann nur gegen die Atomlobby der EU geführt werden. Deshalb müssen sich jetzt auch die antragstellenden Fraktionen SPD und GRÜNE fragen lassen, was ihnen wirklich wichtig ist, die Brüsseler Streicheleinheiten für den Verrat an deutschen Interessen oder der konsequente und glaubwürdige Einsatz gegen die Atomkraft, der gegen die EU durchgefochten werden muss.

(Beifall bei der NPD)

Unsere Position – deshalb müssen wir uns diesbezüglich nicht verdrehen wie die CDU – ist schon seit der 4. Legislaturperiode glasklar. Wir hatten eigene Gesetzentwürfe eingebracht. Denn wir stehen seit der 4. Legislaturperiode für die konsequente Dezentralisierung aller Versorgungsstrukturen und für den konsequenten Bruch mit den Machtstrukturen einer kapitalistischen Energielobby. Aber im Gegensatz zu Ihnen, meine Damen und Herren, sind wir dazu bereit, diesen Bruch auch gegen die Europäische Union durchzukämpfen.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD)

Das war der Abg. Schimmer für die NPD-Fraktion. – Die Staatsregierung will in dieser Runde nicht das Wort ergreifen. – Wir kommen wieder zurück zu der antragstellenden Fraktion der SPD und das Wort hat jetzt Herr Kollege Jurk.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als wir in der vergangenen Woche den Debattenbeitrag „Strom muss bezahlbar bleiben – keine versteckten Preiserhöhungen“ einreichten,

war uns das Ausmaß der Katastrophe von Japan so gar nicht bekannt. Ich will deutlich sagen, was der Auslöser für mich war, erst diese Debatte zu beantragen: Es war das Bekanntwerden, dass bei der Berechnung der EEGUmlage zu viel Geld abverlangt wurde, was am Ende dazu führte, dass die Strompreise bei uns im Land steigen werden. Das wollte ich zum Thema machen.

Jeder wird Verständnis haben, dass eingedenk dieser schrecklichen Ereignisse in Japan das Thema Atomausstieg durchaus zur Debatte gehört. Herr Kollege Hahn, es geht mir hierbei nicht um die Frage des Atomkonsenses – darüber muss man hinweg sein –, es geht wirklich um die Frage des Ausstiegs und darum, dass wir schneller aussteigen müssen.

Mir ist wichtig darauf hinzuweisen, dass zur selben Zeit im Thüringer Landtag auf Antrag der Ministerpräsidentin eine Debatte stattfindet, in der sie eine Regierungserklärung abgibt. Ich will Sie kurz darüber informieren, dass sich die Thüringer Ministerpräsidentin – das ist das, was mir gerade bekannt wurde – soeben für einen früheren Atomausstieg, nämlich sogar vor dem Jahr 2020, ausgesprochen hat

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

und dass man sich in Thüringen das Ziel setzt – wobei Thüringen, muss ich sagen, gerade beim Thema erneuerbare Energien gut vorangekommen ist –, bis zum Jahr 2020 35 % der Energie aus erneuerbaren Energiequellen zu erzeugen.

Ich schaue jetzt einmal zu der Regierungsbank und sehe unseren Ministerpräsidenten nicht.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Da hinten sitzt er!)

Aha, in der letzten Reihe. – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hätte mir durchaus gewünscht, lieber Stanislaw Tillich, dass wir dieses Thema auch hier zur Sache der Regierung machen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall bei den LINKEN)

Denn das, was von CDU und FDP kam – –

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Gern, Herr Clemen.

Vielen Dank, Herr Jurk. – Herr Kollege Jurk, geben Sie mir recht, dass es wenig Sinn macht, wenn Deutschland als Insellösung aus dem Atomzeitalter aussteigt,

(Zuruf von der NPD: Warum denn nicht? Dann fängt mal jemand an!)

aber um uns herum, in unseren Nachbarländern Polen, Tschechien und auch Russland – Wladimir Putin hat vor zwei Jahren gesagt, Russland werde in den nächsten zehn Jahren 25 neue Atomkraftwerke bauen – neue Atom

kraftwerke entstehen und wir dann unter Umständen den Strom aus Tschechien, Russland und Frankreich beziehen? Glauben Sie, dass das vernünftig ist,

(Zuruf der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE)

oder glauben Sie vielmehr, dass man vielleicht auf europäischer Ebene versuchen sollte, eine andere Lösung herbeizuführen?

(Beifall bei der CDU)

Danke, Herr Clemen. Das ist – ich lasse Ihnen den Beifall – sicherlich eine wichtige Frage. Ich hätte erwartet, dass Herr von Breitenbuch und vielleicht Herr Herbst diese bereits ansprechen würden.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Richtig!)

Denn genau das gehört zum Thema. Ich gebe Ihnen teilweise sogar recht. Selbstverständlich sind wir nicht auf einer Insel der Glückseligen, weiß Gott nicht. Unser Ziel muss einfach sein, als Deutsche dort die Meinungsführerschaft zu haben.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und des Abg. Klaus Tischendorf, DIE LINKE)

Aber wir sind zuerst einmal der Bevölkerung in Sachsen und in Deutschland gegenüber verantwortlich.