Protokoll der Sitzung vom 25.05.2011

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es geht um die Zuwanderung – ich will es noch einmal betonen – von Fachkräften. Es geht in erster Linie um Ärzte und Ingenieure und es geht weniger um die Putzfrau oder den Hausmeister. In Sachsen haben wir derzeit eine Ausländerquote von 2,1 %.

(Zuruf des Abg. Andreas Storr, NPD)

Wenn es zu diesen 16 800 käme und es anstiege, dann wären wir bei 2,5 %. Ihre Ängste vor Überfremdung sind also völlig blödsinnig. Man sieht, dass Sie weder etwas von Ausländerpolitik noch von Mathematik verstehen.

(Beifall bei der CDU und der FDP sowie der Abg. Dagmar Neukirch, SPD, und Miro Jennerjahn, GRÜNE)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben aber auch gesagt: Für uns ist das Thema Zuwanderung das letzte in einem Maßnahmenbündel. Es geht darum, zunächst andere Maßnahmen in einem Paket zu ergreifen, um unseren Arbeitsmarkt zu entlasten. Ich möchte drei Punkte nennen:

Erstens geht es darum, dass Arbeitlose, insbesondere Langzeitarbeitslose, wieder in Arbeit kommen.

Zweitens geht es darum, dass wir Schulabgängern ohne Abschluss den Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen.

Wie kann es uns gelingen, möglichst alle Schüler mit Abschluss auf den Arbeitsmarkt zu bringen? Wie kann es uns gelingen, Pendler zurückzuholen, die jetzt zum Beispiel in den alten Bundesländern arbeiten?

Gerade bei den Langzeitarbeitslosen gibt es ein wahnsinnig großes Potenzial. Bei den Menschen über 55, sagt die Bundesagentur für Arbeit, liegt das Potenzial bei 44 000 Menschen, das ist mehr als doppelt so viel wie im Bereich der Zuwanderung. Das wollen wir natürlich nutzen. Wir wollen auch darüber diskutieren, wie es gelingen kann, dass Frauen, die arbeiten wollen, besser auf dem Arbeitsmarkt verankert sind und wie ihnen der Zugang auf den Arbeitsmarkt erleichtert werden kann. Das Potenzial hier prognostiziert die Bundesagentur für Arbeit mit 97 000 Stellen, also sechsmal so viel, wie im Bereich der Zuwanderung liegt. Wir wissen, dass es dort gerade Frauen, die Kinder haben, oftmals sehr schwer gemacht wird, ihren Wunsch nach Arbeit zu verwirklichen.

Lassen Sie mich zum Schluss kommen, meine sehr geehrten Damen und Herren. Wir haben die Debatte unter die Überschrift gestellt „Keine Angst vor unseren Nachbarn“. Wir brauchen in der Tat keine Angst zu haben. Ich

kann das auch einmal in Klammern sagen: Es gibt mehr Deutsche, die in Tschechien arbeiten, als Tschechen, die in Deutschland arbeiten. Wenn jemand Angst haben müsste, müssten es vielleicht diese sein. Aber das ist nicht der Fall. Wir müssen keine Angst haben, weder vor den Tschechen noch vor den Polen; genauso wenig Angst, wie wir vor den Borstendorfern haben müssen. Es wird eine ganz geringe Zahl sein, die uns hier beglückt und die unser Land und unseren Wohlstand voranbringt. Deswegen sehen wir das optimistisch. Wir sind froh, dass es ausländische Fachkräfte gibt, die zu uns nach Deutschland kommen wollen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Die Linksfraktion, bitte.

(Jürgen Gansel, NPD, steht am Mikrofon.)

Herr Gansel, eine Kurzintervention, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Krauß! Ich möchte die Gelegenheit zu einer Kurzintervention nutzen, weil Sie wieder einmal vorgeführt haben, wie der Betrugsbegriff der Fachkräfte jeder Realität gerade im ostsächsischen Grenzgebiet widerspricht.

Ich weiß nicht, ob Sie vor drei Wochen auch einen ZDFBericht gesehen haben, in dem von einer von deutschen Unternehmen ausgerichteten Arbeitsmarktmesse in Schlesien berichtet wurde, auf der sich verschiedene deutsche Unternehmen mit ihren Informationsständen auf der himmelschreienden, verzweifelten Suche nach polnischen „Fachkräften“ präsentiert haben.

Die Quintessenz dieses siebenminütigen Fernsehbeitrages war, dass alle deutschen Firmen, die auch nur annähernd im Bereich der Hochtechnologie oder im Computerbereich tätig sind, beklagt haben, dass an ihrem Stand Flaute herrschte. Die einzigen dort in Schlesien vertretenen Firmen, die auf dieser Arbeitsmarktmesse Interessenten anwerben konnten, waren Bauunternehmen, Hoteliers und Gaststättenbetriebe. Damit wird allein schon anhand dieses ZDF-Beitrages deutlich, in welchen Arbeitsmarktbereichen eine Billiglohnkonkurrenz und eine Masseneinwanderung stattfinden. Da wandern nämlich nicht die hoch qualifizierten, mystifizierten ausländischen Fachkräfte zu, sondern es findet eine Einwanderung in den Arbeitsmarktbereich statt, in dem jetzt schon Massenarbeitslosigkeit und Strukturarbeitslosigkeit unter deutschen Landsleuten besteht.

Diese strukturelle Arbeitslosigkeit in Sachsen verfestigen Sie mit Ihrer Grenzen-auf-Politik. Wenn Sie nun von „Fachkräften“ sprechen und das Beispiel Ärzte anführen, sage ich: Ja, wir haben mittlerweile in Sachsen einen Ärztemangel. Das ist allerdings auf personalpolitische, sozialpolitische und gesundheitspolitische Fehlentscheidungen auch Ihrer Staatsregierung zurückzuführen. Wenn

Sie sich einmal die Auswanderungsstatistiken deutscher Ärzte ansehen, dann wissen auch Sie, dass in den letzten Jahren Zehntausende hoch qualifizierte deutsche Mediziner Deutschland verlassen haben, weil sie durch das Herumgemurkse der etablierten deutschen Gesundheitspolitik hier keine Perspektive sehen. Unsere gut ausgebildeten Mediziner wandern nach Großbritannien aus, und als billigen buchhalterischen Ersatz holen Sie dann Discountmediziner aus der Ukraine.

(Beifall bei der NPD)

Herr Abg. Kind, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für die letzten Minuten gibt es gute Behandlungsmöglichkeiten. Es ist alles therapierbar; ob es bei Ihnen anschlägt, weiß ich nicht.

Zur Debatte. Ich muss feststellen, dass das Thema der Debatte und das Interesse im Plenum nicht miteinander korrelieren. Das ist traurig.

(Beifall bei der NPD)

Wir reden nämlich eigentlich über europäische Normalität, die ab 1. Mai stattfindet. Die sieben Jahre zuvor waren keine europäische Normalität. Da muss ich einmal Herrn Herbst ansprechen. Wer hat denn die letzten Jahre hier im Land regiert und hat die Tore noch zugehalten?

(Torsten Herbst, FDP: Sie haben hier nicht regiert!)

Das waren auf alle Fälle nicht DIE LINKEN, die Sie angesprochen haben, denn wir waren immer seit der Freizügigkeit dafür, diese zuzulassen und zu regeln. Das lässt sich in vielen Anträgen im Bundestag und in verschiedenen Landtagen nachlesen.

Wir haben schon im Hinblick auf diesen 1. Mai im November/Dezember 2009 hier die Debatte geführt und die Staatsregierung aufgefordert, entsprechende Maßnahmen einzuleiten und diesen Prozess für alle gewinnbringend zu steuern. Man darf es nicht auf ein mögliches Fachkräfteproblem reduzieren, das man jetzt damit lösen könnte. Damit verkürzt man die Diskussion, und damit gibt man solchen Leuten, wie sie hier drüben stehen, erst Futter, sich in diese Diskussion, wie wir sie gerade erleben mussten, einzumischen.

(Andreas Storr, NPD, steht am Mikrofon.)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

– Ich sehe niemanden, der eine Zwischenfrage stellen möchte.

Herr Abg. Storr bittet um eine Zwischenfrage. Ich frage Sie noch einmal: Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage, denn ich sehe niemanden, der eine stellen könnte. Wenn Sie aufhören würden, Wahlkreisbüros einzuschlagen, dann kann man mit Ihnen auch im Parlament wieder reden. Ganz klar.

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Der Prozess der Arbeitnehmerfreizügigkeit, der den Prozess der EU-Erweiterung Richtung Osten abschließt, bietet mehr Chancen, als sich nur um fehlende Fachkräfte zu kümmern. Das ist ein demokratischer Prozess, der für ganz Europa damit aufgemacht und ermöglicht wurde. Den sollte man in seiner Komplexität auch so begreifen. Wir werden in Sachsen nur erfolgreich sein, wenn wir zusammen mit unseren Nachbarn wie Brandenburg und den polnischen und tschechischen Regionen daran arbeiten, in der Region einen gemeinsamen Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialraum zu entwickeln. Dazu zählt nicht nur, wer von wem qualifizierte Fachkräfte abwerben kann, sondern dazu zählt, wie man gemeinschaftlich Wirtschaftsprojekte auf den Weg bringen kann, die diesen bei diesem Prozess helfen können.

Ich möchte, um die Zeit nicht noch weiter auszudehnen, die Forderungen nicht noch einmal alle wiederholen, die wir hier an verschiedenen Stellen erhoben haben. Einige Vorredner der GRÜNEN, der SPD und mein Kollege Kosel haben darauf hingewiesen, dass das Maßnahmenpaket Mindestlohn nur ein Element des Ganzen ist.

Danke schön.

Herr Gansel, Sie erhalten einen Ordnungsruf wegen der Äußerung gegenüber dem Abg. Kind.

(Kerstin Köditz, DIE LINKE: Danke, Frau Präsidentin.)

Meine Damen und Herren! Bitte, Herr Abg. Heidan.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf vorwegnehmen, dass die heutige Aktuelle Debatte keine Bilanz sein sollte. Von einer Bilanz hat hier aus der CDU- und der FDPFraktion keiner gesprochen, sondern wir haben gesagt, dass wir jetzt die Chance nutzen und wegen dieser Arbeitnehmerfreizügigkeit um die dringend notwendigen Fachkräfte werben müssen. Da darf ich schon einmal auf den Seitenhieb des Finanzkapitals oder der Monopolisten, was hier einer von der NPD vorgetragen hat, eingehen.

Die Handwerkskammer Chemnitz bildet zurzeit Lehrlinge von Most mit einem Kooperationsvertrag aus, der es durchaus ermöglicht, dass Fachkräfte in Sachsen arbeiten können, wenn sie das wollen.

Ich bin dieser Tage in die Hochschule nach Zwickau gefahren, und auf dem Weg dorthin habe ich einen groß plakatierten Fliesenlegerbetrieb gesehen, bei dem zu lesen stand „Fliesenleger gesucht“.

Meine Damen und Herren, wir haben hier in Sachsen und in den fünf neuen Bundesländern eine Situation erreicht, die uns vor große Herausforderungen stellt. Was vor zwei oder drei Jahren vielleicht von IHKs und Handwerkskammern prognostiziert wurde, ist jetzt eingetreten: Der Geburtenknick ist jetzt da. Wir haben allein im Vogtland voriges Jahr das gleiche Lehrstellenangebot wie die Lehrlinge, die jetzt einen Lehrvertrag unterschrieben haben; das war die Situation im Jahr 2010. Wie es für 2011 ist, lässt sich noch nicht sagen, da müssen wir noch etwas Zeit ins Land streichen lassen; aber ich kann mir vorstellen, dass die Situation nicht besser geworden ist. Von daher brauchen wir auch diese Fachkräfte in den kleinen und mittelständischen Firmen und Unternehmen.

(Beifall bei der CDU)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Storr?

Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage. Sie haben ja noch Redezeit, die Sie in Anspruch nehmen können.

Ich will noch einmal etwas zur Lohnfrage, die Herr Brangs aufgeworfen hat, sagen. Es macht aus ökonomischer Sicht kaum einen Unterschied, ob ein Osteuropäer in seiner Heimat ein Gut zu niedrigen Lohnkosten herstellt und danach das Gut nach Deutschland exportiert und hier preisgünstig verkauft wird, oder ob er es hier zu niedrigen Löhnen herstellt und wettbewerbsfähige Produkte einstellt. Das ist einmal rein nüchtern aus ökonomischer Sicht gesagt.