Protokoll der Sitzung vom 25.05.2011

(Zuruf des Abg. Karl Nolle, SPD)

Herr Brangs, Sie werden es jetzt sicherlich hören – im Moment ist er nicht anwesend –: Diese Situation zu verändern ist nicht Aufgabe der Politik. Die Aufgabe ist den Tarifpartnern vorbehalten und es ist ein Armutszeugnis, wenn sich ein Gewerkschafter hier hinstellt und sagt, das passt nicht mehr in das tarifvertragliche Gefüge. Wir haben deswegen Tarifverträge und wir haben auch Tarifpartner, die Personalräte, die hier angesprochen worden sind. Es ist sicherlich nicht Aufgabe der Unternehmen, sondern es ist letztendlich auch Aufgabe der Gewerkschaft, dementsprechende Unterstützung zu geben.

(Beifall des Abg. Marko Schiemann, CDU)

Wettbewerb ist lästig, das ist richtig, aber Wettbewerb ist auch notwendig. Warum haben wir denn so hohe Löhne? Weil wir hoch produktiv sind, und genau für diese hoch produktiven Unternehmen, die wir in Sachsen haben, brauchen wir die Facharbeiter.

Natürlich wird es auch Leute geben, die außen vor stehen. Das sind nämlich diejenigen, die mit einem niedrigen Bildungsstandard auf den Arbeitsmarkt gehen und versuchen, eine Arbeit zu finden. Hilfskräfte werden in diesen hoch produktiven Unternehmungen mit Sicherheit nicht gesucht, sondern Facharbeiter. Das ist auch das Thema unserer heutigen Aktuellen Debatte.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung)

Gibt es noch weiteren Redebedarf vonseiten der Fraktionen? – Wenn das nicht der Fall ist, frage ich die Staatsregierung. – Herr Minister Morlok, bitte.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Karl Nolle, SPD: Bravo, bravo!)

Es freut mich, dass wir in dieser Aktuellen Debatte fraktionsübergreifend – bis auf eine Fraktion – in verschiedenen Punkten Einigkeit festgestellt haben, nämlich Einigkeit in der Frage, dass wir die Arbeitnehmerfreizügigkeit als Vollendung des europäischen Binnenmarktes begrüßen;

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Andreas Storr, NPD)

und zum Zweiten, dass die negativen Auswirkungen, die von verschiedener Seite im Vorfeld der Vollendung der Arbeitnehmerfreizügigkeit behauptet wurden, bisher nicht eingetreten sind.

(Julia Bonk, DIE LINKE: Seit drei Wochen! – Zuruf des Abg. Andreas Storr, NPD)

Ich möchte ausdrücklich für die Staatsregierung erklären, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus den acht europäischen Staaten bei uns in Sachsen herzlich willkommen sind.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Andreas Storr, NPD: Genau! Kommt alle! Millionen! Milliarden eigentlich!)

Ich möchte zu einigen Bemerkungen seitens der NPD Stellung nehmen. Es ist mitnichten so, dass sich sächsische Betriebe aufgrund der Tatsache, dass es Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus Osteuropa gibt, um ihre Verantwortung für die Ausbildung drücken würden. Es gibt mehr Ausbildungsplätze im Freistaat Sachsen von den Unternehmen in Sachsen, als momentan junge Auszubildende vorhanden sind. Mitnichten drückt sich hier irgendjemand. Die Arbeitsgesetze gelten selbstverständlich auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus Osteuropa. Herr Heidan hat mit seinem Beispiel aus dem Bereich des Handwerks deutlich gemacht, dass man mitnichten von einer Massenarbeitslosigkeit am Bau im Freistaat Sachsen sprechen kann.

Es ist richtig, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland bereits früher von der Möglichkeit der Freizügigkeit hätten Gebrauch machen sollen. Ich weiß, dass der Freistaat Sachsen auch noch unter anderer Regierungsverantwortung diesbezüglich aktiv geworden ist, aber auf der Bundesebene kein Gehör gefunden hat. Es ist richtig: Wir haben bisher keine negativen Auswirkungen auf dem

Arbeitsmarkt und wir haben bisher auch keine Zuwanderung in die Sozialsysteme feststellen können. Es ist die Bundesrepublik Deutschland, die am meisten von der Vollendung des Binnenmarktes profitiert. Wir sind der Exportweltmeister im Rahmen der Europäischen Union.

(Andreas Storr, NPD: Das behaupten Sie!)

Wir haben davon am meisten profitiert: Arbeitsplätze in Deutschland, Arbeitsplätze in Sachsen hängen an der Exportkraft der deutschen Wirtschaft innerhalb unserer europäischen Partnerstaaten.

(Beifall des Abg. Alexander Krauß, CDU)

Wir profitieren von diesem europäischen Binnenmarkt und werden auch von der Arbeitnehmerfreizügigkeit weiter profitieren.

Wichtig ist allerdings auch, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass natürlich die Freizügigkeit bezüglich der acht europäischen Nachbarstaaten das Fachkräfteproblem im Freistaat Sachsen nicht lösen wird.

(Andreas Storr, NPD: Es sollen ja noch welche dazukommen!)

Aber es kann einen Beitrag dazu leisten und wir als Staatsregierung haben daher auch andere Aktivitäten in Richtung Lösung des Fachkräfteproblems unternommen.

Eine Initiative hat der Kollege Markus Ulbig in der letzten Sitzung des Bundesrates eingebracht, nämlich unsere sächsische Bundesratsinitiative, zum einen die Mindestverdienstgrenze zu senken für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch außerhalb der Union, und zum anderen einen Aufenthaltstitel zu schaffen, hier nach Deutschland zur Arbeitssuche kommen zu können.

Herr Jennerjahn hatte das Thema Anerkennung von Abschlüssen angesprochen. Das ist uns als Staatsregierung ein wichtiges Thema und die Irritationen, die vielleicht in der Öffentlichkeit aufgetreten sind, möchte ich ganz klar zurückweisen. Wir als Staatsregierung werden selbstverständlich der Gesetzesinitiative der Bundesregierung zustimmen. Wir haben am Freitag den ersten Durchgang im Bundesrat. Da gibt es zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung circa 150 Ziffern, bei denen der Bundesrat zu verschiedenen Punkten Stellung nimmt, und wir als Freistaat Sachsen werden uns zu einigen dieser Ziffern enthalten und selbstverständlich dem Gesetzentwurf, wenn er in einen zweiten Durchgang in den Bundesrat kommt, unsere Zustimmung nicht verweigern; im Gegenteil, wir unterstützen die Initiative nachdrücklich.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Alexander Krauß, CDU)

Eine weitere Möglichkeit, das Fachkräfteproblem zu lösen, besteht darin – Herr Kollege Krauß hat es angesprochen –, vermehrt auch Frauen den Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Auch insoweit wird die Staatsregierung aktiv werden. Die Koalition hat sich darauf verständigt, hinsichtlich der Flexibilisierung der Öffnungszeiten von Kindertagesstätten etwas zu tun,

(Andreas Storr, NPD: Aber die Kommunen sollen es dann zahlen, oder wie?)

um auch für junge Frauen die Möglichkeit zu schaffen, verstärkt arbeiten zu gehen. Ich bin mir sicher, dass Kollege Prof. Wöller kurzfristig entsprechende Vorschläge unterbreiten wird.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Insgesamt möchte ich für die Staatsregierung feststellen, dass der europäische Binnenmarkt und dessen Vollendung im Interesse des Freistaates Sachsen liegen.

(Andreas Storr, NPD: Ja, aber nur als Fass ohne Boden! „Im Interesse des Freistaates“ – das kann ja wohl nicht hinhauen!)

Der Binnenmarkt ist ein großer Erfolg. Vor über 20 Jahren sind gerade hier in Sachsen Menschen dafür auf die Straße gegangen, weil sie genau das haben wollten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Jürgen Gansel, NPD: Für die Arbeit- nehmerfreizügigkeit – vor über 20 Jahren? – Andreas Storr, NPD: Damit Polen, Türken und die ganze Welt hier arbeiten kann?)

Herr Schimmer?

Ich würde gern vom Mittel der Kurzintervention Gebrauch machen. Der Herr Staatsminister hat es ja schon etwas abgemildert und nur noch davon gesprochen, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit dabei „helfen“ könne, den Fachkräftemangel zu lindern. Aber auch das ist einfach unwahr. Man sollte sich einfach einige empirische Daten bzw. Statistiken zu Gemüte führen. Diese besagen zum Beispiel für Großbritannien und Irland – wenige Jahre, nachdem dort die Arbeitnehmerfreizügigkeit für Osteuropäer eingeführt wurde – zu der Frage, wer zuwanderte: Zu 82 % waren es Beschäftigte, die dann als Fabrik- und Lagerarbeiter, als Verpacker

oder als Beschäftigte im Transportsektor gearbeitet haben. Zu 11 % waren es Beschäftigte im Hotelgewerbe oder in der Gastronomie. Zu 4 % waren es Beschäftigte in der Landwirtschaft. Ich glaube wirklich nicht, dass das Bereiche sind, in denen man Hochqualifizierte braucht.

Deswegen ist genau das richtig, was auch ein Gewerkschaftsfunktionär wie Klaus Wiesehügel von der IG Bau gesagt hat: Die Arbeitnehmerfreizügigkeit wird nur dazu führen, dass die Zahl der prekär Beschäftigten in Deutschland weit über die 10-Millionen-Marke hinaus explodieren wird. Das ist weder humanitär noch unter Arbeitsmarktgesichtspunkten vernünftig, sondern einfach nur eine Dumping- und Niedriglohnkonkurrenz, die man schon fast als asozial bezeichnen muss und die wieder einmal auf Kosten der schwächeren Landsleute ausgetragen wird.

Wir von der NPD werden uns sicherlich nicht dem Arbeitnehmerfreizügigkeitsrausch hingeben. Für uns steht fest, dass auch der Arbeitsmarkt geschützt werden muss.

(Beifall bei der NPD)

Herr Herbst, bitte.

Frau Präsidentin, ich würde im Rahmen meiner normalen Redezeit gern eine Erwiderung auf die NPD geben. – Wenn Sie mit 80 im Pflegeheim liegen – es wünscht Ihnen niemand, dass das passiert –, aber wenn es so ist, dann werden Sie am Ende noch froh sein, wenn Ihnen die polnische Pflegekraft die Schnabeltasse reicht.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Jürgen Gansel, NPD: Ein schneidiges Argument, wirklich schneidig!)

Gibt es weiteren Redebedarf? – Wenn das nicht der Fall ist, kommen wir zu

2. Aktuelle Debatte

Staatsregierung darf nicht länger abtauchen – Kommunen bei Umsetzung des Teilhabe- und Bildungspaketes unterstützen!