Protokoll der Sitzung vom 26.05.2011

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Für die CDU-Fraktion war das der Kollege Wehner. – Als Nächster spricht für die Fraktion DIE LINKE Herr Kollege Pellmann.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat hat die SPD heute ein Thema auf die Tagesordnung gesetzt, das notwendig, wichtig und vor allem auch aktuell ist. Wir stehen vor großen Herausforderungen, um dem demografischen Wandel auch entsprechend Genüge zu tun, und wir müssen die Frage beantworten, wenn wir diesen Herausforderungen gerecht werden wollen: Wo stehen wir gegenwärtig wirklich, welche Schlussfolgerungen müssen wir daraus ziehen? Deshalb möchte ich in meinem Beitrag zunächst einmal auf diese Problematik eingehen und versuchen, diese Fragen zu beantworten.

Generell gibt es erhebliche Unterschiede in der Wahrnehmung zwischen der Staatsregierung und den LINKEN. Die Regierung meint, sie sei, was die Pflegesituation betrifft, gut aufgestellt, ja sogar, wie man lesen kann, sie bewege sich im Spitzenfeld der neuen Bundesländer. Wir kommen zu einer differenzierten, ja einer anderen Einschätzung.

Frau Neukirch hat es angesprochen: Wir erkennen sehr wohl an, dass in den Neunzigerjahren außerordentlich große Anstrengungen zur Verbesserung der Pflegesituation in Sachsen unternommen worden sind. Aber seither, meine sehr verehrten Damen und Herren – so deutlich muss man das sagen –, leben wir von und aus der Substanz, und das müssen wir, denke ich, grundlegend ändern.

Was die Zahl der Pflegebedürftigen betrifft, so werden offiziell 131 000 Pflegebedürftige in Sachsen ausgewiesen, aber wenn man sich die Zahl genauer anschaut, wissen wir – bestimmte Analysen zeigen das auch deutlich –, dass wir eigentlich heute bereits etwa 100 000 Pflegebedürftige in Sachsen mehr haben. Das sollten wir zur Kenntnis nehmen. Es handelt sich nämlich um jene, die keine Pflegestufe haben oder sie auch nicht beantragen, aber dennoch pflegebedürftig sind.

Das muss dann auch nach meinem Dafürhalten bei den Prognosen berücksichtigt werden, die wir bis etwa 2025 bereits vorliegen haben. Hier, sage ich, setzt die Staatsregierung eine viel zu niedrige Prognose der Zahl der Pflegebedürftigen an. Nach meinem Dafürhalten sind es nicht knapp 200 000 Pflegebedürftige, mit denen wir dann rechnen müssen, sondern es sind eher 300 000 Pflegebedürftige. Ich kann mir vorstellen, warum die Staatsregierung das macht: weil sie nämlich damit niedrige Haushaltsansätze vertreten will. Das ist der Grund.

Ich denke, wir müssen auch deutlich machen: Wir haben bereits heute einen Fachkräftemangel in der Pflege. Ich will allerdings, meine Damen und Herren, weil das Problem immer besonders grassiert, heute noch nicht von einem Pflegenotstand sprechen. Allerdings wird er mit Sicherheit eintreten, wenn wir nicht gegensteuern, und das müssen wir unbedingt verhindern.

(Beifall des Abg. Horst Wehner, DIE LINKE)

Wir haben, was den Fachkräftemangel betrifft, die Meinung, dass es daran liegt, dass die Pflege in unserem Land und auch deutschlandweit noch nicht den Stellenwert hat, der ihr eigentlich zukommt, insbesondere was den beruflichen Ethos des Pflegepersonals betrifft. Das ist dann auch eine Frage der Bezahlung, aber nicht nur. Wenn wir in Sachsen etwa 25 % niedrigere Bezahlung der Pflegekräfte haben als in Westdeutschland, dann müssen wir uns nicht wundern, dass es zur Abwanderung kommt und hier insbesondere ein Bedarf entsteht.

Allerdings muss ich sagen, dass die Staatsregierung die Verantwortung von sich abwälzt. Das zeigt sich daran, dass sie meint, der sogenannte liberale Markt werde es schon richten. Das führte zu einer Expansion des privaten Sektors auf einer Reihe von Positionen mit allen Konsequenzen, die das hatte.

Ich sage auch, die staatliche Kontrolle muss endlich flächendeckend her. Wir sind prinzipiell dagegen, dass diese Aufgabe lediglich die Medizinischen Dienste der Pflegekassen oder künftig der Sächsische Sozialverband übernehmen. Nein, neutrale Kontrolle durch staatliche Behörden ist nötig.

(Beifall bei den LINKEN)

Wie sieht es denn aus? Da es nach wie vor keine Landesbedarfsplanung gibt und die Staatsregierung sie auch ablehnt, werden wir, was die Qualität betrifft, einen Flickenteppich je nach Kassenlage der Kommunen erhalten. Das ist jetzt zum Teil schon der Fall.

Herr Kollege, die Redezeit läuft ab.

Vielen Dank, Herr Präsident.

Insofern werde ich dann, nachdem Kollege Wehner von der CDU auf diese Sache aufmerksam gemacht hat, konkrete Vorschläge unterbreiten, wie wir das ändern können.

(Beifall bei den LINKEN)

Der Abg. Pellmann sprach für die Fraktion DIE LINKE. – Für die FDPFraktion spricht jetzt Frau Kollegin Schütz.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Neukirch, nach der Einbringung der Aktuellen Debatte am heutigen Tage finde ich es richtig, dass Sie nicht mehr Regierungsverantwortung in diesem Land tragen. Ein Land schlechtzureden und so zu tun, als wäre in Sachsen nichts passiert, das ist offenbar ein Markenzeichen der SPD.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Wenn Sie davon sprechen, dass das Engagement in Sachsen erloschen sei, dann muss ich mich fragen, ob wir in der gleichen Anhörung im Sozialausschuss gesessen

haben, bei der wir verschiedene Sachverständige aus verschiedenen Verbänden gehört haben.

Natürlich muss man an dieser Stelle auch sagen: Nichts ist so gut, dass es nicht noch besser gemacht werden kann. Wir haben im Bereich der Pflegeberatung viele Ansatzpunkte. Wir dürfen aber eines nicht vergessen – das hat uns die Anhörung auch gezeigt –: In der Regel tritt ein Pflegefall plötzlich ein. Dann ist immer guter Rat teuer. Kaum jemand möchte sich im Vorfeld mit der Pflegebedürftigkeit beschäftigen, und die Angehörigen und die Betroffenen benötigen natürlich Hilfe bei der Auswahl von Sozialleistungen und Hilfsangeboten. Gerade in einem solchen Akutfall ist die entsprechende Pflegekasse meistens die erste Anlaufstelle für die Suchenden.

Insofern ist es natürlich auch naheliegend, dass die Pflegekassen in ihrer Verantwortung die Beratung durchführen. Das ist bisher sicherlich nicht in jedem Bereich der Fall. Daher bedarf es der Vernetzung, da auch nicht jede Kranken- und Pflegekasse vor Ort ansässig ist.

Sachsen hat sich daher aus guten Gründen für die Entwicklung des Pflegenetzes entschieden. Der Vorschlag, flächendeckende Pflegestützpunkte zu errichten, wäre hingegen eine teure Rolle rückwärts, hin zu bürokratischen und starren Institutionen. Ich darf Sie noch einmal daran erinnern, meine Damen und Herren von der SPD, dass die Entscheidung für ein Pflegenetzwerk in Sachsen, die eine richtige Entscheidung war, zu Ihrer Mitregierungszeit 2008 getroffen worden ist. Sie konnten sich mit Ihrer Meinung offenbar nicht gegen die Meinung der Vertreter der Pflegekassen, der kommunalen Spitzenverbände und der Verbände der Leistungserbringer durchsetzen, sondern hier ist eine gemeinsame Verantwortung für Sachsen getroffen worden, das zu tun.

Ich darf nochmals aus der Anhörung zitieren. Herr Ehrlich vom Sozialamt der Stadt Chemnitz – SPD-Bürgermeisterin! – meinte, dass so eine neue Sache auch Zeit braucht. Der Ansatz der vernetzten Pflegeberatung war neu. Er ist bürgerfreundlich, ressourcenschonend, zukunftssicher, aber es ist eine neue Struktur, und die braucht Zeit. Wir wissen aus aktuellen Diskussionen in anderen Bereichen, dass so etwas nicht auf Knopfdruck funktioniert. Da kann ich Ihnen nur recht geben.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Versorgungsstrukturen sind natürlich immer am Bedarf der Betroffenen auszurichten. Ziel muss es immer sein, die Menschen in ihrem gewohnten Umfeld zu belassen. Das betrifft gerade Menschen mit demenziellen Erkrankungen, die einen hohen Bedarf an einer allgemeinen Beaufsichtigung haben, aber körperlich letztlich gesund sind und passende Angebote und Angebote zur Selbsthilfe brauchen.

„Ambulant vor stationär“, das ist für uns keine Floskel, sondern hier tun wir etwas. Der Haushaltsansatz ist bereits benannt worden. Fast 1,5 Millionen Euro stellen wir im Doppelhaushalt zur Verfügung, um neue niederschwellige Versorgungskonzepte mitzufinanzieren.

Das Spektrum reicht von der Entlastung pflegender Angehöriger bis zur Finanzierung von speziellen Betreuungsgruppen.

Sachsen hat bundesweit eine der modernsten Pflegelandschaften. Das bestätigen uns immer wieder die Noten des Pflege-TÜV für unsere sächsischen Heime. Dass wir dieses gute Ergebnis vorweisen können, ist natürlich vor allem auf die Arbeit unserer engagierten Pflegekräfte zurückzuführen, die sich täglich weit über ein professionelles Maß hinaus für andere Menschen engagieren. Der Dank dafür ist vorhin schon ausgesprochen worden.

Wir wissen aber auch: Wer sein Personal halten will, muss auch bereit sein, gute Arbeitsbedingungen für seine Mitarbeiter zu schaffen, Möglichkeiten der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu schaffen, für bürokratiearme Abläufe zu sorgen und die Arbeit am Menschen als solche zu bewerten und zu würdigen.

Deshalb braucht die Pflege in Sachsen nicht Pflege, sondern sie braucht in erster Linie Qualität und gute Bedingungen im Interesse der pflegebedürftigen Menschen und im Interesse des Personals. Unsere Aufgabe besteht vor allem darin, die Pflegeangebote der Leistungsträger und die Leistungsempfänger stärker zu vernetzen,

Die Redezeit läuft ab.

damit Ratsuchende Hilfe aus einer Hand erhalten, um älteren pflegebedürftigen Menschen eine Perspektive zu ermöglichen, indem wir uns an deren Wünschen und Bedürfnissen orientieren und uns nicht über Wenn, Wäre und Hätte unterhalten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Das war die Abg. Frau Schütz für die FDP-Fraktion. – Für die Fraktion GRÜNE spricht jetzt die Abg. Herrmann.

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben oft darüber gesprochen, dass auch für das Alter eigenverantwortlich vorgesorgt werden sollte. Jeder sollte das tun. Ich habe mich einmal auf den Weg gemacht, um zu sehen, wie weit ich damit komme.

Ich wohne derzeit im ländlichen Raum in einer eigenen Wohnung. Ich habe mich umgesehen, ob die Wohnung barrierefrei ist. Na ja, eigentlich nicht. Wenn das Haus im 18. Jahrhundert gebaut wurde, hat man daran nicht gedacht. Meine erste Überlegung war also: Wie schaffe ich eine barrierefreie Wohnung?

Ich habe im Pflegenetz nachgeschaut. Da steht auch etwas zum Wohnen drin. Unter dem Schlagwort „Wohnen“ sind auch Schlagworte wie „Betreutes Wohnen“ usw. aufgeführt, aber zur Barrierefreiheit und dazu, wie man sie herstellen könnte, findet man da nichts.

Also dachte ich: Wenn ich in der Wohnung nicht bleiben kann, gibt es ja vielleicht in meinem Ort andere Wohnun

gen, die schon barrierefrei sind. Aber da war Fehlanzeige. Im ländlichen Raum stehen zwar mittlerweile Wohnungen leer, aber barrierefrei war keine davon. Also muss ich mich wohl damit begnügen, wenn ich in der eigenen Häuslichkeit bzw. Umgebung bleiben will, entweder teure Umbauten vorzunehmen, um die ich mich im Vorfeld aber selbst kümmern muss, oder das obere Stockwerk nicht mehr nutzen zu können.

Aber darüber hinaus möchte ich eigentlich auch noch etwas unternehmen und brauche Unterstützung. Was für Angebote gibt es da? Vielleicht haushaltsnahe Dienstleistungen oder Vorlesen. Ich schaue im Pflegenetzwerk nach, das eigentlich ganz gut sortiert ist, aber, wie gesagt, mit Schlagworten kann man dort nicht suchen.

Ich finde ein Seniorenbüro in meiner Nähe. Dort gibt es nichts. Ich mache mich also auf und denke: Na gut, dann fragst du mal den Ortsvorsteher, der wird es ja wissen. – Er schaut mich an und sagt: Sie haben doch Kinder. – Ja, ich habe schon Kinder, aber sie sind weit weg, und ob sie irgendwann zurückkommen, das weiß ich nicht, und ich möchte mir eigentlich eine Situation schaffen, in der ich lange allein zurechtkomme.

Seine nächste Frage lautete: Na ja, haben Sie keine Freunde? – Doch, doch, ich habe auch Freunde, aber die sind ungefähr genauso alt wie ich, und ob sie dann noch mobil sind und ob sie in der Lage sind, mich zu unterstützen, das weiß ich nicht. – Darauf sagt er: Na gut, es gibt einen Dorfclub, und der veranstaltet eine Faschingsveranstaltung für Senioren und auch einen Maitanz. – Ich denke, das wird ja wohl dann eher ein Sitztanz werden.

Es gibt das Museum. Ja, das Museum gibt es, aber das Museum ist ein altes Schloss – ich weiß jetzt gar nicht, aus welchem Jahrhundert – und barrierefrei ist es auch nicht. Es hat zwar dieses Label, aber man kommt auch nicht in alle Räume.

Dann muss ich wohl im weiteren Umfeld suchen. Es gibt natürlich einige Unterstützungsangebote. Die findet man auch, aber das sind haushaltsnahe Dienstleistungen. Die muss ich bezahlen. Gut, ich kann mir das wahrscheinlich leisten, aber ich frage mich, ob sich mein Nachbar, der schon seit ein paar Jahren arbeitslos ist, sich das dann auch leisten kann. Hilfe beim Einkauf – ja, in unserem Ort gibt es noch eine Einkaufsstelle. Da gibt es zwar nicht alles, aber das Notwendigste werde ich dort schon bekommen. Wenn ich aber weiter weg muss, dann brauche ich also ein Unternehmen, das mich vielleicht fährt. Ich habe ein Taxiunternehmen angerufen. Die sagen: Es gibt wohl einige. Wir haben jetzt keine Fahrzeuge, die barrierefrei sind. Aber es gibt Fahrzeuge. Es gibt einen Anbieter, der die vorhält. Da müssen Sie sich dann dort einmal bemühen. Übrigens, für Dresden gibt es das tatsächlich, aber man muss das lange im Voraus bestellen. Wie das im ländlichen Raum ist, habe ich nicht herausbekommen.

Vorlesen – keine Chance, da irgendjemanden zu finden. Also schaue ich mir an, was gibt es denn noch? Es gibt in der Nähe zwei stationäre Pflegeeinrichtungen, die auch Angebote machen, die offen sind. Ich frage, kann da jeder

hinkommen? Übrigens, eines davon kann ich mir tatsächlich vorstellen. Das ist ganz nett. Es ist eine Einrichtung der Diakonie. – Natürlich können Sie hinkommen und an unseren Angeboten teilnehmen, aber das hat bis jetzt noch nie jemand gemacht. Gut, aber auch da müsste ich hinkommen. Das wird vielleicht schwierig.