Protokoll der Sitzung vom 26.05.2011

hinkommen? Übrigens, eines davon kann ich mir tatsächlich vorstellen. Das ist ganz nett. Es ist eine Einrichtung der Diakonie. – Natürlich können Sie hinkommen und an unseren Angeboten teilnehmen, aber das hat bis jetzt noch nie jemand gemacht. Gut, aber auch da müsste ich hinkommen. Das wird vielleicht schwierig.

Also muss ich wahrscheinlich Abschied nehmen und zumindest dann, wenn ich eine Pflegestufe habe – eher ist das ja nicht möglich – in eine stationäre Einrichtung gehen. Ich frage dann noch, gibt es da auch 2-BettZimmer? Ja, die gibt es. Sie können Ihren Mann mitbringen, die Bücher aber wohl nicht und Haustiere auch nicht. Also stelle ich fest, es wird ein Abschied auf Raten.

Wollen wir das? Wollen wir in dieser Situation sein, wenn wir alt sind? Ich habe versucht, das im Vorfeld für mich zu klären und bin eigentlich ziemlich traurig.

Die Staatsregierung ist in der Pflicht, Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass es auch niederschwellige Angebote und Beratungsangebote gibt, und zwar im Vorfeld einer Pflegestufe. Dazu haben die Kollegen schon gesprochen, da sieht es mau aus. Alle Strukturen greifen in der Regel erst, wenn die Pflege eingetreten ist.

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Für die Fraktion GRÜNE sprach die Abg. Herrmann. – Für die NPD-Fraktion spricht jetzt der Abg. Herr Müller.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch seitens der NPD-Fraktion gilt natürlich zunächst der Dank den vielen Pflegekräften, die tagein, tagaus ambulant wie stationär in Sachsen weit mehr machen als einen Dienst nach Vorschrift, die das durchbürokratisierte Pflegesystem nicht mit Vorschriften weiter erschweren, sondern bei denen wirklich die Zwischenmenschlichkeit zu den Pflegenden immer noch hoch im Kurs steht. Natürlich geht dieser Dank auch an die vielen Angehörigen, die die Pflege noch selbst zu Hause übernehmen.

Ich möchte etwas weiter ausholen. Was macht denn gute Pflege für den Betroffenen aus? Gute Pflege ist in erster Linie etwas sehr, sehr Zwischenmenschliches und dieses zwischenmenschliche Handeln setzt ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen, aber eben auch an Zeit voraus. Sie ist immer für den zu Pflegenden mit einem Verlust an Eigenständigkeit verbunden. Das sollte eben nicht bedeuten – das wurde auch von den Vorrednern schon angesprochen –, dass dies auch ein Verlust an Selbstbestimmung sein soll. Das Höchstmaß an Selbstbestimmung sollte dem zu Pflegenden immer noch erhalten bleiben. Es ist wichtig, dass nette Worte möglich sind und auch Zeit für die kleinen Nebenbeiprobleme übrig bleibt, die nicht direkt mit der Pflege zu tun haben.

Dort kommen wir zu dem Punkt, wo Zahlen und Fakten wichtig werden. In Sachsen steigt die Zahl der Pflegebe

dürftigen stetig an. Dies ist mit der demografischen Entwicklung verbunden. Hatten wir zum 31.12.1990 noch ein Durchschnittsalter in Sachsen von 39,4 Jahren, so war es zum 31.12.2008 dann schon ein Durchschnittsalter von 45,7 Jahren. Für 2020 ist ein Durchschnittsalter von 48,8 Jahren prognostiziert. Damit ist also auch klar vorhersehbar, wie die Zahlen der zu Pflegenden steigen werden. Sehen wir uns einmal die Zahlen der Hochbetagten an. In der Altersgruppe von 75 Jahren und mehr gab es 1990 369 100 in Sachsen, bei den über 85-Jährigen waren es 71 100. Um die gleichen Zahlen zu nehmen: 2008 waren es bei den über 75-Jährigen bereits 426 600 und bei den über 85-Jährigen 107 700. Für 2020 sind 590 300 bei den über 75-Jährigen und 166 200 bei den über 85Jährigen prognostiziert.

Es ist eigentlich eine schöne Sache, dass das Durchschnittsalter, dass die Lebenserwartung steigt. Aber es fehlen in Sachsen massiv junge Leute und wir haben natürlich auch mit den anderen Dingen des gesellschaftlichen Werteverfalls zu kämpfen. Wir haben die massive Individualisierung. Wir haben kaum noch langfristig intakte Beziehungen. Man kann es eigentlich an den Scheidungsraten festmachen, die nach 1990 noch einmal exorbitant angestiegen sind. Wir haben ein riesiges Problem der räumlichen Trennung – das hat Frau Kollegin Herrmann auch schon angesprochen – zwischen Eltern und Kindern. Die Kinder sind meist weit weg. Es liegt mir heute noch ganz schwer im Magen, dass der ehemalige Ministerpräsident Milbradt, als es eine hohe Jugendarbeitslosigkeit in Sachsen gab, davon ausging, dass die Jugendlichen doch dort hingehen sollen, wo es Arbeit gibt. Diese Jugendlichen fehlen uns jetzt und in den kommenden Jahren hier, nicht nur bei der Pflege, aber eben auch bei der Pflege.

Ich denke, es ist schon ein Grundproblem dieser Gesellschaft, nicht ein Problem von Demokratie ja oder nein, was Sie uns vielleicht wieder vorwerfen wollen, sondern es ist ein Problem dessen, ob man die 68er Fehlentwicklung weitermachen, oder ob man wieder zu einem konservativen, vernünftigen Wertemodell zurückfinden will. Wenn wir dieses strukturelle Problem nicht lösen und wenn wir das demografische Problem nicht lösen, werden wir mit den anderen Dingen auch nicht fertigwerden.

Wir haben auch eine massive Teuerung, ja, die werden wir auch nicht groß beeinflussen können. Das ist auch ein Problem des technischen Fortschritts. Waren Antidekubitusmatten und -betten 1990 eher Exoten, so sind sie heute doch in der Pflege kaum wegzudenken, und das ist auch gut so.

Aber wir haben auch ein Problem mit einer zunehmenden Bürokratie. Es ist für mich als Hausarzt schon ein Problem, wenn mich eine ausgebildete Pflegekraft einfach aus Angst vor irgendwelchen juristischen Konsequenzen bei einem nicht rezeptpflichtigen Arzneimittel noch einmal fragt: Darf ich das geben? Das würde man sich als Patient auch in der Apotheke holen, Hustenmittel oder Ähnliches. Für alles schriftliche Erklärungen zu brauchen, –

Die Redezeit läuft ab.

– ich weiß – macht es natürlich immer schwieriger.

Aber wenn man das Grundproblem Demografie zum Beispiel nicht löst, werden wir auch das Pflegeproblem nicht lösen.

(Beifall bei der NPD)

Das war für die NPDFraktion der Abg. Müller. – Damit sind wir am Ende der ersten Runde angelangt. Die Staatsregierung wird in der ersten Runde das Wort nicht ergreifen. Ich eröffne die zweite Runde und das Wort hat für die einbringende Fraktion wieder Frau Kollegin Neukirch.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach der ersten Runde kann man schon ein kleines Resümee ziehen. Es ist relativ viel gekommen, was auch zu erwarten war. Zu Frau Schütz: Obwohl ich in einem Punkt mit der Aussage von Frau Schütz übereinstimme, dass die sächsische Pflegelandschaft vor allem Qualität braucht, muss ich einfach feststellen, der relativ gute Antrag der Koalition, den wir heute Nachmittag zu dem Thema noch besprechen, ist wahrscheinlich nicht auf Kosten der FDP zustande gekommen. Deshalb will ich jetzt im Folgenden auch eher auf Herrn Wehner eingehen.

Herr Wehner, den obligatorischen Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Pflegebereich hat die CDU auch dringend nötig,

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

weil in Sachsen die Pflege, die derzeit noch gut ist, nur funktioniert, weil diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter trotz schlechter Rahmenbedingungen wirklich an die Grenzen der Leistungsfähigkeit gehen, was wir sehen, wenn wir uns Krankheitszahlen und Fluktuation anschauen. Da hat Sachsen schon den Spitzenplatz, den Sie immer so beanspruchen. Ich glaube, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter würden eine Anerkennung gern annehmen, wenn sie sich darauf beziehen würde, dass hier von der Koalition Initiativen gestartet würden, die das Problem der geringsten Pflegesätze, der geringsten Personalausstattung, der geringsten Verdienste der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesem Bereich einmal wirklich in Angriff nähmen und damit für eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für die schwer arbeitenden Menschen in diesem Bereich sorgen würden.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Sie haben genannt, was wir bereits haben: Der Altenhilferahmenplan geht über eine Absichtserklärung nicht hinaus. Zum Pflegenetz möchte ich einen Sachverständigen zitieren: In Sachsen wird es ohne Pflegestützpunkte keine gute Pflegeberatung geben. Es ist ein Armutszeug

nis, was wir in den letzten Jahren an Chancen vertan haben. Wir haben darunter zu leiden. Schauen wir uns einmal die Zahlen an, wie die stationäre Unterbringung in diesem Bereich ansteigt. Wir wissen, dass eine gute Beratung die Pflege zu Hause stabilisiert. Genau diese Chance lassen wir uns entgehen, indem wir die Pflegeberatung – wie wir es derzeit tun – verkommen lassen.

Ich nehme ausdrücklich einige gute Modellstützpunkte – beispielsweise Plauen und Rochlitz – heraus. Sie machen wirklich eine sehr gute Arbeit. Das machen sie trotz der schlechten Rahmenbedingungen.

Ich komme nun zum aktiven Alter und dem Gesundheitsziel. Das bildet eine gute Grundlage, um dieses Problem umfassend anzugehen. Ich bin in diesem Zusammenhang auf die Antwort im Hinblick auf meine Große Anfrage gespannt. Ich kann nicht erkennen, wie man mit 50 000 Euro ein solches Projekt in Gang setzen kann, damit flächendeckend etwas passiert.

Nun komme ich zu Ihren Fragen: Was wollen wir? Wir wollen am Anfang eine offene gesellschaftspolitische Diskussion, welche sozialpolitischen Strukturen und welche Strukturen wir sowohl im Pflege- als auch im Hilfebereich vor Ort für die Menschen und deren selbstbestimmtes Leben benötigen. Außerdem müssen wir besprechen, was wir uns leisten können – gemeinsam mit den Kommunen, den Trägern und dem Land. Das darf nicht hinter verschlossenen Türen im Sozialministerium passieren und wenn man nicht genau weiß, ob etwas kommt oder nicht und wann es kommt. Auf die vielen gesetzlichen Grundlagen habe ich vorhin bereits hingewiesen.

Wir brauchen den Aufbau einer gut strukturierten Pflegeberatungsstruktur. Das habe ich eben bereits erwähnt. Das brauchen wir umso dringender, weil wir ansonsten die Kosten nicht in den Griff bekommen. Seit dem Jahr 2000 sind die Ausgaben der Sozialhilfeträger um 70 % gestiegen. Selbst wenn wir von einem geringen Niveau ausgehen und es auf die Zahlen bezogen noch nicht besorgniserregend erscheint, wird sich die Entwicklung fortsetzen. Ein Sachverständiger bezeichnete das als Laissez-fairePolitik. Wenn wir im Vorfeld nichts unternehmen, haben wir einen Anstieg der stationären Unterbringung. Das ist so ziemlich das Teuerste, was sich eine Gesellschaft leisten kann.

Wir brauchen die Umsetzung eines Case und Care Managements im Sinne der Betroffenen für ein selbstbestimmtes Leben, aber auch im Sinne einer Effizienzstrategie. Das sagte ich genau. Wir brauchen außerdem das Heimgesetz. Sie haben in Ihrem Antrag niedergeschrieben, dass die Teilhabe der Menschen und die Selbstbestimmung im Mittelpunkt stehen.

Dafür hat das Land die Strukturverantwortung. Es hat die Verantwortung für die Sicherstellung der Versorgungsstrukturen, welche im § 92 SGB XI niedergeschrieben ist. Wenn sich das Land nicht die Bündnispartner an den Tisch holt, die Aufgaben klar verteilt und Ressourcen

dafür zur Verfügung stellt, muss man davon sprechen, dass das Land seiner Verantwortung nicht nachkommt.

Noch ist in Sachsen die Pflege gut. Ich bin darauf eingegangen, dass wir das den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu verdanken haben. Es fehlt aber an allen Ecken und Kanten. Es fehlt vor allem aber an Strukturen und politischem Willen der Regierungsfraktionen.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Das war die einbringende Fraktion der SPD mit Frau Kollegin Neukirch. – Für die CDU-Fraktion spricht erneut Herr Kollege Wehner.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Neukirch, Sie können sich sicher sein: Wenn wir Anträge in diesem Haus verabschieden oder erstellen, geschieht das in der CDU und FDP sehr harmonisch und gemeinsam.

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Ganz was Neues! – Zurufe von den LINKEN: Oh!)

Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, wer bei welchem Antrag federführend ist. Das möchte ich erst einmal feststellen.

(Beifall bei der CDU)

Wir merken uns das Lob, das Sie ausgesprochen haben – beispielsweise wenn Frau Dietzschold diesen Antrag erläutern wird.

Zur Sicherstellung der Pflege sind viele Akteure vonnöten. Es ist wichtig, das in diesem Zusammenhang zu sagen. Der Bund ist der Hauptakteur. Die Länder können unterstützen. Sie müssen unterstützen. Das ist ganz klar.

Wir haben drei wichtige Grundvoraussetzungen: Finanzierbarkeit, Unterstützung von Angehörigen und ausreichend Personal. Das ist klar.

Ich komme nun auf Ihre Vorschläge zu sprechen. Sie haben im Ausschuss bereits gesagt, dass Sie beispielsweise die Pflegestützpunkte haben wollen. Wir können uns einmal anschauen, wie Ihr Vorschlag, den Sie jetzt einbringen, in der Vergangenheit besprochen wurde. Wir hatten bereits in der 4. Legislaturperiode über die Pflegestützpunkte gesprochen. Es gab eine objektive Planung des Ministeriums. Damals waren auch die Liga der Freien Wohlfahrtsverbände, die Vertreter der Krankenhäuser sowie der Ärzteschaft, kommunaler Träger und Krankenkassen anwesend. Alle haben gesagt – das ist jetzt wichtig: Keiner der Beteiligten wünschte Pflegestützpunkte. Das war der Grundtenor. Der Freistaat hat sich also ganz bewusst gegen diese Struktur – Sie sprechen immer wieder die Strukturveränderungen an – und diese Pflegestützpunkte ausgesprochen. Wir wollen also – hier müssen wir besonders aufpassen, dass die Pflege auf einem guten Niveau bleibt – keine Doppelstrukturen. Wir wollen vor allen Dingen keine unnötige Bürokratie, weil sie Unmassen von Geld verschlingt. Das ist klar.

Schauen wir uns einmal die Pflegestützpunkte in den anderen Bundesländern an. Andere Bundesländer haben sich bewusst dafür entschieden. Wir sehen, dass in Mecklenburg-Vorpommern 18 Pflegestützpunkte angedacht waren. Ich betone, dass sie angedacht waren. Davon wurden null Pflegestützpunkte umgesetzt – also keiner. In Baden-Württemberg waren 50 Pflegestützpunkte angedacht. Es sind lediglich 14 Pflegestützpunkte umgesetzt worden. Im bundesweiten Trend sieht es genauso aus.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang noch zu sagen, was die Zeitung „Stiftung Warentest“ zur Qualität gesagt hat: Nur jeder dritte Pflegestützpunkt berät gut. Das heißt im Umkehrschluss, dass zwei Drittel nicht gut oder sehr gut beraten.

Der sächsische Weg ist gut. Darüber haben wir in der Anhörung auch gesprochen. Ich muss meiner FDPKollegin zustimmen. Ich denke, ich war in der falschen Anhörung. Das Pflegenetz in Sachsen gewährleistet gute Beratung.

Ich komme nun zum Fazit. Die Beteiligten Sachsens haben gesagt, dass sie keine Pflegestützpunkte haben wollen. Die Länder, die sie eingeführt haben, haben schlechte Erfahrungen gemacht, weil es schleppend läuft. Nun kommen Sie mit dem Vorschlag, die Pflegestützpunkte einzuführen. Meine Damen und Herren, das kann nun aber nicht sein. Im Übrigen ist die Finanzierung durch den Bund auch nicht langfristig gesichert. Deswegen muss man diese Sache mit Vorsicht genießen.