Protokoll der Sitzung vom 29.06.2011

Wir wollen endlich, dass umfassend berichtet wird – nicht nur über den 19. Februar. Sie sehen, dass an zwei Tagen eine Million Datensätze erhoben wurden. Was passiert an den anderen 363 Tagen im Jahr? Was passiert außerhalb des 19. Februar? Darüber haben wir von der Staatsregierung kein einziges Wort gehört. Deswegen verstehe ich meinen Fraktionsvorsitzenden sehr gut, wenn er sagt, dass unser Misstrauen wächst.

(Zuruf des Abg. Thomas Kind, DIE LINKE)

Was haben Sie zu verbergen? Was haben Sie zu befürchten? Darauf wollen wir Antworten haben!

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Für die SPD-Fraktion sprach Frau Kollegin Friedel. Jetzt wäre die FDP-Fraktion an der Reihe. Sie hat noch Redezeit. Ich sehe keinen Redebedarf. Die GRÜNEN und die NPD haben ihre Redezeit bereits ausgeschöpft.

Wir könnten nun in eine weitere Rednerrunde eintreten. Besteht noch Redebedarf? – Vielleicht bei der CDUFraktion? Sie hat noch Zeit.

Entschuldigung, zuerst ist die einbringende Fraktion an der Reihe. DIE LINKE hat noch sieben Minuten zur Verfügung.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schiemann, es besteht überhaupt kein Streit darüber, dass es unter Anwendung des gesamten Instrumentariums der Strafpro

zessordnung notwendig ist, Straftaten im Umfeld des 19. Februar aufzuklären, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anwendung des Instrumentariums vorliegen und eingehalten werden. Das ist eindeutig. Das Problem ist, dass Letzteres offensichtlich nicht geschehen ist. Das hat auch Ursachen, die sich dem Juristen schlicht und ergreifend nicht erschließen.

Wir haben – allerdings erst in der Pressekonferenz am vergangenen Freitag – vom Staatsminister des Innern erfahren, dass es sich bei der Anlasstat um einen Fall von gefährlicher Körperverletzung gegen einen Polizeibeamten handelt. Bei dieser Tat soll eine Eisenstange in seine Richtung geschleudert worden sein. Die Erklärung war, dass er in die Richtung des Demonstranten trat. Er trat dazwischen. Er bekam diese Eisenstange ab bzw. hätte sie abbekommen können. Es wäre geeignet gewesen, schwere Verletzungen oder den Tod herbeizuführen.

Im Ausschuss war bis zum vergangenen Freitag nie die Rede davon. Wir haben uns fünfmal anhand von Berichten über die Aufklärung des 19. Februar über Verfahren von begangenen Straftaten unterhalten. Es ist nie gesagt worden, dass es eine solche Straftat als Verdachtsfall gibt. Zum ersten Mal war das am Freitag in der Pressekonferenz der Fall. Ich fragte am Montag nach, was im eingeleiteten Ermittlungsverfahren herausgekommen ist: Es wurde mir gesagt, dass das Verfahren noch nicht eingeleitet worden sei. Es wird noch geprüft, ob die Einleitungsvoraussetzungen vorliegen.

(Zuruf des Abg. Klaus Tischendorf, DIE LINKE)

Man möchte erst noch Beweise erheben. Wie kann man denn Beweise erheben, wenn man noch kein förmliches Verfahren eröffnet hat? Nach dem Bericht, den der Landtag erhalten hat, gibt es 112 verletzte Polizeibeamte. Wie viele Verfahren hat die Staatsanwaltschaft wegen dieses Delikts eingeleitet? Es liegt doch schlicht und ergreifend auf der Hand, dass man das machen muss. Man hat mir geantwortet: keines. Die Staatsanwaltschaft hat kein einziges Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung gegen Polizeibeamte in Tateinheit mit beispielsweise Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte eingeleitet.

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Unglaublich!)

Im Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss am 8. Juni lagen alle Zahlen auf dem Tisch. Das Delikt der Körperverletzung gegen Polizeibeamte fehlte. Der Leitende Oberstaatsanwalt von Dresden sagte am Montag im Ausschuss, dass die Staatsanwaltschaft die Verfahren wegen Körperverletzung gegen Polizeibeamte nicht eingeleitet hätte. Das hätte man der Polizei überlassen. Die Polizei ist betreffs Einleitung des Ermittlungsverfahrens aber nur für den ersten Angriff zuständig. Das Verhältnis zwischen § 160 und § 163 StPO ist vollständig ausdiskutiert. Die Staatsanwaltschaft hätte in dieser Sache auch nachgefragt. Der Leitende Oberstaatsanwalt erklärte auch, dass im Rahmen des 19. Februar die Staatsanwaltschaft keine Ermittlungsleitverfügung angestrengt hätte. Sie hat nicht festgelegt, was, mit welchen Mitteln und

unter Einsatz welches geheimen Mittels usw. zu ermitteln ist. Sie hat darauf gewartet, was die Polizei anbringt. Deswegen ist Hanitsch – auch wenn er in dieser Stellung illoyal ist – ein Bauernopfer.

Das ist Aufgabe des Landtages. Es geht um die Aufklärung der politischen und rechtlichen Verantwortung derer, die qua Rechts-, Fach- und Dienstaufsicht für die Behörden im Freistaat Sachsen zuständig sind. Es geht um die Frage, inwieweit die Dimension der Überschreitung des Rechts und der Verfassungskonformität auch zu politischen Konsequenzen führen muss.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bitte.

Herr Dr. Hahn, bitte.

Herr Kollege Bartl, Sie haben viele Fragen an die Staatsregierung gestellt, die bislang nicht beantwortet worden sind. Ich habe noch eine Frage an Sie. Es ist mehrmals von den Gewalttaten, die am 19. Februar passiert sind, die Rede gewesen. Deshalb hätte man die Abfrage der Funkzellendaten vorgenommen. Können Sie mir erklären, warum ausweislich der Informationen des Innen- und Justizministers bereits für den 18. Februar – an dem weder eine Demonstration noch Gegendemonstrationen oder Gewalttaten stattgefunden haben – eine komplette Funkzellenabfrage vorgenommen worden ist?

Herr Dr. Hahn, Sie waren in der Ausschusssitzung zugegen. Die Frage konnte in der Ausschusssitzung nicht beantwortet werden.

(Zurufe des Abg. Andreas Storr, NPD, und des Staatsministers Dr. Jürgen Martens)

Auf Grundlage welcher Anlassstraftat am 18. Februar bereits Funkzellenauswertungen nach § 100g Abs. 2 erfolgt sind, habe ich nicht vernehmen können. Das können Sie uns noch erklären, Herr Staatsminister. Das hätte ich gern erklärt.

Die Anlassstraftat – das Werfen der Stange – oder eine andere Handlung gegen Polizeibeamte kann nur am 19. Februar erfolgt sein.

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Ja!)

Genau diese Frage stellt sich. Es stellt sich auch eine Frage hinsichtlich des IMSI-Catcher: Wenn TKÜProtokolle vorhanden sind, die das Gegenteil belegen, wird es schwierig, Herr Innenminister. Es wird auch schwierig, wenn ich in den Akten der Betroffenen des Versammlungsdeliktes nach der Maßnahme des § 100g Abs. 2 noch eine nachsetzende Maßnahme nach § 100g Abs. 1 finde, obwohl es ein Einundzwanziger-Delikt ist.

Auch darüber wird zu reden sein. Insofern, Kollege Dr. Hahn, ist ja genau dies das Problem. Wir hätten ja mehr oder weniger die Sache im Ausschuss etwas fried

fertiger über die Bühne kriegen können, wenn er schon geschlossen tagt, wenn schon die Öffentlichkeit nicht teilhaben darf.

Das ist ja das Problem, Kollege Schiemann. Wir sind im politischen Raum, wir sind Parlamentarier, wir sind mit dem Anspruch von der Bevölkerung gewählt, dass sie weiß, was wir tun. Wenn ein solcher Disput in der Welt ist, können wir uns nicht ausschließlich in geschlossenen Gremien darüber verständigen. Wenn ich in diesen Gremien keine befriedigende Antwort bekomme, dann muss ich diese im Parlament fordern. Die Aktuelle Debatte ist der Minimalstandard dafür. Wir hätten uns – das sage ich noch einmal – dafür eine Regierungserklärung gewünscht.

Ich habe mit großem Respekt, Herr Ministerpräsident, zur Kenntnis genommen, dass Sie in der Sache eine politische Bewertung abgegeben haben. Diese ist für mich nachvollziehbar, sie ist schlüssig. Es ist nicht das, was wir uns insgesamt von der Reichweite her vorstellen. Man kann manches vielleicht noch verbessern, wenn der Datenschutzbeauftragte seine Prüfung beendet und eventuell Beanstandungen ausgesprochen hat. Der Ministerpräsident hat sich aber in der Sache politisch geäußert. Das macht aber auch eines klar: Es steht mindestens für den Ministerpräsidenten fest, dass es eine Frage ist, die sogar im Bereich der Richtlinienkompetenz liegt.

Die Redezeit läuft ab.

Ich bitte ausdrücklich darum, dass die beiden Minister, speziell der Herr Staatsminister der Justiz – als rechtspolitischer Sprecher ist das ja mein Ressort –, dazu eine Erklärung abgeben. Ich denke, momentan hat sich die Justiz im Windschatten der Polizei gehalten. Alles Feuer wurde auf die handelnden Polizeibeamten gerichtet. Wir haben keinen Grund, uns vor sie zu stellen.

Die Redezeit. Sie haben dann noch zwei Minuten.

Aber ich sage es noch einmal: Es wäre so nicht gelaufen, wenn die Staatsanwaltschaft korrekt beantragt hätte.

(Beifall bei den LINKEN und den GRÜNEN)

Das war für die antragstellende Fraktion Herr Kollege Bartl. Jetzt spricht für die CDU-Fraktion – – Entschuldigung, Kollege Biesok möchte eine Kurzintervention machen.

Kollege Bartl, ein paar Sachen kann man einfach so nicht stehen lassen.

Sie versuchen hier den Eindruck zu erwecken, es hätte hier ein Delikt gegeben, eine versuchte Tötung gegenüber einem Polizeibeamten, und das hätte man dem Ausschuss verschwiegen. Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass bekannt ist, dass ein Ermittlungsverfahren wegen eines schweren Landfriedensbruchs anhängig ist. Das ist unstrittig. Das wurde hier mehrfach diskutiert. In den

Tatbestandsvoraussetzungen steht dort, dass man eine Person in die Gefahr des Todes bringt. Der Grat zu einer versuchten Körperverletzung, bei der jemand den Tod einer Person billigend in Kauf nimmt, ist sehr schmal. Man sollte in Ruhe die Ermittlungen abwarten, um zu sehen, was tatsächlich gewesen ist. Hat es der Werfer dieser Stange billigend in Kauf genommen, dass der Polizist stirbt, oder hat man ihn in die Gefahr des Todes gebracht? Das muss man sauber ausermitteln.

Die eingesetzte Sonderkommission 19/2 ist geeignet, diese Komplexe zu erfassen, zu bewerten und einen Abschlussbericht vorzulegen. Wenn dieser Abschlussbericht von der Polizei erstellt wurde – und ich habe keine Bedenken, dass das sorgfältig gemacht wird –, kann er der Staatsanwaltschaft übergeben werden, die dann darüber entscheidet, wie in diesem Verfahren weiter gehandelt wird. Das ist das übliche Verfahren bei solchen Sachverhalten. Die Polizei ermittelt, und nach Abschluss der Ermittlungen wird das der Staatsanwaltschaft vorgelegt. Dass die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren selbst führt, wird in Ausnahmefällen gemacht. Das ist aber gerade bei komplexen Sachverhalten wie dem 19.02.2011 nicht sachgerecht. Deshalb ist es in Ordnung, wie es jetzt gemacht wird.

(Beifall bei der FDP, der CDU und des Staatsministers Markus Ulbig)

Das war die Kurzintervention von Kollegen Biesok. Kollege Bartl kann darauf reagieren.

Ich möchte dem ausdrücklich widersprechen.

Kommen wir zunächst zu der Frage, wer das Ermittlungsverfahren einzuleiten hat. § 160 – Kollege Biesok, als Anwalt dürfte Ihnen das klar sein – sagt eindeutig, dass die Staatsanwaltschaft in jedem Stadium des Verfahrens die Herrin des Ermittlungsverfahrens ist. § 160 sagt weiterhin – jetzt lese ich es einfach vor –: „Sobald die Staatsanwaltschaft oder auf anderem Weg von dem Verdacht einer Straftat Kenntnis erhält, hat sie zur Entschließung darüber, ob die öffentliche Klage zu erheben ist, den Sachverhalt zu erforschen.“ Der Regelfall ist, dass die Staatsanwaltschaft einleitet. Nur bei Gefahr, falls man nicht sofort tätig würde, Beweise nicht rechtzeitig zu sichern sind, kann die Polizei im ersten Angriff handeln. Das ist in jeder Kommentierung der Rechtsprechung von oben bis unten durchdekliniert.

Hier haben wir die Situation, dass zu dieser Anlasstat – und dabei bleibe ich, Kollege Biesok –

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Vier Monate später!)

vier Monate später kein Verfahren eingeleitet ist. Beweise kann man aber nur in einem förmlichen Verfahren erlangen. Man muss mir erklären, warum die Staatsanwaltschaft nicht stehenden Fußes gegen alle 112 Fälle von Gewalt gegen Polizeibeamte und speziell in diesem Fall

ein Verfahren einleitet, eine Leitverfügung darüber ausgibt, was von wem mit welchen Mitteln zu ermitteln ist. Das ist absonderlich und auch ein Grund, weshalb wir uns fragen, was tatsächlich im Umfeld der Verletzten geschehen ist.

(Beifall bei den LINKEN – Christian Piwarz, CDU: Sagen Sie es doch!)