Protokoll der Sitzung vom 14.09.2011

Nehmen wir das Beispiel Kamenz Mittelschule. Wir haben uns vehement bemüht, dass das Problem dort nicht so auftritt, aber es ist so. Fünfte Klassen an der Mittelschule, 28 Schüler pro Klasse. Jedes Kind, das zusätzlich nach Kamenz kommen wird, wird nicht mehr an der Kamenzer Mittelschule beschult werden können, sondern muss woandershin mit dem Hintergrund, dass alle Mittelschulklassen in der 5. Klasse Integrationskinder in den Klassen haben, nach Integrationsverordnung höchstens 25 pro Klasse, wenn die Finanzen zur Verfügung stehen.

Herr Unland, Sie sind heute noch mehrmals dran in meinem Redebeitrag.

(Beifall bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Für die einbringende Fraktion sprach Frau Kollegin Falken. – Jetzt spricht in der Rednerreihenfolge als Nächstes die CDU-Fraktion, und ich bitte Herrn Kollegen Colditz ans Mikrofon.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Geisterfahrer gefährdet die öffentliche Ordnung und Sicherheit, und das kann man auf den Kultusminister so nicht ummünzen – am wenigsten, wenn es darum geht, den Schuljahresbeginn zu diskutieren.

Man muss zunächst ganz nüchtern feststellen: Das Kultusministerium und die Schulverwaltung haben im Rahmen des geltenden Haushaltes und der dort verfügbaren Stellen das Schuljahr organisiert, vorgeplant und letztlich auch den Lehrereinsatz darauf abgestimmt.

Als zweiten Punkt will ich sagen: Es ist sicherlich keine Selbstverständlichkeit, ein Unternehmen mit 32 000 Beschäftigten, das sich dazu noch an 1 400 Standorten befindet, problemlos zu planen. Man kann nicht alle Eventualitäten, die eintreten können, voraussehen und vorausplanen. Es gibt oft individuelle Entscheidungen auch von Arbeitnehmern, die so nicht steuerbar sind und die man mit bedenken muss, wenn man über die Planungen spricht. Das erst einmal vorab.

Aber, meine Damen und Herren, an dieser Stelle auch von meiner Seite ein ganz deutliches Aber: Ich denke, wir haben im Gesamthaushalt grundsätzlich für das aktuelle Schuljahr den Bedarf so geplant, dass wir für so und so viele Schüler die entsprechende Anzahl Lehrer brauchen. Was in der Haushaltsplanung keine Rolle gespielt hat – vielleicht auch nicht spielen konnte –, war die Frage der Fächerspezifik, die Frage der regionalen Spezifik – wenn ich mir allein die Situation in Dresden zum Schuljahresbeginn vergegenwärtige – und war auch die Frage der Schulartspezifik.

Meine Damen und Herren, ich sage es ganz ehrlich und ganz selbstkritisch: 15 000 Personalmaßnahmen bei insgesamt 32 000 Beschäftigten sind einfach zu viel, das ist richtig;

(Vereinzelt Beifall bei den LINKEN)

denn das können wir so nicht problemlos hinnehmen.

Ich sage es noch ein Stück weitreichender und in aller Deutlichkeit: Ich halte die jetzt eingetretene Situation – um mit einer Metapher zu sprechen – für ein Wetterleuchten am Himmel, das uns auf ein Unwetter vorbereitet, auf das wir in den nächsten Jahren zusteuern, wenn wir nicht handeln.

(Beifall bei der CDU, den LINKEN, den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD und der FDP)

Meine Damen und Herren, es besteht Handlungsbedarf. Dass die Situation jetzt so eingetreten ist, ist bei Weitem nicht zufriedenstellend; aber es ist auch ein Signal an beide Häuser – an das Kultus- und an das Finanzministerium –, nun endlich eine Verständigung herbeizuführen, wie die Zukunft, insbesondere die personelle Zukunft, im Schulsystem aussehen soll. Dem müssen wir auch im nächsten Haushalt mit entsprechenden Maßnahmen deutlich Rechnung tragen.

Die Signale, die zu diesem Schuljahresbeginn gesetzt sind, sind die richtigen; es sind wichtige und richtige Weichenstellungen. Die Ansätze stimmen, aber es sind bei Weitem noch nicht die Lösungen, die wir brauchen. Wir haben zu Schuljahresbeginn 632 Neueinstellungen vorgenommen. Die Koalition hat dafür Sorge getragen, dass wir die Referendarstellen deutlich erhöhen konnten – auch im Zusammenhang mit den Steuermehreinnahmen. Wir haben mittlerweile an den Schulen einen Stellenpool geschaffen, der den Schulleitern ermöglicht, über 567 Stellen landesweit flexibel zu verfügen und bedarfsgerecht den Unterricht vor Ort abzusichern. Das alles sind richtige und wichtige Maßnahmen.

Meine Damen und Herren, wir müssen uns aber auch vergegenwärtigen, dass sich gute Schule letztlich an gut ausgebildeten, fachlich kompetenten und – jetzt kommt das dicke Ausrufezeichen – auch an hoch motivierten Lehrern festmacht. Motivation hat etwas mit Rahmenbedingungen zu tun, und wir sind gut beraten, dies besonders im Blick zu behalten. Das sage ich auch in Richtung unserer eigenen Koalition.

Das müssen wir besonders mit Blick auf die Situation tun, was die Überalterung der Lehrer in nächster Zeit anbelangt. Wie gesagt, es ist bislang nur ein Wetterleuchten; wenn wir hier nicht reagieren, wird es im nächsten Jahr und in den kommenden Jahren noch viel dramatischer.

Meine Damen und Herren, es ist von daher belanglos, darüber zu diskutieren, ob wir in Deutschland Haupt- oder Gemeinschaftsschulen brauchen; das ist nicht das Thema. Gute Schule macht sich an gut ausgebildeten, hoch motivierten Lehrern fest, die dafür sorgen, dass Schule funktioniert, und wir können uns dann in politischen Debatten damit brüsten, wie toll wir sind. Aber die Arbeit wird vor Ort geleistet und wir haben die Pflicht und Schuldigkeit, dafür Sorge zu tragen, dass dafür auch das ausreichende Personal vorhanden ist.

(Beifall des Abg. Horst Wehner, DIE LINKE)

Ich bin dem Finanzminister sehr dankbar für seine Feststellung, dass auch Investitionen in die Bildung Investitionen in die Zukunft sind. Ich bin auch Antje Hermenau sehr dankbar, dass sie das Schulhausbauprogramm aufgeworfen hat. Aber wir müssen auch gemeinsam über die Fraktionsgrenzen hinweg –

(Vereinzelt Beifall bei den LINKEN)

das sage ich in Richtung aller Finanzpolitiker und aller Fraktionen – davon wegkommen, dass wir den vorhandenen Personalbedarf nur als konsumtive Maßnahme betrachten; –

Die Redezeit ist vorbei, Herr Kollege Colditz.

– und zwar davon ausgehend, dass die Personalsituation uns wie ein Klotz am Bein hängt. Gute Schule ist ohne Lehrer nicht machbar. Insofern sind Investitionen in den Schulbereich, insbesondere in den Personalbereich, auch Investitionen in die Zukunft.

(Beifall bei den LINKEN)

Meine Damen und Herren, der Schlusssatz. Ich habe diesen Problemaufriss jetzt bewusst so gebracht, weil wir uns der Problemlage bewusst sind und weil wir dies auch als Koalition als ein Schwerpunktthema in dieser Legislatur angehen und auch lösen wollen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und den LINKEN)

Für die CDU-Fraktion sprach Herr Kollege Colditz. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Frau Kollegin Stange.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin Herrn Colditz sehr dankbar für die klaren Worte. Ich will vielleicht bei dem Begriff Geisterfahrer noch etwas ergänzen, Herr Colditz: Ein Geisterfahrer verschwindet in der Regel relativ kurzfristig wieder von der Autobahn.

(Heiterkeit bei den LINKEN und der SPD)

Ich weiß nicht, ob deshalb dieser Begriff hier zutreffend ist, weil es eben keine kurzfristige Angelegenheit ist, über die wir hier sprechen.

Vor vielen Jahren, Anfang der Neunzigerjahre, hat ein Regionalschulamtsdirektor, als ich ihn wieder einmal darauf hingewiesen habe, dass das Schuljahr chaotisch losgeht – die Lehrer wussten nicht, an welcher Schule sie sind; die Schüler hatten keine Schulbücher in der Tasche; es gab keine vernünftigen Lehrpläne, weil alles noch im Aufbau begriffen war –, ganz lakonisch zu mir gesagt: „Schule ist nicht totzukriegen.“ Recht hatte er – das haben wir jetzt mehr als 20 Jahre gespürt.

Ich möchte mich an dieser Stelle ausnahmsweise – das tue ich normalerweise nicht so, weil es immer etwas polemisch daherkommt – bei den Lehrkräften und bei den

Schulleitungen vor allen Dingen bedanken, die es geschafft haben – trotz der fehlenden langfristigen Personalentwicklungsplanung und trotz am Anfang des Jahres teilweise fehlender Lehrkräfte –, den Schulstart für alle Schüler zu gewährleisten.

(Beifall bei den LINKEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kollege Colditz hat recht: Schule ist nicht ohne Lehrkräfte zu machen. Die Investitionen in den Schulhausbau – das kann ich nur unterstreichen – sind in den nächsten Jahren dringend notwendig. Wir haben einen Rückstau von über 1,5 Milliarden Euro allein im Schulhausbau. Aber gute Schulen – und sehen sie noch so gut aus – ohne gute und ausreichende Lehrkräfte nützen uns nur wenig; das ist die äußere Hülle, das ist aber nicht das, was letztlich in einer Schule vermittelt werden kann.

Deswegen will ich Ihnen einmal ausnahmsweise – wenn es der Präsident gestattet, in der Aktuelle Debatte ein Zitat zu verwenden –

Sie können zitieren.

– ein Zitat aus der Antwort der Staatsregierung auf eine Kleine Anfrage der LINKEN wiedergeben, in der es um die Situation am Gymnasium Olbernhau ging. Auf die angesprochene Situation hin, welche Maßnahmen eingeleitet werden, um im Schuljahr 2011/2012 den Unterricht abzusichern, da in dem Gymnasium – wir reden nicht über die Mittelschule und nicht über die Grundschule – ein Unterrichtsausfall von knapp 4 % zu verzeichnen war, antwortete das Kultusministerium, dass einerseits eine neu eingestellte Lehrkraft kommt, ein zweiter Fachlehrer für Deutsch und Russisch eingestellt wird und – ich zitiere –: „Des Weiteren erfolgen für acht Fachlehrer Teilabordnungen im Gesamtumfang von 84 Stunden in den Fächern Deutsch, Biologie, Geografie, Gemeinschaftskunde, Geschichte, Informatik, Kunsterziehung, Latein, Musik, Sport und Physik.“

Wer sich einmal in die Situation nicht nur der abgeordneten Lehrkräfte und des Kollegiums insgesamt hineinversetzt, die mit einer solch hohen Anzahl von StundenLehrkräften zu arbeiten haben, sondern auch in die Schulleitung, die den Unterricht zu planen hat in Abstimmung mit den Schulen, aus denen die Lehrkräfte kommen – sie kommen in der Regel von acht verschiedenen anderen Schulen –, der kann ungefähr ermessen, was Lehrkräfte und Schulleitungen zu Beginn des Jahres zu leisten hatten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist ein Vorgeschmack auf die Situation in den kommenden Jahren. Darüber haben wir hier in den letzten Monaten mehrfach gesprochen. Wir werden bis zum Jahre 2020 allein in den Grundschulen 20 % der Lehrkräfte ersetzen müssen.

Die Statistik zeigt uns, dass wir die Lehrer ersetzen müssen, weil die Schülerzahlen steigen. Wir finden jetzt schon nicht – das hat heute der Bericht in der „Freien

Presse“ in Chemnitz deutlich gemacht, aber auch in Dresden, und das sind zwei Großstädte und nicht der ländliche Raum – genügend Lehrkräfte, um die zur Verfügung gestellten freien Stellen zu besetzen. Wir haben nicht genügend freie Stellen, aber finden auch die Kollegen nicht, die sie besetzen. Das ist der Beginn eines dramatischen Lehrkräftemangels in den nächsten Jahren und wir haben bis heute kein Personalentwicklungskonzept!

Die interministerielle Arbeitsgruppe – vielleicht wird der Kultusminister irgendetwas dazu sagen – aus dem Kultusministerium, dem Finanzministerium und der Staatskanzlei hat bis heute kein Ergebnis gezeigt. Wir wissen nicht, was mit den 7 000 Stellen in den nächsten Jahren werden soll, die der Finanzminister zur Streichung vorgesehen hat. Wer gibt eigentlich in diesem Land den schulpolitischen Ton an? Diese Frage hoffe ich vom Kultusminister beantwortet zu bekommen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Für die SPD-Fraktion sprach Frau Kollegin Stange. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Bläsner.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Vorbereitung des Schuljahres und auch die Zahlen haben gezeigt, dass die Lage bei der Absicherung des Lehrerbedarfs zunehmend ernst wird. Niemand wird bestreiten, dass das, was in diesem Schuljahr schon zu sehen ist, zum Beispiel bei Abordnungen von Gymnasiallehrern an Grundschulen, aber auch bei der nicht besonders üppigen Personaldecke im Grundschulbereich, eine Art Wetterleuchten am Horizont ist.

Trotz der umstrittenen Maßnahmen ist es nicht gelungen, beispielsweise im Ergänzungsbereich alles abzudecken. Ich möchte an dieser Stelle aber die Bildungsagenturen ausdrücklich in Schutz nehmen. Sie haben gemacht, was ihre Pflicht ist, nämlich dafür zu sorgen, dass ein Lehrer vor der Klasse steht. Deshalb mussten Gymnasiallehrer an Grundschulen abgeordnet werden. Das ist nicht die beste Lösung, aber besser als Unterrichtsausfall.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Alles, was kurzfristig möglich war, wurde gemacht. CDU und FDP haben dafür auch die finanziellen Mittel bereitgestellt. Wir stellen so viel Lehrer und auch Referendare ein, wie seit Langem nicht mehr. Mein Kollege Thomas Colditz hat es genannt: 632 neue Lehrer fangen dieses Schuljahr an. Bedenklich daran ist allerdings, dass der Arbeitsmarkt im Bereich Grundschulen gar nicht mehr hergegeben hat. Es zeigt auch die Versäumnisse der Lehrerausbildung in den vergangenen Jahren. Das macht mir Sorgen für die Zukunft. Wir bilden teilweise völlig am Bedarf vorbei aus. Wenn ich das Bild der Geisterfahrer aufgreifen darf, dann sind es doch eher die ehemaligen SPDMinisterinnen Ludwig und Stange gewesen, die mit ihrer