Protokoll der Sitzung vom 12.10.2011

Das Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz wurde am 29. September im Bundestag verabschiedet; am 14. Oktober, also übermorgen, wird darüber im Bundesrat beraten. Anstelle des recht schwammigen Antrags, den Sie auf die heutige Tagesordnung setzen ließen, hätten Sie Ihre Kräfte vielleicht besser darauf verwenden sollen, eine konkrete Bundesratsinitiative zu initiieren.

(Beifall des Abg. Thomas Kind, DIE LINKE)

Warum legt Sachsen keine eigenständige Bundesratsinitiative vor, die das nachbessert, was auf Bundesebene versäumt wurde? Es ist nicht nur löblich, dass die Bundesländer einheitliche Anerkennungskriterien anstreben, sondern meines Erachtens dringend erforderlich. Nur hätten Sie das längst als Antrag in den Bundesrat einbringen können. Warum Sie das nicht tun, erschließt sich mir nicht ganz. Ich weiß es nicht. Vielleicht liegt es ein Stück weit daran, dass dahinter eine gewisse Haltung steht, die in der Begründung offenbar wird?

Ich wiederhole meine Frage: Warum müssen denn diese Berufsabschlüsse anerkannt werden? Warum sollten Menschen ihrer Ausbildung adäquate Berufe ausüben können? Auch hierzu geben die Empfehlungen des runden Tisches Auskunft, und zwar in der folgenden Reihenfolge, was ich sehr spannend finde:

Erster Grund ist die Ermöglichung der gesellschaftlichen Teilhabe, des Sich-Einbringens in die Gesellschaft.

Der zweite Grund wird als sozialpolitisch bezeichnet. Einerseits geht es um die Sicherung der Sozialsysteme, andererseits um das Einstehen-Können für sich selbst. Man soll sich eigenständig versorgen können.

Der dritte Grund ist bildungspolitischer Natur. Nicht anerkannte Abschlüsse – es werden auch DDRAbschlüsse angeführt – führen zu einer subjektiv empfundenen Ungerechtigkeit, der gegengesteuert werden muss.

Erst an vierter Stelle folgt der wirtschaftspolitische Grund, verbunden mit den Schlagworten Fachkräftemangel und Demografie.

Meine sehr geehrten Damen und Herren von CDU und FDP, vielleicht haben Sie die Prioritäten vertauscht.

Das Grundanliegen Ihres Antrags, die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse zu verbessern, ist unterstützenswert und wird von der LINKEN seit Langem eingefordert. Ob das qualitativ hochwertig mithilfe dieses Antrags gelingt, ist fraglich. Da das Anliegen aber so dringlich ist, werden wir dem Antrag zustimmen. Denn Migrantinnen und Migranten sind für uns keine Arbeitsmarkt- oder Demografiepuffer.

(Jürgen Gansel, NPD: Kulturbereicherer!)

Es sind Menschen, denen gleiche soziale und politische Rechte zustehen und die nicht nur unter einem ökonomischen Nützlichkeitsaspekt betrachtet werden dürfen.

(Beifall bei den LINKEN)

Nun die SPD-Fraktion. Frau Abg. Köpping, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon viel dazu gesagt worden, wie sich die Lage momentan darstellt. Es vergeht kein Parlamentarischer Abend und keine Podiumsdiskussion, wo das Thema Fachkräfte keine Rolle spielt. Tausende Zuwanderer arbeiten in Deutschland. Trotz Hochschulabschlusses sind sie teilweise als Hilfsarbeiter tätig; das ist heute alles schon gesagt worden.

Laut einer Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sind fast 19 % der hoch qualifizierten Ausländer arbeitslos; bei den Spätaussiedlern sind es sogar 43,6 %. Der Befund steht im Widerspruch zu Forderungen von Wirtschaftsverbänden und Politikern, die über Mangel an Naturwissenschaftlern, Ingenieuren und Informatikern klagen und darauf drängen, mehr Hochqualifizierte aus dem Ausland zu holen.

Bereits Anfang Februar 2011 haben wir hier im Plenum zu dem Antrag „Fachkräftebedarf für Sachsen sichern – Potenziale erschließen“ ausführlich über eine Vielzahl von notwendigen Maßnahmen diskutiert, darunter – im damaligen Punkt 2g – über die Aufforderung an die Staatsregierung, alles zu unternehmen, damit Berufsabschlüsse leichter anerkannt werden können.

Sehr verehrter Herr Wirtschaftsminister, was ist denn nun in den letzten Monaten geschehen? Außer einer an Peinlichkeit nicht zu überbietenden Eierschecken-Aktion natürlich nicht viel. Die Staatsregierung verharrt in einer Art Wachkoma. Sinnvolle Aktivitäten sind aus unserer Sicht nicht zu erkennen.

Aber Entschuldigung, was soll auch passieren, wenn im SMWA – und das per Pressemitteilung veröffentlicht – ein Minister, um seine fachlichen Defizite zu kaschieren, so lange alle fachkundigen Referatsleiter rochieren lässt, bis

wirklich jeder in einer für ihn fachfremden Verantwortlichkeit angekommen ist?

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und der Abg. Elke Herrmann, GRÜNE)

Das geschieht nur, um die gleiche Ahnungslosigkeit zu schaffen, die im politischen Führungspersonal herrscht. Das ist so, tut mir leid!

Heute, acht Monate später, nimmt sich die Koalition diesen Punkt 2g separat vor und versucht selbst aktiv zu werden – leider wieder mehr in Form eines Berichtsantrags ohne verbindlichen Charakter. Wir werden diesbezüglich noch einen Änderungsantrag stellen.

Dabei liegt spätestens seit der sehr guten Arbeit von Herrn Dr. Gillo – diese möchte ich noch einmal ausdrücklich betonen –

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

im Rahmen des runden Tisches „Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse“ eine Vielzahl von konkreten Verbesserungsvorschlägen auf dem Tisch. Dass der runde Tisch in den 24 konkreten Fällen von Betroffenen keinerlei Abhilfe bewirken konnte, wirft ein trauriges Licht auf die notwendige Veränderungsbereitschaft der handelnden Akteure oder die Rahmenbedingungen.

Nach langem Hin und Her hat der Bund mit dem Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz einige richtige Schritte eingeleitet. Dieses Gesetz, das bereits in der Zeit der Großen Koalition – übrigens unter dem damaligen Arbeitsminister Scholz – auf der Tagesordnung stand, aber von der CDU blockiert wurde, war längst überfällig. Dass die Sächsische Staatsregierung erst durch unsere Fraktion bzw. den Ausländerbeauftragten, Herrn Dr. Gillo, per Pressemitteilung angehalten werden musste, den richtigen Entwurf nicht im Bundesrat zu blockieren, sagt eigentlich alles.

Der Bund hat über das Gesetz seit März beraten. Die zuständigen Ministerien hatten also genügend Zeit, die notwendigen Schritte vorzubereiten. Der Antrag der GRÜNEN in der Drucksache 5/4996, der die Staatsregierung und die Akteure des runden Tisches „Anerkennung“ aufforderte, gemeinsame Vorschläge zu erarbeiten und die umfassende Anerkennung von ausländischen Abschlüssen zu verbessern, diente nicht etwa als Katalysator für die Aktivität der Staatsregierung. Er kam ja von der Opposition – also nicht darüber nachdenken, einfach ablehnen! Somit ist ein Dreivierteljahr verschenkt worden, obwohl in jeder Rede der zuständigen Minister und des Ministerpräsidenten natürlich die Herausforderung des Fachkräftemangels beschworen wird. Die notwendigen Forderungen sind allesamt bekannt.

Der Bund fordert die Länder nun auf, endlich zu handeln. Die Zuständigkeiten bei den wichtigsten Abschlüssen, wie zum Beispiel bei Lehrern oder Ingenieuren, liegen auf der Ebene der Länder. Dies ist wieder ein Beispiel für die Schattenseiten des Föderalismus. Jedes Bundesland kann die Anerkennung nun selbst regeln, wie es mag. Ob das

den Standort Deutschland oder Sachsen stärkt, kann mehr als bezweifelt werden.

Nun komme ich zum Lieblingsthema der FDP, der Entbürokratisierung. Aber schauen wir uns doch die gegenwärtige Situation in Sachsen an. Der offizielle Leitfaden zur Anerkennung von ausländischen Abschlüssen umfasst 192 Seiten bei einem Ausländeranteil von 2,7 %. Dagegen kommt Nordrhein-Westfalen mit einem Anteil von über 10 % mit 68 Seiten aus. So viel dazu.

Noch konfuser wird es, wenn man sich die einzelnen beteiligten Behörden in Sachsen anschaut. Ich würde Sie zu einem kleinen Behördentrip einladen und der Frage nachgehen: Wo muss ich mich melden, wenn ich folgende Abschlüsse anerkannt bekommen will: Heilberufe, Architekten, Ingenieure, schulische Abschlüsse, Handwerker, Gesundheitsberufe, Fachhochschulabschlüsse, reglementierte oder nicht reglementierte Berufsschulabschlüsse – um eine Auswahl zu nennen.

Auf der institutionellen Seite stehen dann die Handwerkskammer, die Bildungsagentur, das Justizministerium, das Sozialministerium, die Landesdirektion, die Rechtsanwälte- und Ärztekammer, der kommunale Sozialverband oder das Wissenschaftsministerium gegenüber, ein undurchdringlicher Dschungel an Zuständigkeiten. Hier hat die angebliche Bürokratieabbauregierung aber noch so einiges zu tun.

Die Forderung muss klar lauten: Schaffung einer zentralen Informations- und Beratungsstelle – wir haben gerade gehört, seit einer Woche soll das so sein –, die in diesem Bereich der Ansiedlung von einheitlichen Ansprechpartnern in Leipzig schon seit einiger Zeit existiert. Die Verbesserung der Anerkennung von Berufsabschlüssen gerade für Immigranten, die schon lange in Deutschland leben, ist das eine, aber eine deutliche Erhöhung der Zuwanderung ist das andere. Gerade im Bereich der Hochqualifizierten ist Deutschland seit einiger Zeit zum Auswandererland geworden.

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Circa 40 000 Hochqualifizierte und Führungskräfte verlassen jährlich Deutschland. Die Rahmenbedingungen – von der Höhe der Entlohnung über die fehlende Dienstleistungsmentalität der Behörden bis hin zu einer mangelnden allgemeinen Willkommenskultur, gerade auch in Sachsen – sind hier die ausschlaggebenden Faktoren.

Die Sächsische Staatsregierung hat im März 2011 auch in diesem Bereich Initiativen angekündigt, wie zum Beispiel die Absenkung der Hinzuverdienstregelungen. Aber wie so oft blieb es auch hier bei der bloßen Ankündigung. Das Gewicht der Sächsischen Staatsregierung scheint beim Bund gegen null zu tendieren.

Abschließend noch einmal die konkreten Forderungen der SPD zur besseren Anerkennung der Abschlüsse: Schaffung einer zentralen Anlaufstelle – ich glaube, darüber sind sich alle einig –, Übernahme einer verbindlichen Bearbeitungsfrist, Durchsetzung von gleichen Anerkennungskriterien in allen Bundesländern, Schaffung konkre

ter Möglichkeiten zur gezielten Qualifizierung und Weiterbildung, um bei Bedarf die Nachqualifizierung sicherzustellen, Kostenübernahme bzw. Schaffung von Stipendienmöglichkeiten, um die Weiterqualifizierung auch wirklich zu ermöglichen, oder die Schaffung möglichst geringer Bürokratiekosten für den Anerkennungsprozess.

Gerade heute war wieder der Presse zu entnehmen, dass die Wirtschaft in Sachsen auf einem guten Weg ist. Ich kann nur sagen: trotz dieses Wirtschaftsministers.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat nun Frau Abg. Herrmann das Wort; bitte schön.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Gillo, als ich Ihre Empfehlungen und die des runden Tisches gelesen habe, war ich echt über diese umfänglichen und sehr fundierten Darlegungen erstaunt. Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich bei Ihnen als Moderator des runden Tisches und bei allen Mitgliedern bedanken, dass wirklich so ein fundiertes Papier zustande gekommen ist.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, den LINKEN, der SPD und der FDP)

Was ich auch ganz besonders erwähnenswert finde – das hat meine Kollegin von der Fraktion DIE LINKE schon gesagt –, ist, dass aus diesem gesamten Papier nicht die Forderung atmet, wir wollen die Anerkennungsverfahren in erster Linie deshalb verbessern, weil wir die Fachkräfte brauchen, sondern aus diesem Papier atmet der Tenor, wir wollen das deshalb machen, weil wir den Menschen eine Perspektive geben wollen. Das finde ich bemerkenswert.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Dass nach wie vor die Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen in Deutschland und auch in Sachsen mit großen Problemen verbunden ist, zeigen auch die in diesen vorgelegten Empfehlungen enthaltenen Fallbeispiele. Ich kann den Kollegen, die das bisher noch nicht gelesen haben, nur raten, das nachzuholen, weil das die Irrungen und Wirrungen deutlich macht, die jemand zu bewältigen hat, der seinen Abschluss anerkennen lassen will.

Deshalb ist es gut, dass die Koalition heute einen Antrag vorgelegt hat, der einige Empfehlungen aus diesem vorgelegten Papier des runden Tisches und Empfehlungen des Ausländerbeauftragten aufgreift und versucht, sie in der Praxis Wirklichkeit werden zu lassen. Aber ich sage an dieser Stelle auch ganz deutlich: Das kann nur ein Anfang sein, weil viele Empfehlungen und auch Rahmenbedingungen, die wichtig wären, überhaupt nicht aufgenommen wurden. Ich interpretiere das so: Man möchte erst einmal mit etwas anfangen und sehen, an welcher Stelle noch Barrieren sind, die nach und nach zu bearbei

ten wären. Ich glaube, da gehören auch für die Wirtschaft zum Beispiel die Industrie- und Handwerkskammern mit ins Boot, um nicht nur den Zugang zu dem Verfahren zu ermöglichen, sondern um im Endeffekt dazu zu kommen, eine Anerkennung der Abschlüsse tatsächlich zu erreichen und in diesem Zusammenhang Fachkenntnisse anzuerkennen.

Insofern können wir dem zustimmen. Wir denken aber, es ist nur ein Anfang. Wir sind auch der SPD-Fraktion dankbar, mit dem Änderungsantrag noch Präzisierungen vorzunehmen, die wir mittragen können.