Frau Kollegin Roth, ich bin jetzt versucht, Sie zu bitten, ob Sie mir nicht gleich die Antwort geben können. Dann kann ich Ihnen sagen, ob diese zu meiner Frage passt.
Sie haben soeben das Thema Stuttgart 21 angesprochen. Das Thema „Direkte Demokratie“ ist Gegenstand des Tagesordnungspunktes. Verwundert es Sie nicht ebenso wie mich, dass bis zum jetzigen Zeitpunkt kein einziger Abgeordneter der GRÜNEN, die ja eigentlich immer für direkte Demokratie stehen, anwesend ist?
Herr Piwarz, darin irren Sie sich auch – das gehört noch zu meiner Antwort –, weil meine Rede insgesamt sieben Minuten dauert und ich bin ja gerade am Anfang. Es handelte sich also um höchstens eine halbe Minute.
Ich fahre fort. Herr Piwarz, ich war soeben bei dem ideologischen Schatten stehengeblieben, den Sie und Ihre Kollegen aus den Fraktionen der CDU und der FDP bitte überspringen mögen, um diesem Gesetz und unseren Änderungsanträgen zuzustimmen;
denn mit der mehrheitlichen Zustimmung kann sowohl die repräsentative als auch die direkte Demokratie in Sachsen gestärkt werden. Der heutige Tag würde als demokratische Sternstunde in die Geschichte eingehen.
Vor der Schlussabstimmung noch einmal zurück zur 1. Lesung des Gesetzentwurfes. Diese fand vor einem Jahr hier im Hohen Haus statt. Im März 2011 wurde das Gesetz im Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss und im Kreis von Bürgerinitiativen angehört. Die in der Anhörung von den Gutachtern Prof. Theo Schiller, Prof. Stefan Haack, Dr. Peter Neumann, Dr. Michael Efler und Prof. Werner Patzelt vorgetragenen Anregungen, Bedenken, Vorbehalte und Vorschläge prüfte unsere
Fraktion sehr gründlich. Im Ergebnis legten wir dem zuständigen Ausschuss einen 14 Punkte umfassenden Änderungsantrag vor. Die wesentlichen Änderungen nenne ich jetzt; die einzelnen Punkte werden bei der Einbringung des Änderungsantrages von meinem Kollegen Klaus Bartl vorgetragen.
Der Gutachter bei den Bürgerinitiativen Prof. Patzelt setzte sich leidenschaftlich für eine Referendumsinitiative und ein Informationsheft ein. Beide Anregungen griffen wir auf. Bei Volksentscheiden soll zukünftig ein Informationsheft Pflicht werden, in dem das Pro und Kontra einer Entscheidung deutlich gemacht wird. Das Volk erhält mit der Einführung des fakultativen Gesetzesreferendums in die Verfassung die Möglichkeit, vom Landtag beschlossene Gesetze wieder zu „kassieren“. Das verlangt von uns Gesetzgebern, dass wir zukünftig die Gesetze referendumssicher erarbeiten müssen, also den Interessen der Bürgerinnen und Bürger entsprechend.
Außerdem erhöhen wir, wenn auch schweren Herzens, das Quorum für Volksbegehren von 5 auf 8 %, also von 175 000 auf 280 000 Unterstützerunterschriften. Wir nahmen damit Dr. Neumanns und Dr. Haacks verfassungsrechtliche Bedenken ernst, obwohl wir die Meinung vertreten, dass die Fünf-Prozent-Hürde für den Eintritt in ein Parlament auch für das Einbringen eines Volksgesetzes gelten sollte.
Vor der Abstimmung über die einzelnen Artikel und Paragrafen fasse ich noch einmal die wichtigsten Neuerungen sowohl der Sächsischen Verfassung als auch des Gesetzes über Volksantrag, Volksbegehren und Volksentscheid zusammen, die mit unserem Gesetzentwurf und dem dazugehörigem Änderungsantrag gesetzliche Praxis werden sollen:
Erstens: Senkung des Quorums für Volksanträge von 40 000 auf 35 000 oder nicht mehr als 1 % der Stimmberechtigten.
Zweitens: Senkung des Quorums für Volksbegehren von 450 000 auf 280 000 oder nicht mehr als 8 % der Stimmberechtigten.
Drittens: Einführung der fakultativen Referendumsinitiative und der Möglichkeit, ein vom Landtag verabschiedetes Gesetz dem Volk zur Entscheidung in einem Volksentscheid vorzulegen.
Viertens: Beauftragung des Landtages, sich mittels Volksantrags mit Gegenständen der politischen Willensbildung zu befassen.
Fünftens: Die Beratungspflicht der Initiatoren von Volksinitiativen durch den Präsidenten des Landtags.
Siebentens: Neben der freien Unterschriftensammlung auch die Auslegung der Unterschriftenlisten in Gemeindeverwaltungen und die Einführung der elektronischen Signatur.
Meine Damen und Herren, sieben Neuerungen auf einen Streich. Sieben Neuerungen, die dem Wollen der Bevölkerung entsprechen, da sie Mitmischen und Einmischen, Mitgestaltung und Mitentscheidung ermöglichen. Sieben Neuerungen, die die Demokratie in Sachsen aufblühen lassen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auf meine Vorrednerin kann ich reagieren – sie hat von der Besonderheit der Weiblichkeit der Demokratie gesprochen. Es ist richtig, dass die Demokratie weiblich ist; aber auch die Schutzpatronin des Freistaates Sachsen, also des Sachsenlandes, ist immer weiblich gewesen, denn Saxonia ist schon sehr lange unsere Schutzgöttin und wacht auch darüber, dass wir vernünftige Entscheidungen treffen.
Meine Vorrednerin hat von der Sternstunde der Demokratie gesprochen. Richtig, ich kann mich an eine Sternstunde der Demokratie erinnern, als die verfassungsgebende Versammlung ebendiese Sächsische Verfassung verabschiedet und auf den Weg gebracht hat und dabei erstmals eine umfassende, sehr moderne Regelung zur Volksgesetzgebung in unsere Sächsische Verfassung aufgenommen hat. Das bezeichne ich als die Sternstunde des Parlaments.
Ich halte es für müßig, sich jetzt daran festzumachen, wer damals zugestimmt hat, wer die Verfassung abgelehnt hat; das will ich nicht tun. Ich will weder die rechtspolitischen Herausforderungen der Volksgesetzgebung beschreiben, noch möchte ich mich in ideologische Gespräche begeben. – So viel zu meiner Vorrednerin.
Für die CDU-Fraktion bleibt die Volksgesetzgebung ein wichtiger, unverzichtbarer Bestandteil der Sächsischen Verfassung – und damit seit vielen Jahren prägender Teil des modernen Verfassungsstaates Freistaat Sachsen. Die Volksgesetzgebung begründet einen wichtigen Beitrag der demokratischen Teilhabe des sächsischen Volkes. Im Respekt vor dem Souverän, dem Volk, und im Ergebnis der friedlichen Revolution hat die verfassungsgebende Versammlung in Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 der Sächsischen Verfassung geregelt: „Die Gesetzgebung steht dem Landtag oder unmittelbar dem Volk zu.“
Da ist kein interpretatorischer Spielraum möglich. Es ist geltendes Verfassungsrecht, dass der Landtag als repräsentative Demokratie, vom Volk entsandt, gesetzgeberisch tätig sein kann und dass das Volk aus eigenen Überlegungen Volksgesetzgebung auf den Weg bringen kann.
Damit steht neben dem Landtag dem Volk dieses Initiativrecht direkt zu. Das sächsische Volk hat neben der repräsentativen Demokratie eigene Verantwortung für gesetzgeberisches Handeln, um damit die Entwicklung des Freistaates Sachsen mitzugestalten. Die repräsentative Demokratie kann sich im Übrigen nicht allein auf eine Wahl verkürzen lassen. Ich habe es langsam satt, dass die Sachsen beschimpft werden, dass sie nur zur Wahlabstimmung gehen und sich ansonsten nicht in den demokratischen Prozess unseres Landes einbringen. Das ist einfach die Unwahrheit.
Viele Menschen nutzen die Zeit zwischen den Wahlen, sich mit ihren Ideen, mit ihrer starken Kritik, vielleicht auch mit guten Vorschlägen in den demokratischen Meinungsbildungsprozess einzubringen – natürlich nicht nur in den politischen Gestaltungsbereichen, sondern auch in vielen gesellschaftlichen Bereichen, wo sie sich mit ihrer Meinung, mit ihrem Wissen, vielleicht auch mit ihrer Freizeit, die sie der Gesellschaft opfern, einbringen. Das ist auch ein wichtiger Beitrag für die Demokratie des Freistaates Sachsen.
Ich erlaube mir hier zu bemerken, dass viele Bürger des Freistaates die Möglichkeiten der demokratischen Gestaltung nutzen und sich auf ihre Art mit einbringen. Wenn ich hier im Hohen Hause Gäste sehe, die sich bei der Freiwilligen Feuerwehr engagieren, dann ist ihr Einsatz zum Beispiel auch ein Beitrag zur Stärkung des demokratischen Rechtsstaates, der zwischen den Wahlen stattfindet; der mit viel Opferbereitschaft stattfindet.
Wir wollen eine umfassende Bürgerbeteiligung. Bürgerbeteiligung bedeutet natürlich auch bessere Kontrolle der Handelnden im Staat, in der Wirtschaft, aber auch in der Gesellschaft. Die unsägliche Entwicklung in den Großbanken, die zum Ruin von Millionen von Unternehmern und Arbeitnehmern führen kann, rechtfertigt diesen Ruf nach stärkerer Bürgerbeteiligung.
Haben wir aber nicht schon gute Instrumente, die auch genutzt werden sollten? Der Freistaat Sachsen hat eine moderne Volksgesetzgebung, die sich überhaupt nicht verstecken muss. Nach dem Freistaat Bayern gehört der Freistaat Sachsen zu den Staaten mit der volksgesetzgebungsfreundlichsten Regelung. Schleswig-Holstein und Thüringen stehen auf Tuchfühlung mit diesem Spitzenduo der deutschen Länder. Das Land Brandenburg, das immer als Vorbild angesprochen und benannt wird, kann kein Vorbild für eine Änderung der Sächsischen Verfassung sein. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache.