Protokoll der Sitzung vom 12.10.2011

Ja, gut, Frau Roth.

Frau Roth, bitte schön.

Danke schön, Herr Schiemann. – Herr Schiemann, wenn es stimmt, was Sie sagen, dass Sachsen auch 20 Jahre nach der Einführung der Verfassung noch immer an Spitzenplätzen steht, was die Möglichkeiten der direkten Demokratie betrifft, so möchte ich Sie fragen: Weshalb ist seit nunmehr über zehn Jahren in Sachsen nicht ein Volksantrag erfolgreich gewesen, erst recht kein Volksbegehren, und von Volksentscheiden haben wir in den ganzen 20 Jahren nur einen gehabt?

(Peter Wilhelm Patt, CDU: Wegen der Zufriedenheit! – Oh-Rufe von den LINKEN)

Es ist richtig, wir hatten einen Volksentscheid, der am 21. Oktober 2001 stattgefunden hat. Ich würde auf Ihre Frage in meinen folgenden Äußerungen zurückkommen und versuchen, Ihre Frage aus meiner Sicht zu beantworten.

Sie haben mir ein Stichwort gegeben. Im Freistaat Sachsen gab es einen Volksentscheid. Es gibt viele, viele deutsche Länder, in denen in einer 40- oder 50-jährigen Geschichte noch nicht einmal ein einziger Volksentscheid auf den Weg gebracht worden ist. Es lohnt sich, die Zahlen zu vergleichen, und ich bemühe mich jetzt, die mir vorliegenden Zahlen mit in die Diskussion einzubringen.

Im Freistaat Bayern gibt es eine sehr lange Volksgesetzgebungstradition. Dort habe ich nachgelesen, dass 43 Anträge auf Volksbegehren gestellt worden sind, das Volksbegehren selbst ist mit 18 benannt und Volksentscheide wurden sechs durchgeführt.

Nordrhein-Westfalen hat folgende Zahlen: zwölf Anträge auf Volksbegehren, zwei Volksbegehren und kein Volksentscheid;

Niedersachsen hatte neun Anträge auf Volksbegehren, zwei Volksbegehren und keinen Volksentscheid;

Rheinland-Pfalz hatte fünf Anträge auf Volksbegehren, zwei Volksbegehren durchgeführt, keinen Volksentscheid;

Schleswig-Holstein hatte 21 Anträge auf Volksbegehren, fünf Volksbegehren durchgeführt und zwei Volksentscheide.

Im Freistaat Sachsen gab es elf Anträge auf Volksbegehren; vier wurden durchgeführt. Ein Volksentscheid wurde erfolgreich durchgeführt.

Die Zahlen für das Land Brandenburg seien als Letztes genannt: Es gab 34 Anträge auf Volksbegehren; acht wurden durchgeführt. Ein Volksentscheid wurde noch nicht erreicht.

Damit habe ich einige repräsentative Zahlen herausgegriffen, die mit denen des Freistaates Sachsen verglichen werden können. Auch wenn es Nuancen gibt, so bleibt es dabei: Im Freistaat Bayern gab es sechs und im Land Schleswig-Holstein zwei Volksentscheide, im Freistaat immerhin einen. Das zeigt: Wir brauchen uns vor Ländern wie Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, RheinlandPfalz und Brandenburg überhaupt nicht zu verstecken.

(Beifall des Abg. Prof. Dr. Günther Schneider, CDU)

In den anderen genannten Ländern hat man es noch nicht ein Mal fertiggebracht, zu Volksentscheiden zu kommen.

Ich verweise auch darauf, dass es auf der kommunalen Ebene eine intensive Befassung mit den Anliegen der Einwohnerschaft, der Bürgerinnen und Bürger gibt. Im Freistaat Sachsen sind in den vergangenen 20 Jahren 220 Bürgerbegehren und 140 Bürgerentscheide auf den Weg gebracht worden. Der Freistaat Bayern hat einen Vorsprung: 1 800 Bürgerbegehren und 1 000 Bürgerentscheide. Wenn ich die Zahlenreihe fortführte, würden Sie erblassen, wenn Sie feststellen würden, was in vielen nordischen Ländern in fünfzig Jahren stattgefunden hat. Auch vor diesen Ländern brauchen wir uns nicht zu verstecken.

Herr Schiemann, es gibt noch einmal den Wunsch nach einer Zwischenfrage. Lassen Sie diese zu?

Wenn es hilft.

Frau Roth.

Ich hoffe es. – Herr Schiemann, Sie haben nicht auf meine Frage geantwortet. Sie lautete, wie Sie sich angesichts dieser – von Ihnen sehr gelobten – Bedingungen in Sachsen erklären können, dass es seit elf Jahren keinen erfolgreichen Volksantrag, geschweige denn ein Volksbegehren oder einen Volksentscheid mehr gegeben hat. Haben Sie zur Kenntnis genommen, dass in den vergangenen 20 Jahren in anderen Ländern, zum Beispiel Berlin und Hamburg, die Volksgesetzgebung viel moderner und besser ausgestaltet wurde und dass Sachsen zurzeit im Ranking der Volksgesetzgebung deutschlandweit nur einen Mittelplatz belegt?

Frau Roth, Sie müssen eine Frage stellen und dürfen keinen Debattenbeitrag halten. Also stellen Sie bitte Ihre Frage!

Meine dritte Frage: Haben Sie festgestellt, dass unser Gesetzentwurf genau den modernen Ansprüchen der heutigen Zeit Genüge tut?

(Beifall bei den LINKEN – Volker Bandmann, CDU: Nein! – Andrea Roth, DIE LINKE: Ich habe Herrn Schiemann gefragt, nicht Sie!)

Sehr geehrter Herr Präsident! Ich habe nur eine Frage gestellt bekommen, und auf diese kann ich, um es sehr kurz zu machen, mit Nein antworten.

(Heiterkeit bei der CDU)

Die Volksgesetzgebung im Freistaat Sachsen verdient es – ich versuche zumindest, die Frage zu ergründen, die Sie mir eigentlich stellen wollten –, auch verfassungsrechtlich

solide bewertet zu werden. Gerade eine solche Bewertung habe ich auch in der Fragestellung vermisst. Wenn Sie behaupten, wir seien ein schlechtes Land mit einer schlechten Volksgesetzgebung,

(Zuruf der Abg. Andrea Roth, DIE LINKE)

dann müssen Sie doch die Begründung liefern. Sie können sich doch nicht vor das Hohe Haus hinstellen und so tun, als ob der Freistaat Sachsen das Hinterletzte sei, während das Land Berlin hervorragend dastehe.

(Andrea Roth, DIE LINKE: Das habe ich so nicht gesagt!)

Herr Präsident, wenn ich darf, würde ich im Zuge meiner Darstellung noch darauf zurückkommen und Ihnen belegen, warum die Behauptung von Frau Roth in Bezug auf Berlin nicht ganz stimmt.

(Dr. Monika Runge, DIE LINKE, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Herr Schiemann, bevor Sie fortfahren: Es gibt schon wieder den Wunsch, eine Zwischenfrage zu stellen.

Ich würde gern noch eine Weile vortragen, damit Sie die Zusammenhänge auch im Kontext bewerten können.

(Beifall des Abg. Robert Clemen, CDU – Christian Piwarz, CDU: Und verstehen können!)

Genau. – Bei der Prüfung der Volksgesetzgebungsfreundlichkeit – jetzt komme ich auf Ihre Frage zurück – kann nicht allein auf Quoren, Volksbegehren oder erfolgreich absolvierte Volksentscheide abgestellt werden. Die Zahlen, die ich Ihnen genannt habe, zeigen: So schlecht steht der Freistaat Sachsen nicht da.

Von entscheidender Bedeutung sind vielmehr auch die Fristen – dazu haben Sie kein Wort gesagt, Frau Roth –,

(Andrea Roth, DIE LINKE: In der 1. Lesung, Herr Schiemann! Haben Sie das schon wieder vergessen?)

in denen die Unterstützungsunterschriften zu leisten sind, sowie die Art und Weise der Sammlung. Während lange Fristen die Durchführung von Volksbegehren und Volksentscheiden erleichtern und somit höhere Zustimmungsquoren rechtfertigen, erschweren kurze Fristen die Mobilisierung der Unterstützer und sprechen deshalb für geringere Quoren. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Freistaat Sachsen mit der Frist von acht Monaten die längste Eintragungsfrist für Unterstützungsunterschriften beim Volksbegehren besitzt. Die entsprechende Frist beträgt im Freistaat Bayern nur 14 Tage. Hinzu kommt, dass in Bayern wie in vielen anderen deutschen Ländern die Eintragung in die Unterstützungsunterschriftenlisten bei den Meldeämtern zu erfolgen hat, während im Freistaat Sachsen die Unterschriften frei gesammelt werden können.

Wir haben schon in der Beratung über die Sächsische Verfassung zum Ausdruck gebracht, dass wir die freie Sammlung der Unterstützungsunterschriften anstreben, weil das die Mobilisierung der Unterstützer besser ermöglicht. Auch haben wir uns damals entschieden, eine sehr lange Frist vorzusehen, in der die Sammlung der Unterstützungsunterschriften zustande kommen kann. Damit können wir das Eingangsquorum begründen.

Ich verweise darauf, dass die Mehrheit der deutschen Länder ihre Unterstützungsunterschriftenlisten bei den Meldebehörden erstellen lässt und dass die Wähler dort ihre Unterstützungsunterschrift zu leisten haben, und das oft in einem Zeitraum von zwei Wochen oder zwei Monaten. Am Nächsten kommt uns die Frist von sechs Monaten in Schleswig-Holstein. In den meisten Ländern sind die Fristen jedenfalls sehr kurz. Damit ist es für die Initiatoren äußerst schwierig, Erfolg zu haben.

Es sei mir erlaubt, an dieser Stelle noch einmal auf Folgendes hinzuweisen: Das Einstiegsquorum für ein Volksbegehren liegt im Freistaat Sachsen bei etwa 12,8 %, in der Mehrheit der deutschen Länder liegt es bei 10 %. Wir haben aber beim Volksentscheid –wie der Freistaat Bayern und das Land Hessen – kein Quorum. Das heißt, dass bei uns die Wählerschaft gezwungen ist, sich vor der Teilnahme an der Abstimmung den Themen zu stellen, die durch die Volksgesetzgebung auf den Weg gebracht wurden.

Herr Schiemann, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Nein, aber nur kurz.

(Heiterkeit bei der CDU)

Nein oder ja? Sie möchten gern noch eine Zwischenfrage zulassen?

Aber wirklich kurz, bitte.

Frau Dr. Runge, bitte.

Danke. – Herr Schiemann, unabhängig von dem, was Sie soeben zum Zusammenhang zwischen Fristen und Anzahl der Unterschriften dargestellt haben, gilt es doch auch einen Aspekt zu sehen, den Sie immer gern bemühen, nämlich den Bevölkerungsrückgang in Sachsen. Damit sagt die reine Prozentzahl im Vergleich mit anderen Ländern wenig aus, weil die Bevölkerung real abnimmt. Deshalb wäre es doch sicherlich geboten, entsprechend dem Bevölkerungsrückgang die Quoren anzupassen. Wie sehen Sie das?