Es ist tatsächlich so, dass es die kommunale Selbstverwaltung gibt. Ich schätze und achte sie. Aber hier gibt es eine erhebliche Verantwortung des Freistaates Sachsen. Wir haben bereits in der Debatte deutlich gemacht, dass dem Vertragsabschluss eine Prüfung durch das Regierungspräsidium Dresden gefolgt ist. Wenn ich gerade im Blick auf die derzeitige Diskussion über den Haushalt des Landkreises Görlitz sehe, in welcher Weise insbesondere die jetzige Landesdirektion auf den Kreishaushalt Einfluss nimmt, darf man hier deutlich sagen, dass es insoweit mit Sicherheit Parallelen gibt. Es kann nicht so laufen: Dort, wo es einem gefällt, greift die Landesdirektion ein. Dort, wo es einem nicht gefällt, vergessen wir, dass das Regierungspräsidium den Vertrag genehmigt hat.
Ich möchte gern, dass dieser Antrag dazu beiträgt, dass der Freistaat Sachsen seinen Möglichkeiten gerecht wird und positiv – im Interesse der Bürger – diese Vertragsverhandlungen begleitet.
Lieber Kollege Jurk, wir haben volle Sympathie für den Wortlaut, den Sie vorschlagen. Das liegt durchaus im Interesse der Bürger unseres Landkreises. Sie treffen genau den Nerv. Das Problem ist nur, dass die vorgeschlagene Formulierung der dritte Punkt eines Antrags der LINKEN werden soll, dem wir nicht zustimmen können. Aus diesem Grund müssen wir leider das ganze Ding ablehnen.
Es fiel gerade die Formulierung: „Hättet ihr den Antrag der LINKEN ersetzt …“ Ich weiß, dass wir im Zusammenhang mit der Geschäftsordnung lange darüber diskutiert haben, was man hier machen kann und was nicht. Wir haben ausdrücklich auf Wunsch des Juristischen Dienstes die Nr. 3 so angehangen. Ich würde es sehr bedauern, wenn aus formalen Gründen dem Antrag nicht gefolgt würde. Ich kann damit leben, aber die Bürger werden sich ihre Gedanken machen, wie sich die Koalition hier verhält.
Meine Damen und Herren! Ich lasse über den Antrag der SPD-Fraktion in der Drucksache 5/7223 abstimmen. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Vielen Dank. Die Gegenstimmen? – Vielen Dank. Stimmenthaltungen? – Meine Damen und Herren! Bei zahlreichen Dafür-Stimmen hat dieser Antrag dennoch nicht die erforderliche Mehrheit gefunden.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion DIE LINKE in Drucksache 5/4111. Es war punktweise Abstimmung gefordert.
Zunächst die Abstimmung zu Punkt I 1. Ich bitte um die Dafür-Stimmen. – Vielen Dank. Gegenstimmen? – Danke sehr. Stimmenthaltungen? – Bei Stimmen dafür ist dem Punkt I 1 nicht zugestimmt.
Wir kommen zur Abstimmung zu Punkt I 2 a. Ich bitte um die Dafür-Stimmen. – Vielen Dank. Die Gegenstimmen? – Danke sehr. Stimmenthaltungen? – Bei Stimmen dafür hat der Punkt I 2 a nicht die erforderliche Mehrheit gefunden.
Für den Punkt II b bitte ich um die Dafür-Stimmen. – Vielen Dank. Die Gegenstimmen? – Vielen Dank. Stimmenthaltungen? – Vielen Dank. Bei Stimmen dafür ist dem Punkt II b mit großer Mehrheit nicht entsprochen worden.
Wir kommen zur Abstimmung zum Punkt I 2 c. Ich bitte um die Dafür-Stimmen. – Vielen Dank. Die Gegenstimmen? – Vielen Dank. Stimmenthaltungen? – Bei Stimmen dafür ist dem Punkt I 2 c mit großer Mehrheit nicht entsprochen worden.
Wir kommen zur Abstimmung zu Punkt II a. Ich bitte um die Dafür-Stimmen. – Vielen Dank. Gegenstimmen? – Danke sehr. Stimmenthaltungen? – Bei Stimmen dafür ist dem Punkt II a mehrheitlich nicht entsprochen worden.
Wir kommen zu Punkt II b. Ich bitte um die DafürStimmen. – Vielen Dank. Die Gegenstimmen? – Danke sehr. Stimmenthaltungen? – Auch hier, meine Damen und Herren, ist dem Antrag bei Stimmen dafür mehrheitlich nicht entsprochen worden.
Da dem Antrag in allen Punkten nicht die Mehrheit gegeben wurde, erübrigt sich eine Schlussabstimmung. Die Drucksache 5/4111 ist nicht beschlossen und der Tagesordnungspunkt beendet.
Die Fraktionen nehmen wie folgt Stellung: SPD, DIE LINKE, GRÜNE, CDU, FDP, NPD und die Staatsregierung, wenn gewünscht.
Wir beginnen mit der Aussprache. Für die SPD-Fraktion Frau Abg. Neukirch. Frau Neukirch, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor dem Landtag findet derzeit noch bis 17 Uhr ein Aktionstag „Pflege braucht Pflege“ statt und jeder, der schon draußen war – ich will auch betonen, ich finde es gut, dass sich Vertreter von allen Fraktionen schon draußen gezeigt haben und an den Debatten teilnahmen –, konnte sich überzeugen, dass es den Veranstaltern, einem breiten Bündnis von Menschen, die Interesse am Thema „Pflege in Sachsen“ haben, gelungen ist, eine wirklich sachliche Auseinandersetzung zum Thema „Pflege“ vor dem Landtag auf die Beine zu
stellen, das Ganze nicht nur mit einem schnöden Demonstrieren zu bezeugen, sondern sich in thematischen Diskussionsrunden wirklich mit der Frage, was braucht Pflege in Sachsen, auseinanderzusetzen.
Diesen Anstoß sollten wir aufnehmen und die Debatte hier im Plenum auch so fortführen, weil ich denke, die Leute vor dem Landtag haben es verdient, dass wir uns wirklich sachlich mit dem Thema auseinandersetzen und uns nicht streiten, sondern zu einem Ergebnis kommen, was wir hier in Sachsen für eine Verbesserung der Pflege tun können.
Eigentlich hatten wir, als wir die Debatte geplant hatten, gehofft, dass wir auch darüber reden können, was in diesem Jahr der Pflege schon alles passiert ist, und dass wir uns vielleicht darüber streiten können, welche Maß
nahmen ergriffen worden sind oder auch nicht. Stattdessen stehen wir – nicht das erste Mal in diesem Plenum – hier und reden darüber, dass es überhaupt notwendig ist, im Bereich der Pflege auf Landesebene tätig zu werden.
Pflege ist ein thematischer Schwerpunkt für 2011, verkündete die Ministerin am 14. Januar dieses Jahres beim Unternehmertag „Pflege“. Schauen wir doch einmal zu Beginn, was aus diesem thematischen Schwerpunkt in diesem Jahr geworden ist.
An erster Stelle will ich das Gutachten nennen, das letzte Woche vorgestellt worden ist, das aber letztlich nur deutlich macht, was wir doch schon seit Jahren wissen. Ich erinnere an die Enquete-Kommission „Demografischer Wandel“, die heute schon einmal Thema war. Wir wissen, dass Sachsen das „älteste“ Bundesland ist, dass die Alterung und der Problemdruck vor Ort immens sind und dass dieser Druck weiter zunehmen wird. Was dieses Gutachten liefert, ist noch einmal eine regionale Betrachtung, und das ist auch gut so.
Als zweiter Punkt fällt mir die Vorlage des Gesetzentwurfs der Staatsregierung zum Landesheimrecht ein, der jedoch – auch das muss man benennen – keine Antworten auf die aktuellen Fragen der verschiedenen Wohnformen im Alter und dem damit einhergehenden Schutzbedürfnis für Menschen mit Hilfe- und Pflegebedarf liefert. Dieser Gesetzentwurf geht nach klassischem Heimrecht. Verbraucherschutz gibt es nur im Heim und bei stationärer Unterbringung. Es gibt keine Antworten auf andere Wohnformen, gerade wenn wir an Menschen mit Behinderung mit Assistenzbedarfen denken oder an schwerstpflegebedürftige Menschen, die in sogenannten PflegeWGs betreut werden. Auch darauf gibt dieser Gesetzentwurf der Staatsregierung keine Antwort.
Auf Bundesebene gibt es eine immer wieder verschobene Pflegereform. Es gibt ein wieder in die Schublade gelegtes Konzept zur Erneuerung des Pflegebedürftigkeitsbegriffes und es gibt einen untauglichen Gesetzentwurf zur Vereinbarkeit der familiären Pflege.
In Richtung Bund hat sich die Ministerin auch mehrfach zu Wort gemeldet, und ich stimme ihr in diesem Punkt eindeutig zu, dass eine Pflegeversicherung eher heute als morgen notwendig ist und dass auch der Pflegebedürftigkeitsbegriff gerade, wenn wir von menschenwürdiger Pflege und vom menschenwürdigen Altern reden, dringend erforderlich ist.
Ich stimme auch meinem Kollegen Alexander Krauß ausdrücklich zu, der in einer Pressemitteilung darauf hingewiesen hat, dass es ohne Beitragserhöhung für eine Verbesserung der Versorgung nicht gehen wird, dass es eben auch notwendig ist, diesen Teil der Pflegeversicherung anzugehen. Ich stimme ihm auch zu, wenn er in seiner Pressemitteilung seine Besorgnis darüber zum Ausdruck bringt, dass wir einen massiven Anstieg der Zahl der Heimplätze zu erwarten haben und dass hier gegengesteuert werden muss, und zwar vor allem aus
zwei Gründen; weil zum einen die Menschen möglichst lange zu Hause alt werden wollen und nicht in ein Heim möchten und weil zum anderen auch die Kosten für die Betroffenen und für die Kommunen und damit für uns alle aus dem Ruder laufen könnten. Bis hierhin stimmen wir überein.
Bei den Konsequenzen, die wir daraus ziehen, unterscheiden wir uns jedoch bisher fundamental. Wenn Sie diesen Ansatz jedoch ernst nehmen und auch diese Aussage in der Pressemitteilung weiter konsequent verfolgen, dann müssen Sie doch zu dem Schluss kommen, dass man nur steuern kann, wenn man auch Verantwortung übernimmt und diese Verantwortung dann auch konzeptionell untersetzt.
Genau hier beginnen die immensen Schwächen in der bisherigen sächsischen Pflegepolitik. Es gibt eben bisher kein Handlungskonzept der Staatsregierung zur Bewältigung der Herausforderungen. Es gibt kein Landespflegegesetz, das die Zielstellung sächsischer Pflegepolitik definiert, Infrastrukturentwicklung koordiniert und eine bedarfsgerechte Versorgungslandschaft entwickelt. Es gibt noch – wie gesagt: im Gesetzgebungsgang – kein Heimgesetz. Gerade hier liegen enorme Möglichkeiten zur Weiterentwicklung der Wohnformen im Alter und bei Hilfebedarf.
Es gibt keine Umsetzung der vorliegenden Ausbildungskonzeption und auch keine valide Erhebung über Fachkräfteentwicklung und Fachkräftesteuerung im Bereich der Pflege. Es gibt keine Pflegeberatungsstruktur, die durch eine Umsetzung des individuellen Fallmanagements dazu beiträgt, stationäre Aufenthalte zu reduzieren, und es gibt keine systematische Umsetzung des Gesundheitsziels Aktives Altern, das auf dem Weg zu einer präventiven Gesundheits- und Pflegepolitik ein moderner und sehr guter Ansatz sein könnte.
Aus diesem Grund ist der vorliegende Antrag der demokratischen Oppositionsfraktionen sehr ausführlich und lang geworden. Meine Kolleginnen aus den anderen Fraktionen werden dann noch auf verschiedene Detailregelungen genauer eingehen. Ich will noch darauf hinweisen, was das Ergebnis dieses jahrelangen Verharrens in Appellen und Absichtserklärungen letzten Endes für die Pflege bedeutet. Die Ressourcen, die in Sachsen in den Pflegebereich fließen, liegen am untersten Limit. Sachsen hat bundesweit jedes Jahr die niedrigsten Pflegesätze ambulant und stationär, die geringsten Entgelte für Unterkunft und Verpflegung und die geringste Personalausstattung. Das mag einseitig aus der Sicht der Bezahlbarkeit sehr attraktiv erscheinen, ab einer gewissen Grenze, die in Sachsen schon längst erreicht ist, blutet die Pflege jedoch aus.
Es erfolgt eine massive Abwertung der Pflegetätigkeit. Diese Entwicklung verschlimmert sich, je länger nicht gegengesteuert wird. Die Kommunen in Sachsen stellen schon seit geraumer Zeit fest, dass das ursprüngliche Ziel einer Pflegeversicherung, nämlich die Entlastung der Sozialkassen, schon längst nicht mehr durchgesetzt wird.
Für die Stadt Chemnitz wies der Sozialamtsleiter Herr Ehrlich in der Anhörung darauf hin, dass die Kosten für aufstockende Pflegeleistung schon wieder in Millionenhöhe bewältigt werden müssen: 3,5 Millionen Euro, Tendenz steigend.
Chemnitz kann man auch als positives Beispiel nennen, was alles möglich ist, wenn der Wille zum Gestalten da ist. Chemnitz hat mit einem Netzwerk etwas sehr Gutes aufgebaut. Es unterstützt den vorpflegerischen Bereich, führt in zehn Anlaufstellen eine abgestimmte, vernetzte Pflegeberatung durch und initiiert lokale Netzwerkkonferenzen. Durch diese Struktur und Arbeitsweise stellt man fest, wo es Lücken in der Versorgungsstruktur gibt. Erst wenn man das festgestellt hat, kann man gegensteuern. Das macht Chemnitz gut. Dadurch wird es zum Vorbild, aber Chemnitz macht es freiwillig. Chemnitz hat keinerlei rechtliche Grundlage auf Landesebene dafür. Das ist auch der Grund dafür, warum Chemnitz für lange Zeit in Sachsen die Ausnahme bleiben wird. Es muss ein Landespflegegesetz geben, was diese Struktur für alle Regionen in Sachsen einführt und vorschreibt, weil die Ansprüche aus dem SGB XI auf eine umfassende Pflegeberatung nicht nur für die Region Chemnitz darin festgeschrieben sind, sondern diesen Anspruch hat jeder Bürger in diesem Land, egal ob er glücklicherweise in Chemnitz wohnt oder woanders.
Die Verantwortung für die Umsetzung in allen Regionen liegt beim Land. Hier nutzen keine Appelle der Staatsregierung, hier bedarf es einer grundlegenden rechtlichen Vorgabe: eines Landespflegegesetzes. Dieses Gesetz soll keine Landesbedarfsplanung machen. Das müssen schon die Kommunen vor Ort machen. Nein, dieses Pflegegesetz soll verdeutlichen, welche Strategie, welche Ziele die Staatsregierung mit welchen Partnern und welchen Mitteln vor Ort verfolgt.
Diese Einsicht in die Notwendigkeit ist die Konsequenz aus der demografischen Entwicklung, wie es uns gerade mit dem Gutachten von Herrn Raffelhüschen letzte Woche vorgelegt worden ist. Herr Raffelhüschen meint meines Erachtens gerade das, wenn er in seinen Empfehlungen darauf hinweist, dass Sachsen eine ernsthafte Umsetzung von ambulant vor stationär in Angriff nehmen sollte. Wir wissen auch, dass eine gute Pflegeberatung die stationäre Unterbringung reduzieren kann, diese Pflegeberatung aber in Sachsen derzeit nicht existiert. Das belegt das Gutachten für den GKV-Spitzenverband, also die Pflegekassen, die in Sachsen zuständig sind, diese Beratung durchzuführen.