Protokoll der Sitzung vom 25.01.2012

Es ergibt sich sehr wohl auch eine Strafbarkeitslücke gegenüber der Regelung, die wir jetzt aus dem Bundesgesetz übernehmen. Bei der Regelung in § 240 StGB ist es erforderlich, dass die Nötigung mit einer verwerflichen Grundhaltung vorgenommen wird. Das heißt, das Gericht hätte zu prüfen, ob derjenige, der blockiert, verwerflich handelt. Das ist genau der Unterschied zum Versammlungsgesetz. Es ist nicht so simpel, wie Herr Lichdi behauptet hat, dass wir jetzt praktisch das Hinsetzen auf der Straße unter Strafe stellen wollen – Sie können sich hinsetzen, wo sie wollen –, sondern Sie müssen beabsichtigen, eine Demonstration damit zu sprengen oder zu vereiteln. Das ist es uns wert, es unter Strafe zu stellen, weil das Demonstrationsrecht für uns ein sehr hohes Gut ist.

(Zuruf der Abg. Sabine Friedel, SPD)

Wir sagen: Wir wollen Demonstranten und wir wollen auch, dass sie laufen können und dass sie sich bewegen können. Deshalb ist es nicht in Ordnung, sich hinzusetzen, um eine Demonstration zu verhindern. Den Unrechtsgehalt eines solchen Verhaltens, einer solchen Sitzblockade, kann man nur angemessen mit einer Strafvorschrift von bis zu zwei Jahren bestrafen. Die Gerichte haben in der Vergangenheit von dieser Strafvorschrift sehr angemessen Gebrauch gemacht. Diejenigen, die hier blockiert haben, sind zu Strafen von ungefähr 500 Euro verurteilt worden. Ich denke, wenn es eine Gewissensentscheidung ist, dann ist es das auch wert.

Eine zweite Angelegenheit, die Sie immer wieder durcheinanderbringen, ist die Möglichkeit der Polizei, angemessen auf Demonstrationsgeschehen zu reagieren. Die Polizei hat ein Entschließungsermessen, ob …, und ein Wahlermessen, mit welchen Mitteln sie bei einer bestehenden Demonstration gegen Störungen vorgeht. Das heißt, sie ist beispielsweise nicht verpflichtet, bei einer Blockade, wie wir sie im letzten Jahr erlebt haben, den großen Wasserwerfer herauszuholen – man hat gerade einen neuen angeschafft – und die Straßen frei zu spritzen; „Stuttgart 21“ sei das Vorbild. Das muss sie nicht machen. Hier geht es nur um die Frage: Ist es strafbar, es zu tun? – Diejenigen, die nicht geräumt werden, weil es gerade aus Ermessenserwägungen nicht angezeigt ist zu räumen, kann man anschließend bestrafen. Das halten wir für richtig und wir wollen es aufrechterhalten.

Das Dritte, was mich an Ihrem Vorschlag stört, ist: Sie kehren das Legalitätsprinzip, wonach die Strafverfolgungsbehörden verpflichtet sind, solche Taten zu ahnden, in ein Opportunitätsprinzip um. Dann ist es eine Ermessensentscheidung der Behörde und dann wird die Entscheidung, ob verfolgt wird oder nicht, erst recht politisch.

Sie von der Opposition zählen den Justizminister an, dass angeblich seine Staatsanwaltschaft nicht unabhängig ist. Selbstverständlich ist sie unabhängig. Das, was Sie wollen, ist aber eine weisungsabhängige Verwaltungsbehörde,

(Zuruf der Abg. Sabine Friedel, SPD)

die nach Ermessenserwägungen darüber entscheidet, ob sie eine Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße ahndet oder nicht, und das machen wir nicht mit.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Herr Lichdi noch einmal mit einer Wortmeldung für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Herr Lichdi, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Ich halte den Ansatz des Änderungsantrages der SPD-Fraktion für zutreffend. Wir sollten grundsätzlich sehen, wo man entkriminalisieren kann. Wir müssen einfach feststellen, dass der Straftatenkatalog im Versammlungsgesetz aufgrund der Rechtsentwicklung einfach überbordend ist und dringend entschlackt werden müsste. Wir haben auch während der Anhörung gehört, dass profunde Sachverständige die Auffassung vertreten haben, dass es grundsätzlich richtig ist, hier nur Ordnungswidrigkeitstatbestände vorzusehen, weil das Strafrecht grundsätzlich ausreichend ist, um Unzuträglichkeiten vorzubeugen. Also, die Verfolgung wegen Landfriedensbruch oder Körperverletzung bleibt nach dem Strafgesetzbuch erhalten.

Jetzt hören wir das Argument von Kollegen Biesok, wir brauchten es von der Verwerflichkeitsschwelle her. Das Argument kann man hören; es ist ein zulässiges Argument. Es ist aber ein sehr formales Argument, durchaus typisch für die Denkungsart des Kollegen Biesok. Denn wir müssen feststellen, dass der § 25 in dem Änderungsentwurf der SPD-Fraktion wortgleich geblieben ist. Das ist auch ein Teil unserer Kritik an diesem Änderungsantrag. Das Unzuträgliche an dem § 25, sei er als Strafnorm oder sei er als Ordnungswidrigkeitennorm formuliert, ist diese unendliche Weite, bei der auch der Begriff des „Sprengens einer Versammlung“ – was ist das? – oder der Begriff der „groben Störung“ einer Versammlung enthalten ist. Gerade die Debatte in Dresden zeigt, dass hier aus unserer Sicht in einer unzulässig weiten Art und Weise mit Berufung auf diesen Text Strafbarkeiten konstruiert werden. Von daher, liebe SPD-Fraktion, sind wir unglücklich, dass Sie den Text wörtlich übernommen haben. Ich glaube, damit können wir das Problem nicht lösen.

Nichtsdestotrotz werden wir Ihrem Änderungsantrag zustimmen, da es uns wichtig ist, das politische Signal zu senden, dass wir diese überbordende Bestrafungsorgie, die hier gegen friedliche Platzbesetzer eingeleitet worden ist, ablehnen. Deswegen werden wir dem Antrag zustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Abg. Julia Bonk, DIE LINKE)

Herr Bartl noch einmal für die Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident! Ich würde mich im Wesentlichen der Argumentation, die Kollege Lichdi vorgetragen hat, ausdrücklich anschließen und noch auf einen Aspekt aufmerksam machen wollen.

Wenn wir mit dieser Regelung derart präzise ausregeln, was eine Ordnungswidrigkeit ist und was letztlich von dem nicht Erfassten Strafrechtsnorm ist, ist das auch für die Rechtsanwender, für die Versammlungsteilnehmerin, für den Versammlungsteilnehmer, aber auch für den Polizeibeamten, eine ganz klare Regelung, wonach sie handeln können, für die Rechtsprechung genauso. Wir bringen endlich Rechtssicherheit in diese Frage.

Das Bundesverfassungsgericht hat im März 2011 – das ist noch kein Jahr her – definitiv entschieden, dass eine Sitzblockade als Form der kollektiven Meinungsäußerung eine zulässige Versammlungsform ist. Definitiv entschieden als Verfassungsgericht! Dazu gibt es also eine klare Rechtsprechung. Demzufolge ist es, wenn wir ein neues Gesetz machen wollen, durchaus angezeigt, durch die klare und in diesem Fall auch handhabbare Norm Rechtssicherheit in dieses Gesetz zu bringen.

Wir plädieren also, wie bereits im Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss, sehr dafür, diesem Antrag zu entsprechen.

(Beifall bei den LINKEN und den GRÜNEN sowie vereinzelt bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Es gibt keine weiteren Wortmeldungen. So kommen wir zur Abstimmung über den Änderungsantrag der SPD-Fraktion mit der Drucksachennummer 5/8019. Wer diesem Änderungsantrag seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Vielen Dank. Die Gegenstimmen? – Danke. Stimmenthaltungen? – Eine Stimmenthaltung. Bei zahlreichen DafürStimmen ist der Änderungsantrag mit der Drucksachennummer 5/8019 mehrheitlich nicht angenommen worden.

Meine Damen und Herren! Entsprechend § 46 Abs. 5 Satz 1 der Geschäftsordnung schlage ich Ihnen vor, über den Gesetzentwurf artikelweise in der vom Ausschuss vorgeschlagenen Fassung zu beraten und abzustimmen. Wenn sich dagegen kein Widerspruch erhebt, verfahren wir so.

Ich rufe auf: Neue Überschrift „Gesetz über das Sächsische Versammlungsgesetz und zur Änderung des Polizeigesetzes des Freistaates Sachsen“. Wer seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Die Gegenstimmen? – Vielen Dank. Stimmenthaltungen? – Bei einer Stimmenthaltung und zahlreichen Gegenstimmen ist die Überschrift mehrheitlich beschlossen.

Ich rufe auf: Artikel 1 – Gesetz über Versammlungen und Aufzüge im Freistaat Sachsen. Wer dem Artikel 1 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Vielen Dank. Die Gegenstimmen? – Danke. Stimmenthaltungen? – Bei keinen Stimmenthaltungen und

zahlreichen Gegenstimmen ist Artikel 1 mehrheitlich beschlossen.

Ich rufe auf: Artikel 2 – Änderung des Polizeigesetzes des Freistaates Sachsen. Wer seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Vielen Dank. Die Gegenstimmen? – Danke. Stimmenthaltungen? – Bei keinen Stimmenthaltungen und zahlreichen Gegenstimmen ist Artikel 2 beschlossen.

Artikel 3 – Inkrafttreten und Außerkrafttreten. Wer diesem Artikel 3 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Vielen Dank. Die Gegenstimmen? – Danke. Stimmenthaltungen? – Bei keinen Stimmenthaltungen und zahlreichen Gegenstimmen ist Artikel 3 beschlossen.

Meine Damen und Herren! Wir kommen zur Schlussabstimmung. Ich stelle den Entwurf Gesetz über das Sächsische Versammlungsgesetz und zur Änderung des Polizeigesetzes des Freistaates Sachsen, Drucksache 5/6390, Gesetzentwurf der Staatsregierung, in der in der 2. Lesung beschlossenen Fassung als Ganzes zur Abstimmung. Wer seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Vielen Dank. Die Gegenstimmen? – Danke. Stimmenthaltungen? – Bei einer Stimmenthaltung und zahlreichen Gegenstimmen ist das Gesetz beschlossen.

Meine Damen und Herren! Mir liegt ein Antrag – – Sie möchten Ihr Abstimmungsverhalten erklären? – Dann lasse ich diese Wortmeldung noch zu.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe den Gesetzentwurf aus folgenden Gründen abgelehnt:

Wenn es schon ein eigenständiges Sächsisches Versammlungsgesetz gibt, dann hätte die Staatsregierung wenigstens die Expertise und den Mut beweisen sollen, auch ein wirklich neues Gesetz zu erarbeiten, ein Versammlungsgesetz, das endlich die grundlegende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zum Versammlungsrecht

zusammenfasst und die Demokratieangst der Fünfzigerjahre überwindet, anstatt sie noch zu zementieren. Wenn schon das hohe Gut des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit überhaupt eingeschränkt werden muss, dann brauchten wir ein Versammlungsrecht, das nicht ein Gefahrenabwehrrecht, sondern ein Grundrechtsgewährleistungsrecht ist.

Auch die kleinen kosmetischen Eingriffe seitens der Koalition können nicht darüber hinwegtäuschen, dass das jetzt beschlossene Sächsische Versammlungsgesetz eher ein Versammlungsverhinderungsgesetz ist. Sonst hätte die

Koalition nicht am Schutzgut der öffentlichen Ordnung als Auffangtatbestand festhalten dürfen.

Sonst wäre die in § 3 eingefügte Kooperationspflicht, die vorhin noch lobend erwähnt worden ist, für die Versammlungsbehörden mit den untrennbar damit verbundenen Schutzaufgaben und der Unterstützungsfunktion der Behörde gegenüber der Versammlung ergänzt worden und sonst hätte die Staatsregierung das Uniformverbot nicht durch ein kaum objektiv bestimmbares Einschüchterungsverbot ergänzen dürfen.

Die spezifisch sächsische Sichtweise der Staatsregierung auf die demokratische Selbstorganisation von Menschen in diesem Freistaat ist von dem Wunsch geprägt, von oben zu kontrollieren und reglementieren zu können. Demokratische Teilhabe soll eben nur in einem kleinen, wohl abgegrenzten Korridor ermöglicht werden.

Dieses Gesetz ist Ausdruck einer gewissen Angst vor freier und selbstbestimmter Meinungsäußerung. Diese Haltung spiegelt sich auch jenseits der Gesetzgebung in der Praxis der Versammlungsbehörden in Sachsen und der Polizei wider. Immer wieder zeigt sich, dass Versammlungsbehörden und Polizei nicht in der Lage sind, eine echte, auf den Einzelfall bezogene Grundrechtsabwägung zwischen konkurrierenden Schutzgütern vorzunehmen. Auch dazu gibt Ihnen dieses eben beschlossene Gesetz keine geeigneten Instrumente an die Hand.

Meine Damen und Herren! Die Koalition zeigt auch mit diesem Gesetz, dass sie kein Interesse daran hat, diesen sächsischen Umgang mit Demokratie zu verändern. Deshalb habe ich den Gesetzentwurf abgelehnt.

(Beifall bei den LINKEN und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Mir liegt ein Antrag auf unverzügliche Ausfertigung dieses Gesetzes vor. Dem wird entsprochen, wenn der Landtag gemäß § 49 Abs. 2 Satz 2 Geschäftsordnung die Dringlichkeit beschließt. Wenn es keinen Widerspruch gibt, würden wir dem entsprechen.

(Widerspruch von den LINKEN und den GRÜNEN)

Wenn Sie widersprechen, müssen wir abstimmen. Wer dem Antrag auf unverzügliche Ausfertigung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Vielen Dank. Die Gegenstimmen? – Vielen Dank. Und die Stimmenthaltungen? – Bei keinen Stimmenthaltungen und zahlreichen Gegenstimmen ist der Antrag auf unverzügliche Ausfertigung beschlossen worden.

Dieser Tagesordnungspunkt ist abgeschlossen.

Meine Damen und Herren! Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 7

2. Lesung des Entwurfs

Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Finanzierung des

Ausbildungsverkehrs im Öffentlichen Personennahverkehr

Drucksache 5/5821, Gesetzentwurf der Staatsregierung

Drucksache 5/7929, Beschlussempfehlung des