Sehr verehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich glaube, wir sind uns einig: Die Idee des Bologna-Prozesses, der Schaffung eines gemeinsamen europäischen Hochschulraumes, ist eine sehr faszinierende.
Mehr Mobilität für Studierende und die Akademiker, die Vergleichbarkeit von Abschlüssen, eine bessere Studierbarkeit des Studiums und eben die Öffnung des Hochschulzugangs auch für breitere Bevölkerungsschichten – das sind Ziele, die wir stützen können und nachhaltig verfolgen wollen.
Es ist eine faszinierende Vision. Aber beschaut man sich die derzeitige Situation insbesondere aus dem Blickwinkel derjenigen, die es mehrheitlich aushalten müssen, nämlich der Studierenden, dann muss man sagen: Wir sind mit dieser Vision auf dem harten Boden der Tatsachen gelandet.
Die Mobilität endet allzu oft innerhalb des Bundeslandes, weil erfolgreiche Austauschprogramme nicht mehr existieren und die sozialen Voraussetzungen fehlen. Die Organisation des Studiums lässt allzu viele Studierende sich als Versuchskaninchen fühlen oder zumindest ziemlich allein gelassen bei der Neueinführung der Studienabschlüsse Bachelor und Master. Die Akzeptanz der Abschlüsse in der Wirtschaft ist – gelinde gesagt – übersichtlich ausgeprägt, und der Zugang zum Studienabschluss, insbesondere zum Master, ist allzu häufig verwehrt.
Einzig – und das darf man ja durchaus einmal positiv hervorheben – die Umstellung auf die neuen gestuften Studienabschlüsse und das European Credit Transfer System, also das Leistungspunktesystem, sind in rasend schneller Zeit erfolgt. Aber zehn Jahre nach Einführung des Bologna-Prozesses gilt es eben auch, einmal Zwischenbilanz zu ziehen; gilt es, dass jede Ebene sich fragt, was ihre Verantwortung ist, und daraus Konsequenzen zieht.
Ich habe gemeinsam mit vielen Studierenden in den letzten Wochen eine Verantwortungsdiffusion erlebt. Die Kritik der Studierenden hatte meist einen klaren Adressaten, aber dieser hat sie nicht angenommen. Der Bund, Frau Schavan, verweist auf die Länder. Die Länder verweisen – das ist auch heute in der Debatte passiert – auf die Hochschulen. Die Rektoren verweisen auf die Fakultäten. In den Fakultäten verweisen die Dekane, weil sie es nicht auf die Studierenden abschieben können, wieder nach oben.
Deswegen stellt sich mir die Frage: Werden diese Proteste wirklich ernst genommen? Wenn wir sie ernst nehmen wollen, dann müssen wir heute in diesem Haus darüber diskutieren, was die Rolle des Landes bei dieser Studienreform ist und was wir als Land, als Landtag und als Staatsregierung dafür tun können, dass diese Studienreform ein Erfolg wird.
Zuallererst heißt das für mich – und ich glaube, hier muss man keine Zitate bemühen, was sich in einer Aktuellen Debatte immer schwierig macht –, dass die Hochschulen natürlich mit ausreichendem Personal ausgestattet werden müssen. Es ist eine Binsenweisheit, dass diese Reform nicht aufkommensneutral möglich ist und einen höheren Betreuungsaufwand hat. Deswegen müssen wir in Sachsen endlich mit den 300 kw-Vermerken, also den 300 Stellen, die im Hochschulbereich nicht wiederbesetzt werden sollen, aufräumen und den Hochschulen Planungssicherheit bieten.
Wie aber – wir haben in der letzten Sitzung noch darüber gesprochen – der Brief der Rektoren zeigt, geht es um
mehr. Es geht um eine echte Verbesserung der Betreuungsrelationen. Das könnten wir in Sachsen durch eine Stärkung des Mittelbaus, aber eben auch durch eine Fortsetzung des Programms „Verbesserung der Studienbedingungen“ erreichen, mit dem sich unter anderem Tutorienstellen schaffen ließen.
Wir können als Land in die Qualität der Bildung investieren, indem wir zum Beispiel die Programmakkreditierung fördern und dafür sorgen, dass keine Studierenden mehr in Studiengänge immatrikuliert werden, die keine qualitative Überprüfung hinter sich haben. Wir können und wir sollten eine interne Qualitätssicherung aufbauen, damit es eben nicht erst wieder Studierendenproteste gibt, sondern die Studierenden innerhalb der Hochschulen die Möglichkeit haben, an der Verbesserung der Lehre mitzuwirken. Wir haben auch ein hochschuldidaktisches Zentrum in Leipzig gegründet, dem derzeit noch die Perspektive fehlt.
All das sind ganz konkrete Punkte, die wir, die die Staatsregierung anfassen müssen. Dazu fehlten mir bisher Antworten.
Es gibt aber noch einen dritten Bereich, den ich zumindest ansprechen will. Das ist die soziale Dimension des Bologna-Prozesses, eine Dimension, die meistens vergessen wird. In unserem Selbstverständnis heißt das natürlich: keine Studiengebühren, auch keine Langzeitstudiengebühren. Es geht aber um mehr. Es geht darum, die Lücken beim BAföG zu schließen und auch Menschen über 30 ein Studium zu ermöglichen, um sich auf die Wissensgesellschaft einzustellen.
Es geht auch darum, berufsbegleitende Studiengänge erfolgreich in die Hochschullandschaft einzuführen.
Es geht insgesamt darum, dass sich der Bologna-Prozess auf die Studierenden und ihre soziale Lage einstellt und eben nicht anders herum. Deswegen muss das Land seine Verantwortung für eine gute Lehre und eben auch für soziale Chancengleichheit wahrnehmen. Deswegen hoffe ich, dass nächste Woche nicht nur irgendwelche Zahlen in der Ministerkonferenz vereinbart werden, sondern dass es eben auch zu spürbaren Verbesserungen bei den Betreuungsverhältnissen in den Hochschulen kommt und die sozialen Zugangsbedingungen verbessert werden.
Vielen Dank für Ihren Redebeitrag. – Als Nächstes kommt die Fraktion der GRÜNEN; Kollege Gerstenberg.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass wir heute, überraschenderweise durch die Koalition beantragt, eine Debatte zur Situation der sächsischen Hochschulen führen können, das ist ein Erfolg der Studierenden.
Ich möchte deshalb beginnen mit einem Dank an die Demonstrantinnen und Demonstranten, an die Hochschulbesetzer, die nach der Kultusministerkonferenz und nach der Hochschulrektorenkonferenz jetzt auch den Sächsischen Landtag zwingen, sich mit ihren Problemen zu beschäftigen. Diese Debatte ist ihr Verdienst und dafür sage ich herzlichen Dank.
Ich habe 2007 anlässlich unserer Großen Anfrage schon einmal hier gestanden. Da wurde uns noch Defätismus vorgeworfen, als wir die Probleme des Bologna-Prozesses benannt haben. Wir wurden des Negativismus bezichtigt, und zwar sowohl aus der SPD-Fraktion als auch aus der CDU-Fraktion. Die Zeiten haben sich offensichtlich geändert.
Die Kritik am Bologna-Prozess ist jetzt Allgemeingut. Ich will mich nicht mehr mit Problemanalysen und Auflistungen aufhalten. Nach dem zweiten Bildungsstreik ist das Allgemeingut jedes Zeitungslesers.
Ich glaube allerdings, wir sollten uns nicht vordergründig nur mit der Bologna-Reform beschäftigen. Die Haltung, die die Studierenden dazu haben, haben sie drastisch in Leipzig auf der großen Demonstration mit dem Transparent „Wir sind das Hackfleisch in der Bolognese“ zum Ausdruck gebracht. Es ist deshalb höchste Zeit, nicht nur weiter über diese Probleme zu diskutieren, sondern angesichts dieser Gefühlslage den Bologna-Prozess zu korrigieren. Wir brauchen die Reform der Reform, zwar brauchen sie unverzüglich.
Ich bin froh, dass nach den Ausführungen von Prof. Schmalfuß auch die FDP mittlerweile in diese Richtung einschwenkt; denn mit Ihrem Antrag, den Sie zitiert haben, wollten Sie ja Bologna noch stoppen. Das wollen wir bitte nicht vergessen.
Die notwendigen Korrekturen kann ich nur ansatzweise benennen. Wir brauchen eine Entrümpelung der Studiengänge. Wir müssen Freiräume für ein freies Studium schaffen. Allzu oft sind in den Hochschulen, in den Fakultäten die Studiengänge des Diploms in sechs Semester Bachelor hineingestopft worden. Das geschah nach dem Prinzip: stopfen, so weit es geht. Das sind unverdauliche Studiengänge. Dort liegt wirklich eine Aufgabe der Professoren und der Hochschulen.
Wir brauchen weniger Prüfungen. Die Studierenden wie die Lehrenden leiden unter einem dauernden Prüfungsstress. Ich bin der Überzeugung, dass eine Prüfungsleistung für den Modulabschluss genug ist. So etwas kann man ins Gesetz schreiben.
Wir brauchen mehr Masterstudienplätze. Derzeit besteht wirklich die Gefahr, dass der Bachelor zu einem Schnell- und Billigstudium wird. Wir wollen keine Schranken. Der Bologna-Prozess schreibt ein zweistufiges Studium fest. Wer erfolgreich seinen Bachelor abgeschlossen hat, soll ohne weitere Aufnahmekriterien, ohne Quoten, ohne Leistungsprüfung den Zugang zum Master erhalten.
Wir brauchen eine neue Anerkennungspraxis. Die Studierenden haben den europäischen Hochschulraum bereits verwirklicht. Sie denken europäisch. Wenn in dieser Situation aber Erasmus-Studienplätze frei bleiben – das ist ein Novum in der Geschichte –, dann zeigt das doch, dass die derzeitigen Studienstrukturen ihnen Zwänge auferlegen. Wir brauchen eine Anerkennung von im Ausland erbrachten Studien und die Schaffung der Voraussetzungen für mehr Mobilität.
Die Korrekturen sind nicht durch die Hochschule allein zu lösen. Da kann ich Herrn Mann nur recht geben. Frau von Schorlemer, Sie haben mich enttäuscht, wenn Sie sagen, dass die Studienproteste zum Teil berechtigt sind, aber jetzt die Hochschulen gefragt sind. Nein, Bologna ist vor zehn Jahren als politisches Projekt der Wissenschaftsminister gestartet. Es darf jetzt nicht in der organisierten Verantwortungslosigkeit enden. Wir müssen Schluss machen mit dem Schwarzer-Peter-Spiel, mit den gegenseitigen Schuldzuweisungen zwischen Ministern und Hochschulrektoren. Hochschulen wie Politik haben die Probleme verursacht. Sie müssen jetzt eine gemeinsame Kraftanstrengung für ihre Lösung unternehmen.
Wir brauchen sicher einen Bologna-Gipfel, aber nicht erst im April, sondern hier in Sachsen schon eher. Frau von Schorlemer, ich schlage Ihnen vor: Berufen Sie einen sächsischen Runden Tisch Bologna-Reform ein! An diesen Tisch gehören natürlich die Hochschullehrer. Es gehören die Hochschulleitungen und die Verwaltungen daran. Aber vor allem gehören an diesen Tisch auch die Studierenden und ihre Vertretungen.
Wer an dieser Stelle sagt, dass wir autonome Hochschulen haben, der soll bitte nicht vergessen, dass Bildung eine staatliche Aufgabe ist und die Politik hier in der Verantwortung gegenüber den Hochschulen steht, was den rechtlichen Rahmen, die Finanzierung und die Qualitätskontrolle betrifft, die sich nicht allein auf Akkreditierungsagenturen auslagern lassen.
Ich bin meinem Kollegen Holger Mann dankbar, dass er über die soziale Dimension gesprochen hat. Wir müssen jetzt das umsetzen, was seit Jahren gefragt ist. Deshalb bitte keinen Bildungsgipfel mit schönen Versprechungen, kein Schönrechnen von Zahlen in der Bildungsfinanzierung, kein Schuldenbeschleunigungsgesetz, sondern stattdessen mehr Geld für die Bildung, aber Geld, das in den Hochschulen, in den Hörsälen, in den Seminarräumen und bei den Studierenden ankommt.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Selbst angesichts der verunglückten Studienreform von Bologna schlägt in diesem Haus nicht die Stunde der Patrioten, sondern die Stunde der Heuchler. Nun sondern sie hier wieder ihre hochschulpolitischen Sprechblasen ab, versichern den Studenten ihre Anteilnahme und versprechen eine Reform der Chaos-Reform – die politischen Vertreter der organisierten Dummheit und Verantwortungslosigkeit.
Die Heuchelei von CDU und FDP, DIE LINKE, SPD und GRÜNEN stinkt regelrecht zum Himmel. Sie alle haben in Bundesregierungen und Landesregierungen die Zerstörung des deutschen Hochschulsystems durch das Diktat von Bologna nicht nur passiv mitgetragen, sondern aktiv befördert. Heute stehen Sie betroffen vor dem hochschulpolitischen Scherbenhaufen, den Sie in Ihrem Internationalisierungswahn selbst angerichtet haben.
Besonders groß ist die Heuchelei von SPD und GRÜNEN, die jetzt, da sie im Bund nicht mehr regieren, lauthals die Beschädigung von Forschung und Lehre, neue soziale Härten und Bildungsbarrieren für die Studenten beklagen. Dabei wurde die Zerstörung der deutschen Universität mit ihren bewährten Studienordnungen und -abschlüssen im Jahr 1999 beschlossen, als SPD und GRÜNE in Berlin selbst regierten.