Protokoll der Sitzung vom 08.03.2011

(Beifall der Abg. Kristin Schütz, FDP, und Martin Modschiedler, CDU, sowie des Staatsministers Dr. Jürgen Martens)

Kollegin Bonk hat von dem Vertrauensverlust, der durch die Datenerhebung eingetreten sei, gesprochen. Wir als Parlamentarier haben mit unserer Diskussion zu einem Teil zum Vertrauensverlust beigetragen. Wir haben diese Diskussion teilweise auf eine Art und Weise geführt, dass der Eindruck entstehen konnte, die ganze Stadt sei abgehört worden. Es ging immer noch um Verkehrs- und Bestandsdaten.

Meine Damen und Herren! Dieser Bericht geht weit über das aktuelle Ereignis hinaus. Das, was wir erlebt haben, ist für mich ein Beispiel dafür, wie man in einer modernen Kommunikationsgesellschaft mit Grundrechten umgeht. Nicht alles, was zur Verfolgung von Straftaten möglich ist, ist auch zulässig. Wir leben nicht in einem Überwachungsstaat, dessen Bestreben es ist, möglichst viel über seine Bürger zu erfahren. Wir leben in einer freiheitlichen Demokratie, die den Bürger selbst darüber entscheiden lässt, was von sich er gegenüber dem Staat preisgibt.

Die Daten gehören dem Bürger. Der Staat hat keinen Anspruch darauf zu wissen, ob, wann, in welcher Weise, wie oft und zwischen welchen Personen Fernmeldeverkehr stattgefunden hat oder versucht wurde. Deshalb muss jeder Eingriff in diese persönliche Freiheit dem Verhältnisgrundsatz entsprechen. Es muss jedes Mal sehr sorgfältig geprüft werden, ob das der Fall ist. In den Zeiträumen, über die wir hier diskutieren, wurde dieser Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Teilen nicht eingehalten.

(Beifall der Abg. Klaus Bartl und Julia Bonk, DIE LINKE)

Ich möchte nicht erneut die Diskussion darüber eröffnen, ob der Datenschutzbeauftragte über seine Kompetenzen hinausgegangen ist, indem er vorbereitende Akte, die zu Gerichtsentscheidungen geführt haben, prüfen konnte. Die Argumente haben wir ausgetauscht. Ich denke, es gibt

viele Argumente, die für die Auffassung des Datenschutzbeauftragten sprechen; aber auch der Präsident des Oberlandesgerichts hat gute Argumente für seine Rechtsauffassung.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Nein, wirklich nicht!)

Im Ergebnis ist es meines Erachtens wichtig, dass wir die Diskussion geführt haben und dass es diesen Bericht gibt. Es ist richtig gewesen, diese Prüfung hier vorzunehmen, weil wir das erste Mal eine neue Dimension der Datenerhebung erlebten. Diese Dimension mussten wir alle erst einmal begreifen, um unsere Konsequenzen daraus zu ziehen.

Ich möchte für meine Fraktion ganz deutlich sagen: Das Handy ist keine elektronische Fußfessel. Es ist nicht dazu da, Daten zu erheben, mit denen staatliche Behörden Bewegungsbilder von Bürgern anfertigen können, die ihre Kommunikationsfreiheit lediglich ausüben. Darum

werden wir als sächsische Liberale auch weiterhin gegen jede Art von Vorratsdatenspeicherung kämpfen. Ich möchte mir nicht ausmalen, wie viele Datensätze im Februar 2011 gesammelt worden wären, wenn wir die Vorratsdatenspeicherung schon gehabt hätten.

Um es andererseits aber auch klar und deutlich zu sagen: Eine Funkzellenabfrage nach § 100g Strafprozessordnung halte ich zur Bekämpfung schwerster Kriminalität für zulässig.

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Aber nicht beim Versammlungsrecht!)

Herr Dr. Hahn, Sie wissen doch ganz genau, dass wir das beim Versammlungsgesetz nicht gemacht haben

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Es ist doch gemacht worden! – Gegenruf des Staatsministers Dr. Jürgen Martens: Nein!)

und dass es der FDP-Minister mit seinem Ministerium gewesen ist, der dafür gesorgt hat, dass diese Daten in Akten zu Verstößen gegen das Versammlungsgesetz nichts zu suchen haben.

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Die waren aber drin!)

Das wissen Sie, und das sollten Sie anerkennen.

(Beifall der Abg. Kristin Schütz, FDP)

Um es klar zu sagen: Zur Bekämpfung schwerer Verbrechen ist das zulässig. Hier waren die Anlassdaten entsprechend auch gewesen.

Herr Biesok, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ich gestatte eine Zwischenfrage.

Herr Lichdi.

Vielen Dank! Herr Kollege Biesok, ist Ihnen nicht bekannt, dass die Verwendung der erhobenen Verkehrsdaten in dem Verfahren nach § 21 vom Herrn Oberstaatsanwalt Schär per Vermerk im Mai letzten Jahres gestoppt wurde und keinesfalls vom Herrn Staatsminister der Justiz und für Europa, der ansonsten so tut – wie wir im Ausschuss leider die ganze Zeit erleben müssen –, als ob ihn das Ganze nichts anginge? Ich habe in den Akten und auch sonst keinerlei Hinweise darauf gefunden, dass der Herr Staatsminister insofern auf Herrn Oberstaatsanwalt Schär eingewirkt hätte. Können Sie diese – meine – Sichtweise der Tatsachenabfolge unterstützen?

Sehr geehrter Herr Kollege Lichdi, die Opposition – ich weiß nicht, ob Sie es in persona waren; das will ich Ihnen nicht unterstellen – hat immer auf die Verantwortung des Justizministeriums für die Staatsanwaltschaft abgestellt. Der Justizminister hat darauf hingewiesen, dass er sich in laufende Ermittlungsverfahren nicht einmischt. Deshalb sind beide Aussagen richtig. Es war innerhalb des Geschäftsbereiches des Ministeriums der Justiz und für Europa, wo die Verwendung der Daten zur Verfolgung von Straftaten nach § 21 Versammlungsgesetz gestoppt wurde. Ebenso ist es richtig, dass sich der Justizminister nicht in laufende Ermittlungsverfahren persönlich einzumischen hat.

Herr Biesok, gestatten Sie noch eine Nachfrage?

Vielen Dank, Herr Kollege. Darf ich Ihre Antwort so verstehen, dass immer dann, wenn die Staatsanwaltschaft im rechtsstaatlichen Sinne handelt, diese Handlungsweise auf den Herrn Staatsminister zurückzuführen ist, dass aber immer dann, wenn sie gegen Recht und Gesetz verstößt, der Herr Staatsminister dafür nicht verantwortlich ist?

(Beifall bei den GRÜNEN – Lachen bei der FDP und der CDU)

Herr Kollege Lichdi, da haben Sie mich falsch verstanden.

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Wie dann? – Klaus Tischendorf, DIE LINKE: Wie ist es denn jetzt richtig?)

Ich möchte kurz auf die Anlasstaten zurückkommen. Es waren hier schwere Straftaten aufzuklären: Landfriedensbruch und Bildung einer kriminellen Vereinigung. Beides waren Anlässe, dass man hier die Funkzellenabfrage anordnen konnte. Was fehlte, war ein Verständnis für die Verhältnismäßigkeit der Eingriffe. Die Grundrechte der Bürger, insbesondere die der Demonstranten, die gegen rechte Aufmärsche demonstrierten, wurden zu wenig beachtet.

Die Staatsregierung hat daher – das finde ich ausgesprochen positiv – eine Bundesratsinitiative unternommen, um den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in den einschlägigen Regelungen der Strafprozessordnung besser zu verankern. Ich möchte an Folgendes erinnern: Es waren die Länder Baden-Württemberg – grün regiert, mit Unterstützung der SPD – sowie Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz – rot-grün regiert –, die dieser Stärkung der Bürgerrechte nicht zustimmten.

(Kristin Schütz, FDP: Hört, hört!)

Es wäre sehr schön, wenn Sie Ihre jeweiligen Kollegen darauf aufmerksam machen würden, was hier in Dresden passiert ist, und dass es wünschenswert wäre, genau diese Konkretisierung der Gesetzeslage herbeizuführen.

Zur rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung gehört für mich aber auch die Frage, ob die Funkzellenabfrage auch dann eingesetzt werden kann, wenn möglicherweise Ärzte, Abgeordnete oder Geistliche – die sogenannten Berufsgeheimnisträger – mitbetroffen sind. In der Diskussion wurde behauptet, immer dann, wenn ein Berufsgeheimnisträger von dieser Maßnahme mitbetroffen sei, sei sie unzulässig.

Um es klar zu sagen: Weder die Anwesenheit von Pfarrer König noch die von Wolfgang Thierse bedeutet einen Schutzschirm für kriminelle Vereinigungen und schwere Landfriedensbrecher vor strafprozessualen Maßnahmen.

(Beifall der Abg. Kristin Schütz, FDP, der CDU und des Staatsministers Dr. Jürgen Martens)

Auch die Anwesenheit von Berufsgeheimnisträgern ist nur ein Aspekt, der in die Verhältnismäßigkeitsprüfung, die die staatlichen Behörden anzustellen haben, einzubeziehen ist.

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Die haben gar nicht geprüft!)

Herr Dr. Hahn, ich sage, dass dieser Aspekt einzubeziehen ist. Ob das in diesem Falle passierte, ist eine andere Frage. Ich habe mich soeben sehr deutlich gegen den Missbrauch des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gewehrt.

Ich wehre mich aber genauso dagegen, dass Leute, die den besonderen Schutz als Berufsgeheimnisträger genießen, dazu missbraucht werden, Schutzschirme vor Kriminellen aufzuspannen. Das ist mit einer Rechtsstaatspartei nicht zu machen.

(Beifall der Abg. Kristin Schütz, FDP)

Der Datenschutzbeauftragte hat in seinem Gutachten klargestellt, dass sich eine solche Unzulässigkeit nur im Einzelfall ergeben kann, und zwar dann, wenn durch den Einsatz der Funkzellenabfrage das Zeugnisverweigerungsrecht der Berufsgeheimnisträger betroffen ist.

(Klaus Bartl, DIE LINKE: Das war es nicht?)

Der Bericht des Datenschutzbeauftragten zeigt einige rechtspolitische Fragestellungen auf, die wir heute nicht abschließend beantworten können: Kann die Beantragung

einer Funkzellenabfrage bei einem Gericht einen Verstoß gegen den Datenschutz darstellen, der vom Landesdatenschutzbeauftragten auf landesgesetzlicher Ebene beanstandet werden kann, wenn der auf den Antrag ergangene richterliche Beschluss nach der bundesgesetzlichen Regelung in § 100g StPO rechtsfehlerfrei ist?

Ist das ein Ergebnis unserer föderalen Struktur oder ist dieses Ergebnis wegen der Einheitlichkeit der Rechtsordnung nicht hinnehmbar? Diese Frage müssen wir diskutieren. In dieser Diskussion nimmt der Datenschutzbeauftragte eine klare Position zugunsten des Datenschutzes ein. Ich danke Ihnen dafür ausdrücklich. Im Hinblick auf die weite Verbreitung von Smartphones, Tablet-PCs oder Laptops mit UMTS-Anschluss wird der Bericht des Datenschutzbeauftragten sicher noch oft zitiert werden, um für die Belange des Datenschutzes zu streiten. Die Rechtsfragen bieten Anlass für manch eine juristische Dissertation. Ich hoffe, Herr Schurig, Sie werden entsprechend zitiert. Sie hätten es sich verdient.

(Vereinzelt Beifall bei der FDP und der CDU)

Vielen Dank.