Protokoll der Sitzung vom 08.03.2011

Nächster Redner ist Herr Lichdi für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich meine Rede damit beginnen, dass ich im Namen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dem Datenschutzbeauftragten herzlich für seinen Bericht danke.

(Vereinzelt Beifall bei den GRÜNEN)

Ich glaube, das sollte man an den Beginn der Rede stellen; denn mit Ihrem Bericht, den Sie im September 2011 veröffentlichten, haben Sie so etwas wie die Ahnung in Deutschland wachgehalten, dass in Sachsen möglicherweise die Institutionen doch noch funktionieren könnten. Gegen das, was wir über den Sommer hinweg alles lesen mussten, nicht durch unsere Schuld, sondern durch die Schuld der Staatsregierung und die Ignoranz von CDU- und FDP-Koalition

(Volker Bandmann, CDU: Jetzt müssen Sie sich überlegen, wollen Sie nun die Regierung oder wollen Sie sie nicht!)

und das institutionelle Versagen, das sich hier abgezeichnet hat, haben Sie ein Licht gesetzt. Dafür sind wir Ihnen ausdrücklich dankbar.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir wollen diesen Dank noch etwas entfalten. Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar, dass in Ihrem Bericht eine ausführliche Darstellung der bisherigen Rechtsprechung zu dem entsprechenden Paragrafen enthalten ist, aus der eindeutig hervorgeht, dass das, was in Dresden im Februar 2011 stattgefunden hat, jeden bisher bekannten Rahmen gesprengt hat.

(Beifall der Abg. Klaus Bartl, DIE LINKE, und Eva Jähnigen, GRÜNE)

Und dass es eben auch durch die Rechtsprechung dem Herrn Polizeipräsidenten und dem Herrn Innenminister, der jetzt nicht anwesend ist, als auch dem Herrn Justizminister und der zuständigen Staatsanwaltschaft hätte bekannt sein müssen; denn normalerweise gehen wir davon aus, dass dem Justizministerium und den Richtern sowie Staatsanwälten die Rechtslage bekannt ist, wie sie sich in der Rechtsprechung niedergeschlagen hat. Das war offensichtlich nicht der Fall.

Ich möchte noch einen weiteren Punkt ansprechen, nämlich die wirklich unsäglichen und in hohem Maße nichtfachlichen und unsachlichen Angriffe, die Sie durch manche Richter erleiden mussten, an der Spitze den Präsidenten des OLG, Herrn Hagenloch. Was dort an Drohungen gegenüber Ihnen und der Institution des Datenschutzbeauftragten ausgestoßen wurde bis dahin, Sie mögen sich in aller Öffentlichkeit entschuldigen, ist in der deutschen Geschichte des Umgangs der Politik mit Datenschutzbeauftragten relativ einzigartig. Wir haben dazu im Landtag öfter Debatten geführt, deswegen möchte ich nur noch kurz daran erinnern, dass es der Redner der CDU-Fraktion, Volker Bandmann, war – hier allen bekannt, wir müssen ja seine Zwischenrufe hier immer noch zur Kenntnis nehmen –, der im Jahr 2003

(Widerspruch des Abg. Christian Piwarz, CDU)

ausdrücklich in seinem Redebeitrag darauf hingewiesen hat, dass selbstverständlich der Datenschutzbeauftragte durch Richtervorbehalt geschützte Ermittlungsmaßnahmen prüfen kann. Was hier von der Regierung und der Koalition aufgebaut wurde, war nur ein Popanz, der ihr eigenes schlechtes Gewissen verdecken sollte. Der Höhepunkt war wirklich – die Kollegen erinnern sich noch mit Schaudern oder Schadenfreude, ich weiß nicht, wie ich es nennen soll – an die Pressekonferenz des Herrn Prof. Battis,

(Sabine Friedel, SPD: Peinlich berührt erinnern wir uns!)

der – „peinlich“ sagt Kollegin Friedel, das ist ein schwacher Ausdruck – damit in meinen Augen endgültig seine bisher gute Reputation verspielt hat. Das sage ich ganz klar so. Was er dort als sogenanntes Gutachten abgeliefert hat, war wirklich mehr als peinlich.

Nein, es ist völlig klar, was unser Sächsischer Datenschutzbeauftragter zusammengetragen und erarbeitet hat, ist wirklich ein Glanzlicht in der Geschichte des sächsischen Datenschutzes seit 20 Jahren. Das sollten wir auch so festhalten und ihm dafür dankbar sein.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Aber worum ist es denn eigentlich gegangen? Wir müssen etwas tiefer graben. Wir haben hier die Überwachungsfantasien eines Landeskriminalamtes erlebt, die offensichtlich fern jeder politischen Kontrolle, fern jedes politischen

Augenmaßes freigesetzt wurden, um politisch motivierte Überwachungsideen auszuschöpfen. Es ging nämlich nicht, wie immer behauptet wird, um die Aufklärung von Straftaten des schweren Landfriedensbruchs, die am 19. Februar 2011 stattgefunden haben, die wir bedauern und wo wir immer noch darauf warten, dass endlich Ermittlungserfolge eintreten, sondern dieser Prozess ist viel älter. Es geht darum, dass das Landeskriminalamt nicht in der Lage war, den Anschlag auf das Bundeswehrgelände zu Ostern 2009 aufzuklären

(Volker Bandmann, CDU: Vielleich können Sie uns Hinweise geben!)

und eine absurde Theorie als Ermittlungshypothese aufgestellt hat.

Diese These lautet wie folgt: Der Linksextremismus in Sachsen gefährdet die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Dazu brauche ich in Zeiten des NSU gar nichts mehr sagen. Das hat sich also wirklich erledigt. Aber das ist die Arbeitshypothese, nach der das LKA bis heute vorgeht. Wie geht es dann weiter? Zu diesem Zweck sind wir befugt, nach § 129 Bildung einer kriminellen Vereinigung den gesamten Instrumentenkasten, den die Strafprozessordnung bietet, auszupacken und im hohen Maße anzuwenden. Das haben Sie getan. Es war ja nicht die erste Massenfunkzellenabfrage, die wir im Februar 2011 in Sachsen erlebt haben. Ich erinnere daran, dass das zum Hechtfest 2010 und am 17.06. der Fall war. Ich bin sicher, dass es zu vielen anderen Anlässen ebenfalls der Fall war, was die Staatsregierung trotz unserer zahlreichen Anfragen, Herr Rechtsstaatspolitiker Dr. Martens, bis heute verschweigt.

(Carsten Biesok, FDP, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Was macht das Landeskriminalamt? Es hat im Grunde über viele Monate hinweg mindestens zwei Millionen Verkehrsdaten erhoben, davon allein mehr als ein Million am 19. Februar 2011. Es hat daraus 55 500 Bestandsdaten – siehe Kleine Anfrage – bekommen.

Herr Lichdi, gestatten Sie eine Zwischenfrage? –

Ja, bitte.

Herr Kollege Lichdi, ich möchte Sie gern fragen, ob Sie es für geboten halten, die Instrumentarien der Strafprozessordnung anzuwenden, um die Anschläge auf die Albertstadt-Kaserne entsprechend aufzuklären?

(Beifall des Abg. Volker Bandmann, CDU)

Wissen Sie, Herr Kollege Biesok, es ist etwas komplizierter. Es handelt sich um eine schwere Straftat. Zur Aufklärung dieser sind die nötigen strafprozessualen Mittel in Anwendung zu bringen. Nur passiert ist etwas völlig anderes. Man hat im April 2009 in der gesamten Neustadt über eine Woche die

Funkzellen erhoben, um einen riesigen Pool zur Durchrasterung dieses Personenkreises zu erhalten. Das ist das Problem, und Sie als Jurist kennen das. Es ist nämlich keine Funkzellenverkehrsdatenerhebung gegen bekannte Verdächtige erhoben worden. Dort halte ich es für gerechtfertigt, dass dieses Mittel angewendet wird. Das wusste man aber nicht. Deswegen ist ein riesiges Schleppnetz in den großen Teich auf Zufall hineingeworfen worden in der Hoffnung, dass man etwas herausbekommt. Diese Art und Weise des Vorgehens, hier im Grunde eine Rasterfahndung zu machen, halte ich für rechtsstaatswidrig und nicht für geboten.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei den LINKEN)

Herr Lichdi, gestatten Sie noch eine Nachfrage?

Herr Biesok, bitte.

Herr Lichdi, halten Sie es für ausgeschlossen, dass es eine kriminelle Vereinigung war, die die Anschläge auf die Albertstadt-Kaserne verübt hat?

Nein, das halte ich nicht für ausgeschlossen. Das weiß ich nicht. Das ist aber auch nicht das Problem, Herr Kollege Biesok. Das Problem ist, dass das Landeskriminalamt davon ausgeht, dass der Täterkreis, der diesen Anschlag zu Ostern 2009 begangen hat, identisch ist mit dem Täterkreis, den die SoKo „Terrasse“ verfolgt, indem sie schwere Körperverletzung gegenüber Neonazis begeht, der identisch ist mit dem Personenkreis, der das Organisationsgerippe von „Dresden nazifrei“ bildet und die identisch sind mit denen, die am 19. Februar 2011 die Straftaten des Landfriedensbruchs begangen haben.

(Volker Bandmann, CDU: Woher wollen Sie denn das wissen?)

Das ist Arbeitshypothese. Damit findet eine bewusste Kriminalisierung der vielen zehntausend friedlichen Demonstranten statt. Genau das ist das Verwerfliche. Das werden wir immer weiter anprangern.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Meine Damen und Herren! Das Problem mit dem Bericht liegt an einer ganz anderen Stelle. Das haben die Redner der Koalition bewusst verschwiegen. Das Problem liegt darin, dass die sächsische Polizei und die Sächsische Staatsregierung bis heute darauf beharren, dass sie am 19. Februar 2011 rechtmäßig gehandelt haben.

(Beifall des Abg. Klaus Bartl, DIE LINKE)

Das ist der springende Punkt. Sie anerkennen den Bericht des Datenschutzbeauftragten in seiner Substanz nicht. Genau deswegen halten Sie sich auch nicht daran. Ich

erinnere an den einen Fakt, dass Sie gesetzeswidrig – wir haben es oft genug im Ausschuss erörtert – die Benachrichtigung der Betroffenen verweigern.

Die Staatsanwaltschaft Dresden stellt sich mit Ihrer Unterstützung, Herr Dr. Martens, auf den irrigen Rechtsstandpunkt, dass nur die zu benachrichtigen wären, die auch einen Auskunftsantrag gestellt hätten. Das ist Nonsens und das ist einer angeblichen Rechtsstaatspartei, der Sie sich immer rühmen, wirklich mehr als unwürdig.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Nein, meine Damen und Herren. Herr Biesok hat es ja gesagt bei der Frage Berufsgeheimnisträger. Es war nicht nur der Pfarrer König, den Sie dort erfasst haben. Sie haben auch mich erfasst. Sie haben auch Herrn Bartl erfasst. Sie haben auch die Kollegin Friedel erfasst. Sie haben Herrn Martin Dulig erfasst. Sie haben den halben Sächsischen Landtag erfasst.

Sie haben im Übrigen auch die Vize-Präsidentin des Thüringer Landtages, Astrid Rothe-Beinlich, erfasst. Ich weise darauf hin, dass wir in Thüringen schlicht und ergreifend eine andere Rechtslage haben. Dort sind nämlich schon Ermittlungsmaßnahmen vom Geschäftsordnungs- und Immunitätsausschuss des Thüringer Landtages abzusegnen. Wenn man das aus Gründen „Gefahr in Verzug“ nicht kann, dann ist wenigstens die Präsidentin des Thüringer Landtages zu informieren.

Das alles ist unterblieben. Sie haben auch Frau RotheBeinlich erfasst. Deswegen denke ich, wir werden mit diesem Verfahren noch viel Freude haben.

(Karl Nolle, SPD, steht am Mikrofon.)

Herr Lichdi, es gibt noch einmal eine – –