Protokoll der Sitzung vom 04.04.2012

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Staatsregierung)

Die NPDFraktion, Herr Abg. Gansel.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Fast kann einem der Mann leidtun, der vor einigen Tagen durch seinen Rücktritt vom Ministeramt diese Debatte erst ausgelöst hat. Roland Wöller ist jahrelang unauffällig und stromlinienförmig durch das politische Leben gegangen und hat eine doppelte Bilderbuchkarriere hingelegt. Jetzt liegt die akademische Karriere in Scherben oder ist zumindest durch den Streit um die Seriosität der Doktorarbeit angekratzt. Aber auf jeden Fall liegt seine politische Karriere in Trümmern. Dennoch nötigt uns als NPD-Fraktion der Rücktritt von Herrn Wöller einen gewissen Respekt ab. Diese Konsequenz unterscheidet ihn nämlich von den überzeugungslosen Abnickern und Politikstatisten im Kabinett Tillich, die ansonsten an ihren Posten kleben wie Pattex.

Das Finanzministerium, dem Frau Kurth entgegenzutreten hat, weigerte sich bislang mit Rückendeckung des Ministerpräsidenten hartnäckig, den schon längst offenkundigen Lehrermangel mit Unterrichtsausfall und Qualitätsverfall zur Kenntnis zu nehmen, und erst recht, andere schulpolitische Weichenstellungen vorzunehmen. Nach Angaben des Kultusministeriums fielen im Schuljahr 2010/2011 bereits mehr als 774 000 Unterrichtsstunden außerplanmäßig aus. Das sind 3,6 %. Mit einer anderen Zählweise

kommt man sogar auf 5 % außerplanmäßigen Unterrichtsausfall.

Auch andere alarmierende Fakten liegen längst auf dem Tisch. Bis 2020 werden in Sachsen etwa 10 700 Pädagogen aus dem Schuldienst ausscheiden, die meisten schon ab dem Jahr 2015. Damit droht vor allem den Grund- und Mittelschulen in Sachsen ein regelrechter Aderlass. Wie nötig neuer Lehrernachwuchs ist, zeigt eine weitere Prognose für das Jahr 2030. Danach werden 21 000 der heute noch 32 000 im Schuldienst befindlichen Lehrer nicht mehr vor einer Klasse stehen, denn das Durchschnittsalter der Lehrer in Sachsen liegt bereits jetzt bei 50 Jahren.

Die NPD bedauert es sehr, dass weder diese alarmierende Faktenlage noch die jüngsten Schülerproteste mit über 20 000 Teilnehmern zu einem Umdenken in der Staatsregierung geführt haben. Der stellvertretende Sprecher des Fachschaftsrates Allgemeinbildende Schulen und Grundschulen der TU Dresden, David Jugel, prognostiziert für die nächsten neun Jahre einen Lehrerbedarf von 7 000 Stellen. In Dresden und Leipzig werden aber nur 1 400 Studenten im Jahr für lehramtsbezogene Studiengänge eingeschrieben. Davon erreichen wiederum nur zwei Drittel die zur Verfügung stehenden Masterstudiengänge, und bis es zum endgültigen Berufseintritt kommt, ist ein weiterer Schwund an potenziellen Lehrern zu verzeichnen.

Gründe für die hohe Abbrecherquote sind unter anderem der fehlende Praxisbezug des Lehramtsstudiums und mangelnde Betreuung und Beratung seitens des universitären Umfelds. Ein anderes Problem ist die fehlende Bedarfssteuerung bei der Lehrerausbildung. Der „Sachsenspiegel“ des MDR wies unlängst darauf hin, dass in Sachsen 58 % der auszubildenden Lehrer für Mittelschulen benötigt werden und nur etwa ein Viertel für Gymnasien. Dennoch studieren etwa 70 % aller Lehramtsstudenten für das Lehramt an Gymnasien, weil dieses mit einem höheren Verdienst und einem höheren Sozialprestige verbunden ist.

Die Probleme sind also offensichtlich, aber die Sächsische Staatsregierung weigert sich bisher beharrlich, entsprechende Gegenmaßnahmen einzuleiten. Als Vorwand dafür muss immer wieder die viel beschworene Haushaltssolidität herhalten. Aber dann sollte nach NPD-Auffassung wenigstens an den richtigen Stellen gespart werden. Beim Bund, der längst seine Geldprobleme an die Länder durchreicht, liegen die immensen Einsparpotenziale bei den astronomischen Summen für die Eurorettung und die Subventionierung südeuropäischer Pleitestaaten. Wir haben es vor einigen Tagen gelesen: Nach der Erhöhung der sogenannten Brandmauer gegen die Eurokrise liegt der deutsche Haftungsanteil bei unvorstellbaren

250 Milliarden Euro. – 250 Milliarden Euro!

(Zuruf des Abg. Christian Piwarz, CDU)

Herr Piwarz, auch in Sachsen gäbe es erhebliche Finanzmittel für Lehrerneueinstellungen, wenn die Staatsre

gierung nicht mehr als eine halbe Milliarde Euro im Leipziger City-Tunnel versenkt und für die Pleite der Sächsischen Landesbank verschleudert hätte.

Vor der finanziellen Folgelast der internationalen Zockergeschäfte der früheren Landesbank hat die NPD seit ihrem Landtagseinzug im Jahr 2004 immer wieder gewarnt. Auch diese Warnungen haben Sie damals in den Wind geschlagen. Bis heute – auch das ist erst in den letzten Tagen dokumentiert worden – musste der sächsische Steuerzahler für die politischen Aufsichts- und Kontrollmängel der früheren Staatsregierung gegenüber den Bankvorständen 311 Millionen Euro berappen. Auch diese 311 Millionen Euro für Ihr Versagen gegenüber der Sächsischen Landesbank fehlen heute für Lehrerneueinstellungen. Insofern haben Sie allen Grund, selbstkritisch mit sich ins Gericht zu gehen, sowohl auf Bundesebene als auch auf Länderebene.

Bitte zum Ende kommen!

Ich komme zum Ende. – Es wäre also Geld für Lehrerneueinstellungen da.

(Volker Bandmann, CDU: Und die 5 Millionen Euro für den Polizeieinsatz? – Zuruf des Abg. Alexander Delle, NPD)

Herr Gansel, bitte.

Aber Sie sparen grundsätzlich an den falschen Stellen und scheuen sich vor Einsparungen an den richtigen Stellen.

(Beifall bei der NPD)

Wir treten jetzt in die nächste Runde ein. – Es beginnt wieder die Fraktion der GRÜNEN. Frau Abg. Giegengack, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte gern wieder zum Thema zurückkommen. Nach den Angriffen und der berechtigten Abrechnung, die in der ersten Runde vorgenommen worden sind, möchte ich auch gern der Erwartung entgegenkommen, dass wir formulieren, wie wir uns Bildungspolitik vorstellen oder wo wir die Aufgaben der Zukunft sehen.

Ich glaube, wir stehen an einer Scheidemarke in der Bildungspolitik, und das nicht nur in Sachsen, sondern in allen Bundesländern; denn Bildung ist nicht mehr nur existenzsichernde Grundlage eines jeden Einzelnen oder eine volkswirtschaftlich relevante Größe, sondern Bildung ist die Antwort auf die zentralen Fragen unserer Zeit. Ich brauche Sie dazu nicht zu belehren. Hier geht es um den demografischen Wandel, die Wachstumskrise, den technischen Fortschritt, die Expansion des Wissens, Klimawandel, Ressourcen-Peak, Globalisierung.

Ich denke, an drei Punkten wird sich entscheiden, ob auch unser Land eine moderne Politik betreibt und für die

Zukunft gerüstet ist. Das Erste wäre die Bildungsbeteiligung. Es ist kein Geheimnis: Besser gebildete Menschen leben länger und gesünder, haben eine höhere Erwerbsbeteiligung, werden seltener arbeitslos und zeigen eine höhere politische und soziale Teilhabe.

Jugendliche ohne Abschluss hier anzuführen ist sicher ein wichtiges Thema. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass wir bundesweit keine vergleichbaren Abschlüsse haben. Deshalb beziehe ich mich auf die Risikoschüler. In Sachsen betrifft das 12 % der 15-Jährigen, die auf dem Niveau der dritten Klasse lesen und rechnen. Für mich ist es auch kein Trost, dass in fast allen Bundesländern dieser Anteil fast doppelt so hoch ist und in Bremen und Hamburg bei knapp 30 % liegt. Wir müssen in Sachsen unbedingt die unzureichende und ungleiche Bildungsbeteiligung aktiv bekämpfen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wie schaffen wir es, diese vorgezeichneten Bildungsschicksale zu korrigieren? – Wir haben uns über viele Jahre sehr an der Gliedrigkeit des Bildungssystems aufgehalten. Ich denke, wir haben zwei zentrale Herausforderungen: Wir müssen in der frühkindlichen Bildung klare Prioritäten setzen und stark in die Ganztagsschule investieren.

Ein zweiter Punkt sind die Bildungsausgaben. – Herr Unland, schön dass Sie da sind! – Natürlich haben wir sehr große Schwierigkeiten, angesichts unserer Haushaltssituation und der zurückgehenden Einnahmen in Sachsen unsere Bildungsausgaben zu finanzieren. Es ist aber auch eine Tatsache, dass wir bei den Bildungsausgaben international sehr unterdurchschnittlich sind. Wir müssen begreifen, dass eine Unterfinanzierung im Bildungsbereich immaterielle Schulden der Zukunft darstellt. Unzureichende Bildung ist sozusagen ein potenziell entgangenes Wirtschaftswachstum unseres Landes. Das müssen wir im Haushalt in irgendeiner Art und Weise einpreisen.

Ich habe Sie als einen sehr aufgeschlossenen Menschen kennengelernt. Sie haben auch unsere Fraktion schon besucht. Ich gehe davon aus, dass Sie und Ihr Haus das durchaus bewältigen könnten. Wir brauchen ein Umdenken. Wir müssen diesen Bereich unbedingt einbeziehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dritter Punkt: Liberalisierung des Bildungssystems. Ich glaube, die Organisation der Schule basiert heutzutage immer noch auf den Vorstellungen von Schule aus dem letzten Jahrhundert. Sie ist sehr bürokratisch und überreglementiert. Wir brauchen mehr Autonomie für die Lehrer und eine bessere Einbeziehung der Eltern. Wenn wir im Vergleich zu anderen Bundesländern relativ viele Kinder an freien Schulen haben, ist das nicht zuallererst eine Reaktion auf die Ausdehnung des Schulnetzes im ländlichen Raum, denn die meisten freien Schulen befinden sich in den Großstädten. Es ist ein Ausdruck der Eltern, dass sie neue Erwartungen an Schule haben. Darauf muss unser öffentliches Schulsystem reagieren. Wir brauchen mehr Differenzierung und Individualisierung im Bil

dungssystem, neue Steuerungsprinzipien und mehr Autonomie sowie verbindliche Bildungsstandards und effektive Evaluation.

Gestatten Sie mir zum Schluss noch ein persönliches Wort. Frau Kurth, Sie haben gestern mehrmals die Vorbereitung des neuen Schuljahres als wichtigste Aufgabe für sich beschrieben – d'accord. Das ist die Pflicht. Wir erwarten aber auch, dass Sie sich mit den grundlegenden Fragen beschäftigen, wie es mit der Bildungspolitik weitergehen soll, und uns in den nächsten Wochen und Monaten darauf auch Antworten liefern.

Herr Wöller, wir haben uns hier im Plenum und im Ausschuss durchaus harte Auseinandersetzungen geliefert, und ich habe Ihnen bei der letzten Haushaltsdebatte fehlende Leidenschaft vorgeworfen. Ich möchte diesen Vorwurf gern revidieren. Am Ende Ihrer Amtszeit haben Sie die Leidenschaft gezeigt, die ich mir von einem Bildungsminister erwartet habe. Aus persönlichen Gesprächen weiß ich, dass Sie sich mit den grundlegenden Problemen der Bildungspolitik auseinandergesetzt haben, und ich freue mich auf eine konstruktive Zusammenarbeit mit Ihnen als Kollege.

(Beifall bei den GRÜNEN und des Abg. Thomas Colditz, CDU)

Für die CDUFraktion Herr Abg. Schreiber, bitte.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin der Kollegin Giegengack sehr dankbar dafür, dass sie neben Kollegen Thomas Colditz bisher als Einzige wirklich dem Titel dieser Debatte gerecht geworden ist. Für alle – gerade im Publikum – möchte ich ihn noch einmal nennen: „Neue Köpfe, neue Politik? Wo ist der Kurswechsel in der sächsischen Bildungspolitik?“

Ich muss deutlich sagen: Nach der gestrigen Debatte, die damit schloss, dass der Kollege Fraktionsvorsitzende Dulig von der SPD feststellte, dass wir irgendwo schon auf einer Linie liegen, dass wir gemeinsam das Problembewusstsein für das vorhandene Problem hergestellt haben, hätte ich es besser gefunden – das ist an die Fraktion der GRÜNEN gerichtet –, wenn sie den Titel ihrer Aktuellen Debatte für heute Morgen geändert bzw. vielleicht ein anderes Thema gewählt hätte. Denn das, was sich hier im Schaulauf vor allen der drei Fraktionsvorsitzenden dargeboten hat, dient definitiv nicht der Problemlösung, sondern war nichts anderes, als die althergebrachte Abrechnung mit einer Politik, die Sie nicht wollen, die Sie ändern wollen.

(Antje Hermenau, GRÜNE: Ha, ha, ha!)

Das, denke ich einmal, trägt nicht dazu bei, dass wir die Probleme, die wir im Bildungssystem haben, lösen können.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Lassen Sie mich einige Zitate bringen: „Kurth will Sachsen an der Spitze der deutschen Bildungslandschaft halten“, „Ministerin: Unterrichtsausfall an den Schulen ist alarmierend“, „Ministerin fordert mehr Lehrer“, „Bildungspaket vor Nachverhandlung“, „Bildungspaket wird neu geschnürt“, „Nach Schülerprotesten und Ministerwechsel schwenkt die Koalition auf anderen Kurs um“, „CDU gewann – Tillich musste Federn lassen“, „Bildungspaket: Harter Schlagabtausch im Landtag. Regierungschef lässt sich 800 neue Lehrer abringen“.

Das ist im Großen und Ganzen – – Bis auf eine große Tageszeitung sind die Schlagzeilen im heutigen Pressespiegel in der Medienlandschaft nachlesbar. Ich frage Sie, wenn Sie das hören – und wie gesagt, das sind die Medien, die durchaus auch CDU-kritisch sind: Wo, bitte, sehen Sie nicht einen Kurswechsel? Wo, bitte, sehen Sie in den Aufgaben, die wir haben, einen Kurswechsel? – Eine einzige Zeitung titelt: „Wir lassen uns nicht vorführen“. Ich lasse jetzt einmal das Interview mit dem Ministerpräsidenten weg.

(Antje Hermenau, GRÜNE: Das ist auch besser!)

Das ist im Übrigen die gleiche Zeitung. Genau für diese Zeitung möchte ich das hier noch einmal klarstellen. Es geht nicht darum, einen Antrag abzulehnen, weil er von der SPD kommt, auch wenn darin etwas Richtiges steht.

(Zuruf des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Dann haben Sie nicht richtig zugehört, Herr Brangs, oder eben heute nur Zeitung gelesen, die es leider verkürzt darstellt.

Es geht darum, dass wir einen Antrag hier nicht einfach einmal so beschließen können, ohne dafür die finanziellen Ressourcen und die Voraussetzungen geklärt zu haben. Das ist der entscheidende Punkt. Ich habe gestern deutlich gemacht, dass es die Hausaufgaben, die Aufgaben und die Verantwortung von CDU und FDP sind, genau diese Rahmenbedingungen, diese Voraussetzungen zu schaffen und zu erfüllen. Dieser Verantwortung sind wir uns bewusst. Das hat auch die Ministerin gestern noch einmal deutlich gemacht.

(Stefan Brangs, SPD, steht am Mikrofon.)