Protokoll der Sitzung vom 09.05.2012

Das ist aber fehlgedacht, meine Damen und Herren. Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung sagt in Artikel 9 ganz klar, was damit gemeint ist. Es geht um die Sicherung der Teilhabe und der selbstbestimmten Lebensführung. Man muss also am Leben teilhaben können. Es geht um die Sicherung von Menschenrechten, meine Damen und Herren.

(Beifall der Abg. Elke Herrmann, GRÜNE)

Das bezieht sich nicht nur auf den Wohnraum, sondern auch auf den öffentlichen Verkehrsraum, die Arbeitswelt, die Bildungslandschaft, die Kultureinrichtungen oder die Verwaltungen. Natürlich haben wir im Freistaat Sachsen bisher Fortschritte gemacht, was den Zugang zu Behörden betrifft. Die Landesverwaltung gibt regelrecht damit an, dass ihre Einrichtungen barrierefrei zugänglich sind. Wie gesagt, mit der Selbstbestimmtheit ist es hier manchmal so eine Sache.

Wenn Sie in den Landesentwicklungsplan schauen und die Wortsuche öffnen – zum Beispiel inklusive Sozialräume –, dann finden Sie dazu überhaupt nichts. Wie wollen Sie denn die UN-Konvention umsetzen? Es ist doch Ihre Pflicht, dazu einen Beitrag zu leisten, und das sowohl als Land als auch als Staatsregierung! Es ist nicht nur eine Angelegenheit des Bundes und auch nicht der Kommunen, den Rahmen müssen Sie selbst schaffen.

(Beifall bei den LINKEN)

Was die Frage der Barrierefreiheit betrifft, so ist das sehr interessant. Es geht um die Barrieren hinsichtlich der Sprachen in den Grenzräumen. Dort kann man sich offenbar nicht gut verständigen. Wir müssen Polnisch und Tschechisch lernen, damit wir dort eine bessere Kommunikation haben. Das ist auch in Ordnung. Was ich lobenswert finde, ist, dass es einen Hinweis darauf gibt, dass es um die Gestaltung eines barrierefreien Tourismus geht. Das allein reicht aber für die Verwirklichung von Menschenrechten und der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben nicht aus.

Sie haben die Aufgabenstellung, die Sie in der Koalitionsvereinbarung geregelt haben, bei Weitem nicht erfüllt. Sie haben Aufträge an die Staatsregierung zu geben, wenn Sie es denn wollen, dass wirklich alle Menschen in diesem Land gleichberechtigt am Leben teilhaben können.

Das ist die Forderung der Fraktion DIE LINKE. Ich bin mir auch sicher, dass es in der Fraktion selbst hier und da Diskussionen gibt, was die Fragen der Barrierefreiheit betrifft. Wir haben es heute früh schon von meinem Kollegen gehört, der von einer Fast-Barrierefreiheit oder Beinahe-Barrierefreiheit spricht. Ich bin der Meinung, dass das nicht richtig ist, denn ein bisschen Barrierefreiheit gibt es nicht. Wir alle müssen dafür die Voraussetzungen schaffen, dass man auch teilhaben kann.

(Beifall bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Aber auch der Staatsminister hat davon gesprochen. Ich finde, das ist zu kurz gegriffen. Hier haben Sie noch sehr viel zu tun. Die Debatte ist aktuell, weil das die Behindertenverbände am 5. Mai zum Aktionstag und Protesttag zur Sicherung der Teilhabe gefordert und sich auch in die Diskussion zum Entwurf des Landesentwicklungsplanes eingemischt haben.

Ich freue mich auf Ihre Beiträge in dieser Aktuellen Debatte. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Für die CDUFraktion hat der Abg. Fritzsche das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Wehner, ich möchte es an dieser Stelle wirklich ehrlich formulieren: Es ist sicherlich gut, wenn wir uns alle regelmäßig – vielleicht sogar jeden Tag – an das Thema Barrierefreiheit herantasten.

(Horst Wehner, DIE LINKE: Ich komme darauf zurück!)

Es ist wichtig, dass wir uns damit auseinandersetzen und uns fragen, was jeder Einzelne tun kann bzw. wie es insgesamt im Freistaat um dieses Thema bestellt ist.

Ich bin beim Lesen des Debattentitels darüber gestolpert: Sie zielen hierbei auf die Landesentwicklungsplanung ab. Der Landesentwicklungsplan befindet sich derzeit – Sie haben selbst darauf hingewiesen – im Aufstellungsverfahren. Die erste Beteiligungsrunde ist am 23. März abgelaufen. Wir hatten eine sehr große Beteiligung. Das haben wir heute Morgen in der Fachregierungserklärung des Ministers gehört. Ich gehe davon aus, dass auch die Verbände, wenn sie denn zu der Auffassung gelangt sind, dass das Thema Barrierefreiheit im Landesentwicklungsplan nur unzureichend abgebildet wurde, ihre Anmerkungen dort eingebracht haben.

Wir wollen jetzt – das kann man bemängeln – irgendetwas vor die Klammer ziehen und etwas intensiver diskutieren. Aber ich denke, es ist eine Stärke des Verfahrens, dass alle diese Punkte, die eingebracht wurden, jetzt geordnet und den einzelnen Punkten zugewiesen werden, an welche Stelle sie im Landesentwicklungsplan gehören. Dann wird ein Abwägungsprozess in Gang gesetzt.

Man muss sich auch die Frage stellen, ob das Thema Barrierefreiheit, wie jetzt vielleicht – Sie haben auch darauf hingewiesen –, im engeren Sinn verstanden wird, dass wir über die Barrierefreiheit baulicher Anlagen sprechen. Also wenn man es umgangssprachlich im Gebrauch hat, müsste man sich natürlich überlegen, ob dieses Thema im Raumordnungsplan – der Landesentwicklungsplan ist ja ein Raumordnungsplan – richtig aufgehoben ist; denn im Landesentwicklungsplan sind die Ziele und Grundsätze der Raumordnung für die räumliche Ordnung und Entwicklung des Freistaates auf der Grundlage einer Bewertung des Zustandes von Natur und Landschaft sowie der Raumentwicklung festzulegen.

Ich glaube, man kann allgemein festhalten, dass wir sowohl in Sachsen als auch in der Bundesrepublik eine große Anzahl von Regelungen haben, in denen das Thema Barrierefreiheit eine Rolle spielt. Ganz vorn rangiert das seit Mai 2004 geltende Sächsische Integrationsgesetz, in dem auch die Barrierefreiheit definiert wird.

Nun komme ich zu einem Bereich, mit dem ich mich intensiver auseinandergesetzt habe: Wir haben im Bereich der Stadt- und Gebäudeplanung besondere Regelungen, die gezielt auf dieses Thema abstellen. Wir haben Regelungen im Baugesetzbuch, in der Baunutzungsverordnung und in der Sächsischen Bauordnung. Einschlägige Paragrafen sind Ihnen hierzu sicherlich bekannt. Wir haben des Weiteren verschiedene DIN-Normen und das Thema Barrierefreiheit tritt immer wieder in Fachgesetzen, Verordnungen und einzelnen Fachstrategien auf.

Ich möchte Ihren Gedanken zum Thema Barrierefreiheit im Landesentwicklungsplan noch einmal aufgreifen und an dieser Stelle auf das laufende Verfahren hinweisen. Ich glaube, es ist durchaus legitim – daher bin ich dankbar für diese Anregung –, dass man sich noch einmal darüber Gedanken macht, denn eines ist für uns klar: Das, was im Koalitionsvertrag steht, gilt. Man muss überlegen, in welcher Art und Weise man dieses Thema im Raumordnungsplan abbilden könnte. Es gibt dafür sicherlich

verschiedene Möglichkeiten. Man kann über einen allgemeinen Grundsatz nachdenken und man könnte über das Thema eines expliziten Hinweises im Leitbild sprechen. Aber ich denke, das ist ein Stück weit dem laufenden Verfahren überlassen.

(Enrico Stange, DIE LINKE, steht am Mikrofon.)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ich war gerade am Ende meiner Ausführungen.

Wenn Sie am Ende Ihrer Ausführungen sind, dann kann ich die Frage nicht mehr zulassen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Für die SPDFraktion Frau Abg. Kliese; bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Beginn meines Redebeitrages möchte ich mich sehr herzlich bei der Fraktion DIE LINKE, insbesondere bei Horst Wehner, bedanken, dass sie dieses wichtige Thema auf die Tagesordnung und genau an die prominente Stelle einer Aktuellen Debatte gesetzt hat.

Vor diesem Hintergrund möchte ich auch mein Bedauern darüber ausdrücken, dass nicht sehr viele Abgeordnete dieser Debatte jetzt folgen wollen, gerade auch von der Seite, von der aus der Landesentwicklungsplan maßgeblich mitgestaltet werden muss.

(Protest bei der FDP – Christian Piwarz, CDU: Schauen Sie mal in Ihre eigene Fraktion!)

Ich würde mich freuen, wenn ein paar mehr Abgeordnete ihr Interesse an diesem Thema dokumentieren würden.

(Unruhe im Saal)

Als ich den Landesentwicklungsplan das erste Mal gelesen haben, fand ich eines besonders frappierend: Ich hatte den Eindruck, dass hier etwas fehlt. Es fehlt komplett der Geist der UN-Behindertenrechtskonvention, die wir vor drei Jahren verabschiedet haben.

(Anhaltende Unruhe im Saal– Stefan Brangs, SPD, zählt laut die Anwesenden.)

Vielleicht wollen Sie jetzt untereinander die Diskussion über die Anwesenheit hier im Plenum einstellen, damit wenigstens die Leute, die da sind, zuhören können.

(Beifall bei den LINKEN)

Meine Damen und Herren, das geht alles von Frau Klieses Redezeit ab.

(Holger Apfel, NPD: Das ist gut so!)

Der Landesentwicklungsplan liest sich, als hätte es die Konvention, die den Rang eines Bundesgesetzes besitzt, nicht gegeben. Als konkretes Beispiel nenne ich das Thema Schulen. Wir haben uns hier im Landtag fraktionsübergreifend darauf verständigt, Inklusion an Schulen umzusetzen. Darüber habe ich mich sehr gefreut. Im Landesentwicklungsplan findet sich das mit keiner Silbe wieder.

Horst Wehner, Elke Herrmann und ich haben bereits sehr oft – ich kann es schon gar nicht mehr zählen – in diesem Haus angemahnt, dass die Umsetzung der UNBehindertenrechtskonvention endlich angegangen werden muss. Ich finde, der Landesentwicklungsplan ist eine tolle Chance dafür. Er bietet uns sehr viele Möglichkeiten, den Geist der UN-Behindertenrechtskonvention darin wirken zu lassen.

In diesem Haus haben wir, dieses Thema betreffend, gesinnungsethisch argumentiert, wir haben verantwortungsethisch argumentiert, wir haben völkerrechtlich argumentiert. Denn, Frau Schütz, es handelt sich hier knallhart um Völkerrecht, das gebrochen wird, wenn die UN-Behindertenrechtskonvention nicht umgesetzt wird. Aber wir haben stets vor tauben Ohren gepredigt. Horst Wehner hat es immer etwas sanftmütiger probiert, ich manchmal ein bisschen forscher – und das alles mit dem Ergebnis, dass es genauso wenig verinnerlicht wurde wie vor zweieinhalb Jahren.

Die UN-Behindertenrechtskonvention wird bei Ihnen – Herr Fritzsche hat gefragt, welche Möglichkeiten es überhaupt gibt, sie einzubeziehen – noch nicht einmal als Quelle herangezogen. Zum Vergleich: Die UN

Konvention zur biologischen Vielfalt wurde mehrfach als Quelle genannt. Es ist also durchaus möglich, aus solchen UN-Konventionen zu zitieren, was auch mehrfach gemacht wurde.

Wir haben ein paar Stichproben gemacht. Das Wort „Barriere“ kommt immerhin dreimal vor. Horst Wehner hat schon erwähnt, in welchen Zusammenhängen: auf Nebenschauplätzen wie Tourismus, was wahrscheinlich eher in die Verantwortung des Landestourismusverbandes übergeben wird, und im Verkehrsbereich. Auch darüber haben wir bereits gesprochen.

Kommunikative Barrieren, ein sehr wichtiger Punkt, wurden überhaupt nicht angesprochen. Das heißt, die Barrieren, die blinden und gehörlosen Menschen die Teilhabe versagen, wurden komplett weggelassen und gar nicht einbezogen. Dreimal ist das Wort „behindert“ erwähnt. Auf den absoluten Offenbarungseid stößt man, wenn man das Wort „inklusiv“ oder „Inklusion“ sucht, denn diese kommen gar nicht vor. Der durch die Konvention längst überholte Begriff der Integration kommt immerhin viermal vor. Ich bin mir nicht sicher, ob Sie den Unterschied kennen und ob das Ignoranz oder Zufall ist. Ich denke, es ist das bewusste Negieren eines gesell

schaftlichen Wandels. Liebe Staatsregierung, der gesellschaftliche Wandel kommt auch ohne Sie!

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und der Abg. Elke Herrmann, GRÜNE)

Vor diesem Hintergrund bekommen Sie vielleicht doch noch Lust, inklusive Sozialräume zu gestalten, denn genau das ist Ihr Auftrag. Ich verspreche Ihnen, gemeinsam mit meinen Kollegen, die auch für dieses Thema streiten, nicht müde zu werden, Sie an diesen Auftrag zu erinnern.