Protokoll der Sitzung vom 13.06.2012

Meine letzte Anmerkung bezieht sich auf das BVJ; die Ministerin wird auch das sicherlich konkretisieren. BVJ und auch gestrecktes BVJ haben weiter Sinn – im Blick auf Förderschüler, im Blick auf Hauptschulabgänger, im Blick auf benachteiligte Schüler, die keinen Abschluss haben. Insoweit sind mittlerweile einige Dinge korrigiert worden.

Ich will das Zustandekommen dieser Situation nicht schönreden. Aber lassen Sie uns bitte auch die Botschaft in das Land geben: Wir in Sachsen werden weiterhin Sorge dafür tragen, dass eine ordentliche Berufsausbildung unserer Jugendlichen stattfindet und dass unsere Jugendlichen, nachdem sie über Jahre hinweg das Land verlassen haben, hier wieder eine berufliche Perspektive finden.

(Beifall bei der CDU, der FDP, der Abg. Dr. Eva-Maria Stange, SPD, und des Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich)

Kollege Colditz sprach für die CDU-Fraktion. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Frau Kollegin Dr. Stange.

Lieber Kollege Colditz, ich stimme vielen Dingen, die Sie gerade zum Ausdruck gebracht haben, vollständig zu und hoffe, dass die Botschaften angekommen sind, vor allem was das Thema Fachschulen angeht. Das Ministerium hat insoweit noch keine endgültige Prüfung vorgenommen. Wir wissen, dass der Druck aus der Wirtschaft, das in die Meisterausbildung hineinzudrücken – und damit die Ausbildung für den einzelnen Betroffenen sehr zu verteuern –, enorm hoch ist. Ich hoffe, dass das Kultusministerium das Rückgrat hat, die hochwertige Fachschulausbildung zu erhalten – im Interesse sowohl der Wirtschaft als auch der Betroffenen, die damit eine durchgängige Ausbildung erhalten.

Herr Colditz, ich möchte noch einen Punkt erwähnen, den Sie nicht angesprochen haben: Der gestern veröffentlichten Liste, welche Berufsfachschulausbildungen gekürzt oder gestrichen werden sollen, steht auf der anderen Seite kein vollständiges Pendant gegenüber. Der Bedarf auf der einen Seite und das Angebot auf der anderen Seite sind nicht ausreichend geprüft worden. Den gestrichenen Berufsfachschulausbildungen stehen keine ausreichenden Ausbildungsplätze im dualen System oder im vollzeitschulischen Berufsausbildungssystem gegenüber. Das kann man sich relativ einfach ausrechnen: Nach dem gestern veröffentlichten Vorschlag sind es mindestens 4 000 Ausbildungsplätze, die gestrichen werden. Dem stehen aber offenbar zwischen 1 100 und 1 200 freie duale Ausbildungsplätze gegenüber. Schon rein rechnerisch kommt das nicht hin. Wir brauchen in den Berufsfachschulen entsprechende Kapazitäten, um die Jugendlichen aufnehmen zu können, wenn die Berufsfachschulausbildungen, die jetzt in der Streichliste enthalten sind, wegfallen sollen.

Das ist gleichzeitig eine Botschaft an Sie, Frau Ministerin; denn das fällt in Ihr Ressort. Sie sollten prüfen, wie Sie die Berufsfachschulen besser ausstatten können, damit diese Jugendlichen eine Ausbildung bekommen.

Das wollte ich zu dem, was Sie sagten, ergänzen. Hier sind noch eine Menge Hausaufgaben zu machen.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei den LINKEN – Beifall der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE)

Für die SPD-Fraktion war das Frau Kollegin Dr. Stange. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Bläsner.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist erfreulich, dass wir bei der inhaltlichen Debatte angekommen sind. Ich möchte zwei Dinge zu bedenken geben.

Erstens etwas Aktuelles, was die Opposition vielleicht auf den neuesten Stand bringt. Sie wissen, dass die Berufe Sozialassistent und Pflegehelfer überhaupt nicht mehr zur Debatte stehen, auch weil dort Hauptschüler eine Chance haben, über diesen Abschluss einen Realabschluss zu erwerben und sich als Fachkraft weiter fortzubilden. Sie

wissen, dass der Medizinische Dokumentationsassistent erhalten bleibt, weil es dafür keinen adäquaten Ersatz gibt.

Zweitens gibt es aber auch Fälle, bei denen wir eine Entscheidung treffen müssen. Nehmen wir mal den Gestaltungstechnischen Assistenten. Es haben sich derzeit 300 Schüler angemeldet. Dafür gibt es aber keinen Bedarf in der Wirtschaft. Wollen wir sie jetzt weiter für die Arbeitslosigkeit ausbilden oder in andere Länder treiben? Oder wollen wir versuchen, sie in ein bedarfsorientiertes System zu vermitteln, in dem sie einen dualen Ausbildungsplatz bekommen? Das ist eine Verantwortung, die wir wahrnehmen müssen. Sie drücken sich davor, weil es schwierig mit den Trägern wird, ohne Zweifel, und auch schwierig mit denen, die davon profitieren. Diese Diskussion müssen wir führen und auch die Entscheidungen treffen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP – Dr. Eva-Maria Stange, SPD, steht am Mikrofon.)

Ich sehe am Mikrofon 1 Bedarf an einer zweiten Kurzintervention für die SPDFraktion. Frau Dr. Stange, bitte.

Davon würde ich gern Gebrauch machen. Da Herr Bläsner keine Frage zugelassen hat, möchte ich diese Frage gern an die Ministerin richten.

Sie müssen – –

Bezug nehmend auf den – –

Sie wissen Bescheid. Sie müssen auf den vorhergehenden Redebeitrag eingehen.

Ich beziehe mich auf die Aussagen von Herrn Bläsner, den ich gern fragen wollte, welche Grundlage diese Aussage hat, dass für die 300 und mehr Auszubildenden im Bereich des Gestaltungstechnischen Assistenten Grafik in der Wirtschaft kein Bedarf vorhanden ist. Welche Evaluierung hat dazu stattgefunden? Welche Studie liegt dazu vor? Aus unserer Großen Anfrage ging das nicht hervor. Deswegen bitte ich darum, dass diese Frage beantwortet wird. Herr Bläsner konnte sie gerade nicht beantworten.

Es ist eine an Frageform erinnernde Kurzintervention, wenn ich das interpretieren darf. Jetzt könnte Kollege Bläsner reagieren. – Bitte.

Ich werde auf die indirekte Frage reagieren. Ich habe einen Selbstversuch gemacht, welche Jobchancen es bei einzelnen Ausbildungsgängen gibt. Im privaten Umfeld hat jemand Diätassistent gelernt. Dafür gab es 300 Ausbildungsplätze und in Sachsen werden drei eingestellt. Eine ganz tolle Sache. Man muss sich die

Realitäten auf dem Arbeitsmarkt ansehen. Das Ministerium hat es geprüft und auch aus eigener Erfahrung habe ich mitbekommen, dass hier kein Bedarf ist.

Wir müssen die Verantwortung wahrnehmen und einen Schlussstrich ziehen, weil wir hier 300 Ausbildungsplätze in Sachsen nicht brauchen. Wir brauchen in vielen anderen Bereichen Fachkräfte. Wir müssen auch so ehrlich sein und den Jugendlichen das sagen und dürfen nicht weiterhin Ausbildungsplätze anbieten, bei denen sie danach in andere Bundesländer gehen müssen.

(Beifall bei der FDP)

Wir können jetzt in der Rednerliste weiter fortfahren. Gibt es bei der Fraktion GRÜNE Redebedarf? – Das kann ich nicht erkennen. Bevor ich jetzt die Staatsregierung frage, könnten wir eine dritte Rednerrunde eröffnen. Gibt es bei der einbringenden Fraktion Bedarf für eine dritte Runde? – Bitte, Frau Dr. Pinka.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie werden sich sicher wundern, dass gerade ich ans Mikrofon trete und keine ausgesprochene Bildungspolitikerin, aber Frau Giegengack hat mir das Stichwort gegeben. Wir hatten in der letzten Legislaturperiode eine Enquetekommission. Wir haben auch aktuell wieder eine, die sich mit Strategien für eine zukunftsorientierte Technologie- und Innovationspolitik in Sachsen beschäftigt. Diese seit Herbst 2010 agierende Kommission beschäftigt sich unter anderem mit der zukünftigen Fachkräftesicherung im Land Sachsen. Bisher liegt noch kein Endbericht vor, deshalb kann ich daraus nicht zitieren, aber es gibt dort viele Ansatzpunkte, die diesen Beschluss jetzt konterkarieren würden. Von daher könnte die Enquete-Kommission an mancher Stelle ihre Arbeit einstellen.

Nun gebe ich zu, es mag in einigen technischen Bereichen zurzeit keine Bewerber(innen) geben, aber manche junge Menschen brauchen vielleicht ein Berufsvorbereitendes Jahr, um ein ausgebildeter Facharbeiter zu werden. Es gibt aber Berufe, die stark nachgefragt sind, und es gibt welche, die auf Ihrer Streichliste standen, was ich absolut nicht verstehen konnte: die Ausbildung zum Geologie- oder Bohrtechniker.

Ich würde gern auf eine Diskussion vom Dezember 2011 zurückkommen, wo wir uns über vergangene oder zukünftige „Berggeschreye“ unterhalten haben. Da war ich sehr verwundert, dass ausgerechnet eine der besten Ausbildungen, die wir anbieten können, die bundesweit einzigartige Ausbildung zum Geologie- oder Bohrtechniker, auf dieser Streichliste stand, obwohl wir 99 % der Ausgebildeten vermitteln konnten. 300 junge Leute haben wir in 20 Jahren in diesem Beruf ausgebildet und dann streichen wir diesen Ausbildungsberuf, der auch durch das Sächsische Oberbergamt dazu führen kann, dass wir geprüfte Techniker weltweit exportieren können.

Das hat mich sehr verwundert und hat auch die Unausgewogenheit Ihrer Vorgehensweise sehr schön gezeigt. Sie haben den Beruf von der Streichliste heruntergenommen. Ich hoffe, es bleibt auch dauerhaft so, denn jeder einzelne junge Mensch, der unser Land verlässt, ist einer zu viel. Das müssen wir mal so festhalten. Es ist ziemlich schwierig, Menschen wieder nach Sachsen zurückzubewegen. Wir wissen ganz genau, dass in anderen Wirtschaftsbereichen die Rahmenbedingungen noch nicht so gegeben sind, wie wir sie gern hätten.

Sie haben die Liste der Techniker(innen)-Berufe angepasst, wie gestern in der Pressemitteilung aufgezählt wurde. Da bin ich erschüttert. Frau Stange hat schon ein wenig zitiert. Wenn Sie jetzt immer noch eine Liste vorlegen, die nicht mit Handwerkskammern, der Industrie- und Handelskammer usw. abgestimmt ist, erschreckt mich das. Warum kann man nicht im Vorfeld der Erstellung dieser Liste mit diesen Gremien sprechen und abgestimmt etwas entwickeln? Deshalb erschien mir Ihre letzte Auswahl, auch die jetzt angepasste, relativ willkürlich. Es wundert mich nicht, wenn uns Berufsschulen schreiben, dass wir so nicht vorgehen können. Ich bitte Sie, noch einmal im Kabinett darüber zu beraten. Nachdem Sie mit den Unternehmensverbänden ins Gespräch gekommen sind: Müssen alle diese auf der Liste stehenden Ausbildungen gestrichen werden? Darum bitte ich Sie, denn nur eine gute Berufsschulausbildung macht unsere sächsische Wirtschaft stark.

(Beifall bei den LINKEN)

Für die einbringende Fraktion sprach Frau Kollegin Pinka. Gibt es Redebedarf bei der CDU-Fraktion? – Nein. Ich sehe aber Bedarf an einer Kurzintervention. Kollege Meyer, deute ich das richtig?

Genauso ist es, Herr Präsident. Ich möchte Bezug nehmen auf das, was Frau Dr. Pinka zur Enquete-Kommission Technologie- und Innovationspolitik gesagt hat. Dass wir unsere Arbeit aufgrund dieser Debatte einstellen müssen, ist völlig verfehlt. Wir haben im Bereich der Fachkräftesicherung immer gesagt, dass es zunächst darum gehen muss, eine ordentliche Bestandsaufnahme zu machen und die Nachfrage zu identifizieren und dass das Zusammenspiel von Schule und Wirtschaft an dieser Stelle sehr wichtig ist. Wir haben eine rege Diskussion und ich möchte nicht den Ergebnissen dieser Enquete-Kommission vorgreifen. Mir war es wichtig zu unterstreichen, dass die Diskussion in der Enquete-Kommission sehr fachlich geführt wird und die Bemerkung von Frau Dr. Pinka an dieser Stelle unangebracht war.

(Beifall des Abg. Volker Bandmann, CDU)

Wollen Sie reagieren, Frau Kollegin Dr. Pinka? – Ja, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Meyer, ich möchte keineswegs

dem Beschluss dieser Enquete-Kommission vorgreifen, aber die Staatsregierung greift unserer Arbeit vor. Wenn sie eine Liste herausbringt, welche Berufszweige sie nicht mehr braucht, dann brauchen wir auch nicht mehr darüber diskutieren, wie wir uns technologieoffen im Land weiter bewegen wollen. Wir brauchen in bestimmten Bereichen Fachleute. Ich habe den Geologietechniker angesprochen. Wir haben darüber gesprochen, dass wir im Rohstoffbereich Entwicklungen brauchen. Die einzige in Deutschland etablierte Ausbildung im Geologie- und Bohrtechnikbereich ist in Freiberg und stand auf der Streichliste. Da brauchen wir uns über Entwicklungen im Rohstoffbereich auf dieser Berufsebene nicht mehr unterhalten.

(Beifall bei den LINKEN)

Gibt es in dieser dritten Runde Redebedarf bei der CDU-Fraktion? – Das kann ich nicht erkennen. Gibt es bei einer anderen Fraktion Redebedarf in der dritten Runde? – Ebenfalls nicht. Will die einbringende Fraktion eine vierte Runde eröffnen? – Das kann ich nicht erkennen.

Dann erteile ich jetzt der Staatsregierung das Wort. Frau Staatsministerin Kurth, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, wir – mein Haus und das SMWA – haben uns in den letzten Tagen und Wochen intensiv zum Thema landesrechtlich geregelte Berufe verständigt. Wir haben eine sehr gute Regelung gefunden, die für die Zukunft der sächsischen Wirtschaft wichtig ist. Diese Regelung, meine Damen und Herren, ist alles andere als ein Kahlschlag. Im Gegenteil: Ziel unserer gemeinsamen Überlegungen ist es, die duale Ausbildung in Sachsen zu stärken – das wurde bereits mehrfach erwähnt – und die Effizienz der Angebote der beruflichen Fort- und Weiterbildung zu erhöhen. Diese beiden Punkte standen und stehen im Mittelpunkt.

Einige Worte zum Hintergrund: In den Neunzigerjahren – das wurde auch schon erwähnt – überstieg die Zahl der Lehrstellensuchenden deutlich die Zahl der Lehrstellen. Das wissen alle hier im Raum. Um allen Schulabgängern eine vollwertige Berufsausbildung auch außerhalb dieses dualen Systems zu ermöglichen, wurde ein breites Angebot an sogenannten landesrechtlich geregelten Berufsausbildungen notwendig.

Seit den Neunzigerjahren hat sich in Sachsen Gott sei Dank vieles verändert. Der Ausbildungsmarkt hat sich positiv entwickelt. Heute gibt es deutlich mehr Lehrstellen als Bewerber. Zum Beispiel gab es zum Start des aktuellen Ausbildungsjahres 1 173 Lehrstellen mehr als Bewerber. Das ist ein Fakt, der nicht weggewischt werden kann. Langfristig wird also jedem ausbildungsbereiten Absolventen der allgemeinbildenden Schulen eine betriebliche Lehrstelle zur Verfügung stehen – ja, er wird sogar die Auswahl haben. Deshalb können und müssen wir die Prioritäten heute anders als in den Neunzigerjahren setzen. Wir müssen das stärken, was international

hoch angesehen – sehr hoch angesehen – ist: die duale Ausbildung in Sachsen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Viele von Ihnen werden die Eckpunkte, auf die wir uns verständigt haben, bereits kennen. Ich möchte sie hier trotzdem noch einmal zusammenfassen und deutlich formulieren.

Zu den Berufsfachschulen: Die Berufsfachschulen für Technik und Wirtschaft und die einjährige Berufsfachschule für Informations- und Kommunikationstechnologie bzw. für Gesundheit und Pflege werden zugunsten der dualen Ausbildung gestrichen werden. Ich habe gerade gesagt, dass es unsere gemeinsame Aufgabe ist, die duale Ausbildung zu stärken. Für sie gibt es im dualen Ausbildungssystem bereits entsprechende Pendants. Da muss nichts umgesteuert werden.