Wir als CDU wissen, dass bei Weitem nicht alles in Ordnung ist. Man muss aber trennen. Es geht um gesamtstaatliche Verantwortung. Der ist Sachsen gerecht geworden. Gerade deshalb ist Sachsen – denke ich – berechtigt, Meinungsführer in der Auseinandersetzung darüber zu sein, was in diesem Land und in der Europäischen Union falsch läuft, was sich nicht bewährt hat und dringend korrigiert werden muss.
Für die CDU-Fraktion sprach Kollege Flath. Für die SPD-Fraktion ergreift jetzt Herr Kollege Dulig das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Europa war die konsequente Antwort auf 1945 und Europa ist die richtige Antwort auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Europa heißt Frieden und Wohlstand. Europa heißt Freiheit und Solidarität. Europa heißt Verpflichtung und Auftrag.
Nun steht Europa am Scheideweg. Fallen wir zurück in einen losen Staatenbund? Gehen wir den Kurs einer Renationalisierung, auch den Kurs einer Renationalisierung von Währungen? Oder folgen wir dem Weg einer verstärkten europäischen Integration? Der eine Weg
bedeutet, dass es wieder auf den Schultern der Kleinen und Schwachen ausgetragen wird. Renationalisierung von Währungen heißt Entwertung und bedeutet, dass das auf die Löhne geht, auf die Renten und die Sozialleistungen. Denn die Reichen haben schon längst ihr Geld in sicheren Währungen angelegt. Dessen kann man sich sicher sein.
Dieser Weg ist falsch. Der einzig richtige Weg ist die stärkere europäische Integration. Europa ist ein wunderbares Projekt, auf das wir zu Recht stolz sein können. Es ist inzwischen eine Art Selbstverständlichkeit. Jetzt haben wir in den letzten Jahren eine Dramatik erlebt, die uns zum Handeln zwingt. Was jetzt geschieht, was niemand für möglich hielt, ist: Europa steht vor dem Kollaps. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat die vielen EU-Staaten tief in einen Strudel gezogen. Die Schulden sind ins Unermessliche explodiert, und die Arbeitslosigkeit, insbesondere unter Jugendlichen, ist zum Teil dramatisch angestiegen. Der Kollaps Europas muss verhindert werden! Das ist unser Auftrag!
Deshalb glaube ich, dass das, was wir in den letzten Jahren an deutscher Europapolitik erlebt haben, nicht zur Lösung der Krise, sondern zum Teil zur Verschärfung der Krise beigetragen hat.
Die alleinige Fokussierung von Merkels Sparwahn hat die Krise verstärkt. Es musste erst gemeinsam mit dem französischen Präsidenten eine Gegenoffensive gestartet werden.
was wir in den Verhandlungen gemeinsam mit den GRÜNEN erreicht haben: dass man endlich einen Wachstumspakt danebenstellt, dass man endlich das Thema Jugendarbeitslosigkeit als politisches Programm definiert und dass man endlich eine Finanztransaktionsteuer auf den Weg gebracht hat. Das waren die richtigen Entscheidungen, um tatsächlich ein vernünftiges Paket zu schnüren.
Jedoch ist Euphorie nicht angesagt, eher Nüchternheit. Die Beschlüsse waren notwendig, sicherlich. Aber ein unsicheres, ja, ein ungutes Gefühl bleibt. Natürlich ist es richtig und geboten, mit dem Fiskalpakt für eine stärkere Haushaltsdisziplin innerhalb der EU zu sorgen. Können wir jedoch die Wirkung auf unsere Verfassung und unsere Staatspraxis wirklich absegnen und gutheißen? Werden Transparenz und demokratische Teilhabe nicht zu sehr beschnitten?
Ist der erhoffte Erfolg der neuen Schuldenregelung überhaupt realistisch? Warum sollen wir jetzt noch für das Risiko der Banken direkt haften? Wie werden sich die
Natürlich ist es richtig und geboten, den EFSF zu einem dauerhaften Rettungsschirm weiterzuentwickeln. Aber kann Deutschland das Maß an finanzieller Haftung überhaupt stemmen? Wollen wir tatsächlich derart elementare Kompetenzen und Hoheitsrechte abgeben? Haben wir die Beteiligungsrechte der Parlamente nicht über Gebühr beschnitten? Hätten wir nicht im ESMVertrag ein wesentlich höheres Maß an Transparenz, Verantwortlichkeit und demokratischer Kontrolle verankern müssen?
All das sind Fragen, die einen umtreiben und die auch dazu führen können, dass man es sich mit seiner Entscheidung im Bundestag schwer macht und vielleicht auch mit Nein gestimmt hätte. Wenn ich Bundestagsabgeordneter gewesen wäre, hätte ich mit Ja gestimmt – trotz der Sorgen, trotz der Fragen; denn ich glaube, dass das Paket, das dort geschnürt wurde, erst durch das Wachstumspaket, das danebengelegt wurde, und vor allem durch die Finanztransaktionsteuer eine neue Dynamik in einer Europadebatte bringen kann.
Aber wir sind dabei auch in einem Dilemma. Das Dilemma ist, dass man sich nicht freuen kann, dass man nicht sagen kann: „Toll! Ein großer Erfolg!“, denn wir wissen nicht, ob der Fiskalpakt die Lösung ist oder nur ein Teil auf dem Weg zur Lösung. Das Problem mit Wachstumspakten ist, dass sie eher mittelfristig und nicht kurzfristig wirken. Wir wissen auch: Die Finanztransaktionsteuer ist jetzt zwar politisch beschlossen, aber auf den Weg gebracht ist sie noch nicht. Das ist das Dilemma, in dem wir uns befinden. Wir müssen darum kämpfen, dass wir die Diskussion nicht nur finanzpolitisch, sondern europapolitisch definieren, denn unsere Antwort ist nicht nur eine rein haushalterische, sondern eine europäische. Wir brauchen eine echte politische und soziale Union. Wir brauchen eine neue europäische Ordnung. Erst dann wird Europa dauerhaft auf einem guten Weg sein.
Wir brauchen vor allem die Politikerinnen und Politiker, die für ein anderes Europa brennen. Europa ist nicht nur der Neigungsgrad einer Gurke. Europa ist nicht nur Bürokratie oder Technokratie. Europa ist nicht nur etwas Fernes, sondern Europa ist das Projekt für Wohlstand, Frieden und Gerechtigkeit. Mensch, Tillich, wo ist die Leidenschaft, die Sie einmal als Europapolitiker für Europa hatten?
Wir brauchen diese Leidenschaft für ein anderes Europa. Ihre Antwort, die Sie heute hier – auch im Bundesrat – gegeben haben, war provinziell. Ihre Antwort, die Sie uns angeboten haben, war: Weil Sachsen selbst einen Konsolidierungskurs fährt und eine solide Haushaltspolitik gemacht hat, muss man auch dem Fiskalpakt zustimmen.
Ich sage Ihnen: Unsere Antwort ist Europa und eben nicht die kleingeistige Betrachtung der sächsischen Haushaltspolitik.
„Europa ist für mich das Friedensprojekt.“ Das klingt abgedroschen, aber ich stehe noch unter dem Eindruck einer Reise, die ich vorletzte Woche mit der „Stiftung Frauenkirche“, dem Menschenrechtsbeauftragten, der Landeskirche und Kollegen Krauß von der CDU-Fraktion unternommen habe. Wir waren in Bosnien-Herzegowina und Kroatien, um uns über das Thema Versöhnung zu unterhalten; ich kenne das noch aus meiner Tätigkeit für die OECD im Kosovo und in Bosnien. Dort können Sie die zerstörten Häuser und Löcher von Granateneinschlägen und von Maschinengewehren sehen. Das ist im Herzen von Europa. Das ist sieben Stunden von hier entfernt – wir sind mit dem Auto gefahren. Sieben Stunden von hier entfernt fand vor Kurzem noch ein Krieg statt, und heute ist der Jahrestag von Srebrenica. Es klingt jetzt vielleicht etwas widersprüchlich, wenn ich sage, dass Europa das Friedensprojekt ist und wir nun in BosnienHerzegowina, Kroatien und der gesamten Balkanregion im Herzen Europas sind. Aber genau dort zeigte sich, dass ethnische Überhöhung und eben nicht die Einbindung in ein europäisches Projekt den Krieg gebracht hat. Das ist für mich noch einmal eine große Motivation, Europa als ein Friedensprojekt zu definieren.
Ich sage Ihnen auch: Europa ist für mich ein Wohlstands- und Gerechtigkeitsprojekt. Das, was bei uns im Grundgesetz steht – dass es um die Gleichwertigkeit von Lebensverhältnissen geht –, muss doch das Ziel von Europa sein.
In diesem Prozess, ein anderes, gerechtes, friedvolles, starkes Europa zu beschreiben, soll – muss meiner Meinung nach – Deutschland gemeinsam mit Frankreich eine Führungsrolle einnehmen, und zwar nicht im Sinne einer Dominanz, nicht im Sinne eines Bestimmers und Diktierers, sondern im Sinne eines Moderators, der vermitteln und ausgleichen will, der Starke und Schwache zusammenbringt, der die Unterschiedlichkeiten ausgleichen will, der ein Gerechtigkeitsgefühl dafür hat und Verantwortung übernimmt, diesen Prozess zu moderieren. Da sehe ich die Rolle von Deutschland und nicht in einer Aussage des Fraktionsvorsitzenden Kauder: dass in Europa wieder Deutsch gesprochen wird. Diese Aussage ist historisch und politisch höchst problematisch und deshalb unakzeptabel.
Auch wir sollten im Sächsischen Landtag das Thema Europa stärker in den Mittelpunkt stellen. Wenn wir selbst die Leidenschaft für Europa entwickeln, heißt das eben auch, die Themen hier anders zu diskutieren.
Ich gebe zu, dass ich meine Haltung zu einer sehr organisatorischen Frage auch noch einmal überdacht habe. Ich habe immer dafür plädiert, dass wir nur so viele Ausschüsse im Landtag haben, wie es Ministerien gibt. Ich finde aber, dass wir in Anbetracht der Bedeutung von Europa uns durchaus noch einmal Gedanken darüber machen sollten, einen eigenen Europaausschuss einzurichten.
Zurück zum Fiskalpakt: Meine Fraktion, die SPD, hat der „Notoperation Fiskalpakt und ESM“ auf Bundesebene zugestimmt – nicht, weil wir uns darüber freuen, recht behalten zu haben. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben zugestimmt, weil wir nicht wollen, dass die Spekulationen an den Finanzmärkten immer mehr europäische Mitgliedsstaaten erfassen und am Ende Europa vor dem wirtschaftlichen und sozialen Ruin steht.
Wir haben zugestimmt, weil wir nicht wollen, dass ohne europäische Solidarität am Ende auch die europäischen Demokratien gefährdet werden; denn es kann nicht sein, dass die internationalen Finanzmärkte mehr zu sagen haben als gewählte Abgeordnete, Ministerpräsidenten und Parlamentarier.
Ja, wenn ich mir das europapolitische Verhalten der CDU und besonders der Bundeskanzlerin während der letzten Landtagswahlen anschaue, dann sage ich: Wir haben zugestimmt, weil uns Europa wichtiger ist als die parteipolitische Profilierung und Taktik. Das sage ich auch, weil wir den Erfolg wollen. Wir wollen diesen Erfolg bei der Rettung Europas auch dann, wenn er am Ende sogar der CDU/FDP-Regierung etwas mehr als der Opposition zugutekommt. Das verstehen wir unter verantwortlichem Handeln.
Verantwortliches Handeln beginnt im Übrigen auch damit, dummen Argumenten offensiv entgegenzutreten, anstatt sie einfach nur stehen zu lassen. Das gilt zum Beispiel für das dumme Wort „Transferunion“. Es ist eben falsch, Deutschland permanent nur als Lastesel der Europäischen Union hinzustellen. Wir sind kein Nettozahler der EU, sondern Nettogewinner.
Seit der Währungsunion hat unser Land 575 Milliarden Euro mehr verdient, als wir öffentliche Finanzmittel bereitgestellt haben. Wir sind Nettogewinner der Europäischen Union – das muss man öffentlich laut und deutlich sagen,
Wenn wir jetzt für europäische Rettungsschirme mit bürgen, dann geben wir nur einen Teil dessen zurück, was wir selbst an der europäischen Einigung verdient haben. Wir tun das im ureigenen Interesse Deutschlands, denn niemand in Deutschland zahlt nur für andere. Wir zahlen immer auch für uns selbst, wenn wir in Europa investieren.
Ein starkes Deutschland kann es nur in einem starken Europa geben. Das, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ist verantwortliche Politik. Das ist verantwortliches Handeln, das ist eine klare Haltung für Europa.