Protokoll der Sitzung vom 10.12.2009

Ein zweiter Punkt: Wir müssen dringend den Betreuungsschlüssel senken. Auch dieses Beispiel bringe ich gern noch einmal. Haben Sie schon einmal einen Kindergeburtstag mit Sechsjährigen – ich spreche nicht von Zwei- oder Dreijährigen, sondern von Sechsjährigen – mit „nur“ 13 Kindern durchgeführt?

(Robert Clemen, CDU: Ja!)

Jeder, der das schon einmal gemacht hat, wird sicher ein Gefühl dafür haben, wie eine Erzieherin, die tagtäglich

eine Gruppe mit mehr als 13 Kindern führt, den Bildungsplan – nicht nur im Bereich Naturwissenschaften und Mathematik – umsetzt. Vielleicht erwerben Sie, Herr Clemen, den goldenen Schlüssel einer der Kindertagesstätten in Ihrer Nähe, um sich ein Bild davon zu machen.

Kinder brauchen Zeit, aber auch Erzieherinnen und Erzieher brauchen Zeit: Vor- und Nachbereitungszeit, mindestens fünf Stunden pro Woche; denn auch hier gilt: Was für Lehrer(innen) recht und billig ist, sollte auch für Erzieherinnen gelten, die in noch viel stärkerem Maße den Kontakt zu den Eltern halten müssen, da diese Gespräche mit den Eltern für die Erziehung der Kinder wichtig sind.

Ein letzter Punkt, der angesprochen werden soll: Wir brauchen endlich eine verbindliche Fachberatung, die nicht von den finanziellen Möglichkeiten der Träger allein abhängig ist. Der große Eigenbetrieb hier in Dresden zum Beispiel hat keine Fachberatung mehr, weil er sie sich nicht mehr leisten kann.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir werden leider den Antrag der Großen Koalition ablehnen müssen, da er zu kurz springt.

(Leichte Empörung bei der FDP – Torsten Herbst, FDP: He!)

Er springt zu kurz und geht am eigentlichen Problem, den Rahmenbedingungen für die Umsetzung des Bildungsplanes, vorbei. Diese sollten stärker in den Fokus genommen werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Die Fraktion GRÜNE, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit zwei promovierten Physikern in der Familie stehe ich persönlich der mathematischen und der naturwissenschaftlichen Bildung eher positiv gegenüber. Gegen einen Berichts- und Prüfungsantrag ist grundsätzlich nichts einzuwenden.

Wenn man sich jedoch die Situation in unseren Kindertagesstätten anschaut, scheint mir der Antrag nicht gerade die dringendsten Probleme aufzugreifen. Deshalb dazu drei kritische Anmerkungen:

Erstens die Rahmenbedingungen. Viele Dinge sind dazu schon angesprochen worden. In vielen Städten schlägt gerade die Wirtschafts- und Finanzkrise zu. In meiner Stadt ist das nicht anders. Deshalb schlägt unsere Verwaltung für den Haushalt 2010 vor, die leidigen Betreuungszeitenbegrenzungen für Kinder mit einem Elternteil, das nicht erwerbstätig ist, wieder einzuführen. Des Weiteren soll die zusätzliche Stunde für die Vorbereitungszeit für die Erzieherinnen und Erzieher wieder gestrichen werden.

Das hatte der Stadtrat seinerzeit eingeführt, weil er zu der Auffassung gekommen war, dass der Bildungsplan, wenn man nicht Zeit für die Erzieher drauflege, so nicht umsetzbar sei.

Darüber hinaus wurden in mehreren Kitas unter großem Protest der Eltern bereits die Musikzimmer und die Forscherlabors wieder in Gruppenräume umgewandelt, um mehr Kinder unterbringen zu können, da das Geld für die Sanierung oder gar einen Neubau fehlt.

Der Herr von der FDP, dessen Namen ich mir nicht merken kann, hat in der gestrigen Debatte zu den Kommunalfinanzen gesagt: Wir werden den Staat schlanker machen, und das müssen die Kommunen auch tun. – Ich weiß nicht, wo er lebt, aber in meiner Kommune ist das bereits der Fall.

Ich hoffe, dass der geforderte Bericht der Staatsregierung die vielfältigen Probleme vor Ort zutage fördert und aufzeigt, was an personellen und sachlichen Ausstattungen in unseren Kitas notwendig ist, um die Vorgaben des Bildungsplans umsetzen zu können.

Der zweite Kritikpunkt betrifft die thematische Zuschneidung. Sie fordern einen Bericht über die Umsetzung der Vorgaben des Bildungsplans im Bereich der mathematischen und naturwissenschaftlichen Bildung. Ich persönlich halte einen Bericht zur Umsetzung der Vorgaben des Bildungsplans im Bereich der kommunikativen Bildung für dringender. Sie haben sicherlich heute in der „Freien Presse“ gelesen – die auslag und die jeder mitnehmen kann –, dass auf die dramatischen Ergebnisse der Einschulungsuntersuchung in Chemnitz hingewiesen worden ist. Nur zwei von zehn Schulanfängern bekommen ein uneingeschränktes Okay für die Einschulung. Jeder vierte Schulanfänger in Chemnitz weist sprachliche Entwicklungsdefizite bis hin zu Sprachstörungen mit sonderpädagogischem Förderbedarf auf. Die Sprachheilschulen platzen aus allen Nähten, obwohl gerade in diesem Bereich bereits die höchsten Integrationszahlen vorliegen. Warum kein Bericht zur Umsetzung der Vorgaben des Bildungsplanes im Bereich der kommunikativen Bildung? Ich glaube, das wäre derzeit viel aktueller und notwendiger.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion und der SPD)

Zum dritten Punkt, der Qualifizierung der Erzieherinnen und Erzieher. Sie wollen in Ihrem Antrag eine Prüfung veranlassen, inwiefern die sächsischen Hochschulen stärker in die Qualifizierung und Weiterbildung von Erzieherinnen und Erziehern zur Umsetzung der Vorgaben des Bildungsplans im mathematischen und naturwissenschaftlichen Bereich eingebunden werden können.

Auch das, meine Damen und Herren, ist nach meiner Auffassung eine sehr einseitige Fokussierung. Die Hochschulen sollen und müssen sich stärker in die Qualifizierung und Weiterbildung der Erzieherinnen und Erzieher einbringen. Wir hatten dazu an der Hochschule ein Gespräch. Wenn pro Jahr 25 Personen die Hochschule mit

einem Abschluss verlassen, um danach in die Kitas zu gehen, ist mir das definitiv zu wenig.

Doch warum brauchen wir nur eine hochschulische Ausbildung im Bereich Mathematik und Naturwissenschaften? Brauchen wir in den Bereichen kommunikative Bildung, somatische, soziale oder musische Bildung keinen qualitativen Sprung? Was ist mit den methodischdidaktischen Fähigkeiten der Erzieherinnen und Erzieher? Es reicht nicht aus, die Stube und die Küche zu renovieren, wenn das gesamte Haus modernisiert werden muss.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion und der SPD)

Noch ein Wort zum Schluss. Ich sagte es bereits zu Beginn meiner Rede: Gegen einen Bericht und eine Prüfung zur Umsetzung der Vorgaben des Bildungsplans in den Bereichen Mathematik und Naturwissenschaften ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Ich halte es aber definitiv für falsch, vor dem Hintergrund eines zukünftigen Fachkräftemangels oder irgendwelcher Ambitionen von Handwerks- und Handelskammern im Bereich der frühkindlichen Bildung den mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich besonders hervorzuheben und zu fördern. Dafür gibt es nach meiner Auffassung absolut keinen pädagogischen Grund. Das ist auch von meinen Vorrednern bereits ausgeführt worden. Besonders die frühkindliche Bildung sollte nicht interessengeleitet sein. Ich möchte nur an unsere Erfahrungen aus DDR-Zeiten erinnern. Ich halte das für sehr unglücklich. Meine Fraktion wird zu diesem Antrag differenziert abstimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der Linksfraktion und der SPD)

Für die Fraktion der NPD Frau Schüßler, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag ist ein Berichts- und Prüfantrag, und natürlich werden wir zustimmen. Nachdem schon Herr Flath als damaliger Kultusminister eine stärkere Förderung der MINT-Fächer angemahnt hat, ist es begrüßenswert, dass sich diese Tendenz jetzt auch im Vorschulbereich niederschlägt. In der Begründung und von fast all meinen Vorrednern wurde der Sächsische Bildungsplan angesprochen.

Nun hat es immerhin 15 Jahre gedauert, bis Sachsen überhaupt einen Bildungsplan hatte. Perfekt ist er nicht. Das kann und soll er auch gar nicht sein. Allerdings zeigen uns die PISA-Studien, dass ein Überdenken der Bildungssituation in Deutschland und auch in Sachsen dringend notwendig ist. Der Bildungsplan ist hierzu zumindest ein guter Ansatz. Er soll kein Katalog abzuarbeitender Ziele sein, sondern eine Themensammlung, ein Leitfaden für die Erzieherinnen und Erzieher.

Dabei kommt derzeit der Komplex Naturwissenschaften und Mathematik in dem Gesamtwerk etwas zu kurz.

Lediglich auf 14 von 117 Seiten finden sich Anregungen für Entdecken und Ordnen, also naturwissenschaftliche und mathematische Bildung – das ist in etwa genauso viel wie der Umfang der Quellenangaben –, wesentlich weniger als die teilweise schon penetranten Vorgaben zur frühkindlichen Sexualerziehung inklusive Toleranz gegenüber gleichgeschlechtlichen Lebensformen. Was, bitte schön, soll ein vier- oder fünfjähriges Kind damit anfangen?

Der Bildungsplan bietet einen großen Spielraum für die Arbeit mit Kindern oder wie mir eine Kindergärtnerin sagte – ich zitiere –: „Im Prinzip ist nichts unmöglich, man muss es nur vernünftig begründen können.“

Jede Einrichtung kann durch eine Konzeption die Art und Weise ihrer Arbeit selbst bestimmen. Dabei werden Projekte und Stiftungen, wie das hier erwähnte „Haus der kleinen Forscher“, zur Ergänzung der Arbeit sehr gern angenommen. Sie stellen auch eine Bereicherung des Kita-Alltags dar. Bevor eine tatsächliche Verbesserung der Bildungssituation eintreten kann, müssen die Rahmenbedingungen – das ist schon mehrmals angesprochen worden – verbessert werden, also Personalschlüssel und die Vorbereitungs- und Nachbereitungszeiten.

Ein weiterer Punkt, den ich schon mehrmals angesprochen habe, ist die Qualifikation der Erzieherinnen und Erzieher, konkreter, spezifischer und vor allem praxisorientierter auf den Vorschul- oder den Hortbereich zugeschnitten. Hierbei gibt es noch sehr viel zu tun.

Nun zurück zur Antragsbegründung. Im ersten Absatz steht : „Der Wille, seine Umwelt zu erfahren und zu verstehen, Phänomene zu erkennen und deren Ursache zu analysieren, sind kindliche Fähigkeiten, die es zu entwickeln und gezielt zu fördern gilt.“

Das ist richtig, meine Damen und Herren, aber dieser Forscherdrang ist den Kindern doch schon angeboren und muss nicht erst entwickelt werden. Um ihn allerdings ausleben zu können, brauchen die Kinder und ihre Erzieherinnen und Erzieher die richtigen Rahmenbedingungen, also Zeit und Personal.

So gesehen ist Ihr Antrag zwar ein Schritt in die richtige Richtung, aber halt nur ein Schritt. Wir sind genauso gespannt wie Sie, was uns die Staatsregierung darüber berichten kann, und werden dem Antrag zustimmen.

(Beifall bei der NPD)

Gibt es weiteren Redebedarf vonseiten der Fraktionen? – Das ist nicht der Fall. Ich frage die Ministerin, nein, den Minister natürlich. – Herr Minister Wöller, bitte.

Verehrte Frau Präsidentin, die Zuständigkeit hat zwar gewechselt, aber nicht der Minister. Deswegen freue ich mich ganz besonders, dass die Koalitionsfraktionen diesen Antrag heute auf die Tagesordnung gesetzt haben. Die Aufgaben für die Kindertageseinrichtungen sind im einschlägigen Gesetz festgelegt. Sie lassen sich knapp

umreißen mit Bilden, Erziehen und Betreuen – genau in dieser Reihenfolge.

Wir haben seit der Novelle 2005 die Bildung bewusst an die erste Stelle gesetzt. Nicht nur Bildung ist wichtig, sondern es kommt auch auf den Zeitpunkt an. Der Zeitpunkt muss früh einsetzen. Wir tun das unter dem Motto „Auf den Anfang kommt es an!“, weil Bildung ein kumulativer Prozess ist, der früh einsetzt und dann mit den Kulturtechniken – wie Lesen, Schreiben und Rechnen – seine Fortsetzung findet.

Alles baut aufeinander auf. Wenn man die Grundlagen nicht richtig legt, dann wird es nachher mit Reparaturen umso schwieriger und teurer. Deshalb ist das eine sehr sinnvolle und richtige Investition.

Von den Vorrednern wurde bereits hervorgehoben: Kinder sind von Anfang an neugierig. Es ist mir ein persönliches Anliegen und es ist ein großes Anliegen der Sächsischen Staatsregierung, diese Neugier und diesen Wissensdurst zu fördern. Wenn Kinder die Möglichkeit haben, ihre Fähigkeiten und Begabungen zu entfalten, dann können sie das, je früher wir ihnen dabei Unterstützung geben, desto eher tun. Die sächsische Bildungspolitik trägt diesen Erkenntnissen Rechnung.

Eingangs wurde es bereits gesagt: Mit der Umressortierung in das Kultusministerium ist der Aspekt der Bildung noch einmal akzentuiert und betont worden. Der Sächsische Bildungsplan – das kam auch bei der Debatte zum Tragen – ist und bleibt die Grundlage für die pädagogische Arbeit in den Kindertageseinrichtungen. Ich möchte mich ausdrücklich bei allen Fraktionen im Hohen Haus bedanken, dass sie diesem Bildungsplan eine wichtige Bedeutung beimessen und ihn als gute Grundlage für die pädagogische Arbeit erachten.

Diesen Bildungsplan werden wir evaluieren und gemeinsam mit der Schuleingangsphase auf den Prüfstand stellen. Die Ergebnisse werden Ende des Jahres 2010 vorliegen. Wir werden weitere Schlussfolgerungen für die Arbeit in den unterschiedlichen Bildungsbereichen ziehen.

Der vorliegende Antrag auf einen Bericht zur Umsetzung naturwissenschaftlicher und mathematischer Bildung in der Kindertageseinrichtung bezieht sich auf zwei Bereiche, die explizit im Bildungsplan ausgewiesen sind. Ich möchte betonen: zwei von sechs Bereichen. Es ist durchaus legitim und richtig, zwei Bereiche herauszugreifen und dies zu tun, ohne die anderen Bereiche in den Hintergrund zu drängen. Wenn es im Hohen Haus gewünscht wird, berichten wir gern auch über andere Bereiche.

Ich verweise nur exemplarisch darauf, dass wir im Bereich der Sprache mit dem Landesprojekt „Sprache fördern“ eine entsprechende Förderung betreiben.