Die natürlichen Überschwemmungsflächen sind im Laufe der historischen Entwicklung an Elbe und Mulde um 50 bis 70 % eingeschränkt worden. Durch Baumaßnahmen, Grünlandumbruch und Bodenverdichtung wurde den Flüssen so ein großer Teil der natürlichen, ursprünglichen Überschwemmungsflächen genommen. Diesem Aspekt des vorbeugenden Hochwasserschutzes wird in Sachsen eindeutig immer noch zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Natürlich reichen Rückhalteflächen als alleinige Hochwasserschutzmaßnahme nicht aus, sie sind aber nicht nur am Unterlauf der Flüsse ein wichtiges Instrument.
Meine Damen und Herren! Als Konsequenz aus der Hochwasserkatastrophe 2002 haben wir in Sachsen das wasserrechtliche Vorkaufsrecht eingeführt. Vorkaufsrechte im Wasserrecht eröffnen die Möglichkeit, dass die öffentliche Hand das Eigentum an einer zu verkaufenden Grundstücksfläche erlangt, um dort die Ziele des Gewässer- bzw. Hochwasserschutzes durchzusetzen. Fakt ist – das haben Sie auch betont, Herr Kupfer –, dass Grundstücke für den Hochwasserschutz fehlen. Selbst wenn man den Nutzen des Vorkaufsrechtes in Frage stellt, gibt man vor diesem Hintergrund nicht ohne Not ein Instrument zum Flächenerwerb einfach so aus der Hand.
Nun noch kurz zu einem weiteren Punkt, nämlich der Verschiebung der Verantwortung. Wir haben in der Rede von Herrn Kupfer mehrfach die große Zauberformel Eigenverantwortung und Eigenvorsorge gehört. Aber wenn die Kommunen kein Geld für die Maßnahmen an den kleinen Flüssen haben und wenn GRÜNER Hochwasserschutz kaum eine Rolle spielt, dann nützt dem Hausbesitzer auch ein ganzer Keller voller Sandsäcke nichts, zumal der Verweis auf Eigenvorsorge genau dort paradox wird, wo man sich aus Effizienzgründen gegen Hochwasserschutzmaßnahmen entschieden hat. Auch eine Versicherung schützt nicht vor Schäden, sondern, wenn man Glück hat, davor, den Schaden nicht zu 100 % aus der eigenen Tasche zahlen zu müssen.
Meine Damen und Herren! Vor extremen Wetterereignissen werden wir sicher auch in Zukunft nicht verschont bleiben. Insofern bleibt der Hochwasserschutz ein Schwerpunktthema und eine Generationenaufgabe. Aber die Kette ist immer nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Das sind beim Hochwasserschutz die Kommunen, die dringend eine bessere Unterstützung zur Bewältigung noch anstehender Aufgaben benötigen.
Das war Frau Kollegin Dr. Deicke für die SPD-Fraktion. Für die FDP ergreift jetzt Kollege Hauschild das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Thema der Fachregierungserklärung erinnert an ein furchtbares Geschehen. Der Jahrestag der Flutkatastrophe ist ein trauriges Ereignis. Aber er kann uns auch vorsichtig hoffnungsvoll stimmen. Die Hochwasserkatastrophe brachte unsägliches Leid; es gab Tote, Verletzte und Vermisste. Die menschliche Katastrophe lässt sich nicht beziffern und es wird noch lange dauern, bis diese Wunden vernarbt sind.
Der Sachschaden der Flutkatastrophe vor zehn Jahren war verheerend: Infrastruktur wurde verwüstet; der öffentliche Nahverkehr ist in weiten Teilen des Flutgebietes lahmge
legt worden; Bahntrassen wurden unterspült und waren nicht mehr funktionstüchtig. Hinzu traten die verheerenden Folgen für Gewerbegebiete und für die Ernte. Der Gesamtschaden belief sich auf fast 10 Milliarden Euro.
Die Flutkatastrophe vom August 2002 brannte sich in das kollektive Gedächtnis der Sachsen ein. Existenzen wurden vernichtet und die Aufbauarbeit einer Dekade wurde um Jahre zurückgeworfen.
Doch die Katastrophe zeigte, dass die Sachsen in der Zeit der Not zusammenhalten. Mit einer beispiellosen Solidarität standen Betroffene und Helfer Seite an Seite. Hunderte Polizeibeamte und Tausende Feuerwehrleute waren vor Ort, um zu helfen. Rettungsdienste, das Technische Hilfswerk und die Bundeswehr zögerten nicht, um den Opfern zur Seite zu stehen.
Nicht nur der hauptamtliche Katastrophenschutz, sondern ebenso die ehrenamtliche Arbeit haben geholfen, diese Schäden zu beseitigen. Zehntausende Sachsen haben ihren Mitmenschen geholfen und waren sofort da, als es darum ging anzupacken. Auch als die ersten Schäden beseitigt waren, waren die Helfer weiter vor Ort, und jene, die nicht da sein konnten, spendeten, was sie vermochten, um den Flutopfern zu helfen.
Ihnen allen möchten wir danken. Am Jahrestag sollten wir nicht nur das Leid in Erinnerung rufen – wir sollten auch der Solidarität und des Zusammenhalts gedenken.
Über die Ursachen des Hochwassers wurde bereits viel gesprochen. Sie waren vielfältig und forderten ein umfassendes Aktionsprogramm. Der Freistaat hat auf die Erfordernisse reagiert. Hochwasserschutz wurde zu einem Schwerpunkt sächsischer Umweltpolitik. Zum einen wurden Hochwassergefahrenkarten eingeführt. Mit den darin erfassten Überschwemmungsgebieten können sich die Bürger informieren und Bauplanungen gezielt abwägen.
Diese Gefahrenkarten dienen aber ebenso für die Einsatzplanung im Gefahrenfall. Im Falle eines Hochwassers kann die Wasserwehr gezielt Schutzmaßnahmen ergreifen und die Aktionspläne danach ausrichten.
Mit dem Landeshochwasserzentrum wurde eine Einrichtung geschaffen, welche die Wasserstände des Messnetzes ständig zentral überwacht. Zusammen mit den Niederschlags- und Taumengen des Wetterdienstes erfolgt eine umfassende, kontinuierliche Bewertung möglicher Hochwasserursachen.
Damit konnte eine wesentliche Verbesserung des Warnsystems erzielt werden. Seit 2002 stammen die Hochwasserinformationen aus einer Hand. Nicht mehr die regionalen Überwachungsstellen informieren, sondern es gibt eine Zentrale, die die Warnungen direkt an die Gemeinden bis zu den Krankenhäusern durchstellt.
Per SMS-Nachrichten können die Landratsämter, Städte und Gemeinden informiert werden. Dieses Informationssystem besitzt Pioniercharakter in Deutschland. Darüber hinaus wurden die Hochwasserschutzkonzepte erweitert. Sie vereinen die zahlreichen Einzelmaßnahmen und bündeln sie, um einen effektiven Hochwasserschutz zu erzielen. Mit jedem Hochwasser findet eine neue Analyse der Daten statt. Die Erkenntnisse werden ausgewertet und die Schutzpläne erweitert.
Trotz der ausgeklügelten Technik und der umfassenden Pläne können Hochwasser nicht verhindert werden. Sie sind Naturereignisse und werden wiederkehren. 2010 trat erneut eine Hochwasserkatastrophe ein. Auch darauf hat Sachsen umgehend reagiert.
Um den Hochwasserschutz zu verbessern, wurde eine Kommission eingesetzt, die das Hochwasserschutzsystem überprüfen sollte. Die Jeschke-Kommission führte zahlreiche Gespräche mit Dienststellen, Staatsbetrieben, der Landkreisverwaltung und Städten sowie Gemeindeverwaltungen. Sie prüfte Abläufe und Arbeitsprozesse. Die Kommission kam zu einem positiven Ergebnis: Der Hochwassernachrichten- und -alarmdienst hat auch bei diesem Extremereignis seine Bewährungsprobe bestanden. In der Regel haben die Gemeinden vom Hochwasserzentrum sicher und direkt Hochwasserwarnungen erhalten. Der sächsische Ansatz stimmt und weist in die richtige Richtung.
Die Koalitionspartner haben die Staatsregierung aufgefordert, den Kommissionsbericht zu prüfen und über die Umsetzung der darin enthaltenen Vorschläge zu berichten. In der Stellungnahme der Staatsregierung zum Antrag Drucksache 5/7637 finden Sie dazu detaillierte Ausführungen. Knapp zusammengefasst lässt sich feststellen, dass der Freistaat die wesentlichen Forderungen umgesetzt hat oder umsetzt.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich sagte zu Beginn meiner Ausführungen, dass dieser Jahrestag, der an eine der größten Katastrophen der sächsischen Geschichte erinnert, uns für die Zukunft vorsichtig hoffnungsvoll stimmen kann. Das Leid und die Zerstörung werden wir nicht vergessen; aber Sachsen hat gelernt, Sachsen hat sich gewappnet für die zukünftigen Ereignisse dieser Art, sodass wir besser, schneller und umfassender eingreifen und helfen können – auch wenn wir hoffen, dass solch eine Katastrophe nie wieder eintritt.
Auf Herrn Kollegen Hauschild von der FDP-Fraktion folgt jetzt für die Fraktion GRÜNE Frau Kollegin Kallenbach.
Vielen Dank, Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatsminister, bevor ich auf Details eingehe, eine allgemeine Anmerkung: Der unbedarfte Hörer Ihrer Worte
könnte selbst mit ökologisch-ökonomischer Sicht zu der Erkenntnis kommen: Prioritäten richtig gesetzt, Fortschritte erzielt.
Allerdings ergibt der Abgleich mit der tatsächlichen Praxis ein anderes Bild, und da reicht mir Ihre Aussage, wir müssen weiter lernen, schlichtweg nicht aus.
Wir bieten Ihnen gern Unterstützung an und machen Vorschläge, wie man kostengünstiger und wirklich nachhaltig Hochwasserschutz und Vorsorge betreiben kann.
Wir alle wollen nicht, dass sich die Ereignisse von 2002 wiederholen. Ich habe dieses damals fassungslos in weiter Ferne im Ausland beobachtet und war – wie Sie alle – beeindruckt von der bundesweiten Solidarität und Hilfsbereitschaft, die sich bis heute in der Beseitigung der Schäden niederschlägt.
Wir erfahren aber auch – nicht zuletzt durch die Gefahren in der letzten Woche oder die Ereignisse in 2010 und 2011 –: Der Klimawandel ist trotz Klimaleugnern in den Reihen der sächsischen FDP längst im Freistaat angekommen und wir brauchen für Vorsorge und Schutz vor Hochwasser dringend eine Gesamtstrategie des Freistaates und nicht nur eine des Umweltministeriums.
Es konterkariert Ihre Maßnahmen, wenn gleichzeitig in der Verkehrs-, Raum- und Stadtentwicklungspolitik großflächige Versiegelungen be- und gefördert werden oder wenn, wie bereits von Frau Dr. Pinka kritisiert, weiter auf Braunkohle und CO2-Emissionen gesetzt wird.
Offensichtlich erheblich verbessert haben sich zunehmend abgestimmte internationale Bemühungen wie bei der Elbe; die Abschlusskonferenz zum LABEL-Projekt ist dafür wirklich ein gutes Beispiel und ein Beleg gewesen.
Auch bei der Koordinierung der Hochwasserwarnung mit Nachbarländern sind Fortschritte erzielt worden. Das nehmen wir gern wahr, wie auch manche der neu vorgeschlagenen Regelungen im Sächsischen Wassergesetz – ganz nach dem Motto: Steter Tropfen höhlt den Stein.
Dennoch wird – und hier setzt unsere Kritik an – immer noch zu viel Wert und Wichtung auf die Errichtung von Bollwerken gegen die Wassermassen gesetzt.
Da nutzt es auch nichts, Herr Staatsminister, wenn Sie in Ihrer Rede den technischen Hochwasserschutz erst an dritter Stelle nennen. Das ist eine Priorität, die ganz unseren Überzeugungen entspricht – sehr schön! Nur, die nackten Zahlen sprechen eine ganz andere Sprache.
Die 47 Hochwasserschutzkonzepte mit den vielen Einzelmaßnahmen beschäftigen sich nahezu ausschließlich mit einer Vielzahl von technischen Maßnahmen: Flutmauern, Deicherhöhungen, Deichertüchtigungen, Brückendurchlässe, Straßenerhöhungen usw.
Wir meinen: Der Wasserrückhalt in der Fläche muss viel stärker in den Fokus gerückt werden. Den Flüssen mehr Raum zu geben – das darf nicht nur ein inhaltsleerer Slogan bleiben.
Sachsen hatte mit der Planung von insgesamt 49 Deichrückverlegungen von jeweils mehr als 5 Hektar Retentionsraum ein weitreichendes Konzept vorgelegt, das wir durchaus positiv bewertet haben. Allerdings hat das – durchaus richtig vom Herrn Staatsminister beklagte – schnelllebige Kurzzeitgedächtnis für Hochwasserereignisse auch vor dieser Regierung nicht Halt gemacht. Bisher wurden von den geplanten Deichrückverlegungen erst ganze zwei umgesetzt. Anders ausgedrückt: In zehn Jahren wurde nicht einmal 1 % des angestrebten und bitter nötigen Retentionsraums geschaffen.
Auf der anderen Seite wurde allerdings fleißig, ausdauernd und für viel Geld in den technischen Hochwasserschutz investiert. Bei einigen der Maßnahmen fragt man sich allerdings, ob damit dem Hochwasserschutz oder der Baulobby gedient werden soll.