Protokoll der Sitzung vom 27.09.2012

lich um die Klarstellung der zentralen Verantwortlichkeit in den jeweiligen verschiedenen Fallkonstellationen gehen.

Viertens müssen wir natürlich auch erwägen, welche Maßnahmen erforderlich sein werden, um die unverzichtbare parlamentarische Kontrolle zu stärken. Darüber wird noch zu reden sein. Es ist noch nicht die Zeit, abschließend Stellung zu nehmen. Es sind glücklicherweise auch hier noch Fachleute in verschiedenen Kommissionen, unter anderem hier im Freistaat Sachsen, am Werk, wie die von Frau Generalbundesanwältin a. D. Harms geführte Kommission. Auch der Sächsische Datenschutzbeauftragte ist hier am Arbeiten. Man muss zu gegebener Zeit die erforderlichen Lehren ziehen.

Das führt mich, meine Damen und Herren, zu meiner Schlussbemerkung: Der Bericht, den ich Ihnen heute ein Stück näher bringen durfte, ist nach meinem Verständnis – wir haben das als PKK so verabschiedet – vorläufig. Er muss in seiner Zeit gesehen werden. Ich persönlich habe die Bitte: Lassen Sie uns weiter an den Tatsachen arbeiten. Das heißt, wehret der Versuchung, sich in Spekulation zu ergehen! Aber andererseits da, wo Mängel erkannt werden, legt sie offen und lasst uns gemeinsam die richtige Lehre ziehen!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Prof. Schneider. – Meine Damen und Herren! Ich muss eine Berichtigung vornehmen, bevor ich die nächste Rednerin aufrufe. Der amtierende Präsident hat bei Aufruf der Tagesordnung auf die Redezeit von 10 Minuten je Fraktion hingewiesen. Sie haben sicherlich feststellen können, dass ich jetzt nicht auf die Redezeit von 10 Minuten hingewiesen habe. Das Präsidium hatte sich in der Sitzung darauf verständigt, und so ist es auch heute zur Eröffnung der Sitzung vereinbart worden, dass für die Tagesordnungspunkte 5 bis 12 eine Gesamtredezeit vereinbart ist und die Diskussion jetzt zu diesem Tagesordnungspunkt selbstverständlich auch nur im Rahmen der noch verfügbaren Redezeit erfolgen kann.

Das bitte ich insbesondere für die Fraktionen vorzumerken, die keine 10 Minuten Redezeit mehr haben.

Das ist die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – hier steht eine Redezeit von 8:28 Minuten zur Verfügung – und die Fraktion NPD: 4:53 Minuten. Alle anderen haben noch mehr als 10 Minuten Redezeit.

Meine Damen und Herren! Ich danke Ihnen. Wir setzen die Aussprache fort. Die Fraktion DIE LINKE ist an der Reihe, Frau Abg. Köditz, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Parlamentarische Kontrollkommission hat am 22. Juni dieses Jahres, also vor über drei Monaten, einen vorläufigen Abschlussbericht im Zusammenhang mit dem Tatkomplex NSU vorgelegt. Dazwischen liegen also schon mehr als drei

Monate, in denen viel passiert ist. Die Vorläufigkeit des Berichtes ist bereits eingetreten.

André Hahn und mir war es uns als PKK-Mitglied für die Opposition nicht möglich, dem Gesamtbericht zuzustimmen. Die Darstellung von Defiziten im Zusammenwirken der Sicherheitsbehörden sowie im eigenen Vorgehen des Landesamtes in diesem Bericht fand und findet noch immer unsere Zustimmung. Allerdings können wir weder aus damaliger noch aus heutiger Sicht die grundsätzliche Einschätzung der Mehrheit der PKK teilen, dass die Hauptursache für das staatliche Versagen im Zusammenhang mit dem neonazistischen Terrornetzwerk, welches sich selbst den Namen NSU gegeben hatte, in der offensichtlichen mangelhaften Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen den Sicherheitsbehörden läge. Dies ist für uns nicht offensichtlich die Hauptursache.

Es gibt nämlich sehr viele Ursachen für das Versagen und eine Fokussierung auf die mangelhafte Kommunikation zwischen den Behörden. Es ist einerseits fahrlässig angesichts der nicht auszuschließenden Wiederholbarkeit dieses rassistischen Terrors und andererseits auch ein Schlag ins Gesicht der Opfer bzw. ihrer Hinterbliebenen. Wir reden von mindestens zehn Mordopfern und Dutzenden Verletzten durch Bombenanschläge bzw. Banküberfälle.

Ich betone dies noch einmal so deutlich, weil ich manchmal das Gefühl habe, dass wir über diverse aufgetauchte, verschwundene oder falsch abgelegte Akten gerade diese Opfer vergessen. Aber wir sind es genau ihnen schuldig, alle Zusammenhänge aufzudecken. Es darf sich ganz einfach nicht wiederholen. Genau deshalb fehlten und fehlen uns wichtige Aspekte im Bericht der Parlamentarischen Kontrollkommission.

Es muss deutlich gesagt werden, dass die Situation im Bereich Rechtsextremismus/Rechtsterrorismus über Jahre falsch eingeschätzt wurde und dies bis heute so weitergeht. Erinnern wir uns: Die erste rechtsextremistische Heimat von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe war die Anti-Antifa aus Thüringen. Aus ihr entstand der Thüringer Heimatschutz. Über dessen Internetadresse kam man vor Wochen noch direkt zum Freien Netz.

Nun schauen wir nach Sachsen. Hier fällt die Anti-Antifa nicht unter Bestrebungen, die eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben. Hört, hört!, möchte ich an dieser Stelle sagen. Aber genauso steht es in der aktuellen Antwort der Staatsregierung auf die Große Anfrage der GRÜNEN, Drucksache 5/9712. Mitglieder des Sächsischen Landtages stehen auf solchen Listen der Anti-Antifa, und da sagt die Staatsregierung, das ist keine Beeinträchtigung.

Freies Netz – auch so ein Thema, bei dem sich die Fehleinschätzung seit Jahren hinzieht. Was eine Organisation heute ist, wie sich eine Vernetzung gestaltet, wie Strukturen in Zeiten moderner Medien funktionieren, scheint noch immer nicht im Landesamt für Verfassungsschutz angekommen zu sein. Insofern war die Übernahme einer

Formulierung aus einem ersten Entwurf eines Zwischenberichtes des Innenministeriums für uns nur logisch. Diese Formulierung findet sich in beiden heute vorliegenden Stellungnahmen.

Ich zitiere diese Formulierung nochmals, weil sie ganz einfach wichtig ist: „Darüber hinaus sollte die Analysefähigkeit des LfV Sachsen verbessert werden. Hierfür müssten qualitativ hochwertig ausgebildete Mitarbeiter, insbesondere auch für Netzwerkanalysen, zur Verfügung stehen. Auch organisatorisch könnte und müsste insbesondere das Referat Rechtsextremismus (Auswertung) stärker auf Analyse hin ausgerichtet werden.“

Mittlerweile sind aus den acht Unterschubladen, in die bisher Rechtsextremisten in Sachsen eingeteilt wurden, nur noch vier geworden: NPD, Neonationalsozialisten sowie neben den sonstigen Organisationen die subkulturell geprägten Rechtsextremisten.

Entschuldigen Sie bitte, aber wenn dann auch noch die Terrorcrew Muldental als subkulturell geprägt einsortiert wird, dann fehlen mir ganz einfach die Worte. Die Staatsanwaltschaft ermittelt – Mitglieder dieser Terrorcrew haben schwere Straftaten begangen – und das Landesamt nennt dies „subkulturell geprägt“. Diese Fehleinschätzungen sind hausgemacht. Das sind keine Kommunikationsprobleme!

(Vereinzelt Beifall bei den LINKEN)

Meine Damen und Herren! Aus heutiger Sicht wissen wir, dass Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe zum harten Kern von Blood & Honour gehörten. Unterstützung bei ihrem Untertauchen erhielten sie vom Blood & Honour-Kader. Aber in den öffentlichen Darstellungen wird diese Neonazibewegung immer wieder auf Musikveranstaltungen und CD-Produktionen reduziert. Warum?

Vielleicht wird die öffentliche Anhörung des Innenausschusses am 11. Oktober dieses Jahres zu unserem Antrag Antworten finden. Auf jeden Fall wird sich der Untersuchungsausschuss auch mit diesen Fragen beschäftigen müssen, da der Umgang mit den verschiedenen diesbezüglichen Strukturen in Sachsen im Zusammenhang mit dem Verbot von Blood & Honour im Jahr 2000 noch immer zahlreiche Fragen aufwirft.

Noch eine weitere Frage ist dabei im Auge zu behalten: Wer beschäftigt sich eigentlich mit den inhaltlichen Konzepten und Strategien solcher Neonazis? Zwar wäre auch dazu ein Verweis auf die Antwort der Staatsregierung auf die bereits erwähnte Große Anfrage der GRÜNEN angebracht – weil ganz einfach erschreckend an dieser Stelle –; aber bleiben wir für heute Abend bei Blood & Honour und seinem Umfeld.

Es gibt die Strategien und Handlungskonzepte für Gewalt, Mord und Terror. Das Konzept des „Führerlosen Widerstandes“ beinhaltet alles, was wir heute über den NSU wissen: kleine untergetauchte Zelle, Konspiration, im engeren Umfeld unauffällige Personen, Gewalt und Terror ohne Bekennerschreiben. Kein Bekennerschreiben als Methode. Das heißt konkret: Verunsicherung bei potenzi

ellen Opfern, keine Ermittlungshinweise für die Behörden und somit auch die Möglichkeit – was leider auch konkret passiert ist – der Kriminalisierung der Opfer und ihres Umfeldes durch Ermittlungsbehörden und Öffentlichkeit.

Es ist mir immer noch unbegreiflich, wieso diese Methode nicht in Betracht gezogen wurde. Auch das ist wahrlich kein Kommunikationsproblem.

Eine Vermutung zu den diesbezüglichen Ursachen möchte ich aber in diesem Zusammenhang sehr deutlich formulieren: eine Ressourcenverteilung im Landesamt für Verfassungsschutz entsprechend der Extremismusdoktrin, die Gleichsetzung aller sogenannten Extremismen. In den Veröffentlichungen des Landesamtes wird dies nachweisbar. Nach der Zählung des Amtes haben wir im Jahr 2011 in Sachsen circa 750 Linksextremisten und circa

2 600 Rechtsextremisten – ein Verhältnis von 1 : 3,5.

(Jürgen Gansel, NPD: Ja, weil Ihresgleichen nicht mitgezählt wird, Frau Köditz!)

Im aktuellen Verfassungsschutzbericht wird das Problem des Linksextremismus aber auf fast genauso vielen Seiten dargestellt wie der Rechtsextremismus. Im Handbuch über extremistische Bestrebungen findet sich jedes kleine Antifa-Rechercheteam mit namentlicher Erwähnung, wohingegen Nazikameradschaften gleich einmal zusammengefasst und nur im Überblick dargestellt werden. Dies ist aus unserer Sicht keine adäquate Widerspiegelung der realen Gefahrenlage in Sachsen. Es bedient aber perfekt den Ansatz der Gleichsetzung von Rechts- und Linksextremismus.

Meine Damen und Herren, unsere damalige Kritik, unsere damaligen Zweifel an der Behauptung, dass der PKK alle Akten vorgelegt worden seien, haben sich mittlerweile bestätigt. Drei Wochen nach dem Bericht wurden weitere Dokumente gefunden und führten bekanntermaßen zur Versetzung des damaligen Verfassungsschutzpräsidenten Boos.

Vor knapp zwei Monaten mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass ganz planmäßig auch nach dem November 2011 Aktenteile endgültig im Landesamt vernichtet wurden – aus datenschutzrechtlichen Gründen. Wir lesen das Verfassungsschutzgesetz anders: Personenbezogene Daten müssen gesperrt werden, wenn sich dies gesetzlich ergibt. Die endgültige Vernichtung kann jedoch erst dann erfolgen, wenn die gesamte Akte nicht mehr benötigt wird. Es wurden aber Aktenteile vernichtet. Wie will man sich da noch ein Gesamtbild zu einem bestimmten Vorgang machen? Wie will man da Vernetzung und Zusammenhänge erkennen?

Es wurde versichert, dass keine NSU-relevanten Aktenteile vernichtet wurden. Erstens kann dies nun niemand mehr nachprüfen, und zweitens bleibt auch hierbei die Frage: Was ist NSU-relevant? Die NSU-Relevanz beschränkt sich aus unserer Sicht nicht auf die Beschuldigten seitens des Generalbundesanwalts. Wir sehen eine breitere Vernetzung, die zwar nicht strafrechtlich verfolgbar sein wird, die jedoch zu erkennen notwendig ist, um

eine Wiederholung nachhaltig zu verhindern. Und um genau diese Verhinderung muss es uns gehen.

Ein weiterer Punkt in unserer Stellungnahme war das Fehlen der Problematisierung der sogenannten V-Leute in diesem Zusammenhang. Für uns sind dies zuerst Angehörige der Neonaziszene, die für Geld und/oder andere Leistungen, wie der Schutz vor Strafverfolgung, Informationen weitergeben. Die Auswahl dieser Informanten blieb uns wenig nachvollziehbar. Ein kritischer Umgang mit dem Wahrheitsgehalt bzw. der Wertigkeit der erhaltenen Informationen war für uns nicht feststellbar.

Erschreckend waren für uns insbesondere die Zusammenhänge mit der Quelle aus Brandenburg, sowohl zur Person selbst als auch bezüglich des Umgangs mit seinen Informationen.

Uns ist auch ein vergleichbarer Fall nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden: dass ein V-Mann des Landesamtes sogar verspricht, dass die Beschaffung von Waffen in Sachsen nicht möglich wäre.

Meine Damen und Herren! Es ist gut, dass der Geheimdienst parlamentarisch kontrolliert wird. Es ist auch gut, dass wir heute hier im Plenum über die Berichte der PKK diskutieren. Die Arbeitsmöglichkeiten der PKK gehören aus der Sicht der LINKEN allerdings schon länger auf die Tagesordnung. Da möchte ich nur an unseren Gesetzentwurf aus der letzten Legislatur erinnern, der, wie könnte es anders sein, von der damaligen Mehrheit hier im Landtag abgelehnt wurde.

Nun möchte ich noch auf das Ende unserer Stellungnahme zu sprechen kommen. Zum einen stellten wir damals, vor drei Monaten, fest, dass eine umfassende externe Evaluation und Tiefenanalyse der Tätigkeit des LfV unverzichtbar sei. Der Innenminister hat mittlerweile eine externe Expertenkommission eingesetzt. Dessen konkrete Aufgabenstellung kennen wir zwar nicht, aber auf die Ergebnisse sind wir alle sehr gespannt. Hauptsache wird dann sein, ob der Minister bei der Umsetzung der Vorschläge der Expertenkommission zum Beispiel die PKK mit einbezieht, die die Tätigkeit des Landesamtes zu kontrollieren hat, oder ob er denkt, dass er auch das alles ganz allein entscheiden kann, wie das in anderen sicherheitsrelevanten Fragen der Fall gewesen ist.

Zum anderen formulierten wir am Ende: Ob und in welchem Umfang personelle Konsequenzen zu ziehen sein werden, wird sich aus der Arbeit des Untersuchungsausschusses ergeben. Da waren die Ereignisse auch schneller als unsere parlamentarischen Geschäftsgänge.

Meine Damen und Herren! Es gibt viele Ursachen. Eine Reduzierung auf Kommunikationsprobleme ist zu kurz gegriffen. Eine stärkere Institutionalisierung und Intensivierung des Informationsaustausches werden die Probleme nicht lösen, vor allem dann nicht, wenn das Innenministerium denkt, dass es reicht, unter der Überschrift „Gesamtkonzeption zur Bekämpfung des Rechtsextremismus“ nur eine Koordinierungsgruppe politisch motivierter Kriminalität Rechts einzurichten, nachzulesen im

vorläufigen Abschlussbericht des SMI zum NSU. Herr Minister, eine Gesamtkonzeption sieht anders aus.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den LINKEN)

Meine Damen und Herren, die SPD-Fraktion ist an der Reihe. Es spricht Herr Abg. Mann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Aufgrund der Erkrankung meines Kollegen Karl Nolle, der zugleich Obmann der SPD-Fraktion im NSU-Untersuchungsausschuss ist, gebe ich die Stellungnahme der SPD-Fraktion zu Protokoll. Ich möchte nur so viel sagen: Ich bin mir sicher, dass ein Teil des Hauses dafür dankbar ist, und dem anderen Teil möchte ich verraten – insbesondere Herrn Schneider –: Es lohnt sich, diese Stellungnahme zu lesen.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Damit kommen wir zur FDP-Fraktion. Für die FDP-Fraktion spricht Herr Abg. Biesok.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Uns liegt der vorläufige Abschlussbericht der PKK zum Tatkomplex NSU vor. Herr Prof. Schneider als Vorsitzender der PKK hat sehr ausführlich diesen Bericht vorgestellt; auf die einzelnen Feststellungen und Sachverhalte ist er eingegangen.