Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor ziemlich genau einem Jahr wurden in diesem Hohen Hause unter dem Titel „Pflege braucht Pflege“ Reformen in der Pflegepolitik angemahnt. Heute waren wieder die gleichen Argumente wie vor einem Jahr zu hören. Um es vorwegzunehmen, sage ich Folgendes: Dieses Mal wird die NPD-Fraktion diesem Antrag zustimmen, auch wenn es am Ende wieder heißen wird: Bei sehr vielen Stimmen dafür hat der Antrag dennoch nicht die erforderliche Mehrheit gefunden.
In der Vorbereitung auf dieses Thema habe ich mir Anregungen von einer Pflegekraft zur Situation im Pflegebereich geben lassen, die ich gern einbringen will. Zunächst möchte ich die Kritik am Pflege-Neuausrichtungsgesetz aufgreifen. Es bringt eine Verbesserung – sprich mehr Geld für demente Menschen. An der Situation der meisten anderen Pflegebedürftigen ändert sich jedoch zu wenig. So liegt zum Beispiel der Grundpflegebedarf für die Pflegestufe II bei 120 Minuten und für die Pflegestufe III bei 240 Minuten täglich. Werden also bei einem Gutachten nur 230 Minuten Hilfebedarf festgestellt, so erhält man Pflegesachleistungen in maximaler Höhe von 1 100 Euro. Trotzdem müssen, wenn man keine Angehörigen zur Verfügung hat, Leistungen vom Pflegedienst angefordert werden, die fast die Pflegestufe III erreichen und entsprechend zu bezahlen sind.
Heftige Kritik gibt es in Sachen Bürokratie – insbesondere zur Erweiterung der Abrechnungsmodelle. Angeregt wird die Umstellung auf eine digitale Pflegedokumentation, die leider von den Krankenkassen bisher abgelehnt wird. Weitere Kritikpunkte, die ich aus Zeitgründen nicht ausführlich darstellen kann, betreffen die Bezahlung, den Fachkräftemangel und eine dauerhafte Unterbesetzung beim Personal.
Kritisiert wurde aber auch die Lösung oder die als Lösung ins Spiel gebrachte Anwerbung bzw. Ausbildung ausländischer Fachkräfte. Nicht zureichende Sprachkenntnisse führen bei Schwerhörigen oder psychisch veränderten Pflegebedürftigen zu Verständigungsschwierigkeiten.
Gerade bei Demenzkranken stellen Veränderungen im Allgemeinen und von Bezugspersonen im Besonderen außergewöhnliche Belastungen dar und führen zu Angstsituationen. Dass bei Nichtverstehen Bedürfnisse von Patienten nicht erkannt werden oder gar die Qualität der Pflege leidet, dürfte gerade im Hinblick auf die bereits genannte sehr ausführliche Pflegedokumentation nicht verwundern.
Aktuell gibt es Pläne, vor Ort in China oder Indien Pflegekräfte auszubilden, die dann die notwendigen deutschen Sprachkenntnisse mitbringen. Ich gebe zu bedenken: Auch für diese eingewanderten Fachkräfte gilt die freie Berufswahl. Wer will verhindern, dass sie sich nach einer Übergangszeit, wenn der Aufenthalt rechtlich abgesichert ist, nach einer anderen Tätigkeit umsehen? Hat man bedacht, dass auch Chinesen oder Inder eine Familie haben, in der es möglicherweise Pflegebedarf gibt? Wo sollen die Grenzen für den Nachzug der Angehörigen gesetzt werden?
Erstes Ziel sollte es aus unserer Sicht sein, die pflegebedürftigen Angehörigen in ihrer vertrauten Umgebung durch vertraute Menschen zu versorgen. Dabei spielen funktionierende Familienverbände eine große Rolle. Wir leben in einer Zeit, in der Leih- und Zeitarbeit schon längst nicht mehr nur die Auftragsspitzen eines Unternehmens abfangen, sondern zum ganz normalen Geschäftsmodell gehören.
Es wird von den Arbeitnehmern ein Maß an Flexibilität verlangt, das jedes Familienleben im Keim erstickt. Zahlreiche sächsische Pendler müssen teilweise schon mehr als zehn Jahre ihre Familien aus Arbeit im Westen ernähren. Solange die Abwanderung der jungen Menschen nicht gestoppt wird, kann auch der Großteil der Pflegebedürftigen nicht in der Familie aufgefangen werden, sondern vergrößert zwangsläufig die Aufgaben der Pflegedienste. Diese werden nicht nur zunehmend durch die Fülle der Aufgaben erdrückt, sondern auch durch die Bürokratie. Hier sind Vereinfachungen – auch technischer Art – dringend angezeigt.
Mein Dank gilt an dieser Stelle allen in der Pflege Beschäftigten, die nicht nur körperlich, sondern auch psychisch bis an die Belastungsgrenze gehen, und ebenso allen pflegenden Angehörigen, die sich teilweise jahre
lang, oft unter Verzicht auf Urlaub und Freizeit, aufopferungsvoll in der familiären Pflege einsetzen.
Auch wenn im Antrag auf viele Ursachen nicht eingegangen wird, zielt er doch in die richtige Richtung. Wir als NPD-Fraktion werden zustimmen, geht es doch darum, die Situation professioneller Pflegedienste wie auch pflegender Angehöriger zu würdigen, zu stärken und zu verbessern.
Meine Damen und Herren Abgeordneten! Wünscht ein Abgeordneter in der zweiten Runde noch das Wort? – Das kann ich nicht erkennen. Ich frage die Staatsregierung. – Frau Staatsministerin Claus, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ja, das Thema Pflege geht uns alle an, denn Pflege ist ein zentrales Zukunftsthema. Viele Entscheidungen müssen zentral in Berlin getroffen werden. Dafür, dass sich diese bei uns positiv auswirken, setze ich mich ein. Dazu habe ich hier schon häufig gesprochen. Wenn Sie denn mögen, können Sie mich gern im Bundesrat dabei unterstützen.
Selbstverständlich werden weitere Entscheidungen aber auch wesentlich von den Bedingungen vor Ort abhängen. Sehen wir uns die Situation in Sachsen genauer an. Betrachten wir nüchtern nur die Zahlen, dann stellen wir fest: Wir haben akut keinen Fachkräftemangel in der Pflege. Im Gegenteil, die Zahl der Arbeit suchenden Altenpfleger übersteigt nach Auskunft der Arbeitsagenturen die der angebotenen Stellen um das Dreifache. Schauen wir aber genauer hin, sehen wir, dass diese Zahlen sehr wohl trügerisch sein können. Temporär und regional haben wir sehr wohl einen erhöhten Fachkräftebedarf in der Pflege. Das kann ganz unterschiedliche Gründe haben. Nur ein Beispiel: Viele junge Menschen wollen in der Stadt leben und fehlen uns im ländlichen Raum, wo zugleich die Zahl unserer Hochbetagten steigt. Das wissen wir.
Hier wurde das Gutachten „Alter – Rente – Grundsicherung“ vom vergangenen Jahr nochmals angesprochen. Die Zahlen sprechen ihre eigene Sprache. Regional heruntergebrochen auf einen Zeitstrahl bis 2050 wissen wir, was auf uns zukommt. Es ist ein Spiegel dessen, was auf uns, was auf die Gesellschaft zukommt, worauf wir vorbereitet sein müssen.
Vieles haben wir bereits getan, haben wir auf den Weg gebracht, um uns auf diese Situation vorzubereiten. Wir haben eine moderne stationäre und teilstationäre Pflegelandschaft, in die mehr als 1,2 Milliarden Euro Förderung geflossen sind. Mehr als 10 000 Pflegedienste überneh
men im Land die ambulante Versorgung. Circa 600 Pflegeheime arbeiten auf einem hohen Niveau. Das, was dort vor Ort geleistet wird, verdient unseren allergrößten Respekt, Anerkennung und Dank.
Gleichwohl ist der größte Pflegedienst immer noch die Familie. Zwei Drittel der Pflegebedürftigen werden dort zu Hause versorgt. Dies geschieht nicht zuletzt deswegen, weil unsere Hochbetagten möglichst lange zu Hause in ihrem gewohnten Umfeld gepflegt und betreut werden wollen, und zwar mit sozialer Teilhabe.
Daher ist es mein Anliegen, eine Stärkung der häuslichen und ambulanten Pflege zu erreichen. Das Pflege-Neuausrichtungsgesetz setzt hier die richtigen Signale: zusätzliche Leistungen für selbstbestimmte Wohngruppen, die Flexibilisierung von Leistungen, die Leistungsverbesserung für Demenzkranke, mehr Leistungen für Angehörige. Ich habe auch sehr gern die Schirmherrschaft für verschiedene Präventionsprojekte bei der Rentenversicherung übernommen, die dort präventiv agieren wollen.
Dies alles sind Schritte in die richtige Richtung, wohl wissend, dass weitere folgen müssen. Hier kann ich besonders die Schnittstellenproblematik, zum Beispiel bei Krankenhausentlassungen hinüber in die häusliche Pflegesituation, nennen. Dort sehe ich sehr wohl Chancen, gemeinsam mit allen Leistungserbringern die Qualität zu erhöhen, um die Belastungen so niedrig wie möglich zu halten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Um diese Herausforderungen – Fachkräftebedarf, steigender Pflegebedarf, das Verhältnis von stationär zu ambulant – meistern zu können, müssen wir die Pflegeausbildung konzeptionell weiterentwickeln. Genau dies geschieht bereits.
Ich erinnere daran, dass wir in Sachsen 2011/2012 die zweijährige Ausbildung der Krankenpflegehelfer novelliert haben. Sie integriert den Hauptschulabschluss und sichert damit die Anschlussfähigkeit an weiterführende Pflegeberufe. Das Sächsische Weiterbildungsgesetz
Außerdem war auf der ASMK die Generalisierung der Pflegeberufe ein wichtiges Thema. Dieses Ziel werden wir auch nicht aus dem Auge verlieren. Schon jetzt können Hochschulen entscheiden, welche Fortbildung sie anstelle der allgemeinen oder fachgebundenen Hochschulreife anerkennen.
Ich bin überzeugt, eine ausgebildete Pflegefachkraft ist durch nichts zu ersetzen. Voraussetzung ist allerdings, dass sie vorzüglich ausgebildet ist. Genau das können wir in Sachsen gewährleisten.
Im Schuljahr 2011/2012 wurden insgesamt 4 889 Schüler an 66 Altenpflegeschulen in staatlicher oder freier Trägerschaft ausgebildet. Diese Zahl spricht für sich. Hinter
dieser Zahl stehen Menschen, die bereit sind, in diese schwierigen Berufe zu gehen und dort Verantwortung zu übernehmen. Wir müssen garantieren, dass sie solange wie möglich in diesem schweren Beruf arbeiten können.
Meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich habe mich in Berlin intensiv in den Pflegedialog eingebracht und immer wieder darauf hingewiesen, dass wir bei der Pflegeversicherung eine Demografiereserve brauchen. Eine Pflegeversicherung kann in Zukunft nur dann funktionieren, wenn sie solide, solidarisch und generationengerecht aufgestellt und finanziert ist.
Ja, wir müssen noch viele Schritte gehen, um uns für die nächsten Jahrzehnte so aufzustellen, dass man in unserem Land unbesorgt alt werden kann. Das gilt für das gesamte Bundesgebiet, aber wir sind mit unserem Altenquotienten von 37 im Verhältnis zu 30 im Bundesdurchschnitt Alterspionier. Das treibt mich um, das treibt mich an. Unser Projekt Altersbegleiter beispielsweise steht für bürgerschaftliches Engagement im vorpflegerischen Raum und entwickelt sich sehr gut. Mehr als 100 Projekte haben eine Förderung beantragt. Das Pflegenetz hat sich zu einem unentbehrlichen Instrument entwickelt, intensiv genutzt von Pflegebedürftigen, Angehörigen, Ärzten und Sozialdiensten.
Unser Landespflegeausschuss hat sich gerade wieder neu konstituiert. Dort sitzen alle Partner an einem Tisch und dort kann man auch steuern. Wir brauchen kein zusätzliches Gremium dafür.
Das Sächsische Betreuungs- und Wohnqualitätsgesetz ist verabschiedet und bietet endlich denjenigen Pflegebedürftigen, die in Wohngemeinschaften leben und eben nicht mehr imstande sind, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln, Schutz und Qualitätssicherung in der Pflege.
Ich will in Sachsen eine sichere Pflege. Dafür stehe ich ein, denn schlechte und gefährliche Pflege in Grauzonen ist zutiefst unmenschlich und unserer Gesellschaft unwürdig. Was uns wertvoll ist, muss uns auch etwas wert sein. Wenn wir gute Pflege wollen, dann müssen diejenigen, die diese schwere Arbeit leisten, auch ordentlich dafür bezahlt werden.
Ich kann an dieser Stelle nur an die Arbeitgeber bei der Liga, in der Parität, im PPA appellieren. Erwarten Sie nicht vom Staat, was Sie selbst tun müssen. Verhandeln Sie für Ihre stationären Einrichtungen, aber auch für Ihre ambulanten Pflegedienste mit den Pflegekassen. Drängen Sie darauf, dass Tariflohn bezahlt wird, der dann allerdings auch auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durchgereicht wird. Mir ist diesbezüglich kein Konflikt bekannt. Da muss ich dann auch nicht eingreifen, Frau Kollegin Herrmann.
Sie rufen einerseits immer nach neuen Gesetzen, andererseits wollen wir Bürokratie abbauen. Das bringt uns nicht weiter. Wir müssen neue Wege gehen und Visionen umsetzen. Allen, die uns auf diesem Weg unterstützen, danke ich.
Meine Damen und Herren! Wir kommen zum Schlusswort für die einreichenden Fraktionen. Frau Neukirch, bitte, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Clauß, wir nehmen es Ihnen ab, dass Sie sich in Berlin sehr darum bemühen, dass sich in diesem Bereich etwas verbessern muss. Ich weiß auch, dass Sie sich in Berlin im Gesundheits- und im Pflegebereich vor allem für die solidarische Sozialversicherung einsetzen. Das schätze ich sehr.
Allerdings ersetzt das nicht, dass wir in Sachsen ein einheitliches Konzept brauchen, mit dem wir all das umsetzen, was in Berlin mit Ihrer Hilfe durchgesetzt wird. Die Einführung mit dem Pflege-Bahr muss Ihnen irgendwie durchgerutscht sein. Aber ansonsten weiß ich, dass Sie für eine solidarische Sozialversicherung sind.
Ich stimme auch mit Ihnen darin überein, dass wir derzeit keinen Fachkräftemangel haben. Wir hatten vor einiger Zeit eine Veranstaltung mit Prof. Simon – er ist der Einzige, der bisher eine Studie über den Fachkräftebedarf in der Pflege gemacht hat –, der gesagt hat, warum das so ist. Wir haben derzeit einen Mangel, weil wir zu wenig Personal insgesamt im System eingepreist haben und zu wenig Personal als Bedarf vorhalten und auch zu wenig Personal finanzieren. Das ist das Problem.
Wenn Sie sich die Pflegesätze in Nordrhein-Westfalen anschauen, sehen Sie, dass man damit natürlich mehr Personal finanzieren kann.
Zu ihrem Appell an die Träger, dass sie sich dafür einsetzen sollen, gute Arbeitsbedingungen zu schaffen, muss ich sagen: Das tun sie schon. Aber sie agieren in einem bestimmten Rahmen, und dieser Rahmen ist politisch gesetzt. Wir haben in Sachsen die Tradition der niedrigen Pflegesätze. Sie wissen genau, wie Pflegesatzverhandlun