Zu ihrem Appell an die Träger, dass sie sich dafür einsetzen sollen, gute Arbeitsbedingungen zu schaffen, muss ich sagen: Das tun sie schon. Aber sie agieren in einem bestimmten Rahmen, und dieser Rahmen ist politisch gesetzt. Wir haben in Sachsen die Tradition der niedrigen Pflegesätze. Sie wissen genau, wie Pflegesatzverhandlun
gen ablaufen. Sie kommen nicht auf einen Niveauunterschied, der uns hier wirklich Abhilfe schafft. Nein, der Weg ist eher, dass Sie als politisch Verantwortliche sagen, welche Qualität Sie in den Einrichtungen und in der Pflege erwarten.
Diese Qualität muss mit ausreichend Personal umgesetzt werden. Aber solche einheitlichen Personalbemessungsvorschriften haben wir in Sachsen nicht.
Zu Herrn Wehner und Frau Schütz – sie sind jetzt leider nicht mehr da – wollte ich noch sagen: Reformstau heißt nicht, dass es vorher eine Reform gegeben hat. Das einzige Beispiel, das Herr Wehner gebracht hat, war das Pflege-Neuausrichtungsgesetz des Bundes. In Sachsen ist tatsächlich nichts weiter passiert.
Dass die Umlage vor Gericht gescheitert ist, ist schlecht. Gerade heute kam die Nachricht aus NordrheinWestfalen, dass dort 2 000 zusätzliche Ausbildungsplätze durch eine neue, gut ausgestaltete Pflegeausbildungsumlage geschaffen werden konnten.
(Staatsministerin Christine Clauß: Wir haben doch schon mal beim Gericht verloren! Wir müssen es doch nicht nochmal probieren, Frau Kollegin!)
Das sind alles Beispiele, an denen wir uns wirklich orientieren sollten und nicht immer dort hinschauen, wo es schlechter geht. Besonders die Umsetzung der Pflegestützpunkte in jedem Bundesland so zu machen, wie es vor Ort passt, zeigt doch, wie flexibel und nützlich es ist, wenn man eigene Konzepte hat und diese umsetzen möchte.
Meine Damen und Herren! Wir kommen nun zur Abstimmung. Ich rufe den Antrag in Drucksache 5/10337 und bitte bei Zustimmung um Ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Bei keinen Stimmenthaltungen, zahlreichen Dafür-Stimmen ist mehrheitlich die Drucksache 5/10337 nicht beschlossen.
Als Einbringerin spricht zuerst die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Es folgen in der ersten Runde: CDU, DIE LINKE, SPD, FDP, NPD und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Ich erteile Herrn Jennerjahn für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alle diejenigen, die sich schon länger mit dem Themenkomplex Rechtsextremismus in Sachsen befassen, werden die Befunde der Großen Anfrage kaum überraschen. Sachsen ist weiterhin ein Schwerpunkt der extremen Rechten, was sowohl den Bereich der Parteien – der sächsischen NPD geht es im Bundesvergleich aufgrund der Existenz der Landtagsfraktion gut – als auch den Bereich der parteiungebundenen Rechten betrifft.
Von bundesweit rund 6 000 Neonationalisten, die das Bundesamt für Verfassungsschutz ausmacht, stammen 1 000 aus Sachsen, also ein Sechstel. Sachsen ist nach wie vor eine Konzerthochburg. Jährlich finden über 40 Konzerte in Sachsen statt, bundesweit sind es circa 130 Konzerte, das heißt etwa ein Drittel der Konzertveranstaltungen finden in Sachsen statt. Auch wenn wir auf die rechtsextremen Vertriebsstrukturen einen Blick werfen, das heißt den Vertrieb rechtsextremer Musik oder anderer Neonazidevotionalien, stellen wir fest, dass Sachsen mit einer sehr umfassenden Struktur aus der Neonaziszene „gesegnet“ ist. Das hat ökonomische Konsequenzen. Die jährlichen Umsatzzahlen liegen bei rund 3,5 Millionen Euro. Dieser Umstand ist also nicht zu vernachlässigen.
Wenn ich jetzt noch in Rechnung stelle, dass die Staatsregierung darauf einen sehr engen Blick geworfen und nur auf den einschlägigen Versandhandel geschaut, Umfeldstrukturen aber nicht berücksichtigt hat – zum Beispiel den Umstand, dass bekannt ist, dass einzelne Neonazis nicht nur einen Nazimusikversandhandel haben, sondern auch noch eine Druckerei besitzen, T-Shirt-Druck betreiben und Hooliganbedarf zur Verfügung stellen –, dann steigt der Wert sicherlich noch deutlich an.
Weiterhin müssen wir konstatieren, dass große Teile des Unterstützernetzwerkes des NSU aus Sachsen stammen. Das ist im Grunde kaum mehr verwunderlich und nur der traurige Höhepunkt sächsischer Entwicklungen.
Die Anfrage zeigt aber auch, dass die NPD weiter an Bedeutung verliert. Die NPD ist seit Jahren mit rückläufigen Mitgliederzahlen konfrontiert. Natürlich sind Prognosen von zwei Jahren schwierig. Nichtsdestotrotz bin ich vorsichtig optimistisch, dass es uns gelingen kann, die NPD im Jahr 2014 aus dem Landtag zu drängen. Die
Das hat aber auch eine Kehrseite, denn an der Stelle könnte sich der sehr verengte Fokus des Ministerpräsidenten auf ein NPD-Verbotsverfahren rächen. Wenn die Bedeutung der NPD weiterhin sinkt, besteht die ernsthafte Gefahr, dass ein Verbotsverfahren spätestens vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte scheitert, denn der bewertet bei der Frage nach der Rechtmäßigkeit eines Parteienverbotes auch die Bedeutung der infrage stehenden Partei. Nur, wenn eine konkrete Gefahr ausgeht, hält der Europäische Gerichtshof ein Verbot für zulässig.
Die Diskussion um ein NPD-Verbotsverfahren im Rahmen der NSU-Aufdeckung scheint mir daher eher eine Nebelkerze zu sein, um nicht diskutieren zu müssen, was tatsächlich ansteht. Das haben wir heute Morgen wieder bei der Diskussion um den Dringlichen Antrag festgestellt. Es stellt sich nach wie vor die Frage, an welchen Stellen die Behörden nicht genug in der Verfolgung des NSU-Trios und seines Unterstützernetzwerkes getan haben. Dabei steht selbstverständlich auch die Aufarbeitung der Verharmlosung des Rechtsextremismus in Sachsen in den Neunzigerjahren und teilweise bis heute im Mittelpunkt der Fragestellung.
Das heißt nicht, dass wir uns nicht mit der NPD befassen müssten, aber es darf nicht die einzige Fragestellung bzw. der einzige Fokus sein, vor allem dann nicht, wenn man neben der bereits erwähnten herausgehobenen Stellung Sachsens auch die Verschiebungen innerhalb der parteiungebundenen extremen Rechten betrachtet.
Die Anfrage zeigt, dass das neonationalsozialistische Spektrum wächst und dass es eine Tendenz zu besser vernetzten Strukturen gibt.
In unserer letzten Großen Anfrage aus dem Jahr 2008 listete die Staatsregierung zehn Kameradschaften auf – heute sind es bereits 19. Es scheint aber auch – wenn man die Große Anfrage betrachtet –, dass es dem Landesamt für Verfassungsschutz einfacher fällt, die parteigebundene Rechte zu beobachten als weniger strukturierte Gruppen.
Das zeigt sich bei der nach wie vor gegebenen Falschbewertung des freien Netzes als reine Internetplattform, das zeigt sich bei den Fragen nach möglichen Unterwanderungstendenzen von Initiativen, die definitiv nicht der extremen Rechten zuzuordnen sind. So gibt es beispielsweise laut Auskunft der Staatsregierung wenig bis keine
Erkenntnisse, ob und wie sich Nazis in Vereinen im Bereich Umweltschutz, Kinder- und Jugendarbeit oder Sport engagieren, obwohl das Beispiel des Fußballclubs Energie Görlitz, bei dem mehrere Spieler und ein Trainer wegen rechter Straftaten vor Gericht standen, und auch im Raume steht, dass mehrere Mitglieder der regionalen Kameradschaft zur Mannschaft gehören, deutlich gemacht hat, was passieren kann.
Darüber hinaus gibt es aber auch Leerstellen bei Fragen nach Verbindungen von Nazis in die Organisierte Kriminalität oder in Sicherheitsdienste. Das verwundert mich insofern, weil vor nicht allzu langer Zeit der aktuelle Präsident des LfV durchaus festgestellt hat, dass es dort Probleme gibt, und auch bei der Aufklärung von Blood and Honour, dem entscheidenden Netzwerk der NSUUnterstützer, und dem Weiterwirken der Akteure nach dem Verbot ist kein Aufklärungswille zu sehen – weder bei der Staatsregierung noch beim LfV. Das hat die Antwort der Staatsregierung auf einen Antrag der LINKEN und das Auftreten des stellvertretenden LfVPräsidenten, Dr. Olaf Vahrenhold, in einer Ausschusssitzung letzte Woche gezeigt.
Das war eine Anhörung; danke schön. – Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Wir wissen, dass zum Verstehen des NSU eine systematische Auseinandersetzung mit Blood and Honour, eine Aufhellung von deren Strukturen, Verletzungen und ideologischen Grundlagen unerlässlich ist, und die Staatsregierung und das LfV haben kein Interesse daran, genau diese Arbeit zu leisten.
Das ist ein Phänomen, das mir in öffentlichen Anhörungen des Innenausschusses zu Problembereichen der extremen Rechten schon häufiger aufgefallen ist. Wir haben dort häufig szenekundige Experten aus der Zivilgesellschaft oder dem Medienbereich, die auf vergleichbar wenige Ressourcen zurückgreifen können, uns aber eine Vielzahl wertvoller Hinweise über Vernetzungen und Wirkmechanismen der extremen Rechten präsentieren. Wir haben auf der anderen Seite eine Behörde, die mit sehr vielen Ressourcen ausgestattet ist, uns aber meist nur mit Oberflächlichkeiten abspeist.
Unterm Strich wird ein Problem deutlich: Es scheint, dass alles, was die Staatsregierung über die extreme Rechte in Sachsen weiß, vom LfV kommt, und das Bild, dass das LfV von der extremen Rechten zeichnet, ist aber – wie eben geschildert – höchst lückenhaft.
Um die extreme Rechte zurückzudrängen, müssen wir aber wissen, was Menschen für rechtes Gedankengut anfällig macht. Dabei kann man sich, sehr geehrter Herr Innenminister, nicht auf das LfV verlassen. Das ist nicht seine Aufgabe und dazu taugt auch Ihr Extremismusbegriff nichts, mit dem Sie ja nach wie vor arbeiten. Denn eigentlich müsste man sich mit Rassismus, Hetze gegen Muslime, Ressentiments gegen Schwule und Lesben
auseinandersetzen, und man müsste sich ernsthaft mit der Spezifik der extremen Rechten auseinandersetzen. Das ist eben derzeit nicht die tatsächlich gegebene Gefahr für den Bestand des Staates, sondern das ist die ganz konkrete, alltägliche Gefahr mitsamt der Ausbildung von Angsträumen für all diejenigen, die nicht in das menschenverachtende Weltbild der extremen Rechten passen.
Präventionsarbeit kann aber nur dann zielgerichtet geschehen, wenn klar ist, wogegen vorgebeugt werden soll. Daher sind aus unserer Sicht zwei Dinge dringend notwendig: Zum einen braucht Sachsen regelmäßige Erhebungen über die Einstellung der Bevölkerung zu Demokratie, Rassismus, Homophobie, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit und andere Formen von Menschenfeindlichkeit. Thüringen ist dafür ein gutes Beispiel. Dort finden im Auftrag der Staatskanzlei regelmäßige Befragungen durch die Universität Jena statt, die genau solche Erhebungen systematisch durchführt. Zum anderen muss die Staatsregierung verstärkt auf wissenschaftliche und zivilgesellschaftliche Expertisen bei der Auseinandersetzung mit antidemokratischen Einstellungsmustern zurückgreifen.
Aber: Wenn die Staatsregierung endlich anerkennt, dass regionale Vereine und Initiativen in der Arbeit gegen Nazis nicht nur wichtig, sondern eben die entscheidenden Akteure sind, die demokratisches Engagement vor Ort erlebbar machen, dann muss sie in der Konsequenz endlich auch ihre Misstrauenshaltung gegenüber diesen Aktiven ablegen und die Extremismusklausel streichen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Große Anfrage der GRÜNEN, 477 Fragen, wurde in fünf Fragenkomplexen auf 138 Seiten von der Staatsregierung beantwortet.
Es lässt sich am Anfang konstatieren, dass ein wesentlicher Teil dieser Fragen nachzulesen war im Verfassungsschutzbericht 2011, in sonstigen Publikationen, die seitens des Landesamtes oder von anderen staatlichen Organisationen veröffentlicht wurden bzw. dass, insbesondere Begriffsdefinitionen betreffend, dies sicherlich auch in der Fachliteratur jederzeit nachlesbar war.
Zur Sache selbst: Die Beobachtung rechtsextremistischer Bestrebungen ist die Aufgabe des Verfassungsschutzes. Es ist aber nur eine Aufgabe des Verfassungsschutzes. Ihm obliegt als Garant der wehrhaften Demokratie, rechtzeitig die Staatsregierung, die Strafverfolgungsbehörden – sprich: Polizei und Staatsanwaltschaft –, die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Land und nicht zuletzt die Öffentlichkeit über Gefahren zu informieren, die unserem
freiheitlichen Rechtsstaat, unserer Gesellschaft insbesondere durch Extremisten oder Terroristen drohen.
Die konkreten Aufgaben ergeben sich aus dem Sächsischen Verfassungsschutzgesetz. Demnach obliegt dem Landesamt für Verfassungsschutz die Sammlung und Auswertung von Informationen zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit unseres Landes. Bestrebungen und Organisationen sind extremistisch, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass durch Verhaltensweisen und Verhandlungen die freiheitliche demokratische Grundordnung beeinträchtigt oder beseitigt werden soll.