Protokoll der Sitzung vom 18.10.2012

Die konkreten Aufgaben ergeben sich aus dem Sächsischen Verfassungsschutzgesetz. Demnach obliegt dem Landesamt für Verfassungsschutz die Sammlung und Auswertung von Informationen zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit unseres Landes. Bestrebungen und Organisationen sind extremistisch, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass durch Verhaltensweisen und Verhandlungen die freiheitliche demokratische Grundordnung beeinträchtigt oder beseitigt werden soll.

Bestrebungen dieser Art gehen insbesondere von links, rechts oder ausländerextremistischen Gruppen aus. Der Verfassungsschutz dient dem Schutz des Kernbestandes unserer verfassungsmäßigen Ordnung. Darüber hinaus obliegt ihm eine Reihe von Mitwirkungsaufgaben im staatlichen Handeln.

Zwei Punkte möchte ich an dieser Stelle deutlich herausstellen: Erstens. Gerade vor dem Hintergrund der laufenden Untersuchungen zum Handeln staatlicher Behörden und Institutionen sowie möglichen Fehlern und Defiziten im Zusammenhang mit den Handlungen des Nationalsozialistischen Untergrundes, die meine Fraktion ausdrücklich unterstützt, möchte ich an dieser Stelle auch einmal den vielen engagierten Mitarbeitern im Landesamt für Verfassungsschutz für ihre wertvolle Arbeit danken.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Das Fehlverhalten Einzelner oder organisatorische strukturelle Mängel dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier insgesamt eine gute Arbeit geleistet wird.

Zweitens. Die laufende Diskussion zum Handeln des Verfassungsschutzes im Zusammenhang mit dem NSU darf nicht dazu führen, dass die Organisation und die Arbeit des Verfassungsschutzes infrage gestellt werden. Hier möchte ich an die Geschichte von Wilhelm Busch mit Igel und Fuchs erinnern. Der Igel ist letzten Endes schlecht beraten, dem Fuchs ohne Stachelkleid entgegenzutreten. Die Vorgänge müssen aufgeklärt und bewertet werden, Verantwortlichkeiten beurteilt, organisatorische und strukturelle Defizite behoben und sonstige Mängel, soweit sie festgestellt werden, beseitigt werden.

Die Staatsregierung – hier möchte ich insbesondere Staatsminister Ulbig nennen – hat erste Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeit des Verfassungsschutzes ergriffen. Beispielsweise seien die Gemeinsame Informations- und Analysestelle, GIAS, von Landespolizei und Verfassungsschutz oder die auf Bundesebene errichtete gemeinsame Datenbank für gewaltbereite Rechtsextremisten, RED, genannt.

Die Vernetzung und Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden ist weiter zu verbessern, ohne die eigene sächsische Zuständigkeit infrage zu stellen.

Heute geht es aber in der Großen Anfrage um die Beobachtung rechtsextremistischer Bestrebungen und

Organisationen. Dabei ist festzustellen, dass sich die Neonationalsozialisten vor allem zulasten der NPD zur zahlenmäßig größten Gruppe innerhalb des rechtsextremistischen Spektrums entwickelt haben. Die Neonationalsozialisten haben sich von 2005 bis 2010 fast verdoppelt, bei gleichzeitiger Reduzierung der rechtsextremistischen Strukturen in Sachsen insgesamt.

Neonationalsozialisten sind jedoch auch die aktivsten Rechtsextremisten. Letzten Endes gehen 34 der 47 Demonstrationen und Aufzüge von Rechtsextremisten im letzten Jahr auf neonationalsozialistische Organisationen und Strukturen zurück. Neonationalsozialisten sind bundesweit gut vernetzt. Allerdings zwang das Handeln und Agieren der Behörden die Neonationalsozialisten auch zu einer höheren Konspiration. Sie mussten etwas in den Untergrund, offene Kommunikation wurde eingeschränkt. Zunehmende Desorientierung und Strategielosigkeit prägt auch hier das Handeln. Allerdings kam es in Einzelfällen auch immer wieder zu einem Radikalisierungsprozess.

Es bleibt zu konstatieren: Die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus, mit dem Neonationalsozialismus, den Strukturen, ist zwingend und geboten und darf sich in der Tat nicht allein auf die NPD konzentrieren.

(Beifall bei der CDU)

Die Zahl der rechtsextremistischen Konzerte ist im Gegensatz zu den Vorjahren rückläufig. Das ist eine Trendwende, die wir im letzten Jahr verzeichnen konnten. Trotzdem – und das bleibt zu konstatieren – ist der Freistaat Sachsen nach wie vor einer der bundesweiten Schwerpunkte von solchen Konzerten. Auch hier besteht weiterhin Handlungsbedarf, den wir auch geboten sehen.

Zum Schluss lassen Sie mich noch feststellen, dass die vorliegende Große Anfrage der Fraktion GRÜNE nicht geeignet ist, das Thema angemessen aufzuarbeiten und zu bewerten. 477 Fragen, von denen den größten Teil sich der Fragesteller beim Lesen des Verfassungsschutzberichtes 2011 und verschiedener anderer durch das Landesamt für Verfassungsschutz veröffentlichter Publikationen hätte selbst beantworten können, wurden durch die Staatsregierung beantwortet.

Folgerichtig sind die Antworten auch wieder an vielen Stellen mit dem Verfassungsschutzbericht identisch. Ich möchte deshalb an dieser Stelle auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern danken, die in der Sommerpause diese umfangreiche Zuarbeit geliefert haben.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die wissenschaftliche Bewertung des Rechtsextremismus ist nicht Aufgabe staatlicher Institutionen und Behörden – diese sind zur politischen Neutralität verpflichtet und haben ihr Handeln aufgrund gesetzlicher Bestimmungen zu regeln –, sondern Wesenskern und Handlungsschwerpunkt staatlichen Handelns, wie der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, unserer freiheitlichen

demokratischen Gesellschaftsordnung und der Grundrechte. Die Frage wissenschaftlicher Bewertung des Rechtsextremismus und die Frage der Bewertung des Rechtsextremismus in der Gesellschaft sind vor allem Aufgabe der gesellschaftlichen Diskussion und der gesellschaftlichen Bewertung.

(Beifall bei der CDU)

Lassen Sie uns in den kommenden Wochen und Monaten eine sachlich-konstruktive Diskussion zur Arbeit und Struktur des Verfassungsschutzes im Kampf gegen Extremismus und Terrorismus führen. Die Menschen in unserem Land erwarten zu Recht vom Parlament Lösungen und ein verantwortungsvolles Handeln.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Frau Köditz als nächste Rednerin, bitte.

(Jürgen Gansel, NPD: Da ist sie wieder, Miss Marple!)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat zum Gegenstand

rechtsextremistische Bestrebungen und Organisationen im Freistaat Sachsen und nicht das Landesamt für Verfassungsschutz. Das möchte ich meinen Ausführungen vorwegstellen.

Wenn wir uns die Realitäten in Sachsen ansehen, zeigt sich leider ein anderes Bild, als die Antwort der Staatsregierung auf diese Große Anfrage uns glauben lassen will. Ich beginne mit einem Zitat: „Wir lassen unsere Fahnen mit dem Lambda darauf hoch wehen. Jenes Lambda, das den Schild der ruhmreichen Spartaner schmückte, ist unser Symbol. Sie verstehen nicht, was das bedeutet? – Es bedeutet, dass wir nicht zurückweichen werden, dass wir nicht widerrufen werden. Wir haben alle Weichheit hinter uns gelassen. Wir werden vor keiner Schlacht und vor keiner Herausforderung zurückweichen. Damit Sie uns richtig verstehen: Dieser Text ist nicht nur einfach ein Manifest, dieser Text ist eine Kriegserklärung. Wir sind die von morgen, Sie sind die von gestern.“

Dieser Text findet sich aktuell auf der Internetseite „Heimattreues Geithain“, der Gruppe um den dortigen NPDStadtrat. Selbstverständlich ist das alles nur geklaut. Es handelt sich um die Übernahme und eine sehr schlechte Übersetzung eines französischen Videos der „Génération Identitaire“, der „Generation der Identität“. Inzwischen gibt es auf Facebook eine sich genau daran orientierende Gruppe: „Identitäre Bewegung Sachsen“.

Für jene, die die Brisanz nicht begriffen haben, noch einmal in aller Deutlichkeit: Im Jahre 480 vor unserer Zeitrechnung deckte der Spartanerkönig Leonidas bei der Schlacht an den Thermopylen den Rückzug des Hellenischen Heeres mit nur 300 Mann gegen ein persisches

Heer von mehr als 50 000 Soldaten. Alle fielen. Bis auf den letzten Mann.

Die zitierte Kriegserklärung bedeutet also, dass eine winzige Minderheit entschlossen ist, mit allen Mitteln gegen eine übergroße Mehrheit zu kämpfen und das Recht dabei auf ihrer Seite sieht. Das mag man im Krieg heldenhaft nennen, im innerstaatlichen Leben im Frieden nennt man es schlicht Terrorismus. Wer sich dabei nicht an den NSU erinnert fühlt, hat wahrscheinlich das vergangene Jahr verschlafen. Das genau ist der Geist des NSU.

(Jürgen Gansel, NPD: Fragen Sie einmal in Connewitz nach!)

Es ist die „Generation der Identität“, an die der NPDStadtrat vom „Heimattreuen Geithain“ anknüpft.

Identität ist das Schlüsselwort, und wenn wir das wissen, verstehen wir auch den gestrigen Antrag der NPD besser. „Mut zur Identität, das Eigene verteidigen“ hieß es gestern. „Mut zur Identität“ war übrigens 1988 eine der ersten rassistischen Grundlagenschriften, die „Alternativen zum Prinzip der Gleichheit“ aufzeigen wollte. Einer der Autoren in dem damaligen Band war der französische neurechte Theoretiker Alain de Benoist mit einer Brandschrift gegen die Menschenrechte. Derselbe Autor schreibt auch in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift „hier & jetzt“, herausgegeben vom „Bildungswerk für Heimat und nationale Identität“,

(Jürgen Gansel, NPD: Das sind ja schauerliche Worte!)

dessen Köpfe auf den Bänken der NPD-Fraktion nicht nur sitzen, sondern jetzt auch rumbrüllen. Somit ist es nur folgerichtig,

(Jürgen Gansel, NPD: Die hat schwer einen an der Waffel – Weitere Zurufe von der NPD – Starke Unruhe)

wenn diese NPD in einem Antrag zur Verfassungsänderung – –

(Laute, anhaltende Proteste vonseiten der NPD)

Frau Köditz, einen kleinen Moment, bitte. Wir halten einmal kurz die Redezeit an.

Herr Gansel, ich erteile Ihnen jetzt einen Ordnungsruf. Sie haben Frau Köditz – die Worte möchte ich jetzt nicht wiederholen, das können wir dann im Protokoll nachlesen – beleidigt.

(Jürgen Gansel, NPD: Ich wiederhole das noch einmal!)

Sie können das gerne machen, wenn Sie das wollen. Ich würde davon Gebrauch machen, Sie möglicherweise noch einmal zu verwarnen, aber Sie haben jetzt erst einmal einen Ordnungsruf dafür verdient.

(Beifall bei den LINKEN und der SPD)

Bitte, Frau Köditz, fahren Sie fort.

Vielen Dank, Herr Präsident. Damit war es auch nur folgerichtig, wenn diese NPD in einem Antrag zur Verfassungsänderung die Formulierung „Sächsische nationale und abendländische Identität“ wählt. Warum erwähne ich das so ausführlich? – Weil das wieder einmal nachdrücklich unterstreicht, dass die Staatsregierung nicht in der Lage ist, Veränderungen, Tendenzen oder gar strategische Entwicklungen bei der extremen Rechten zu erkennen oder gar zu analysieren. Auf sieben Fragen der GRÜNEN in der Großen Anfrage zum Komplex „Theoretiker und Ideologiewandel“ antworten Sie, Herr Minister, auf einer halben Seite. Das ist nicht nur vom Umfang her dürftig und vor allem erbärmlich.

Ich zitiere aus Ihrer Antwort, Herr Minister: „Nennenswerte Theorieentwicklungen rechtsextremistischer Ideologien lassen sich nicht feststellen. Daher lassen sich auch keine herausgehobenen Theoretiker ausmachen.“

Ja, wenn die Analysefähigkeit in Ihrem Haus so schlecht ist, dass nicht einmal bemerkt wird, dass der von Ihnen als zentral eingestufte Begriff der „Volksgemeinschaft“ auch wegen seiner historischen Belastung immer stärker durch das Wort „Identität“ abgelöst wird, dann wundert es mich wirklich nicht mehr, dass Sie hilflos von Brandherd zu Brandherd hüpfen und versuchen, jeden einzelnen mit der Gießkanne zu löschen. Dann ist das nämlich das Resultat solch blühenden, aus meiner Sicht Unsinns wie die Behauptung, die extreme Rechte orientiere sich an Gregor und Otto Strasser, aber auch an Ernst Niekisch. Mehr wird nicht genannt.

Wenn ich in die bereits erwähnte „hier & jetzt“ schaue, dann sehe ich als Autoren vor allem Theoretiker der europäischen neuen Rechten: Alain de Benoist, Robert Steuckers oder Tomislav Sunic, Paul Gottfried oder Volkmar Weiss, Günter Maschke oder Bernd Rabehl. Das sind die ideologischen Leitfiguren. Die Strassers und Niekisch sind Schnee von gestern.

Aber, Herr Minister, Sie können das ja auch leider nicht richtig registrieren, da Ihre Einschätzung der Zeitschrift „hier & jetzt“ die Realität bestenfalls streift. Sie schreiben auf Seite 107 „Die offensichtlichen Bemühungen, auch Artikel aufzunehmen, deren Inhalte nicht rechtsextremistisch sind, erscheinen als lediglich taktisches Mittel, um das Bild einer pluralistischen Diskussionskultur zu erzeugen.“ Vielleicht hätten ja die wenigen Buchanschaffungen, die das Landesamt für Verfassungsschutz seit 2000 getätigt hat, was wir dank einer Kleinen Anfrage von Kollegen Homann wissen, wenigstens gelesen würden, dann könnten vielleicht solche drastischen Fehleinschätzungen vermieden werden. Aus Erfahrungen, Herr Minister, befürchte ich allerdings auch in diesem Bereich eine gewisse Lernverweigerung.