Protokoll der Sitzung vom 18.10.2012

vor Augen zu führen. Vielleicht wären auch ganz andere Zahlen herausgekommen. Nur darüber zu philosophieren, was alles Geld kostet – da könnte ich Ihnen noch ganz andere Dinge nennen.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Blabla!)

Eine weitere Kurzintervention trägt jetzt Kollege Jennerjahn vor.

Herr Präsident, vielen Dank! Kollege Schreiber, ich habe mit etwas Verwunderung vernommen, dass Sie gesagt haben, die CDU hätte nie in Anspruch genommen, stellvertretend für ganz Sachsen zu sprechen.

Ich möchte auf Ihr Landtagswahlprogramm 2009 verweisen. Dort gibt es die Zitate „Wir sind die Sachsenpartei“ und „Wir sind die Partei der Sachsen“. Ich erinnere auch an den Wahlkampf des Ministerpräsidenten, der als „Der Sachse“ präsentiert wurde.

(Unruhe bei der CDU)

Das ist eine aggressive Ausgrenzungsrhetorik, mit der Sie für sich in Anspruch nehmen, nur der Freistaat Sachsen sein zu können. Wenn man sich das genauer betrachtet und die Rhetorik auseinandernimmt, machen Sie im Umkehrschluss damit deutlich: Wenn Sie die Partei der Sachsen sind, kann im Grunde genommen keine andere Partei hier im Raum für Sachsen oder für die Sachsen sprechen. Sie stellen auch in Abrede – das ist die logische Konsequenz –, dass jemand, der andere Parteien wählt, zum Freistaat Sachsen eigentlich dazugehört. Das ist, wie gesagt, eine wirklich aggressive Ausgrenzungsrhetorik, die Sie dort fahren.

(Oh-Rufe von der CDU)

Insofern wäre es einmal angezeigt, von dieser Selbstherrlichkeit ein Stück weit wegzukommen und das kritisch zur Kenntnis zu nehmen.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und vereinzelt bei den LINKEN)

Das war eine Kurzintervention. Wollen Sie darauf reagieren? – Bitte, Herr Kollege Schreiber.

Herr Jennerjahn, bei allem Respekt: Aber wenn Sie sich einmal nicht ausgegrenzt fühlen, dann sind Sie wahrscheinlich krank.

(Heiterkeit bei der CDU – Beifall des Abg. Christian Piwarz, CDU)

Hören Sie doch auf, mit dieser weinerlichen Methode hier in irgendeiner Art und Weise Mitleid ernten zu wollen. Wir verurteilen niemanden, der von sich behauptet,

(Zuruf des Abg. Johanne Lichdi, GRÜNE)

Sachse zu sein. Genauso nehmen wir für uns in Anspruch, dass wir Sachsen sind. Wenn ein Ministerpräsident auf ein Wahlplakat schreibt „Der Sachse“ oder „Ein Sachse“, dann ist das doch überhaupt nicht schlimm. Genauso wenig ist es schlimm,

(Unruhe bei den GRÜNEN)

wenn die SPD auf ihr Wahlplakat schreibt „sachsengerecht“ oder auf ihre Homepage „Anpacken für Sachsen“ oder sonst irgendetwas. Warum ist das ein Problem? Jede andere Partei hat das gleiche Recht, sich in Sachsen zu verwirklichen.

(Unruhe bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Wie sich aber die Menschen in diesem Freistaat seit 22 Jahren entscheiden, das haben wir auf dem Tisch liegen.

Wir fahren in der Rednerreihenfolge fort. Das Wort ergreift für die miteinbringende Fraktion der FDP Frau Kollegin Schütz.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja eine sehr aufregende Diskussion. Auch wenn Sie von links und von den GRÜNEN es nicht gern hören wollen: Ja, es gibt noch die Jugendlichen, die nach ihrer Berufsausbildung zielstrebig ins Berufsleben einsteigen, eine Familie gründen und eine eigene Wohnung haben. Das sind mehr als 75 % in Sachsen.

(Elke Herrmann, GRÜNE: Warum sollten wir das nicht gern hören? Was ist das denn für ein Scheiß?!)

Die Studie zeigt ganz deutlich, dass Sachsen die Trendwende schaffen kann. Wir haben ein tiefes Tal aus den Neunzigerjahren um die Jahrtausendwende beschritten. Wir haben positive Zahlen in Sachsen, was den sächsischen Arbeitsmarkt und die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit, die wir jemals hatten, betrifft.

(Zuruf des Abg. Enrico Stange, DIE LINKE)

Wir haben eine ausgezeichnete Bildungslandschaft, angefangen bei den Kitas über die Schulen bis hin zu den Hochschulen. Sachsen ist ein attraktives Land, und das zeigt nicht nur diese Studie. Das zeigt auch die HISStudie von 2012, die die Schulabgänger von 1990 begleitet hat. Sie können diese Lebensverläufe fast täglich in der „Sächsischen Zeitung“ verfolgen, die genau diese Situation beschreiben, durch welches Tal sie gegangen sind und wie positiv sie heute Sachsen sehen.

Wir als Sachsen sind neben Baden-Württemberg und nach Bayern das Land, in dem Absolventen und Akademikernachwuchs am ehesten bleiben, leben und arbeiten wollen. Das ist ein sehr, sehr positives Zeichen für Sachsen. Wir haben die besten Rahmenbedingungen, was das unternehmerfreundliche Klima betrifft und was Menschen betrifft, die offen sind. Menschen, die fortschrittsoffen sind, die Fortschritt in ihrem Land tatsächlich wollen und Technik und Innovationen nicht verteufeln. Wir machen gute Angebote für Kinder. Aus der Studie geht hervor: Freiheit und Familie sind hier in Sachsen kein Widerspruch.

An Sie, Herr Gebhardt, sei gerichtet: Kinder sind nicht selbstverständlich. Wir haben mittlerweile Generationen, von denen 30 bis 40 % keine Kinder haben. Auch die Enquete-Kommission „Demografischer Wandel“ aus der letzten Legislaturperiode hat das als sehr positives Zeichen hervorgehoben, dass für Sachsen Familie und Kinder

dazugehören, mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Das ist ein sehr wichtiger Aspekt.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Staatsregierung)

Drei Viertel der Jugendlichen haben einen Kinderwunsch. 78 % wollen Familie, ihnen sind Kinder wichtig. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie haben wir als Koalition uns mit auf die Fahnen geschrieben.

Wenn 59 % der Jugendlichen meinen, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sei schwierig, dann ist das wohl eher dem geschuldet, dass sie diese Erfahrung noch nicht gemacht haben. Wir haben ein hervorragend ausgebautes Netz an Kindertagesbetreuung, das sich dann in der Schule – sprich: im Hort – fortsetzt. Wenn junge Menschen die Arbeitsmarktbedingungen in Sachsen zu 50 % mit gut und 20 % teils, teils – wie es in anderen Bundesländern ist – einschätzen, dann haben wir hier die besten Voraussetzungen, unser Sachsen, unsere sächsische Heimat so lebenswert zu machen und unsere jungen Menschen und Familien hier zu behalten und ihnen zu sagen: Eure Wahrnehmung ist richtig – in Sachsen lohnt es sich zu leben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Staatsregierung)

Das war für die FDPFraktion Frau Kollegin Schütz. Für die Fraktion DIE LINKE spricht Frau Kollegin Werner.

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Schreiber, ich würde mich gern mit Ihnen über diese positiv gestimmte Jugend freuen, die an Zukunft und Karriere glaubt. Aber selbst, wenn man Ihre zweifelhafte Umfrage – Sie nennen es Jugendstudie des Freistaates Sachsen – ernst nimmt, ist die Bewertung attraktive Heimat, positive Perspektiven für Sachsens Jugend nur mit altersbedingter Sehbeeinträchtigung oder einem sehr, sehr kleinen Anspruch zu erklären.

(Christian Piwarz, CDU: Oh!)

Was sagt die Umfrage noch aus? Ein Drittel will abwandern. 24 % sehen mit Befürchtung in die Zukunft. Über die Hälfte sieht Probleme bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Kinder in die Welt zu setzen halten 10 % für nicht verantwortlich und 36 % für eher unverantwortlich. 33 % ist es nicht wichtig, in der Heimat, in der vertrauten Umgebung zu bleiben. Nur 45 % halten die Rahmenbedingungen für die Verwirklichung ihrer Lebensziele hier in Sachsen für gut. Ich frage mich: An welcher Stelle ist das attraktiv?

Studien, die diesen Namen wirklich verdienen, sind aussagekräftiger. Beispielsweise ist die Zuversicht der Jugendlichen aus sozial benachteiligten Haushalten weiter gesunken. Die Kluft zwischen den Milieus verschärft sich, so zum Beispiel die 16. Shell-Jugendstudie. Die

Sinus-Jugendstudie besagt, dass die Resignation der sozial Abgehängten weiter zunimmt. Sie stehen unter einem großen Belastungsdruck und sind sich unsicher, was ihre Berufsaussichten angeht. Es gibt die Abgrenzung genau gegenüber diesen sozial Abgehängten. Es gibt die Tendenz der Entsolidarisierung.

Wenn Sie Jugendliche und ihre Zukunftsaussichten wirklich ernst nehmen würden, dann würden Sie nicht solche aussagelosen und nichtssagenden Fragen stellen. Sie würden Fragen stellen, die die Lebenswelt junger Menschen wirklich betreffen. Sie würden Antworten suchen, die nicht für Werbezwecke missbraucht werden können, sondern die wichtig sind für eine politische Arbeit mit Langzeitwirkung. Hierin liegt das Problem: Man glaubt, Sie wollen das eigentlich gar nicht haben.

Man kennt die Reflexion auf jegliche Untersuchungen. Sie fokussieren immer auf die Spitze,

(Christian Piwarz, CDU: Auf die Breite!)

auf das, was gut gewesen ist, auf den guten und nützlichen Jugendlichen,

(Patrick Schreiber, CDU: Auf die Mehrheit, Frau Werner!)

aber die Probleme benennen Sie nicht.

Was ist mit den 10 bis 15 % Jugendlichen, die sich in einem sogenannten Abstiegsstrudel befinden?

(Christian Piwarz, CDU: Das ist der Rand!)

Der Rand ist das.

Was ist mit den 11,8 % Jugendlichen, die ohne Schulabschluss die Schule verlassen? Da sind wir im bundesweiten Durchschnitt spitze. Der bundesweite Durchschnitt liegt bei 7,2 %. Wo ist Ihre Antwort auf die explosionsartig wachsenden Kosten bei den Hilfen für Erziehung? In fünf Jahren sind die Kosten um 30 Millionen Euro für die Kommunen gestiegen. Wo sind Ihre Konzepte zur Bekämpfung von Kinder- und Jugendarbeit? Wo ist Ihr Blick auf die Gesamtheit? Perspektiven heißt doch nicht nur Heimat, arbeiten und Kinder zeugen. Perspektiven heißt einfach mehr, zumindest für junge Leute.

(Beifall bei den LINKEN)