Protokoll der Sitzung vom 14.12.2012

Andererseits – auch das wurde gesagt – hat sich eine Minderheit von sechs Mitgliedern des Ethikrates gegen die Abschaffung der Angebote zur anonymen Kindesabgabe ausgesprochen. Sie argumentieren, dass Babyklappe und anonyme Geburt ein letzter Ausweg für jenen kleinen

Kreis von Eltern und Frauen sein können, die den Weg zu Beratungsstellen nicht finden.

Es wurde bereits gesagt, dass sich das Deutsche Jugendinstitut im Auftrag der Bundesregierung mit der Problematik beschäftigt hat, denn der Ethikrat konnte sich nur auf Schätzungen berufen. Offen blieb, welche psychologischen Auswirkungen die dauerhafte Anonymität der Eltern auf die Kinder hat. Zum Teil wurde darauf hingewiesen, dass die Studie unglaubliche Ergebnisse hervorbrachte. Es gibt keine gesetzliche Aufsicht, keine Pflicht zur Dokumentation, keine einheitlichen Verfahren, keine zentrale Erfassung, keine Kontrollen. Nach der derzeitigen Praxis könnte im Prinzip jeder Mann in seinem Privathaus eine Babyklappe anbringen. Man muss auch kein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen.

Im Ergebnis der Studie wurden 973 Kinder anonym geboren oder übergeben, für ein Fünftel der Kinder gab es keine Informationen über deren weiteren Verbleib. Das hängt mit der mangelnden Informationspflicht und mangelnden zentralen Erfassung zusammen. Auch das Deutsche Jugendinstitut spricht von einem Dilemma und dass es zu einer Abwägung der Problemkonstellation kommen müsste. Es spricht sich auch dafür aus, mehr Handlungssicherheit zu schaffen, konsequent alternative niedrigschwellige Hilfsangebote zu bewerten und neue zu schaffen.

Jetzt noch ein paar Worte zu den restlichen Punkten Ihres Antrages. Ich muss sagen, ich war da etwas wütend. Sie haben gefordert, dass die Beratungsleistungen bekannt gemacht werden sollen. Ich muss sagen, dass gerade in dem Beratungsangebot für Familien 2010 gekürzt wurde. Die Beratungsstellen kamen in sehr große Nöte. Ich konnte in den Abstimmungen zum Haushalt dieses Jahr keine große Wertschätzung für neue finanzielle Mittel erkennen.

(Beifall der Abg. Sabine Friedel, SPD)

Vielen Dank, Frau Werner, dass Sie mir Gelegenheit geben, Sie zu fragen, ob Sie eine Zwischenfrage gestatten.

Ja, gern.

Frau Jonas, bitte.

Sehr geehrte Frau Werner! Stimmen Sie mir zu, dass wir im Haushalt im Einzelplan 08 die Leistungen der Schwangerenberatungsstellen erhöht

Ja, genau. – Aber jetzt komme ich zu einem weiteren Punkt. Es geht nicht nur um diese eine Beratungsstelle, sondern um Familienbildung, Familienberatung, Familienverbände und um Familienurlaub für Menschen, die sozial benachteiligt sind. Das sind Angebote, die Familien, die in einer wirtschaftlich und sozial schwierigen Situation sind, erreichen könnten. Sie wissen auch, nicht jede Frau geht zur Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle, meistens nur

dann, wenn es ein finanzielles Problem gibt oder wenn sie einen Beratungsschein braucht, um zum Beispiel einen Schwangerschaftsabbruch legitimieren zu lassen. Mit solch speziellen Fragen gehen die Frauen noch nicht zu den Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen – da muss Arbeit geleistet werden. Es bedarf einer Ausbildung der Frauen in den Konfliktberatungsstellen, um den kommenden Aufgaben gerecht zu werden.

Frau Werner, Sie gestatten eine Nachfrage?

Frau Jonas.

Vielen Dank! Das heißt, dass die Aussage, die Sie vorhin getroffen haben, dass wir an den Beratungsstellen für Schwangere und Familien gekürzt haben, so nicht zutrifft. Stimmen Sie dem zu?

(Beifall der Abg. Kristin Schütz, FDP)

In Ihrem Punkt steht, dass Beratungen sowohl in Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen als auch in den Jugendämtern befördert werden sollen, und da muss man sagen, durch die Kürzung bei der Jugendhilfepauschale ist es für die Jugendämter unumgänglich, bestimmte Angebote zu kürzen. Es geht um Familienbildung, Familienberatung –

(Kristin Schütz, FDP, schüttelt mit dem Kopf.)

und damit werden bestimmte Familien nicht erreicht. Sie können gern mit dem Kopf schütteln. Das Thema ist viel umfassender.

Frau Werner, Sie gestatten eine weitere Zwischenfrage?

Frau Strempel.

Liebe Frau Kollegin Werner, geben Sie mir recht, dass die Aufgabe, sich um Schwangere zu kümmern – überhaupt um die Problematik oder das Thema Familie –, nicht nur eine Aufgabe des Staates, sondern auch der Nachbarschaft, der Familien, des Freundeskreises, der Schule, ja, der Gesellschaft ist?

Ja. Ich würde gern zurückkommen – –

Dazu haben Sie jetzt Gelegenheit.

– Ja, genau. Danke schön.

Ich will noch einmal darauf zurückkommen. Wir wissen, dass Frauen in wirtschaftlich oder auch in partnerschaftlich schwierigen Bedingungen in solche Notlagen kommen. In Eheberatungs- oder Konfliktberatungsstellen bzw. bei der Familienberatung gab es keine Aufstockung der

Mittel. Wir haben zum Beispiel das Problem, dass der Familienurlaub für sozial Benachteiligte gestrichen wurde.

(Zuruf der Staatsministerin Christine Clauß)

Das ist genau mein Problem. Wenn man umfassend auf das Thema eingehen und tatsächlich das Für und Wider und die vielen Probleme, die es damit gibt, benennen will, muss es möglich sein, das auch zu machen. Dafür wäre ein Ausschuss wirklich geeignet gewesen. Hier kommt es nur zu einem Schlagabtausch –

(Zuruf der Abg. Anja Jonas, FDP)

und nicht zur Möglichkeit, wirklich die Argumente auch auszutauschen. Und nur weil ich sage, dass Familienurlaub gekürzt wird, heißt das doch nicht, dass ich gegen eine Babyklappe bin.

(Staatsministerin Christine Clauß: Das habe ich nicht gesagt.)

Das habe ich aber so verstanden.

(Anja Jonas, FDP: Das ist ein sehr emotionales Thema!)

Bitte, Frau Werner, fahren Sie mit Ihrem Redebeitrag fort.

Deswegen war es meine Bitte, so etwas an anderer Stelle zu diskutieren.

(Kristin Schütz, FDP: Nun ist es aber hier!)

Ich möchte noch einen zweiten Punkt ansprechen, bei dem Sie wohl wieder aufschreien werden. Es wurde auch gekürzt bei der Fachberatungsstelle für Betroffene von Menschenhandel. Das hängt meist mit sexueller Ausbeutung zusammen. Wir wissen durch die Anhörungen und Studien, dass Frauen, die keinen gesicherten Aufenthaltsstatus haben, oft betroffen sind von diesen Problemen. Diese könnte man über Fachberatungsstellen erreichen; dem stehen die aktuellen Kürzungen entgegen.

Es handelt sich immer um Ausnahmen – Frauen befinden sich in einer Situation, in der sie von Angeboten nicht erreicht werden. Es stellt sich die Frage, ob nicht verstärkt über andere, vorgeschaltete Angebote diskutiert werden muss. Die vorhandenen Ergebnisse machen deutlich, dass es den Frauen größtenteils nicht um ihre eigene Anonymität geht, sondern um die zu ihrem Umfeld und Vertraulichkeit mit ihrer besonderen Situation.

Wir dürfen nicht über die Frauen sprechen, sondern müssen auch das Geschlechterverhältnis stärker thematisieren. Warum kommen Frauen in solche Situationen? Wie kann es sein, dass sie eine Schwangerschaft als Schande begreifen oder Angst haben, dass sie mit dem Kind nicht weiterleben können? Sie fürchten um ihre körperliche Unversehrtheit aufgrund ihrer Lebenssituation. Es geht um flächendeckende zielgerichtete Unterstützungsangebote für Notsituationen und die Schaffung der Stärkung der reproduktiven Rechte.

Sozial benachteiligte Frauen haben keinen ungehinderten Zugang zu kostenfreien Verhütungsmitteln. Wir brauchen gesetzliche Regelungen für vertrauliche Geburten bzw. Kindesabgaben. Dazu gehört auch die Unterstützung der Landesregierung für die Krankenhäuser, damit dies am Ende auch flächendeckend möglich ist. Anonyme Geburten wird es weiterhin geben. Hier bedarf es der Klarstellung bei Dokumentation, Erfassung, Information der Jugendämter bei der Adoption usw. Schwierig bleibt der Umgang mit der Babyklappe vor allem deswegen, weil die Mütter nicht erreicht werden können und weil der Vorwurf des Missbrauchs immer noch im Raum steht.

Andererseits scheint es aber den sogenannten Restbedarf zu geben. Ich hoffe, dass wir nach Vorliegen der entsprechenden Gesetzentwürfe auf Bundesebene und nach den Antworten der Staatsregierung im Ausschuss in Ruhe die verschiedenen Standpunkte diskutieren können, ohne dass es zu plakativen Vorwürfen kommt. Heute stimmen wir aber Ihrem Antrag zu.

(Beifall bei den LINKEN)

Vielen Dank, Frau Werner. Für die SPD-Fraktion Frau Abg. Neukirch. Bitte. Sie haben jetzt das Wort.

Danke schön. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte kurz aus Sicht der SPD-Fraktion zu zwei Punkten Anmerkungen machen: zum einen zur Sache und zum anderen zum vorliegenden Antrag.

Immer wieder, das wurde jetzt schon oft erwähnt, gibt es auch in Sachsen Fälle von Kindstötung und Kindsaussetzungen. Wir diskutieren dieses Thema heute am Beispiel Babyklappen und anonymer Geburten. Ich möchte ein Beispiel wiederholen, das Frau Strempel vorhin gebracht hat, um zu zeigen, dass das wirklich nur ein kleines Schlaglicht auf dieses Thema wirft.

Der Vorfall beim Diakonissenkrankenhaus hat gezeigt, dass Babyklappen und anonyme Geburten nicht ausreichend sind, um solche Fälle zu verhindern. Das Diakonissenkrankenhaus bietet eine anonyme Geburt an und 50 Meter weiter befindet sich eine Babyklappe – das Kind wurde auf die Treppe gelegt. Somit ist das Thema weiter zu fassen. Es wäre unehrlich, in dieser Diskussion zu suggerieren, wir würden mit diesen beiden Instrumenten das Problem lösen. Das möchte ich nicht, das wollte auch keine meiner Vorrednerinnen. Sie können das nicht, da diese Angebote niedrigschwellig sind. Sie setzen auf eine gewisse rationale Entscheidung der Frauen. Wir wissen aus den Studien zu Kindstötungen und Aussetzungen, wie es dazu kommt. Die Frauen befinden sich in einer psychisch verzweifelten Lage und sind nicht dazu fähig, rational zu entscheiden – das ist das Problem.

Frau Jonas setzt sich zu Recht dafür ein, dass den Kindern ein Recht erhalten bleibt zu wissen, wo sie herkommen. Wir wissen, dass das bei Betroffenen im Nachhinein Jahre später zu großen psychischen Problemen führen kann.