Protokoll der Sitzung vom 13.03.2013

Jetzt hat der Bundesgesetzgeber mit dem Therapieunterbringungsgesetz aber eine Lösung gewählt, bei der er quasi auch diejenigen, bei denen im Verfahren nie eine Einschränkung der Schuldfähigkeit zur Debatte stand, letztlich so behandelt, als ob sie gewissermaßen in einer psychiatrischen Einrichtung therapiefähig wären.

Und auf genau das Problem haben die Sachverständigen letzten Endes aufmerksam gemacht: dass aus diesem Grunde das Bundesgesetz erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet. Ich will das ganz kurz wiedergeben. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenkunde hat in ihrer Stellungnahme, die dem Ausschuss vorlag, gesagt:

Erstens: Das Bundesgesetz, welches das umsetzen soll, verfehlt rein inhaltlich die Kritik des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Mit anderen Worten: Wir sollen in Sachsen ein Gesetz ausführen, das eine Umgehung der Rechtsprechung des EGMR bedeutet und dazu dient, die konventionswidrige, rückwirkende Verlängerung der Dauer der Sicherungsverwahrung auf anderem Wege doch zu erreichen.

Zweitens: Der Gesetzentwurf führt zu einem Missbrauch der Psychiatrie, weil er Kriminalität und Krankheit sowie dauerhafte Gefährlichkeit und psychische Krankheit gleichsetzt.

Drittens: Es ist nicht nachvollziehbar, was es rechtfertigen soll, davon auszugehen, dass früher wegen vermeintlich hoher Gefährlichkeit zur Sicherungsverwahrung nachträglich Verurteilte nunmehr im Zuge einer psychotherapeutischen Behandlung, nämlich der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, obwohl sie vorher schon wenigstens zehn Jahre in Sicherungsverwahrung und Ähnliches mehr verbracht haben – vorher noch eine Freiheitsstrafe –, innerhalb von 18 Monaten in der psychiatrischen Einrichtung therapiert werden können.

§ 12 Abs. 1 des Unterbringungsgesetzes geht davon aus, dass spätestens nach Ablauf von 18 Monaten die eigentliche Unterbringung endet, wenn sie nicht verlängert wird. Das ist das, was uns die Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenkunde letzten Endes nahegelegt hat. Wie soll denn das passen, dass jemand, der vorher in sechs, sieben Jahren Freiheitsstrafeverbüßung und weiteren acht, neun Jahren Sicherungsverwahrungsverbüßung nicht von der Gefährlichkeit abgebracht werden kann, nun auf einmal in der psychiatrischen Einrichtung innerhalb von 18 Monaten therapiert werden kann?

Exakt diese Problematik hat Prof. Feest zusammengefasst, indem er in seiner schriftlichen Stellungnahme zu unserem Gesetzentwurf erklärt hat, wir sollten dem nicht zustimmen. Wir sollten das Gesetz nicht erlassen, weil – so mit den Worten des Strafrichters und wissenschaftlichen Autors, Thomas Ullenbruch – Zitat –: „… das Therapieunterbringungsgesetz verfassungsrechtlich einer Prüfung nicht standhalten wird. Die Frage ist nur, in welcher Hinsicht sie am meisten gegen das Grundgesetz verstößt: wegen fehlender Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes, wegen Einzelfallgesetz zur Aushebelung der Entscheidung EGMR vom 17.12.2009 oder wegen fehlender Bestimmtheit des Begriffs ‚psychische Störung‘“.

Mit anderen Worten: Wir übersehen nicht, dass die Koalition bereit war, in diesem Gesetzentwurf einige Anregungen aus der Expertenanhörung aufzunehmen, das tatsächlich etwas anzupassen, zum Beispiel, dass vernünftigerweise die Möglichkeit besteht, dass in diesen Einrichtungen künftig Besuchskommissionen und Patientenfürsprecher bestehen, dass es eine Aufklärungspflicht der Einrichtung für nach dem Therapiegesetz Untergebrachte geben soll.

Wir begrüßen auch – wie die Staatsregierung es noch vorsah –, dass eine Zwangsmedikation oder Zwangsbehandlung gegenüber diesem Personenkreis nicht gestattet ist bzw. davon abgesehen wurde.

Aber sehenden Auges ein Ausführungsgesetz zu einem „Muttergesetz“ – so sagt der Kollege Modschiedler – in diesem Hause zu verabschieden, dem die Bürde der Verfassungswidrigkeit von gerade nahezu allen Experten, die wir gehört haben, nachgesagt wird, davor haben wir erhebliche Bedenken, sodass wir zumindest nicht zustimmen werden und uns bei der Abstimmung enthalten.

Dass wir im Handlungszwang sind und zur Ausführung etwas beschließen müssten, ist vom Kollegen Modschiedler nicht unberechtigt dargestellt worden. Aber in diesem Hohen Hause zu sagen „Wir übergehen alle verfassungsrechtlichen Bedenken beim Ausführungsgesetz und legen einfach die Hände an die Hosennaht und beschließen jetzt und entscheiden uns so“, da haben wir erhebliche Bedenken und stimmen deshalb nicht zu.

(Einzelbeifall bei den LINKEN)

Frau Friedel von der SPD-Fraktion, bitte.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich müsste jetzt eigentlich den Redebeitrag vom Herrn Kollegen Bartl wiederholen. Das will ich nicht tun, weil wir die Bedenken teilen, auch wenn wir wissen, dass wir in Sachsen nur ein Ausführungsgesetz dazu zu bearbeiten und zu beschließen haben.

Ich will nur zwei andere kurze Anmerkungen machen.

Erstens: Wir haben in der Sachverständigenanhörung gehört, dass das Gesetz – einmal abgesehen von allen inhaltlichen Bedenken –, so, wie es jetzt der Freistaat Sachsen macht, nicht wirklich rechtsanwenderfreundlich ist. Wir haben es mit einem Verweisungsgesetz zu tun, mit komplizierter Verweisungstechnik, wo nicht im Gesetz steht, was geregelt wird, sondern wo auf ein anderes Gesetz und andere Punkte verwiesen wird. Das ist etwas, was die Handhabbarkeit sehr erschwert. Darauf haben auch die Sachverständigen hingewiesen: Es wäre doch schöner – wie andere Bundesländer, beispielsweise Schleswig-Holstein –, ein Vollgesetz zu dem Thema zu verabschieden.

Zweitens: Ich will noch einen letzten Punkt ansprechen, weil der Herr Kollege Modschiedler das Hohelied sang, dass die CDU die Welt und die Menschheit vor den gefährlichen Verbrechern schützt.

(Einzelbeifall bei der CDU)

Das können Sie gern tun. – Bei dem Thema finde ich es nur nicht ganz angemessen, denn man muss sich einmal deutlich machen, um was für eine Personengruppe es geht und um wie viele Personen. Herr Kollege Bartl hat es vorhin angesprochen: Es geht um Straftäter, die ihre Haftstrafe für eine schwere Gewalttat, die sie begangen haben, verbüßt haben, bezüglich derer man nicht sagen

kann – man kann nie sicher sein –, ob sie wieder eine Straftat begehen werden, im Gegenteil: Es gibt sehr viele Hinweise darauf, dass, wenn sie wieder freigelassen werden, Straftaten von erheblichem Ausmaß zu befürchten sind. Deswegen gibt es eine Sicherungsverwahrung – und dann immer noch.

In Deutschland ist das ein Personenkreis von weniger als 100 Menschen. In Sachsen gibt es derzeit keinen Einzigen, der infrage kommt, unter die Regelung dieses Gesetzes zu fallen. Ich finde es daher ein wenig verantwortungslos, die große Fahne „Wir sorgen für die Sicherheit im Lande“ auszupacken und zu schwingen, weil diese Materie so unglaublich schwierig ist. Es müssen auf der einen Seite Regelungen gefunden werden, die die Gesellschaft wirklich schützen. Auf der anderen Seite müssen Menschenrechte, die auch diesen Leuten zustehen, so weit wie möglich respektiert werden. Das ist kein Thema, das sich für ein populistisches „Wir schützen uns alle“ eignet. Das war mir noch einmal wichtig zu sagen.

Wir haben es hier mit einer sehr kleinen Gruppe zu tun, mit einer sehr komplizierten Materie, bezüglich derer wir alle versuchen, irgendwie damit klarzukommen, sodass die Gesellschaft den Schutz bekommt, den sie verdient. Deswegen werden wir diesem Gesetz unsere Zustimmung nicht verweigern in dem Sinne, dass wir es ablehnen, sondern dass wir uns mit enthalten. Ich denke, wir tun ganz gut daran zu hoffen, dass sich auf der Bundesebene bald eine bessere Regelung durchsetzt, die dann auch rechtssicherer ist.

Vielen Dank.

(Einzelbeifall bei der SPD und den LINKEN)

Für die FDP spricht nun Herr Biesok, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir behandeln heute einen Gesetzentwurf, für dessen Regelungsgehalt es in Sachsen derzeit keinen einzigen Anwendungsfall gibt. Trotzdem ist es meines Erachtens wichtig, dass wir dieses Gesetz heute hier beschließen. Wer sich gegen unsere Gesetzesordnung stellt, muss bestraft werden. Ohne Strafe würde die Strafe aufhören, eine erzwingbare Ordnung zu sein. Sie würde lediglich zu einer ethisch bindenden Empfehlung herabgesenkt werden.

Strafe dient aber auch dem Bedürfnis der Gemeinschaft nach Gerechtigkeit. Ein friedliches Zusammenleben der Menschen wäre unmöglich, wenn sich der Staat lediglich auf die Abwehr von Gefahren beschränken würde. Diese soziale Rechtfertigung der Strafe und damit der Entzug der Freiheit versagt dort, wo Menschen ihre Strafe verbüßt haben. Sie haben dann wieder einen Anspruch auf Freiheit. Diesem Anspruch eines jeden Menschen steht das Interesse der Gemeinschaft entgegen, vor Gefahren geschützt zu werden, die von Menschen ausgehen, die zwar ihre Strafe verbüßt haben, aber immer noch als so

gefährlich eingeschätzt werden, dass von ihnen jederzeit eine Gefahr für Leib oder Leben anderer ausgeht.

Durch die Sicherungsverwahrung begegnen wir dieser Gefahr. Wir werden demnächst das Sächsische Ausführungsgesetz zur Sicherungsverwahrung in diesem Hause beraten. Es gibt jedoch eine Lücke; Kollege Modschiedler hat diese Lücke sehr deutlich aufgezeigt. Der Bundesgesetzgeber hatte die Möglichkeit eröffnet, nachträglich eine Sicherungsverwahrung anzuordnen bzw. diese zu verlängern.

Dieser Eingriff in die Freiheit von Menschen, die ihre Strafe bereits verbüßt haben, wurde bereits im Jahr 2010 durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte für unzulässig erklärt. Menschen, die sich bereits wegen ihrer Gefährlichkeit in Sicherungsverwahrung befanden, wären zu entlassen gewesen, obwohl von ihnen noch erhebliche Gefahren ausgehen.

In diesem schmalen Anwendungsbereich zwischen einer verfassungskonformen neuen Sicherungsverwahrung, die die Sicherungsverwahrung entweder gleich im Strafurteil anordnet oder sie zumindest vorbehält, und einer unzulässigen nachträglichen Anordnung oder Verlängerung der Sicherungsverwahrung bewegt sich das Therapieunterbringungsgesetz des Bundes.

Herr Kollege Bartl, ich war auch bei der Anhörung dabei. Es gab Stimmen, die dieses Therapieunterbringungsgesetz des Bundes für verfassungswidrig erklärt haben. Aber es waren nicht alle. Man mag gute juristische Argumente gegen diese Neuregelung vorbringen, wir müssen aber erst einmal akzeptieren, dass wir ein Bundesgesetz haben. Solange wir ein Bundesgesetz auf Landesebene haben, müssen wir auf Landesebene die Vorkehrungen treffen, wenn dieses Gesetz einmal zieht.

Ich bin sofort dabei, wenn sich eine Verfassungswidrigkeit des Bundesgesetzes herausstellt, hier die notwendigen Anpassungen vorzunehmen. Aber ich verwahre mich dagegen, erst zu sagen, weil ich das Bundesgesetz für verfassungswidrig halte – das ist eine Rechtsauffassung, man kann auch sehr gut anderer Rechtsauffassung sein –, nichts zu tun und die Hände in den Schoß zu legen nach dem Motto: Das geht mich alles nichts an.

(Klaus Bartl, DIE LINKE, steht am Mikrofon.)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bitte, Herr Bartl.

Vielen Dank, Kollege Biesok. Geben Sie mir darin recht, dass Kollegin Friedel recht hat, dass wir in Sachsen nicht einen einzigen Fall haben, den wir unterbringen müssen, der unter diese Kategorie fällt, und dass wir deshalb keineswegs unter einem Handlungszwang, einer Handlungsnot und unter Zeitdruck stehen, uns zu überlegen, wie wir dieses Ausführungsgesetz

tatsächlich machen? – Bekanntermaßen gibt es gegen das Bundesgesetz laufende Klagen und Überprüfungen.

Herr Kollege Bartl, wenn Sie mir zugehört hätten – das war mein Einleitungssatz. Wir haben im Moment keinen einzigen Anwendungsfall. Aber ich möchte für den Moment vorbereitet sein, wenn wir aufgrund eines Bundesgesetzes einen Fall haben, damit wir hier in Sachsen nach unseren Vorstellungen mit dieser ganz besonderen Personengruppe umgehen können, dass wir ein entsprechendes Gesetz haben, dass wir eine Einrichtung haben, die dafür vorgesehen ist, und dass die Menschen, die in diese Einrichtung zu unser aller Schutz verbracht werden, auch entsprechende Rechte haben.

Das haben wir mit unserem Änderungsantrag noch einmal deutlich herausgestellt.

Darf ich noch eine zweite Frage stellen?

Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage?

Bitte.

Es gab ein, zwei Leute, die die Verfassungswidrigkeit nicht bejaht haben. In der Regel wurde sie bejaht. Der Hauptgrund war, dass man gesagt hat, wir sind als Psychiater, als Nervenärzte nicht in der Lage, Menschen, bei denen keine psychische Störung festgestellt ist, in einer therapeutischen Einrichtung zu therapieren. Das aber würde mit dem Gesetz jetzt geschehen. Ist das Ausführungsgesetz unter dem Aspekt sachgerecht?

Das Therapieunterbringungsgesetz hat zwei Begriffe: einmal Unterbringung und einmal Therapie. Es müssen sämtliche Therapiemöglichkeiten ausprobiert und versucht werden, dem Menschen jeweils so zu helfen, dass er ein Leben in Freiheit ohne neue Straftaten verbringen kann. Dieser Anspruch ist nicht nur im Strafvollzug gegeben, sondern auch in der Sicherungsverwahrung. Wir werden das beim Sicherungsverwahrungsgesetz entsprechend diskutieren. Aber wir müssen auch den Teil der Unterbringung berücksichtigen, weil wir eine Gefährlichkeit haben. Diese Gefährlichkeit rechtfertigt es, diese Leute nicht in die Freiheit zu entlassen, sondern zum Schutz der Allgemeinheit auch zurückzubehalten.

(Klaus Bartl, DIE LINKE: Dann konnten Sie es doch auch im Sicherungsverwahrungsgesetz lassen!)

Das ist nicht nur Sicherungsverwahrung, weil es auch das zweite Element der Therapie gibt.

Meine Damen und Herren! Da dieses Bundesgesetz durch die Länder als eigene Angelegenheit ausgeführt werden muss, war es nötig, ein entsprechendes Ausführungsgesetz

zu verfassen. Bei der Zwischenfrage habe ich gerade schon ausgeführt, dass wir derzeit keinen einzigen Fall für diese Therapieunterbringung haben. Aber das liegt auch mit daran, dass wir seit 1990 hier erst die Sicherungsverwahrung eingerichtet haben und deshalb der Teil der Anwendungsfälle sehr gering ist. Wir müssen vorbereitet sein, falls wir hier einmal einen Fall haben, dass wir dann die entsprechenden Regelungen haben.