Protokoll der Sitzung vom 13.03.2013

Tschechien will die Drogenpolitik neu bewerten, konsequenter handeln und gegen die Herstellung und den Handel vorgehen. Erste Reaktionen sind bereits zu vernehmen, zum Beispiel durch das Vorgehen gegen Drogenküchen. An der Stelle unser ausdrücklicher Dank an die Kolleginnen und Kollegen in Tschechien und auch unser Respekt, wenn sie sich aktiv im Kampf gegen die Drogenpolitik engagieren.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Dieses Vorgehen muss weiter ausgebaut werden. Das gemeinsame Handeln muss unter Einbindung Polens grenzüberschreitend organisiert werden. Es geht hierbei

nicht nur um die Frage des Handelns einzelner Polizeibehörden und Justizorganisationsstrukturen, sondern es geht um ein geschlossenes, grenzüberschreitendes Handeln zwischen Tschechien und Deutschland, zwischen Sachsen und Bayern, aber auch zwischen den anderen Ländern.

Die Zusammenarbeit zwischen der Polizei und den Kommunen muss besser organisiert werden. Auch in den Landkreisen sind wir in der Verantwortung: mehr Kontrollen und sensibleres Handeln auch in Diskotheken und Schulen.

An dieser Stelle möchte ich ganz herzlich dem Sächsischen Staatsminister des Innern, Markus Ulbig, danken, der diesen Prozess aktiv begonnen hat, ihn moderiert und mit den Kolleginnen und Kollegen der sächsischen Polizei und der Justiz hierzu die ersten notwendigen Maßnahmen getroffen hat.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bekämpfung der Drogenkriminalität ist nur ein Teil der Aufgabe. Ein zweiter wesentlicher Teil liegt in der Prävention und Suchthilfe. Wir reden hier von einer chemischen Droge, die schnell abhängig macht und verheerende Folgewirkungen hat, die die Betroffenen in erhebliche Suchtabhängigkeit bringt. Hierüber muss mehr Aufklärung erfolgen. Es ist ein gemeinsames Handeln aller Ministerien und Institutionen gefragt, aber es handelt sich auch um eine gesellschaftliche Aufgabe.

Die CDU-Fraktion wird sich diesem Thema auch in den nächsten Wochen und Monaten intensiv widmen. Wir werden die Diskussion im Plenum und in der Öffentlichkeit führen. Wir laden Sie ein, diesen Weg aktiv zu begleiten: bei Prävention, bei Repression und bei der Suchthilfe.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Als nächster Redner für die FDP-Fraktion spricht Herr Karabinski. Bitte, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit dem Jahr 2011 ist Crystal die dominierende Problemsubstanz in Deutschland. Während die Zahl der Heroin- und CannabisKonsumenten seit dem Jahr 2005 rückläufig ist, steigt die Zahl der Crystal-Konsumenten seit dem Jahr 2009 sprunghaft an – allein im Jahr 2011 um 45 %.

Der Beratungsbedarf bei den Crystal-Konsumenten ist von 2010 zu 2011 um 30 % gestiegen. In Sachsen sind die Konsumenten von Crystal bei erstmaligem Kontakt erst 16 Jahre alt. Im Jahr 2012 sind in Sachsen 46 kg Crystal beschlagnahmt worden. Das ist sechsmal mehr als noch im Jahr 2009. Die tatsächliche Menge des nach Deutschland geschmuggelten Crystals ist unbekannt, aber sie dürfte um ein Vielfaches höher liegen.

Meine Damen und Herren! Wir sollten diese Aktuelle Debatte nutzen, um nach den Ursachen zu fragen und um gemeinsam – ich betone gemeinsam – nach Lösungen zu suchen. Was sind die Ursachen für diesen enormen Crystal-Konsum? Die Produktion dieser Partydroge in den tschechischen Giftküchen ist billig. Nur etwa 25 Euro kostet die Herstellung eines Gramms Crystal. Die Grundstoffe sind leicht zugänglich. Sie werden mit Chemikalien und mit Benzin aus Medikamenten herausgelöst. Das Zeug wird dann gekocht. Es entsteht ein kristallartiges weißes Pulver, was auch Ursache für den Namen „Crystal“ ist.

Dieses Zeug wird dann auf Asia-Märkten in Tschechien verkauft und zumeist in kleinen Mengen nach Deutschland geschmuggelt. Das große Problem dabei ist die sehr laxe Drogenpolitik der Tschechischen Republik. Dazu kommt der geringe Verfolgungsdruck innerhalb der Tschechischen Republik, denn seit dem Jahr 2010 ist der Besitz von 2 Gramm Crystal keine Straftat mehr, sondern nur noch eine Ordnungswidrigkeit.

Meine Damen und Herren! 1 Gramm von dieser Drogensubstanz reicht für etwa 50 Konsumeinheiten, das heißt also für etwa 500 Stunden Rausch oder eben auch für drei Wochen Dauerrausch. Meine sehr geehrten Damen und Herren! In Tschechien ist der Besitz von 2 Gramm, also von etwa 100 Konsumeinheiten, straffrei. Meine Damen und Herren, das kann nicht wahr sein, das dürfen wir nicht akzeptieren! Die Politik in Tschechien muss hier tätig werden. Diese laxe Drogenpolitik muss verändert werden!

(Klaus Bartl, DIE LINKE: Auch die in Deutschland!)

Sehr geehrter Herr Staatsminister Ulbig! Wir kennen Sie als Hans Dampf in allen Gassen, Sie brennen an allen Ecken und Enden. Aber das Problem Drogenschmuggel, das werden auch Sie allein nicht lösen können. Es ist ein Problem über die sächsisch-tschechische Grenze hinweg und längst nicht mehr allein ein sächsisches Problem.

Ihr Kollege, Bundesinnenminister Friedrich, ist hier gefordert. Sachsen ist nur das Einfallstor für dieses Dreckszeug. Abhängig werden die Menschen europaweit und in ganz Deutschland. Wir müssen den Verhandlungsdruck auf die Hersteller und die Schmuggler beiderseits der deutsch-tschechischen Grenze erhöhen. Wir brauchen mehr Zollbeamte und mehr Bundespolizei im sächsischen Grenzgebiet. Der zunehmende Crystal-Konsum ist ein europaweites Problem. Nur gemeinsam, nur Hand in Hand mit dem Bund und mit den Behörden in Tschechien werden wir dieses Problem lösen, meine Damen und Herren. Es ist unser aller gemeinsamer Auftrag, das zu tun. Wir sollten die nächsten Wochen und Monate nutzen, um hierzu gemeinsame Lösungen zu finden.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Staatsregierung)

Herr Bartl für die Linksfraktion. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Hartmann, Kollege Karabinski, wir kommen heute Nachmittag zu diesem Thema schon zur Nagelprobe. Wir werden dann sehen, ob es ernst gemeint ist, gemeinsam etwas gegen den ausufernden Drogenhandel, speziell gegen den ausufernden Handel mit der Droge Crystal, zu tun.

Ich habe heute früh mit Interesse in der Schleife von „MDR Info“ die Position der Vertreter verschiedener Fraktionen dieses Hauses zu der heute bevorstehenden Debatte zu Crystal gehört und war sehr erstaunt, dass Kollege Piwarz der Auffassung ist, dass man nicht immer gleich Anträge – wie sie von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit dem Sofortprogramm gegen Crystal oder von unserer Fraktion zur Überprüfung oder Verbesserung des sächsischen Suchthilfesystems bezüglich des Crystal-Problems vorliegen – stellen müsse, sondern doch erst einmal darüber diskutieren sollte.

(Zuruf des Abg. Christian Piwarz, CDU)

Kollege Karabinski und Kollege Hartmann, in diesem Zusammenhang kann ich gemäß dem Sachsen-Anhaltiner Slogan „Wir stehen früher auf!“ nur antworten: „Wir sind schon etwas sehr spät dran!“

Das Problem ist, dass sich Crystal zu einer höchstverbreiteten Droge entwickelt, die keineswegs nur von sozialen Randgruppen konsumiert wird. Sie wird in Managerkreisen konsumiert, sie wird in den Bereichen konsumiert, in denen Leistungsträger exakt um die Wirkung dieser Stimulanz wissen. Crystal ist unter dem Namen „Pervitin“ in den Neunzehnhundertdreißigerjahren von einer deutschen Firma erfunden worden und im Zweiten Weltkrieg als sogenannte Panzerschokolade zum Einsatz gekommen. Crystal wurde auch als „Göring-Pille“ bezeichnet, um deutsche Soldaten über 60, 70 Stunden fit und skrupellos zu halten.

Kollege Karabinski, zu dieser Konstellation, wie wir sie jetzt mit der Entwicklung des grenzüberschreitenden Handels haben, ist zu sagen: Auf die tschechischen Kollegen können wir nicht mit dem Finger zeigen, denn die Hauptabnehmer sind ganz klar die Deutschen! Wir stellen jetzt auf einmal fest, dass sich die Anzahl der aufgedeckten Fälle von Handel mit Crystal von 2009 zu 2012 um das Dreißigfache erhöht hat. Das hängt nicht nur damit zusammen, dass es jetzt bessere Ermittlungen dazu gibt, sondern wir haben inzwischen einen derart verbreiteten Markt, dass die Insider auf diesem Gebiet – die Betäubungsmitteldezernenten, die Staatsanwälte, die auf diesem Gebiet arbeiten, aber auch die Menschen, die Suchthilfe auf diesem Gebiet betreiben – einfach sagen: Es ist so ausgeufert, dass jetzt tatsächlich in jeder Hinsicht eine gesamtgesellschaftliche, länderübergreifende Konzeption her muss.

Wir sind sehr dankbar, dass der Innenminister und meines Wissens auch der Generalstaatsanwalt in Beratungen, zum Beispiel mit Ústí und mit Karlovy Vary – teilweise sind die Übereinkünfte bereits auf den Weg gebracht –, jetzt konkret zur Sache kommen. Das Hauptproblem wird aber sein: Wir werden es nicht vordergründig mit Repression bewältigen. Wir werden es nicht vordergründig mit Strafverfolgung bewältigen. Wir müssen dennoch die Anzahl derer, die als Polizeibeamte, als Zöllner oder als Staatsanwälte verfügbar sind, auf diesem Gebiet zweifellos erhöhen. Darüber darf es in diesem Hause keinen Streit geben.

Ausschlaggebend ist aber, dass wir heute nicht beginnen, allgemein darüber zu reden, sondern dass wir heute Nachmittag auf der Grundlage der vorliegenden durchdachten Konzeption der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Gestalt dieses Programms und der von uns vorgebrachten Vorschläge zur Problematik des Suchthilfesystems ganz schnell zur Entscheidung kommen. Das ist wichtig, damit in dieses Land ein Signal geht, dass das sächsische Parlament dieses Problem in sich geschlossen aufgreift und dagegen entsprechend vorgeht.

Ich darf noch auf ein Problem in besonderem Maße aufmerksam machen: Wir haben in kaum einem anderen Bereich der Kriminalität eine solche Dynamik in der Entwicklung hochintensiver Verdeckungsformen. Ich meine damit das Einbringen von Betäubungsmitteln. Inzwischen wird Crystal nicht nur über diese Bodybags eingebracht, also in Kondomen über 100 Gramm und dergleichen mehr eingeschmuggelt, sondern wir haben inzwischen Fälle, in denen die Täter auf diesem Gebiet so arbeiten –

Herr Bartl, ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen.

– ein letzter Satz, Herr Präsident –, dass sie die Drogen, die sie einführen wollen, Touristen, die sich in Tschechien in Grenznähe aufhalten, an das Auto anpappen und dieses dann mit GPS verfolgen. Wenn das Auto dann in Deutschland wieder auf dem Parkplatz steht, nehmen sie die Drogen dort ab und haben sie somit gefahrenfrei über die Grenze gebracht.

Auf diese neuen Methoden sind wir momentan in keiner Weise eingestellt. Deshalb kommt es jetzt darauf an, schnell zu entscheiden und nicht nur zu reden.

(Beifall bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Für die SPD-Fraktion Frau Friedel, bitte.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Danke an Herrn Hartmann, dass er nicht nur die Aktuelle Debatte zu diesem Thema eröffnet, sondern auch mit einem richtig guten Redebeitrag darauf aufmerksam machte, dass wir beides brauchen: Wir

brauchen die Repression und wir brauchen genauso gut die Prävention. Das erscheint mir ein wichtiger Aspekt.

Ich finde es – mit Verlaub –, Herr Kollege Karabinski, ein wenig kurz gehüpft, wenn Sie sagen: Wir haben in Sachsen ein Problem mit Crystal. Erstens, die Tschechen müssen etwas dagegen tun, und zweitens, wir brauchen mehr Zollbeamte und Bundespolizisten; zu sagen: Wir können nichts dafür, wir können selbst nichts machen, aber alle anderen müssen jetzt bitte unser Problem lösen. Das funktioniert so nicht.

Zu den Repressionen ist schon viel gesagt worden. Es ist auch gesagt worden, dass Sachsen die Dinge jetzt angeht. Auch wir halten das für gut. Es geht vor allem darum, die Verfügbarkeit von Crystal abzusenken. Das große Problem ist, dass besonders – das sieht man in den Bereichen, in denen der Konsum ausgesprochen intensiv ist; das sind die grenznahen Bereiche – die Verfügbarkeit sehr hoch ist und es sehr leicht ist, an Crystal zu kommen. Deshalb ist es wichtig, vor allem dem Handel mit dieser Droge mit genügend Fahndungsdruck zu begegnen.

Drogenkriminalität ist Holkriminalität. Es macht niemand eine Anzeige und sagt: „Hier ist etwas passiert“, sondern da muss die Polizei aktiv suchen und fahnden und – sehen Sie es mir nach – das ist nicht zuletzt eine Personalfrage

(Klaus Bartl, DIE LINKE: Richtig! – Beifall des Abg. Klaus Bartl, DIE LINKE)

nicht nur beim Zoll, nicht nur bei der Bundespolizei, sondern auch bei der sächsischen Polizei.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Wir werden über das Thema Therapie sicherlich heute Nachmittag, wenn die beiden Anträge behandelt werden, noch einige Worte verlieren. Es ist sehr wichtig, dafür zu sorgen, dass Konsumenten schon beim ersten, zweiten oder dritten Mal Hilfe suchen und die Chance haben, Hilfe zu finden. Damit sind wir bei der Ausstattung unserer Suchtberatungsstellen. Damit sind wir bei der Frage: Wie leicht machen wir es den Menschen, Hilfe anzunehmen? Besonders Erstkonsumenten, die vielleicht 14, 15 oder 16 Jahre alt sind, brauchen geeignete Strukturen, um sehr schnell auf den Trichter zu kommen, dass hier etwas nicht stimmt. Lesen Sie dazu im Internet in ein paar Foren, zum Beispiel drugscout.com, dann werden Sie über die Erfahrungsberichte, die es dort gibt, erstaunt sein.

Ich glaube, wir müssen sehr viele Anstrengungen unternehmen, um die Leute – wie man so schön sagt – da abzuholen, wo sie sind. 14-, 15- oder 16-Jährige, die nach einer harten Woche in der Schule mal ein „geiles Wochenende“ erleben wollen, sind woanders, als wir uns es vorstellen können.

Punkt 3 – auch hier komme ich wieder zum Personal: Repression und Fahndungsdruck sind das eine, Therapie für diejenigen, die der Droge erlegen sind, das Zweite und Prävention ist das Dritte. Das ist der wichtigste Punkt.

Noch sind wir in einer Situation, in der – auch wenn es alles schlimm ist – die Anzahl der Crystal-Konsumenten im Vergleich zur Gesamtzahl der Jugendlichen noch relativ gering ist. Wir müssen jetzt nicht so tun, als ob die Mehrheit aller Jugendlichen Crystal konsumiert. So ist es nicht. Wir dürfen aber auch nicht dahin kommen. Dabei ist Prävention der entscheidende Punkt.

Wenn ich mir überlege, dass bisher allein die sächsische Landespolizei pro Jahr ungefähr 2 500 Veranstaltungen zum Thema Drogenprävention angeboten hat und ich mir vorstelle, dass alle Präventionsbeamten nach 2015 weg sein werden, dann weiß ich nicht, wo Prävention dann stattfinden soll. Das ist ein Punkt, den Sie dringend überdenken müssen.