(Beifall bei den LINKEN – Andreas Storr, NPD: Gilt das auch für die türkische Mafia, die Morde begangen hat?)
auch damit sich Derartiges nicht wiederholen kann. Es gibt genügend Menschen im Land, die genau davor Angst haben.
Lassen Sie uns heute gemeinsam nicht nur den Bericht des Datenschutzbeauftragten zur Kenntnis nehmen, sondern stimmen wir auch gemeinsam dem Entschließungsantrag der GRÜNEN zu! Ich danke der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für diesen Entschließungsantrag. Unsere Zustimmung wird er bekommen.
Genau, die letzte. – Ich will nur klarstellen, dass ich den Inhalt der Rede von Frau Köditz nur unterstreichen kann; deswegen haben wir auch applaudiert. Es ist völlig richtig: Man kann nicht ausschließen, dass nicht doch NSU-relevante Akten vernichtet wurden. Es ist schön, dass es in diesem Hause einmal außerhalb der NPD-Fraktion jemand so offen ausgesprochen hat. Wir sind es in der Tat den Opfern schuldig, dass wirklich aufgeklärt wird, auch in Richtung Geheimdienste; das hat Frau Köditz richtig ausgesprochen. Deshalb der Applaus von der NPD. Etwas anderes war eben nicht der Fall.
Mit meinen Formulierungen wollte ich vor allen Dingen deutlich machen, dass wir als LINKE von einem breiten Netzwerk ausgehen. Ich bin auch neugierig, welche Namen noch auftauchen werden, die früher oder später das Parteibuch der NPD gehabt haben und noch immer haben. Genau davor habe ich auch Angst, dass aufgrund von Fristen hier ordnungsgemäß Akten gelöscht werden, um ihre Verstrickung vielleicht auch zu vertuschen. – Danke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als im November 2011 der nationalsozialistische Untergrund aufflog und nach und nach ans Licht kam, welche Taten diese Mitglieder begangen haben und auf welch breites Netzwerk sie sich dabei stützen konnten, da waren viele Menschen in unserem Land schockiert und fragten sich: Wie ist das möglich? Diese Frage stellen wir uns heute immer noch. Wir stellen sie uns im Untersuchungsausschuss des Bundestages und auch in den Untersuchungsausschüssen der Länder, auch im Sächsischen Landtag.
Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, auf die Frage, wie das möglich war, prüfen wir die Akten und die Dokumente von Polizei und vom Verfassungsschutz; denn nur so lässt sich herausfinden, wer was wusste und wem diese Informationen übermittelt worden sind. Je besser die Aktenlage ist, desto besser wird die Antwort auf diese Frage sein, desto besser können wir verstehen, was da eigentlich passiert ist. Umso unverständlicher ist es, dass die Sicherheitsbehörden nach dem November 2011 Akten vernichtet haben, auch die sächsischen Behörden, auch das Sächsische Landesamt für Verfassungsschutz.
Natürlich gibt es gesetzliche Vorschriften über die Aufbewahrungsfristen von Akten, über den Datenschutz und über die Archivierung. Natürlich müssen all diese Vorschriften erfüllt und eingehalten werden. Das ist klar und selbstverständlich auch keine Frage. Aber genauso selbstverständlich musste es sein, nach dem 4. November, als alles klar wurde, was da auf uns zukommt und was sich da aufgetan hat, dass man einmal ein bisschen innegehalten hätte und man hätte einen Moment sagen sollen: Jetzt, obwohl regulär festgeschriebene Vernichtungsfristen laufen, prüfen wir noch einmal etwas genauer und fragen dann: Was brauchen wir noch und was ist wirklich verzichtbar? Eine solche Überlegungspause, die nach meiner Auffassung wichtig gewesen wäre, wurde nicht eingelegt, weder im Bund noch in Sachsen. Leider das Gegenteil ist der Fall.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat im November 2011 Akten zu dem Trio vernichtet und diese Aktenvernichtung – das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen – auf Januar 2011 zurückdatiert. Hier ist ganz offensichtlich, dass durch die Vernichtung etwas vertuscht werden sollte. Auch in Sachsen wurden Akten vernichtet, insgesamt 4 800 Aktenstücke. Erst ein halbes Jahr später am 19. Juli 2011, ist die Sächsische Staatsregierung auf die Idee gekommen, diesen Prozess zu stoppen. Erst ein halbes Jahr später wurde ein Vernichtungsmoratorium ausgesprochen. Erst ein halbes Jahr später fand das statt, was ich eben beschrieben habe und was ich mir gewünscht hätte, nämlich die Überlegungspause, das Innehalten, weil man aufklären will. Allein schon die Tatsache, dass dieses halbe Jahr vergangen ist, macht die
Wir sind dankbar, dass der Sächsische Datenschutzbeauftragte sich der Aufgabe angenommen hat, die Aktenvernichtung zu untersuchen. Aber natürlich ist uns allen klar, wir können jetzt nicht mehr feststellen, ob die Akten wichtig waren oder nicht, weil sie nicht mehr vorhanden sind, und das unwiederbringlich. Der Datenschutzbeauftragte konnte nur prüfen, wie das Landesamt für Verfassungsschutz sonst mit Akten umgeht.
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was wir zum Ergebnis dieser Prüfung im Bericht lesen, ist Anlass zur Sorge. Da möchte ich einmal zitieren: „Die Aktenführung des LSV stellt sich als teilweise mangelhaft dar. Problematisch ist hierbei vor allem die den Sachbearbeitern freigestellte Aktenführung. Sortierung und Zusammenstellung der Einzelstücke sind den Beamten weitgehend freigestellt. Bei Übergabe der Akten an einen anderen Sachbearbeiter kann die Aktenführung zu erheblichen Schwierigkeiten und weiteren Defiziten führen.“
Der vor wenigen Wochen vorgelegte sogenannte HarmsBericht enthält dazu weitere, zum Teil erneut nach meiner Auffassung haarsträubende Ausführungen über die Arbeits- und Verwaltungspraktiken des Landesamtes für Verfassungsschutz.
Es ist uns unverständlich, dass die Behörde, die schon mehrere Skandale hinter sich hat, dann jedes Mal neu geordnet werden muss und noch immer Anlass für solche massive Kritik sein kann.
Der Bericht des Datenschutzbeauftragten versucht durch Plausibilitätsprüfung zu mutmaßen, ob eine Aktenvernichtung zur zielgerichteten Vertuschung beigetragen hat oder nicht.
Im Gegensatz zu dem offensichtlichen Fall beim BSV, den ich gerade versucht habe zu beschreiben, hat der Datenschutzbeauftragte keine Anhaltspunkte für eine solche Vertuschungsaktion gefunden.
Was wir also zur Kenntnis nehmen müssen ist die Tatsache, dass 4 800 Akten vernichtet wurden und unwiederbringlich verloren sind.
Es bleibt also festzuhalten: Ein halbes Jahr wurde vernichtet, ein halbes Jahr wurde zumindest geschlafen, ein halbes Jahr hat niemand einmal innegehalten und sich gefragt, ob wir in Sachsen vielleicht noch etwas brauchen, weil wir aufklären wollen. Dieses halbe Jahr spricht Bände darüber, wie der Aufklärungswille der Staatsregierung wirklich zu bewerten ist.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was war am 11. Juli 2012 für eine Stimmung? Am 11. Juli 2012 ist der damalige Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz, Reinhard Boos, zurückgetreten, weil ein Sachbearbeiter in seiner Behörde eine Akte verkramt und erst dann gefunden hat.
Ab dem 14. Juli 2012 berichteten Medien darüber, dass Akten geschreddert wurden. Das Medienecho war ziemlich groß. Die Palette reichte von Mutmaßungen über eine gezielte Aktion, um Informationen zu vertuschen, andere sagten, lediglich ein unsensibles Verhalten sei an der Tagesordnung gewesen. Andere hielten das Landesamt für Verfassungsschutz für komplett unfähig. Die Überlegung, dass auch ein Landesamt für Verfassungsschutz Löschungsfristen zu beachten hat, die im Gesetz stehen, und sich ein Landesbeamter nicht einfach darüber hinwegsetzen kann, kam dabei zu kurz.
Der Kollege Lichdi schrie nicht nur „Skandal“, wie üblich – das sind wir von ihm gewöhnt –, sondern erstattete eine Strafanzeige gegen die Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz.
Ich bin dem Datenschutzbeauftragten sehr dankbar, dass er in die Debatte über die Vernichtung der Akten Sachlichkeit einziehen ließ.
Er hat im Landesamt für Verfassungsschutz von August bis Dezember letzten Jahres eine Prüfung des gesamten Vorganges vorgenommen und uns einen ausführlichen Bericht vorgelegt. Der Datenschutzbeauftragte bediente sich bei seinen Untersuchungen eines sorgfältigen Vergleiches der Vernichtungszahlen mit einem ähnlichen Zeitraum und mit anderen Fallzahlen in anderen Gebieten wie Linksextremismus oder Ausländerextremismus.
Er ist zu dem Schluss gekommen, dass es um den 4. November 2011, also im Zeitraum des Auffliegens des NSU, zu keinem Fall zur Veränderung der Vernichtungspraxis gekommen ist. Ich hege nicht den geringsten Zweifel an dieser Feststellung. Einen sogenannten Aktenvernichtungsskandal hat es im Landesamt für Verfassungsschutz nicht gegeben.
Ebenso haben die Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz mit der Vernichtung von Aktenteilen nicht gegen das Sächsische Verfassungsschutzgesetz verstoßen.
Meine Damen und Herren! Wir haben hier schon oftmals diskutiert, wie die Organisation des Landesamtes für Verfassungsschutz ist. Die Aktenführung im Amt ist mangelhaft. Das stellt auch jetzt der Datenschutzbeauftragte fest. Kollege Brangs hat eine Passage aus dem Bericht zitiert. Ich möchte einen anderen Bereich noch einmal hervorheben, der für mich auch besonders wichtig ist.
Der Datenschutzbeauftragte führt aus, für eine abgeschottete Behörde, wie das Landesamt für Verfassungsschutz, ist eine einheitliche, konsistente und systematische Akten
führung zweckmäßig und erforderlich, beispielsweise beim Wechsel eines Mitarbeiters sicherzustellen, dass die Arbeit explizit nachvollzogen werden kann.
Meine Damen und Herren! Eine einheitliche Aktenführung gehört in jedem Unternehmen zum Grundbestandteil guter Unternehmensführung. Bei Behörden, gerade auch beim Landesamt mit seinen vielen sensiblen Daten und Informationen, ist es daher nicht zu viel verlangt, das auch hier einzufordern. Der Datenschutzbeauftragte hat sich in seinem Bericht sehr ausführlich mit der Vernichtung von Aktenteilen befasst. Dabei hat er aufgezeigt, dass sich bei dem derzeitigen Wortlaut von § 7 Abs. 4 des Verfassungsschutzgesetzes starke Unklarheiten ergeben, was die Vernichtung von Akten betrifft.
Es besteht ein Spannungsverhältnis zwischen dem Schutz personengebundener Daten von denjenigen, die Objekt einer nachrichtendienstlichen Maßnahme geworden sind, und dem Grundsatz des Schutzes personenbezogener Daten. Eine strenge Wortauslegung des § 7 Abs. 4 würde unter Umständen dazu führen, dass die Akten unbestimmt lange gespeichert werden. Personenbezogene Daten könnten nicht gelöscht werden, sofern die entsprechenden Sachkomplexe immer noch aktuell sind. Ich sage das hier ganz deutlich auch in Kenntnis der Diskussion, die wir in den letzten Jahren hatten.
Als Liberaler kann ich so etwas nur strikt ablehnen. Jeder Bürger, auch wenn er einmal auffällig geworden ist, hat einen Anspruch auf staatliches Vergessen, wenn er sich längere Zeit wieder auf dem Boden der Rechtsordnung und der freiheitlich demokratischen Grundordnung bewegt hat.
Meine Damen und Herren! Wir sollten einen Fehler nicht machen und unter dem Eindruck der Morde des NSU uns dazu verleiten lassen zu sagen,
Hauptsache der Staat sammelt Informationen ohne Ende, speichert sie und hält sie vor. Schon sind wir davor gefeit, dass Personen, die außerhalb unserer Rechtsordnung stehen, keine Straftaten mehr begehen können. Ein freiheitlicher Staat hat auch eine Verantwortung für seine Bürger, Freiheitsrechte zu wahren, denn er kann keine vollständige Sicherheit leisten, ebenso wenig wie ein absoluter Staat. Deswegen ist es wichtig, in so einem sensiblen Bereich den Datenschutz und die Bürgerrechte hochzuhalten. Es darf nicht dazu führen, dass wir anfangen Daten zu sammeln, wo wir gar nicht mehr wissen, wo wir sie hinpacken sollen.
Ich bin dem Datenschutzbeauftragten sehr dankbar, dass er einen Formulierungsvorschlag für die Neuformulierung des § 7 Abs. 4 des Verfassungsschutzgesetzes gemacht hat. Mit dem vorgeschlagenen Wortlaut wird das Landesamt eine klare Vorgabe für den Fall der Vernichtung von Aktenteilen an die Hand bekommen. Diskussionen, was
ist eine Akte und was sind Aktenteile, gehören dann der Vergangenheit an. Ich persönlich spreche mich für die baldige Umsetzung dieses Vorschlages aus. Meine Fraktion ist bereit, die erforderliche Umgestaltung des Gesetzes mit zu begleiten. Ich möchte mit einem Dank an den Datenschutzbeauftragten und seine Mitarbeiter für die Aufarbeitung des Gesamtkomplexes, für die viele Mühe und die Sorgfalt, die verwendet wurde, schließen.