Ich bitte Sie deshalb, meine Damen und Herren des Sächsischen Landtages, um Ihre Zustimmung zur vorgelegten Verfassungsänderung.
Für die CDU-Fraktion sprach Kollege Flath. Für die miteinbringende SPDFraktion ergreift nun Kollege Martin Dulig das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Große Worte haben wir schon gehört. Es werden weitere große Worte kommen: Sternstunde, historischer Moment, großes Ereignis.
Ich finde, dass alle diese Worte heute ihre Berechtigung haben. Ja, zu einem solchen Anlass gehört auch das Pathos, weil wir hier über das höchste Gesetz, die Verfassung, die Leitplanken unserer Politik in Sachsen, sprechen.
Trotzdem fallen mir auch zwei andere Worte ein, die nicht so groß klingen, nämlich die Worte „endlich“ und „geschafft“.
Endlich: Es war ja nun ein längerer Prozess mit allen Höhen und Tiefen, und so ist es gut, dass wir ihn heute zu Ende bringen. Wir haben etwas geschafft, was eben nicht selbstverständlich ist. Ich hatte es bei der Einbringungsrede schon gesagt: Wir mussten alle aus unseren Rollen heraustreten, denn wenn man eine Zweidrittelmehrheit benötigt, dann funktioniert das mit der Koalitions- und Oppositionseinteilung nicht. Auch wenn natürlich eine Koalition mit der Staatsregierung und der Verwaltung im Rücken auf einen anderen Apparat zurückgreifen kann, kann ich doch mit einem gewissen Selbstbewusstsein auch für die Opposition sagen: Wir konnten uns genauso kompetent präsentieren und haben unsere fachliche Expertise auf Augenhöhe mit eingebracht.
Die Motivation der SPD, diese Verfassungsänderung anzustreben, ist die Verantwortung für unser Sachsen im Vertrauen auf einen handlungsfähigen Staat und vor allem im Interesse des Gestaltungswillens von Politik. Das war und bleibt unsere Motivation.
Normalerweise ist die Verfassungsänderung nicht notwendig. Wir könnten diese Regelungen – wir haben sie ja zum Teil schon – ins Gesetz schreiben. Warum ändern wir die Verfassung trotzdem? Weil wir uns selber misstrauen. Es ist ein Misstrauensbeleg gegenüber Politik. Die Frage ist, ob er gerechtfertigt ist. Ich sage: durchaus. Dieser Misstrauensbeleg ist durchaus gerechtfertigt zum einen, weil auch einer Koalition dämmert, dass sich Mehrheiten ändern und dass es vielleicht auch – so hoffe ich – andere Mehrheiten hier in Sachsen gibt und zum anderen auch gab.
Ich möchte jetzt ganz bewusst aus meiner Rolle als SPDVorsitzender heraustreten und für meine Generation
sprechen, und zwar für die Generation, die in den Siebzigerjahren geboren wurde. Wir sind die Generation, die noch nie einen schuldenfreien Bundeshaushalt erlebt hat. Ich trete deshalb aus meiner Rolle heraus, denn der Vorwurf trifft uns genauso wie CDU, FDP und GRÜNE. DIE LINKE betrifft es in einem anderen Maß, aber ich will jetzt nicht die DDR-Debatte führen. Das ist nicht mein Thema. Es bleibt der Vorwurf, dass unsere Generation hier eine Last abzutragen hat, für die wir nichts können. Sie können alle Haushaltsdebatten des Bundestages von den Siebziger-, Achtziger- und Neunzigerjahren nachvollziehen. Sie werden dort immer den Spruch finden: Das können wir unseren Kindern und Enkeln nicht antun. Aber jetzt meldet sich die Enkel- und Kindergeneration und sagt: Ihr habt es uns angetan. Ihr habt uns eben auch einen Berg von Schulden überlassen, der die Handlungsfähigkeit des Staates einschränkt – das Geld, das wir gerne für Bildung, Infrastruktur und soziale Gerechtigkeit ausgegeben hätten.
Das ist genau das Problem, warum wir seit Jahren, wenn wir über Haushalts- und Finanzpolitik reden, es immer mit dem Maßstab der Schuldenpolitik machen. Das ist eben auch etwas, wo unsere Generation sagt: Das ist nicht unsere Verantwortung gewesen, aber wir müssen es ausbaden. Ganz oft wird Keynes herangezogen und zitiert. Wenn man Keynes wirklich ernst genommen hätte, dann hätte man nicht nur in Krisenzeiten das Geld richtig investiert und in guten Zeiten dann zurückgezahlt. Aber das wurde ja nie getan.
Das ist ja das Grundproblem. Sie können auch weiter zurückgreifen und bis in die Bibel gehen, 1. Mose 41, die Geschichte der sieben fetten und sieben dürren Jahre, wo gesagt wird: Wir müssen vorbauen. Wir müssen in den Jahren, in denen es uns gut geht, zurücklegen.
Aber, wie gesagt, das ist ein Vorwurf, den ich als Vertreter einer Generation nicht einer Partei mache, sondern den vorangegangenen Generationen.
Wenn wir über solide Haushaltspolitik in Deutschland reden, geht es eben nicht nur um die Frage, ob wir jetzt ein Neuverschuldungsverbot in die Verfassung schreiben. Denn es gibt Ergebnisse, bei denen man Handlungsfähigkeit braucht, vielleicht auch mit Schulden. Ich bin nicht per se gegen Schulden. Beispielsweise kann man das Jahrhundertereignis Deutsche Einheit nicht aus der Portokasse bezahlen. Den Aufbau der neuen Länder kann man nicht mit den eigenen Einnahmen decken.
Wir kennen doch unseren Haushalt. Ich finde es immer sehr mutig, wenn wir vom „Geberland“ schwafeln, obwohl wir wissen, dass ein Drittel unseres Haushaltes Leistungen des Bundes oder Transferleistungen sind. Da sollte man etwas demütiger sein. Wir wissen doch, dass wir es aus eigener Kraft gar nicht finanziell stemmen können.
Eine kluge, solide Haushalts- und Finanzpolitik würde sogar bei rentierlichen Dingen Schulden aufnehmen, zum Beispiel bei bestimmten Investitionen. Diesen Spielraum haben wir uns jetzt genommen. Aber das hat etwas mit den Umständen zu tun, in denen wir gerade leben, und das ist eben auch ein Problem. Nur zu sparen um des Sparens willen oder das Neuverschuldungsverbot als Fetisch zu betrachten, das reicht nicht aus, wenn wir über solide Haushaltspolitik reden.
Ich habe es schon bei der Diskussion über den Haushalt den Kolleginnen und den Kollegen von der CDU gesagt, die sich gern das Markenzeichen anheften, für die solide Haushaltspolitik zu stehen: Wenn wir heute die Verfassung ändern – das gehört auch mit zu dem Wort „endlich“ –, dann ist dieses Thema vorbei, dann ist es Gesetz. Jetzt bekommen Sie vielleicht ein Problem, weil wir dann auch einmal über andere Themen reden.
Aber ich will das jetzt nicht weiter ausführen, weil sonst vielleicht Stimmen von der CDU für die Zweidrittelmehrheit flöten gehen.
Ich möchte tatsächlich, dass wir auch über andere Themen reden, nämlich darüber, was wir wirklich an handlungsfähigem Staat wollen. Wer über einen handlungsfähigen Staat redet, der muss auch über die Einnahmen reden. Und die Frage der Einnahmen ist eben nicht nur die Frage von Schulden, sondern von gerechter Verteilung oder von Steuern.
Das gehört zur Wahrheit dazu. Wer über einen soliden Haushalt spricht, darf sich eben nicht nur einseitig die Ausgaben anschauen, sondern muss sich genauso darum kümmern, dass wir solide Einnahmen haben und diese gerechter verteilen.
Das wird auch weiter unsere Auseinandersetzung bestimmen. Wir werden weiterhin darüber streiten, ob das Geld in Sachsen durch die solide Haushaltspolitik richtig eingesetzt, richtig investiert wird. Wir haben einen Riesennachholbedarf bei dem Thema Bildung. Das ist das Gerechtigkeitsthema Nummer 1. Da werden wir weiter mit Ihnen streiten. Wir werden weiter darüber streiten, inwieweit in Sachsen die richtigen Impulse gesetzt werden.
Das heißt, selbst wenn wir heute dieser Verfassungsänderung zustimmen, bleiben die Grundauseinandersetzungen über die Fragen: Was ist ein handlungsfähiger Staat und was ist der Gestaltungswille von Politik? Was wollen wir selber auch noch gestalten und wo wollen wir investieren? Für uns kann ich sagen: Wir sind nicht zufrieden, wenn es ein Neuverschuldungsverbot gibt und damit das Thema solide Haushaltspolitik abgedeckt ist, sondern wir wollen,
Wir haben in den Verhandlungen vieles geschafft. Manchmal waren wir auch geschafft nach den Verhandlungen. An dieser Stelle auch noch einmal mein Dank an die Verhandlungsdelegationen. Ganz speziell bedanke ich mich bei der unsrigen, bei Dirk Panter und unseren Beraterinnen und Beratern. Wir haben da wirklich etwas auf den Weg gebracht.
Geschafft waren wir auch bei manchen Sitzungen der Fraktionsvorsitzenden. Es war doch nicht nur die Verhandlungsgruppe, die da einige Nerven gelassen hat. Wir waren auch froh, als so manche Sitzung vorbei war. Aber trotz alledem: Die Ausnahmen, die wir geregelt haben und wie wir sie geregelt haben, sind richtig.
Es wird Sie nicht wundern, dass ich noch einmal mit einem gewissen Stolz auf das eingehe, was für uns so wichtig war, nämlich den kommunalen Schutzschirm. Wir haben dort entgegen so mancher anderen Interpretation eine substanzielle Veränderung erreicht. Das ist eben nicht nur ein Formelkompromiss, der etwas abbildet, was so oder so da ist. Der große Unterschied ist nämlich, dass das finanzkraftunabhängige Erstattungsprinzip für die Kommunen ausgeweitet wird, dass der Freistaat, wenn Aufgaben übertragen werden, nicht nur die Kosten zum Zeitpunkt der Übertragung übernimmt, sondern auch dann, wenn er die Aufgaben verändert, wenn er Standards verändert.
Das gilt auch für die bestehenden Aufgaben. Das können die Kommunen einklagen. Das ist eine substanzielle Änderung. Das Prinzip „Wer bestellt, der zahlt“ gilt jetzt auch für die Nachbestellung.
Ich respektiere, dass manche mit Nein stimmen. Es gibt sicherlich auch gute Gründe, die die Einzelnen haben. Ich kann nur sagen, dass es auch für mich persönlich heute ein großer Moment ist. Es ist ein großer politischer Erfolg, dass man auch als Oppositionspartei mit seiner Stimme tatsächlich Teil einer Veränderung ist. Ich bin auch stolz auf das, was wir innerhalb der SPD geschafft haben, und ich glaube, dass der Prozess der sächsischen SPD über die Grenzen der Partei hinaus für Anerkennung gesorgt hat und dass wir mit dem Ergebnis auch wirklich gut leben können. Deshalb sage ich auch: Ja, ich stimme aus voller Überzeugung mit Ja.
Das Wort hatte für die SPD-Fraktion Herr Kollege Dulig. Es geht jetzt weiter mit der ebenfalls einbringenden FDP-Fraktion. Ich erteile das Wort Herrn Kollegen Zastrow.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Sächsische Landtag schreibt heute Geschichte. Wir schreiben heute Geschichte. Zum ersten Mal seit der Wiedergründung des Landes Sachsen ändern wir heute unsere Verfassung. Und wir ändern sie aus dem aus meiner Sicht edelsten denkbaren Grund, nämlich um unser Land und besonders unsere Jugend zu schützen, sie zu schützen vor zu großen Lasten und zu hohen Schulden in der Zukunft, meine Damen und Herren. Einen besseren Grund kann es nicht geben, die Sächsische Verfassung das erste Mal zu ändern.
Mit der Verankerung des strengsten Neuverschuldungsverbotes in der Bundesrepublik überhaupt und mit der verfassungsrechtlichen Festschreibung des Vorsorgefonds – des Generationenfonds für künftige Vorsorge – übernehmen wir Verantwortung für die Zukunft unseres Landes. Wir sorgen vor. Wir verschieben heute entstehende Lasten nicht einfach so in die Zukunft und sagen: Kümmert ihr euch mal darum! Nein, das machen wir nicht.
Mit der heutigen Verfassungsänderung garantieren wir endgültig, dass in Sachsen der Schuldenberg nicht wachsen wird. Wir geben den jungen Menschen von heute, von morgen und von übermorgen eine echte Chance, die Rahmenbedingungen ihres eigenen Lebens auch selbst gestalten zu können, ihr Leben später selbst in die Hand nehmen zu können. Wir bestimmen nicht über ihr Leben, indem wir ihnen kaum zu bewältigende Erblasten hinterlassen, sodass sie letztlich in der Zukunft nur noch die Möglichkeit haben, darüber zu entscheiden, mit welchen Sparmaßnahmen oder Steuererhöhungen sie die politischen Schulden ihrer Eltern oder Großeltern abbezahlen können. Wir vererben unseren Kindern und Enkeln echte Gestaltungs- und Handlungsspielräume.
Meine Damen und Herren, mehr kann man eigentlich nicht tun. Ich glaube, das ist gute Politik des Sächsischen Landtags, die wir heute hier machen.
Und wir ziehen – das ist von meinen Vorrednern angesprochen worden – heute einen Schlussstrich unter das Schuldenmachen als politisches Instrument. Ja, wir müssten es in Sachsen vielleicht nicht tun, denn in Sachsen ist das bisher immer nur ein theoretisches Instrument gewesen. Zumindest solange CDU und FDP in Sachsen regieren, können wir ausschließen, dass es in Sachsen auch einmal praktisch zur Anwendung kommen würde. Aber man weiß ja nie.
Mögen Gott – zuständig für die sächsische Union – und der Wähler, der zuständig für uns ist, Sachsen vor dem Schicksal bewahren, dass es einmal andere politische Mehrheiten gibt.
liebe Kollegen von SPD und GRÜNEN, dass diejenigen, die heute in der Minderheit in ihren Fraktionen sind, vielleicht doch irgendwann einmal in der Mehrheit sind, und dann bin ich mir eben nicht mehr ganz so sicher, dass der heute hier in Sachsen, heute hier im Sächsischen Landtag gezeigte große politische Konsens auch zu jedem anderen Zeitpunkt, in jeder anderen politischen Lage und jeder anderen personellen Konstellation weiter tragen würde.